Samstag, 4. Juni 2011

Is it really only the economy (stupid)?

Von Stefan Sasse

Nikolaus Piper analysiert in einem aktuellen SZ-Artikel die Wiederwahlchancen Barrack Obamas 2012 wie folgt: "All diese Spekulationen sind voreilig, denn sie stellen einen zentralen Faktor außer Rechnung: die Lage der amerikanischen Wirtschaft. "It's the economy, stupid", sagte Bill Clinton einmal - amerikanische Wahlen werden mit Wirtschaftsthemen gewonnen oder verloren." Piper geht darauf ein, dass die Arbeitslosenrate sehr hoch sei und dass ein Präsident mit solchen Werten in dieser zentralen Statistik seit Roosevelt nicht mehr wiedergewählt worden ist. Piper hat sicherlich Recht wenn er sagt, dass Wirtschaftshemen in einem Wahlkampf bestimmend sind; wir haben das in der BRD schon oft genug erlebt. Gleichzeitig greift er aber wesentlich zu kurz, wenn er einige spröde Zahlen zur Wirtschaftslage als Gradmesser, ja als praktisch nachweisbare und unumstößliche Regel für Wahlerfolge zu erklären. Zahlen führen in die Irre, und Wahlkämpfe sind Psychologie. 2008 gewann Obama nicht nur, weil Lehmann Brothers kollabierte, ja, ich verstehe gar nicht, wie Piper das zu einem zentralen Baustein des Wahlerfolgs machen kann. Obama siegte mit seiner Botschaft von "change". Es zeichnet sich jedoch bereits deutlich ab, dass die Lage der Wirtschaft das entscheidende Thema 2012 werden wird. Das Problem Obamas in den Augen Pipers: "Obama hat sein komplettes Wirtschaftsteam ausgewechselt, mit Ausnahme von Finanzminister Timothy Geithner. Jetzt weiß niemand mehr, für was der Präsident steht."

Eigentlich ist die bisherige Position Obamas relativ einfach zu umreißen, und das ganz ohne einen einzigen Berater zu kennen: Geldschöpfungspolitik der Fed, schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme, mittelfristige Innovations- und Strukturwandelprogramme. Dazu kommt ein kompromissbereiter Kurs mit der Wallstreet. Die letzten Monate der US-Innenpolitik standen im Zeichen des Budgetstreits, denn die Republikaner, die mittlerweile das Repräsentantenhaus kontrollieren, wollen einer Aufweichung der Schuldenobergrenze und damit weiteren staatlichen Investitionen nicht zustimmen. Sie sind für eine harte Sparpolitik; wer hätte auch damit gerechnet. Einige wirtschaftliche Berater Obamas sind abgesprungen, einige hat er selbst ausgewechselt; beides ist verständlich, wenn man sich die Realitäten ansieht, innerhalb derer er gerade Wirtschaftspolitik betreiben muss. Das Land ist politisch schwer gespalten, seit die Tea-Party-Bewegung äußerst aggressiv, gestützt von einem konservativen Mediennetzwerk wie dem von FOX News, gegen den Präsidenten vorgeht. Anstatt den Fehdehandschuh aufzunehmen, hat Obama seine eigene Taktik mit bemerkenswerter Hartnäckigkeit weiterverfolgt. Diese Taktik müssen wir in einem kurzen Exkurs unter die Lupe nehmen. 

Obamas Strategie in den Vorwahlen 2008 war eben nicht ein Weg der moderaten Mitte. Er versprach "change", einen relativ radikalen Wandel, mehr Transparenz, mehr Bürgernähe und ein anderes feeling. Viel konkrete Politik war nie dahinter, und sollte es vermutlich auch gar nicht sein. Sein Präsidentschaftswahlkampf sprach die Amerikaner breiter an, als man es hätte vermuten können. Er wurde nicht nur mit der Mehrheit der Elektorenstimmen gewählt, sondern auch von der absoluten Mehrheit der Amerikaner selbst (was nicht allzu häufig vorkommt). Er erreichte das auch mit einer klaren Abgrenzung von allzu progressiven Elementen seiner eigenen Partei. Er vermied den Eindruck, ein "liberal" zu sein - etwas, das mit "Liberaler" nur sehr ungenügend übersetzt ist. Direkt nach der Wahl streckte er der republikanischen Opposition die Hand aus, lud sie ein, gemeinsam mit ihm zu arbeiten und Kompromisse zu finden. Vielleicht war es nur Taktik. Vielleicht war es ein ehrlicher Versuch. Viele waren bereits damals verwundert. Hatte er nicht triumphal gesiegt? Warum war er bereit, mit dem Republikanern, die in keinem der beiden Häuser die Mehrheit hatten, zusammenzuarbeiten? 
Ich denke dass ihm ziemlich gut bewusst war, was ihm bevorstand. Die Finanzkrise zu bändigen und, vor allem, ihre Folgen in den Griff zu bekommen war ein Mammutakt. Er würde gigantische Finanzmittel und eine neue Gesetzgebung erfordern. Sollte die Wallstreet außerdem mit zur Verantwortung gezogen werden - und es ist wohl sicher anzunehmen, dass das seine Intention war - führte kein Weg an einer einigen Front im Kongress vorbei, um einzelne Abgeordnete, die besonders stark mit der Wallstreet verknüpft sind, ausmanövrieren zu können. Dieser Plan ging bekanntlich nicht auf. Die Republikaner verweigerten sich der Mitarbeit und schalteten auf Totalopposition. Überraschend stieg die im Wahlkampf schwer disavouierte Sarah Palin zur Galionsfigur der neuen Tea-Party-Bewegung auf. Dabei handelt es sich um eine jener Strömungen, die latent bereits lange vorhanden waren und gewissermaßen nur auf eine Entladung hofften. Die weite Unzufriedenheit der Amerikaner mit der Politik in Washington ist ja nicht gerade ein Geheimnis, und dass viele dieser Menschen (besonders die im "bible-belt" des Mittleren Westens ansässigen Konservativen) niemals in einem liberalen Politiker die Lösung erblicken könnten genausowenig. Letztlich ist es bei uns ja auch nicht anders: die Mehrheit ist deutlich unzufrieden, aber eine Alternative ist nicht in Sicht. Die Tea-Party nutzte diese Unzufriedenheit und kanalsierte sie mit radikalen Bekenntnissen zu scheinbar uramerikanischen Werten: einer festen christlichen Verankerung (im Sinne eines protestantischen Evangelismus), einem festen Patriotismus und einem noch festeren Individualismus. In den Mix geworfen wurde außerdem ein bisschen Gründerväterfolklore und Minute-Men-Romantik, und fertig war der Mix, den die deutschen Populisten noch vergeblich suchen. 

Obama bewegte sich aber aus seiner moderaten Mitte, in die er sich absichtlich manövriert hatte als er den Kompromiss mit den Republikanern suchte, nicht heraus. Letztlich behält er eine Position, wie er sie hätte wenn die Republikaner kooperiert hätten, wie um zu zeigen, wie vernünftig eigentlich alles sein könnte. Angesichts der Tatsache, dass die Tea-Party bei allem Krach den sie verursacht keine Mehrheit besitzt und viele Republikaner sich gefährdet und bedrängt fühlen, ist das kein Fehler. Ich habe schon mehrfach prognostiziert, dass der Radikalismus der Tea-Party Obama die Wiederwahl sichern wird, weil viele moderate Republikaner angewidert zuhause bleiben und viele enttäuschte Demokraten zur Abwehr von Schlimmerem Obama wählen werden. Und damit kehren wir zur Wirtschaftspolitik zurück. Obama mag nicht das kohärenteste aller Programme haben, aber immerhin hat er überhaupt eines, und wenn man sich ein klein wenig Mühe gibt erkennt man es auch. Die Republikaner haben - nichts. Stattdessen betreiben sie reine Obstruktionspolitik, was funktionieren kann, es aber häufig nicht tut, wie die Republikaner erst 1996 unter Führung von Newt Gingrich erfuhren. 

Wenn 2012 dann über Wirtschaftsthemen gesprochen wird, kann Obama beim TV-Duell am Rednerpult stehen und mit sonorer Stimme auf all die Programme und Vorschläge verweisen, die von ihm ausgingen, und er muss nicht einmal mehr betonen, dass die Republikaner Knüppel zwischen die Beine warfen. Wenn er es geschickt anstellt - und geschickt ist er ohne Zweifel - kann ein Teil des Desasters, das die Finanzkrisenpolitik zweifellos ist, an den Republikanern hängen bleiben. Schließlich befürworten die Amerikaner mehrheitlich Repressionen gegen die Wallstreet. Oftmals dringen die Informationen, wer eigentlich dieselben verhindert, gar nicht richtig durch. Der Schlüssel zum Sieg Obamas 2012 ist, ihn als vernünftigte, moderate und erfahrene Alternative zu den radikalen, aggressiven und unverantwortlichen Tea-Party-Jüngern zu präsentieren, und ich gehe davon aus, dass er genau das tun und damit erfolgreich sein wird. Die Wirtschaftslage wird deswegen weniger 2012 entscheidend sein als 2014: wenn Obama Glück hat, sind die Effekte seiner mittelfristigen Programme bis dahin spürbar geworden. Dann könnte er die Midterms für sich entscheiden (dass die Demokraten 2012 das Repräsentantenhaus zurückgewinnen werden ist unwahrscheinlich, dass sie den Senat verlieren möglich; split government wird also weiter Realität für die Obama-Administration bleiben). Mit einem solchen Erfolg im Rücken wäre es dann vielleicht sogar möglich, einige Reformfäden wieder aufzunehmen, die die Republikaner ihm zerschnitten haben.

Bildnachweise: 
Porträt - Pete Souza (gemeinfrei)
Mit Ted Kennedy - Sage Ross (GNU 1.2)
Five Presidents - Joyce N. Boghosian (gemeinfrei)

7 Kommentare:

  1. es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass die demokraten das house wiedergewinnen, wenn sie ordentlich gegen rayans medicare-reform holzen (wie gerade in der special election in ny-26 passiert). wird auf jeden fall alles wieder sehr spannend. ich liebe ja die amerikanische politik für ihren hohen unterhaltungswert :-)

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  2. Die USA haben ein grundsätzliches Problem.

    Der Niedergang des Bildungssystems und damit der Ökonomie ist fest in die Anthropologie der amerikanischen Gesellschaft eingeschrieben.

    Da hilft ein Obama wenig.

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  3. Nunja, Herr Pieper war bei der SZ lange der "Ressortleiter Wirtschaft", die Economy ist nun mal sein Thema.
    Wäre er für Popkultur zuständig, hätte er seine Meinung über die USA und seine Artikel mit Zitaten aus der Popkultur untermauert.
    Wäre er ein Reklamefuzzi oder Medienjournalist (was heute oft das selbe ist), hätte er alles was er in den USA bemerkt, der Werbeindustrie oder dem Einfluss der Medien zugeschrieben.
    Wäre er ... usw.
    - Klaus

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  4. Übermäßige Verschuldung in der Gegenwart schränken die Wachstumsmöglichkeiten in der Zukunft.
    Mehr ist nicht passiert.

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  5. Die hälfte der Zeit arbeiten wir für die Zinsen, die andere Hälfte für die Gehälter der Eigentümer, Tendenz steigend. Folgerichtig sollten die Einkommen der Arbeiter weiter sinken, oder die Verschuldung weiter ansteigen. Schönes Wochenende.

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  6. Man kann die These "die Wirtschaftslage entscheidet" noch viel einfacher widerlegen: Wenn das immer und allein den Ausschlag geben würde, warum wurde dann George W. Bush 2004 wiedergewählt?

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  7. Das mit der Alternative hierzulande. Es gibt sie. Nur wird sie auf das heftigste bekämpft, als dass auch uns suggeriert wird, es gäbe sie nicht.

    Da muß der Autor des obigen Artikels wohl inhaltlich noch ein klein wenig nachsitzen.

    Ansonsten gefällt mir der Kernsatz »Der Schlüssel zum Sieg Obamas 2012 ist, ihn als vernünftigte, moderate und erfahrene Alternative zu den radikalen, aggressiven und unverantwortlichen Tea-Party-Jüngern zu präsentieren, und ich gehe davon aus, dass er genau das tun und damit erfolgreich sein wird. « sehr gut.

    Grüße
    Bernhard

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