Montag, 5. September 2011

Die geborgte Stärke der SPD

Die SPD kann derzeit vor Kraft kaum laufen. Über 35% in Mecklenburg-Vorpommern, quasi sicherer Wahlsieg in Berlin, die Demoskopenwerte für Bundestagswahlen ständig am Wachsen. Dazu die Dauerkrise von LINKEn und FDP, das Ende des grünen Aufstiegs und Streit in der CDU. In der derzeitigen Freude über die Entwicklungen häuten Gabriel, Steinmeier und Steinbrück aber nicht nur das Wild bevor es gefangen wurde. Sie jagen es nicht einmal; das erledigen andere. Die SPD profitiert derzeit einzig von der Schwäche der anderen; einen eigenen Kraftquell besitzt sie nach wie vor nicht. Das gilt insbesondere für den verbreiteten Irrtum, dass Steinbrück der Messias für die Wahlergebnisse der Partei wäre.

Die Enttäuschung zahlloser Wähler über die schwarz-gelbe Koalition lässt sich fast mit Händen greifen und ist auch unwidersprochen. Allein sie muss für einen Stimmenzuwachs der SPD sorgen, weil viele FDP-Wähler von 2009 entweder nicht mehr zur Wahl gehen oder sich stattdessen für Alternativen entscheiden. Gleiches gilt für Wechselwähler zur CDU, und natürlich für den riesigen Batzen SPD-Sympathisanten, der 2009 überhaupt nicht zur Wahl ging, und zuletzt für diejenigen, die zur LINKEn abgewandert sind. Von all diesen drei Verliererparteien bekam die SPD Wähler zurück, und zwar mehr als sie an die Grünen verlor - deren Zuwachs ist hauptsächlich auf Kosten von FDP und LINKEn entstanden. Warum aber würden nun wieder mehr 2009 enttäuscht von den Urnen ferngehaltene Wähler ihr Kreuz bei den Sozialdemokraten machen? Die Große Koalition und das Desaster von 2009 sind nun bereits zwei Jahre her, und die Fehler und Schwächen der SPD-Spitze verblassen völlig gegen Merkel und Westerwelle.

Die SPD hält sich derzeit außerdem munter in den Schlagzeilen, indem sie ausgiebig die K-Frage diskutiert, also eine rein hypothetische Frage, die irrelevanter zum aktuellen Zeitpunkt kaum sein könnte. In politischen Sachfragen gibt sie sich staatstragend. Euro-Bonds, sicher, wir sind für europäische Integration. Libyen-Einsatz, dagegen und nach dem Erfolg doch dafür. Wenn hier jemand in fünf Monaten seine Meinung umdrehen darf dann Steinmeier, aber sicher nicht Westerwelle, die alte Tröte. Schuldenproblem - hier wurde, staatstragend, die Schuldengrenze miteingeführt. Überhaupt ist die SPD hier in der komfortablen Position, überall auf Mitarbeit verweisen zu können wenn es klappt und einfach der CDU den Frosch in den Schuh zu schieben wenn es sich als Fehler herausstellt. Paradebeispiel siehe Libyen. Und in der Scheindebatte um die Kanzlerkandidatur macht man derzeit Stimmung mit Nostalgie und Merkel-Bashing.

Denn was ist das Pushen einer Führungsfigur wie Steinbrück anderes als eine implizite Kampfansage an Merkels ständiges Herumlavieren und Kompromisse schließen? Die Führungstroika, als die sich die Stones und Gabriel gerade gerieren, verteilt die Eier der SPD in mehrere Körbe. Wenn sich bei den Wahlen der Euro weiter als Hauptthema und ein Bedürfnis nach einer Führungsfigur abzeichnet, hat die SPD Steinbrück in den Startlöchern. Der ist ohnehin der Darling der Medien; niemand kann so gut in Überschriften reden wie er. Steht der Sinn nach einem sanften, ausgeglichenen Staatsmann ohne Angriffsfläche kann man Steinmeier noch einmal ins Rennen schicken und mit leister Stimme Detailkritik an Merkel üben lassen, um sie die konfrontationsscheue deutsche Seele zu streicheln. Und will man doch Abteilung Attacke gegen, könnte man Gabriel mehr Raum einräumen, obwohl der als Kanzler, gelinde gesagt, schwer vorstellbar ist.

Was aber in zwei Jahren sein wird - schwer zu sagen. Die aktuelle Stärke der SPD ist geborgt von der Schwäche der anderen, und das ist kein Zustand der sich zwei Jahre lang aufrecht erhalten lässt. Die Strategie Steinbrücks scheint zu sein, sich konsequent im Gespräch zu halten und die finale Entscheidung einserseits bis irgendwann spät 2012 offen zu halten und gleichzeitig auf eine Entscheidung zwischen ihm und Steinmeier zuzuspitzen - was darauf hinausliefe, dass es überhaupt keine Entscheidung zu treffen gäbe. Ob die SPD mit ihm als Frontmann gewinnen könnte  bezweifle ich aber. In Deutschland werden immer noch Parteien gewählt. Es ist zwar richtig, dass die Führungspersonen wichtiger geworden sind als früher; das Kreuz aber macht man immer noch bei einer Partei und dem Konglomerat an Werten und programmatischen Absichten für die sie steht oder zu stehen vorgibt. Wenn man aber Steinbrück mag, liegt die Wahl der CDU näher, während er die klassische SPD eher vergrätzt. Die große Nähe zu Helmut Schmidt, die er gerade zelebriert, gefällt den Medien, die schon Schmidt sehr mochten. Nur sollte man sich vor Augen halten, dass die SPD unter Schmidt mit jeder Wahl verlor, die Grünen zuließ und am Ende die SPD für Jahre als politisches Trümmerfeld zurückließ.

Bildnachweise: 
Westerwelle - Janwikifoto (GNU 1.2)
Steinbrück - Peter Schmelzle (GNU 1.2)

15 Kommentare:

  1. Naja, der grüne Aufstieg verfestigt sich eben dort, wo er realistisch besehen zu verorten ist, bei etwa 20%. Einen Absturz würde ich das gar nicht mal nennen, weil die plötzliche Zustimmung nach Fukushima dann halt doch zu offensichtlich übertrieben war und dadurch erst jetzt in ihrer wahren Weite ablesbar ist. Klingt verschwurbelt, halte ich aber festzustellen für wichtig.

    AntwortenLöschen
  2. Die Partei der Nichtwähler hatte mal wieder den größten zuwachs an absoluten Stimmen,gefolgt von den grünen und NPD.Alle anderen Parteien haben Stimmen verloren,auch die sPD.
    Ich hoffe Roberto wird es demnächst noch ausführlicher berichten.

    AntwortenLöschen
  3. Wer nicht wählen geht, ist selber schuld.

    "descisions are made by those who show up"

    - President Joisah Bartlet

    AntwortenLöschen
  4. Es war C.J. Cregg die das gesagt hat, auf der Wahlparty, aber ich finde es super dass jemand West Wing zitiert. Wird eh Zeit für nen Artikel darüber :)

    AntwortenLöschen
  5. Ja schreib doch mal was über The West Wing. Habe eben dieses sweete reunion-video gefunden, in dem Martin Sheen darüber spricht, wie WW die Obama-Wahl vorweggenommen und vielleicht auch inspiriert hat:

    http://www.youtube.com/watch?v=f3g50Q8nuMQ

    Was ich denke: Vielleicht hat TWW aber auch ein etwas falsches (idealisiertes) Bild von der Politik im weißen Haus entworfen, unter dem Obama jetzt leidet. Der Vorwurf von rechts, TWW sei im Grunde "political pornography for liberals" (John Podhoretz) ist ja gar nicht mal so abwegig. Die Realität kommt da einfach nicht mit. Da kann man noch so oft sagen: "Let Obama be Obama", aber es hilft ja nichts bei den Republikanern im House of Reps.

    Naja, West Wing wird sich so oder so auf ewig den Platz meiner Lieblingsserie mit Twin Peaks teilen ;)

    Grüße

    AntwortenLöschen
  6. Ich glaub ich hatte selten so oft Tränen in den Augen beim Fernsehen wie im West Wing...ok, das schreit nach einem Artikel. Eieieieiei. Ich Konsumschwein. ^^

    AntwortenLöschen
  7. Am Ende der letzten Foge habe ich geheult wie ein Schlosshund. Gut, dass da keiner dabei war ;-)

    AntwortenLöschen
  8. Entscheidungen werden von denen getroffen, die vom Volk gewählt wurden? Deshalb sollte jeder wählen gehen, damit er diese Entscheidungen mit beeinflussen können sollte?

    Einige Gedankengänge hierzu:

    1.) Der wahre (Schatten-)Kanzler in Deutschland ist Joseph Ackermann. Die Banken, Versicherungen und Konzerne sagen wo es lang geht, sicher nicht die Bundesregierung. Die sind nur Marionetten der Wirtschaftsbosse und Alibi-Herrschende für die Medien und das Volk. Das wurde in der Finanz-Wirtschafts-Bankenkrise eindrucksvoll bewiesen.

    2.) Wie oft wurden Parteien und Politiker für ihre Versprechungen und für ihre Programme gewählt? Und wie oft wurde der Wähler belogen und betrogen?

    3.) "Würden Wahlen etwas verändern, wären sie verboten!". - Zitat der 68er

    4.) Wahlen alleine machen noch lange keine Demokratie aus, in der das Volk etwas zu sagen hat. Oder würde jemand behaupten, Afghanistan oder der Irak seien Demokratien, weil dort gewählt wird?

    5.) Eine Wahl ist erst dann eine freie Wahl, wenn es erlaubt und auch gesellschaftlich akzeptiert wird, wenn Menschen sich enthalten, also nicht wählen gehen. Nur die Nicht-Wahl, macht eine Wahl frei, ansonsten wäre sie eine Zwangswahl, in der jeder Bürger zur Wahlurne geschleppt wird.

    AntwortenLöschen
  9. Spielt es eigentlich irgendeine eine Rolle warum die SPD Stimmen gewinnt?

    AntwortenLöschen
  10. @epikur

    1) Es stimmt, dass die (Finanz)Wirtschaft einen zu großen Einfluss auf die Politik hat, aber von solchen Verschwörungen würde ich doch absehen

    2) Ist nicht zu ändern. Sachzwänge und politische und wirtschaftliche aktuelle Problemlagen machen noch das schönste vorher in der Theorie erdachte Regierungsprogramm zunichte. Regieren ist eben meistens mehr reagieren.

    3) Es ist sicher richtig, dass unser System nach den Erfahrungen mit Weimar und den Nazis eher so angelegt ist (und die politische Kultur ebenfalls in diese Richtung wirkt), dass Änderungen stets in einem relativ engen und begrenzten Rahmen stattfinden. Und das ist auch gut so.

    4) Das stimmt, da gehört noch eine Menge mehr dazu. Z.B. ein funktionierender Rechtsstaat. Du hast ja z.B. auch das passive Wahlrecht, Du kannst eine Partei gründen usw usw. Ist bei uns innerhalb der Möglichkeiten des Systems alles ziemlich gut organisiert und gewährleistet.

    5) Ja, aber die sollen sich dann hinterher nicht beschweren, wenn die NPD wieder in den Landtag einzieht.

    AntwortenLöschen
  11. Wie angekündigt, mein ewiglicher Senf zu den wirklichen Zahlen:

    http://ad-sinistram.blogspot.com/2011/09/de-omnibus-dubitandum.html

    AntwortenLöschen
  12. Du schreibst "In Deutschland werden immer noch Parteien gewählt" (nicht Personen) und siehst deshalb Steinbrueck ohne grosse Chance. Formal hast Du da natuerlich Recht, aber die Realitaet ist heutzutage eine voellig andere. Wahlplakate zeigen die Koepfe der Kandidaten und nicht deren Parteiprogramme. In den Medien treten immer wieder dieselben Parteieliten, insbesondere die Kandidaten auf, nicht "Vertreter der Basis". Beim TV-Duell vor der Bundestagswahl treten die Kandidaten gegeneinander an, nicht beliebige Parteivertreter. Alles ist extrem personalisiert. Das Parteiprogramm interessiert dabei keine Sau mehr. Hab vor Jahren mal an einem Wahlstand der SPD nach einem Programm gefragt. Unter diversen Kisten mit Werbematerial (Anstecker, Kugelschreiber, Radiergummies und aehnlicher Quatsch), fand sich nach 15 Minuten Suche die einzige (!) noch ungeoeffnete Kiste. Sie enthielt die Wahlprogramme. Offensichtlich waren diese das einzige Material, das niemanden interessierte. Oder ich erinnere mich dunkel an einen Bericht im Anschluss an die Bundestagswahl 1994, der auf der Basis von Umfragen nahelegte, Scharping habe die Wahl verloren, weil er Barttraeger war. Egal ob das nun tatsaechlich ausreichende Erklaerung fuer den Wahlausgang damals ist, zeigt schon die Tatsache, dass solche Spekulationen ueberhaupt existieren und in namhaften Zeitschriften veroeffentlicht werden koennen, wie wenig es noch um Programme geht. Und noch nicht einmal die Slogans auf den Wahlplakaten stellen heutzutage noch signifikant einen Bezug zu den Wahlprogrammen her. Man denke etwa an Schroeders "Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen" oder "Zeit für Taten" von der CDU. Im uebrigen spricht auch die Tatsache, dass die Spitzenvertreter fast aller Parteien im Dauerkonflikt mit ihrer eigenen Basis stehen bzw. standen (Joschka Fischer bei den Gruenen, Gerhard Schroeder bei der SPD, Angela Merkel bei der CDU etc.), und die Werte ihrer Parteien wieder und vergewaltigt haben (ganz egal, was man im einzelnen von diesen Werten haelt) dagegen, dass Wahlprogramme und die Vorstellungen der Parteibasis noch irgendeinen nennenswerten Einfluss auf die Politik der Parteien ausueben. De facto sind die Wahlen voellig personalisiert, auch wenn die Verfassung das eigentlich so nie wollte.

    (Und nebenbei, Parlamente nicken Entscheidungen der Regierung heutzutage ohnehin nur noch ab und werden so zunehmend irrelevant. Und wichtige Gesetze werden in ominoesen Kommissionen beschlossen, die sich aus Lobbyisten zusammensetzen, die keinerlei politische Legitimation besitzen und damit ohnehin ausserhalb der Beschraenkungen agieren, die Parteiprogramme den Vertretern ihrer Partei auferlegen. Die Ergebnisse dieser Kommissionen werden anschliessend als "alternativlose Sachzwaenge" dargestellt und notfalls gegen die eigene Partei durchgesetzt. Auch das fuehrt dazu, dass konkrete Politik vom Buerger garnicht mehr mit Parteien in Verbindung gebracht wird, sondern mit Personen. Diese Personen sind entweder "Kommissionsmitglieder" (etwa Rürup oder Hartz) oder Regierungschefs (etwa Schroeder oder Merkel). Manchmal wird die Gefolgschaft einzelner politischer Anfuehrer sogar noch nach ihrem "Idol" benannt (etwa die "Schroederianer", ein Begriff, den man immer wieder in der Presse findet), was nur weiter unterstreicht, wie stark Politik in der oeffentlichen Wahrnehmung an Personen und nicht an Parteiprogrammen festgemacht wird.

    Insgesamt sehe ich in einem solchen Umfeld nicht, was dagegen spricht, dass Steinbrueck als Kanzler gewaehlt werden koennte, wenn die Presse nur weiter die Werbetrommel fuer ihn ruehrt. Ob er in der SPD oder in der CDU ist, wird am Wahltag keine Sau interessieren ...

    AntwortenLöschen
  13. Ich glaube du verwechselst den Medienzirkus mit der Realität. Die CDU hat auch schon 1969 mit Kiesinger "auf den Kanzler kommt es an" plakatiert, und Adenauers "Keine Experimente!" Wahlkampf warb auch massiv mit seiner Konfertei. Auf Personen werden Wahlkämpfe schon seit langem zugeschnitten. Das hat sich zwar verschärft, ändert aber nichts daran dass die Wahl immer noch parteienzentriert ist. Ein übermäßiges Interesse an Programmen leitet sich daraus nicht ab, wozu auch? Programme sind lang und langweilig zu lesen, und die Parteien halten sich eh nicht dran, soviel politische Erfahrung hat fast jeder.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.