Montag, 19. November 2012

Zwischen Nachricht und Erzählung ist eine Menge Platz

Von Stefan Sasse

Die Grünen diskutieren nur noch über Schwarz-Grün. Mitt Romney liegt Kopf-an-Kopf mit Obama. Hurrikan Sandy größer und verheerendster Sturm der jüngeren Geschichte. Die SPD will Peer Steinbrück. Die SPD will Peer Streinbrück nicht mehr. Facebook gefährdet die Kinder. Die Deutschen kriegen zu wenig Kinder. Die deutschen Hartz-IV-Empfänger kriegen zu viele. Griechenland spart nicht genug. Die USA gehen jeden Moment bankrott. All das sind Schlagzeilen und Snippets, über die man ständig stolpert, wenn man die großen Nachrichtensites absurft oder auch, ketzerischer Gedanke, eine gedruckte Qualitätszeitung aufschlägt. Auf der anderen Seite dieses Spektrums sind die Meinungsartikel, in denen die in der Nahrungskette höher stehenden Journalisten ihre persönlichen Einschätzungen loswerden dürfen. Auf diese Art entsteht ein Spannungsfeld zwischen scheinbar objektiven Nachrichten, die entweder aus blanken Vermutungen, abgeschriebenen dpa-Meldungen oder getarnten Meinungen (à la "in SPD wächst Unterstützung für Steinbrück") bestehen und den Meinungsartikeln, die zumeist pointiert Stellung zu einem Thema beziehen. Zwischen diesen beiden Polen ist aber noch eine Menge Platz. 

Dieser Platz wird bisher kaum ausgenutzt. Zu sagen, dass es dazwischen nichts gäbe wäre übertrieben, aber die entsprechenden Artikel sind wesentlich zu selten. Bevor jetzt jemand übereifrig zur Kommentarfunktion springt: ich meine dezidiert nicht die "kritischen" Artikel, das sind Meinungsartikel. Die gibt's zwar meiner Meinung nach auch zu selten, abervon denen rede ich nicht. Ich habe mehr und mehr das Gefühl, dass die deutsche Medienlandschaft nicht einmal so sehr daran leidet, dass es nicht genug Meinungen gäbe oder dass diese eine zu starke Schlagseite in eine Richtung haben (obwohl das der Fall ist), sondern dass vielmehr die Sucht nach Narrativen die Medien treibt. Je mehr Zeit etwa seit dem Wahltermin in den USA verstreicht, desto mehr zeigt sich, dass das Rennen nie so knapp war wie es in den Medien schien. Dies ist mit republikanischem Spin nur teilweise zu erklären. Stattdessen erzählten die Medien eine spannende Geschichte, und spannend ist nur das Kopf-an-Kopf-Rennen. Ich bin selbst auch zeitweise darauf hereingefallen, als im Umfeld der ersten TV-Debatte plötzlich die große Hysterie losbrach, als ob ein signifikanter Teil der Wähler plötzlich seine Meinung wegen einer schlechten Redeperformance ändern würde.

Problematisch ist daher die Dominanz des spannenden Narrativs in den Medien. Über Dinge wird nur berichtet, wenn sie sich in eine Geschichte verpacken lassen. "Die Piraten haben kein Programm" ist so eine Geschichte. Seit sie eines haben wird ständig nur über Personalquerelen berichtet, weil die einfach spannender sind als ihre Gedanken zur Wirtschaftspolitik, die vorher lauthals eingefordert wurden. Die meisten Piraten stehen da wie begossene Pudel und verstehen nicht, warum man jetzt nichts über ihr liebevoll ausgearbeitetes Programm liest.

Was wir brauchen sind mehr Artikel, die tatsächlich Informationen enthalten. Keine vom Schlage der Nachrichten, à la "Raketen in Tel Aviv eingeschlagen". Nach der Lektüre solcher Artikel weiß ich, dass Raketen in Tel Aviv eingeschlagen sind und dass sie wohl von der Hamas abgefeuert wurden, aber wirklich schlauer bin ich nicht. Ich weiß WAS passiert ist, aber nicht WARUM. Das Problem an solchen Artikeln, das ist mir natürlich auch klar, ist der mangelnde Sex-Appeal. Solche Artikel sind lang, eher trocken und vermitteln zwar Wissen, aber erst einmal müsste man sie aufmerksam bis zum Ende hin lesen. Das ist vielen wesentlich zu viel Aufwand. Und nein, ich habe dafür keine Musterlösung parat. Ich weiß nur eines: das Schreien nach mehr "kritischen" Artikeln ist lediglich ein Ändern des Narrativs. Die Schlagzeilen würden mit einem von den NachDenkSeiten et. al. angestrebten Sieg des "kritischen" Journalismus das genau gegenteilige Narrativ zu heute verkünden, aber wir wären genauso uninformiert wie vorher. Man kann natürlich sagen, dass dies immer noch das kleinere von zwei Übeln ist. Aber man muss ehrlich genug sein zu erkennen, dass es das Problem nicht beseitigt.

16 Kommentare:

  1. Sicher, die Suche nach der "Story" oder nach Themen, die man zu einer "Story" verwerten kann, ist ein Narrativ der Presse. Gleichzeitig, und meiner Meinung nach der viel Wichtigere Punkt, weshalb das "WARUM?" kaum thematisiert wird, ist, das massenweise Ab- und Umschreiben von Meldungen der Nachrichtenagenturen dpa, reuters, dapd, afp und so weiter.

    Redaktionen werden gnadenlos zusammengestrichen. Journalisten sollen Texte wie am Fließband produzieren. Kritik, Hintergründe, Recherche sind kaum gefragt. Sondern: Geschwindigkeit, SEO, Aufmerksamkeit, PageImpression, Anzeigenkunden, Advertorials, Product Placement oder: Kohle, Kohle, Kohle.

    Die Masenmedien, als sog. "Vierte Gewalt", haben sich schon seit Jahren erledigt. Sie sind ein Gewerbe, wie der Obsthändler an der Ecke.

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  2. Soll die Quintessenz des Artikels also sein, dass die Medien nur noch Stereotype, Sensationen und zurechtfrisierte Storys liefern, weil ihr Publikum zu dumm und/oder faul ist, etwas Anspruchsvolleres zu verdauen ?

    Das erklärt aber noch nicht, warum sich auch die öfentlich-rechtlichen Medien, die ja nicht zwingend auf Massenabsatz bzw. Quote angewiesen sind, diesem Trend völlig unterworfen haben. Qualitativ hochwertiger Journalismus kann sowieso immer nur ein Angebot sein. Wer seinen Verstand lieber mit BILD, RTL oder DSDS betäubt, wird ohnehin vorher wegzappen. Warum aber nicht einmal mehr ein entspechendes Angebot gemacht wird, wo es noch möglich wäre, wird so noch nicht erklärt.

    Die drei Prämissen des Artikles sind offenbar (1) Die Leute sind dumm, (2) das Ziel des Journalismus ist Verkaufen. und (3) daran ist nichts zu ändern. Ich kann nicht behaupten, dass mich diese Form von gleichgültigem Fatalismus anspricht (selbst wenn er berechtigt wäre).

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    1. Die öffentlich-rechtlichen wurden ja auch auf die Quote verpflichtet. Sie sind eben nicht unabhängig davon.
      Deine "die Leute sind dumm"-Einschätzung würde ich insoweit relativieren, als dass ihnen vor allem Zeit und Lust für die Beschäftigung mit solchen Sachverhalten fehlt; das ist das Grundproblem der Demokratie, an dem auch gerade die Piratenpartei scheitert.

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    2. @ Stefan Sasse

      - "Die öffentlich-rechtlichen wurden ja auch auf die Quote verpflichtet."

      Richtig, aber mene Frage war ja, warum und von wem. Die öffentlich-rechtlichen finanzieren sich zum Großteil über Gebühren und sind deshalb nicht so völlig vom Wohlwollen der Werbekunden abhängig. Warum spielen sie dieses Spiel also mit, und das sogar (meines Wissens) gegen ihren ausdrücklichen gesetzlichen Auftrag.

      - "... als dass ihnen vor allem Zeit und Lust für die Beschäftigung mit solchen Sachverhalten fehlt ..."

      Statt "dumm" hätte ich also vielleicht besser "dumm und/oder faul" schreiben sollen ... . Der Punkt war aber, dass Du das offenbar für selbstverständlich und unvermeidlich hältst und Journalismus anscheinend als eine Abteilung des entertainment business siehst. Ist es aber nicht gerade die Sache von Journalisten, schwierige Sachverhalte verständlich aufzuarbeiten ? Und dass die Ergebnisse dann stinklangweilig sein müssen, ist auch kein Naturgesetz, sondern eine Frage der Darstellung. Vorbilder dafür gibt es genug (wenn auch leider vielfach aus dem englischsprachigen Raum). Wenn sich die Leute für das ganze Thema nicht interessieren, gut (oder schlecht ...), aber fehlendes Interesse von vornherein zu unterstellen ist dann doch etwas zu einfach. Wenn man die Leute immer und überall wie Trottel oder kleine Kinder behandelt, die nur "bespaßt" werden wollen, erzieht man sie letztlich auch dazu ...

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    3. Von sich selbst und den Aufsichtführenden Politikern. Und die Werbeeinnahmen machen inzwischen schon einen recht großen Teil aus.
      Die Aufgabe von Journalisten ist das, klar. Aber was machst als Journalist, wenn nicht genug Leute das lesen wollen? Finanzieren tut sich der Kram immer noch über verkaufte Exemplare und Werbeeinnahmen.

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    4. Einige "aufsichtsführende Politiker" z. B. von der CSU nehmen niedrige Quoten als Argument: Das will doch kaum einer sehen, also brauchen wir das nicht - abschaffen, privatisieren.

      Das Überangebot bei den Dritten und Vierten Programmen erklärt wohl die Organisationssoziologie: Jede Organisation strebt nach Selbsterhaltung. Bei arte und 3sat bin ich aber sehr froh, dass das so ist!


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  3. Nur mal eine Bemerkung zum ersten Satz.
    Ich habe vor ca. 1 Jahr schon geschrieben (find's gerade nicht - war auf einem anderen Blog und in Zusammenhang mit den Erfolgen der neuen "Grünliberalen Partei" in der Schweiz), dass schwarz-grün auch für Deutschland ein Erfolgsrezept wäre (was aber nicht heisst, dass ich dies toll fände).
    Wurde damals nur ausgelacht...

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  4. Stimme vollkommen zu. Meine Zeit zum Lesen (und Schreiben) ist relativ knapp. Ich versuche deshalb den Gewinn aus der Lektüre zu maximieren und der ist am größten, bei Material mit langer Halbwertszeit. Oft sind das dann grundlegendere Bücher oder Artikel aus denen ich etwas Prinzipielles lerne.

    Genau das veröffentliche ich auch auf meinem Blog, denke ich jedenfalls. Meinungen gibt es viele, im Wettlauf um die aktuellste Berichterstattung kann ich als Blogger nicht mithalten. Aber die "unsexy" Artikel, die aktuell vielleicht am Zeitgeschehen vorbeigehen aber mir etwas über die Welt erklärt haben, die kann ich veröffentlichen. Ich lebe ja nicht von Werbeeinnahmen.

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  5. Die vorherrschende Form der Berichterstattung wirkt auf mich wie eine Schwundstufe des New Journalism. Da findet man nicht nur die Narrativschablonen, sondern auch erzählerisch aufwendig ausgestaltete Szenen und Motive, die kaum Informationswert besitzen. Die Emotionalisierung ist ihr einziger Zweck (alle deutschen Medien haben den US-Wahlkampf in dieser Weise quasi pittoresk ausgemalt)

    Warum ist das so?

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  6. "Was wir brauchen sind mehr Artikel, die tatsächlich Informationen enthalten. Keine vom Schlage der Nachrichten, à la "Raketen in Tel Aviv eingeschlagen"."

    Es braucht wohl beides: Reine Informaion darüber, WAS passierte (Rakete eingeschlagen) und die Hintergrundberichte darüber, WESHALB dies passierte.
    Nur Hintergrundberichte lassen sich schwerlich gewinnbringend verkaufen. Beim Radio ist dies machbar: DLF als staatlichen Sender mit fundierten Hintergrundberichten. Von einer staatlichen Zeitung wüsste ich jetzt nichts...

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  7. Jep sehr richtiger Artikel. Ist bei mir auch ein Grund, warum ich hauptsächlich auf Blogs oder Spezialthemen (wiederum eher bei Blogs) ausweiche.
    Meinem Gefühl nach ist es aber auch ein Ausdruck des Spar-Journalismus. Auf der einen Seite gibt es diese Konzentration auf die Narrative, wodurch man halt zig Artikel über Schwarzgrün schreiben kann, obwohl gar nichts so bahnbrechendes passiert ist.
    Auf der anderen Seite gibt es auch unheimlich viele Artikel wie dein Beispiel von den Raketen in Tel Aviv. Mir ist das ganz extrem beim Thema Syrien in der Tagesschau aufgefallen. Wochenlang gab es jeweils einen Beitrag über Syrien und ALLE waren gleich. -> Wieder Gewalt in Syrien, verwackeltes Bild (Quelle: Internet) mit einer Rauchsäule über einigen Häusern, dann die Information, dass Assad meint, die Rebellen wären es gewesen und die Rebellen, die meinen es wäre Assad gewesen. Fertig, nächster Beitrag. Hinterher ist man genauso schlau wie vorher.
    Dazu kommt noch, dass es imo eine Verengung auf zb drei Themen gibt, die immer wieder durchgekaut werden, ohne dass der Informationsgehalt wächst.

    Deswegen bin ich mir auch nicht sicher, ob das Kalkül so aufgeht, damit Leser/Zuschauer abzugreifen. Ich habe eher das Gefühl, man gewöhnt den Leuten ab, die Nachrichtenlage zu verfolgen. Irgendwann interessiert es halt nicht mehr, ob in Syrien eine Rauchwolke zu sehen ist oder in Griechenland wieder irgendwo eine Milliarde fehlt, und zu Schwarzgrün ist auch irgendwann alles gesagt. Da denkt man sich irgendwann, es reicht, alle paar Wochen mal nachzusehen ob man was Nennenswertes verpasst hat und kann sich dann wieder etwas anderem zuwenden.

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  8. Allerdings ist viel Platz.

    Wer hat nicht von der Griechenland – Berichterstattung die Schnauze.

    Wir werden von MEINUNGEN erschlagen.

    Da werden stellvertretend weltanschauliche Schlachten ausgetragen.

    Der Schweinejournalismus a la Fritsche ist wieder hoffähig.

    Schließlich geht es um ‘nationale’ Interessen.

    Oder auch nicht.

    Die armen Deutschen, bis zu 25% der Bevölkerung in den Städten werden auf den Feind gehetzt.

    Sie sind von ihrer Pseudoelite den Regierenden in Deutschland verraten worden.

    In die Armutszonen der Großstädte, in die Schrottimmobilien, die die organisierte Kriminalität in Deutschland aufkauft, sickert die Armut aus unseren Nachbarländern ein.

    Die Deutschen haben ihre Arbeitsplätze durch LOHNZURÜCKHALTUNG vernichtet.

    Es bleibt nur noch der Weg ins gelobte Land Deutschland.

    Dort schlägt ihnen Hass entgegen.

    Und sie werden der organisierten Kriminalität als Beute überlassen.

    Politiker schauen weg.

    DER AUSGEGLICHENE HAUSHALT WIRD VON FRAU MERKEL ANGEBETET.

    Das goldene Kalb das sie umtanzt.

    Die kalte, herzlose Karrierefrau.

    Die Menschen ihrem Schicksal überläßt.

    Der Merkelantismus ist brutal und tödlich.

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  9. Leicht OT:
    Auf dem Blog "Aufzeichnungen eines 'Gutmenschen'" könnt ihr verschiedene Blogs bewerten; gibt eine Art Blog-Ranking.
    'Oeffinger Freidenker' ist auch unter den "Kandidaten".
    http://aufzeichnungen-eines-gutmenschen.blogspot.ch/2012/11/blog-hitparade.html?showComment=1353405048958

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  10. "Ich weiß nur eines: das Schreien nach mehr "kritischen" Artikeln ist lediglich ein Ändern des Narrativs"

    Bin ich mir nicht so sicher , ich denke , zwischen Verflachung der Form und des Inhalts besteht ein Zusammernhang .
    Umgekehrt würde eine Wiederzulassung eines wirklich kritischen Journalismus automatisch auch zu mehr Tiefe führen , einmal freie Gedanken sind nur schwer zu stoppen.


    Man muß sich auch fragen , - wurde schon angesprochen - warum der Markt an dieser Stelle nicht funktioniert , ich bin überzeugt , daß es "da draußen" genug Leute gäbe , die händeringend nach besserem Journalismus schreien, stattdessen werden gezielt "Redaktionen zusammengestrichen" und wird " fehlendes Interesse von vornherein unterstellt" .

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