Samstag, 5. Oktober 2013

Das All In der Tea Party - Der Shutdown erklärt

Alle Räder stehen still  
Weil die Tea Party das so will
In einer für Deutschland undenkbaren Aktion hat der radikale Flügel der Republicans, die Tea Party, einen kompletten Government Shutdown erzwungen. Seit mehreren Tagen kann die US-Regierung nur noch solche Stellen bezahlen, die als "essentiell" eingestuft werden, etwa das Militär. Der Rest ist auf unbezahltem Urlaub. Geradezu absurd mutet an, dass der Sprecher des Repräsentantenhauses, das den Shutdown initiiert hat, John Boehner, nicht in der Lage ist, ein Ziel zu nennen, das mit dem Shutdown erreicht werden soll. Das verwundert nicht: weder er noch die Mehrheit der Republicans im Repräsentantenhaus haben ihn gewollt.

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Der Shutdown ist vielmehr das geistige Kind der Tea Party. Sie stellt die ultimative Machtprobe. Wäre es ein Pokerspiel, sie wäre All In. Ihr erklärtes Ziel ist die komplette Rückabwicklung des amerikanischen Wohlfahrtsstaats, mithin die gesamte Geschichte seit Franklin Delano Roosevelt. Für die Tea Party stellen die Bürgerrechtspolitik, Einrichtungen wie Medicare und Medicaid und viele andere Elemente der bundesstaatlichen Institutionsstruktur eine unamerikanische, schädliche und illegitime Ausdehnung der Regierung in alle Bereiche des Privatlebens dar (government overreach). Die Tea Party sieht sich als patriotische Verteidiger der Verfassung gegen den Angriff von Minderheiten und Parasiten (Romneys "47%"), zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen und in die Ecke gedrängt. Ihr Hauptgegner: Obamacare, die Gesundheitsreform des Präsidenten, die alle Bürger zwingt, eine Versicherung abzuschließen (obgleich sie, anders als vom linken Flügel der Democrats gefordert, keine gesetzliche Krankenversicherung wie ein Deutschland, die public option, enthält). Der Kampf gegen Obamacare ist es, der die Tea Party überhaupt erst ins Leben gerufen hat. In den Midterm Elections 2010 schwemmte der Protest die Tea Party ins Repräsentantenhaus, wo seitdem die Republicans die Mehrheit halten (auch wenn diese 2012 leicht gelitten hat). Seither hat die Tea Party in ihrem Kampf zwei Siege und zwei Niederlagen erzielt. Ihr erster Sieg war die Verpflichtung der gesamten Partei auf ihre Linie. Dies gelang ihr durch die Besonderheit des amerikanischen Wahlsystems, das ähnlich der Erststimme bei deutschen Bundestagswahlen nach dem Mehrheitsprinzip funktioniert. Im polarisierten politischen Klima der USA sorgt dies dafür, dass die heftigste Konkurrenz für einen Abgeordneten häufig nicht durch den Kandidaten der gegnerischen Partei entsteht (die Democrats verlieren in vielen Wahlkreisen, die von der Tea Party gewonnen wurden, mit höheren zweistelligen Werten), sondern durch eine parteiinterne Herausforderung in den Vorwahlen für die Aufstellung des Republicans-Kandidaten (primaries). Da bei diesen primaries die Wahlbeteiligung niedrig ist und hauptsächlich von den ideologisch gefestigsten Basisaktivisten wahrgenommen wird, die mehrheitlich die Tea Party unterstützen, mussten viele Republicans auf die Linie der Tea Party einschwenken, um ihren Sitz nicht in den primaries an die parteiinterne Konkurrenz zu verlieren. Den zweiten Sieg errang die Tea Party im Kampf gegen die Obama-Regierung. Nachdem 2011 in den Verhandlungen um die Höhe des Limits der Gesamtverschuldung des Landes (debt ceiling) vereinbart worden war, dass wenn kein gemeinsamer Beschluss für ein Budget gefasst werden könne, automatisch Kürzungen auf voller Breite in Kraft treten, die sämtliche Haushaltsposten betreffen (inklusive Militär und Medicare, die jeweils heilige Kuh von Republicans und Democrats), die so genannten sequester cuts, ist die Fähigkeit des Staates, aufwändige Programme zu finanzieren, deutlich eingeschränkt. Obamacare allerdings war damals bereits auf dem Weg, weswegen die Tea Party beschloss, im konservativ dominierten Supreme Court zu klagen. Hier fuhr sie ihre erste Niederlage ein. Der Supreme Court entschied mehrheitlich, dass Obamacare eine Steuer sei und damit zu den verfassungsmäßigen Möglichkeiten des Bundes gehöre, Steuern einzutreiben und auch als Strafe zu erheben (wie etwa bei der Tabaksteuer auch). Die Langzeitwirkung der etwas merkwürdigen Einstufung als Steuer sind derzeit noch nicht abzusehen und könnten für die Regierung noch die eine oder andere unangenehme Überraschung beinhalten; kurzfristig jedoch erlangte die Obamaregierung hier einen deutlichen Sieg über die Tea Party. Diese fuhr ihre zweite, herbere Niederlage ein, als Obama 2012 deutlich wiedergewählt wurde. In den primaries der Republicans hatte sie mit ihrer Medien- und Basismacht sämtliche Präsidentschaftskandidaten inklusive des eigentlich eher moderaten Romney hart nach rechts gedrängt - wesentlich weiter, als der Konsens der amerikanischen Bevölkerung war. Obwohl Romney nach seiner Nominierung wieder zurückmäanderte, gelang es ihm nie, den Boden wieder gut zu machen. Die Wahl zeigte deutlich, dass die Positionen der Tea Party innerhalb der breiten Bevölkerung nicht mehrheitsfähig sind. Diese Erkenntnis kam auch der Tea Party selbst, die sich zunehmend in Verschwörungstheorien einmauerte, die von gezielten Medienkampagnen und dem Ansturm von Minderheiten und der mit ihnen verbündeten opportunistischen Politiker bei Democrats und moderaten Republicans gleichermaßen ausging. Die Tea Party wurde zudem bei den Wahlen von 2012 leicht geschwächt und verlor einige verwundbare Wahlkreise an Democrats oder moderate Republicans. Das letzte Mosaiksteinchen in diesem Bild ist der Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner. Er verdankt seine Wiederwahl als Sprecher der Unterstützung der Tea Party - ohne sie hätte er keine Mehrheit. Entsprechend breiten Raum muss er ihr einräumen, wenn er seinen Job nicht verlieren will, an dem er offensichtlich hängt. Obwohl die Tea Party innerhalb des Hauses keine Mehrheit hat, kann Boehner aufgrund der besonderen Machtstellung des Sprechers als Hebel agieren: jede Abstimmung im Repräsentantenhaus muss vom Sprecher genehmigt werden. Wenn eine Maßnahme - etwa die Aufhebung des Shutdowns - eine Mehrheit von Democrats und der Hälfte der Republicans besäße, und damit gut Zwei Drittel der Stimmen, kann er die Abstimmung einfach auf den Sanktnimmerleinstag verschieben. Die formale Begründung hierfür ist die Hastert-Rule, benannt nach einem Vorgänger Boehners. Die Theorie besagt, dass etwas nur zur Abstimmung kommt, wenn die Mehrheit der Mehrheit (also die Mehrheit der Republicans im Repräsentantenhaus) dem zustimmt. Ein Abweichen von der Parteilinie ist damit auch für moderate Republicans praktisch nicht möglich. Mit dem 1. Oktober kam der Tag des formellen Starts von Obamacare aber immer näher, ohne dass die Tea Party in der Lage gewesen wäre, das Gesetz zu stoppen. Ihr letzter Pfeil im Köcher ist der Versuch, das Gesetz auf kaltem Weg zu liquidieren, indem die Mittel gestrichen werden. Dies ist jedoch kaum möglich (selbst im Shutdown sind mindestens 80% von Obamacare garantiert finanziert), weswegen die Strategen der Republicans, die sich mit Obamacare und der Dominanz der Werte der liberals abgefunden haben, diese Option auch verworfen haben. Wenn nicht etwas wirklich dramatisches bis Ende September geschehen würde, das war allen klar, würde die Sache ihren Gang gehen. Das Dramatische kam in Gestalt des Abgeordneten Ted Cruz, einem Tea-Party-Republican, der von einer weiteren Besonderheit des amerikanischen Parlamentarismus Gebrauch machte: dem Filibuster. Wenn ein Abgeordneter das Pult betritt um zu reden, kann ihm das Wort nicht entzogen werden, bis er freiwillig geht. Ted Cruz redete in seinem Filibuster 21 Stunden lang und machte damit eine Abstimmung über eine Verlängerung des aktuellen Haushalts ohne irgendwelche Zusätze wie die Verschiebung des Starts von Obamacare (clean continuing resolution (Clean CR im Politiksprech)) unmöglich. Das Resultat war der Shutdown der Regierung, da das Parlament keine Gelder zur Verfügung gestellt hatte. Ich erwähnte eingangs, dass Boehner keine echte Agenda hat. Zwar machen die Republicans, die nicht zur Tea Party gehören, diverse Vorschläge für einen Kompromiss (etwa einen Grand Bargain (große Übereinkunf) über weitere Kürzungen im Haushalt), aber Obama und die Democrats erklärten bereits mehrfach, nur eine Clean CR zu akzeptieren. Beide Seiten stehen damit in einem direkten Kampf. Ein Kompromiss ist nicht möglich; gewinnen kann nur einer. Macht Obama irgendwelche Zugeständnisse, und seien sie noch so symbolisch, gewinnt die Tea Party. Bricht sie zusammen und erlaubt die Abstimmung über eine Clean CR, die derzeit eine Mehrheit hätte, ist sie erledigt. Sie ist All In.

1 Kommentar:

  1. Kleine Klugscheißerei: Ted Cruz hat nicht filibustert, sondern nur so getan als ob. Die Abstimmung fand wie verabredet statt - Cruz durfte die Zeit bis zur Abstimmung als Pausenclown füllen.
    http://www.theatlantic.com/politics/archive/2013/09/the-double-absurdity-of-ted-cruzs-filibuster/279959/

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