Mittwoch, 16. Juli 2014

Fußball eignet sich nicht zur Sinnsuche

Zum großen Desaster der Siegesfeier am Brandenburger Tor, bei dem die DFB-Elf sich von den Herausforderungen der Repräsentation einer Nation klar überfordert zeigte, hat Frank Lübberding bereits alles Sagenswerte gesagt. Doch der Versuch der Schaffung eines "Wir"-Gefühls vor allem durch den Boulevard und das Marketingkarussell wirklich jeder noch so kleinen Verkäuferseele hat Dimensionen, die weit über Deutschland hinausgehen. Die Deutschen sind schließlich nicht die einzigen Hobby-Auguren die versuchen, in den reichlich zufälligen WM-Ergebnissen irgendwelche großen Erkenntnisse über die Gesellschaft zu erkennen. Gastgeber Brasilien selbst erhoffte sich durchaus eine Ablenkung durch einen sieg- oder doch zumindest ruhmreichen WM-Auftritt, eine Rechnung, die für Präsidentin Rousseff nun nach hinten losgehen könnte. Doch die Versuche, irgendwelche überlegenen deutschen Tugenden im Weltmeisterschaftssieg am Wirken zu sehen erschöpft sich wahrhaftig nicht auf Deutschland selbst. Beispielhaft hierfür kann ein Artikel der New York Times sein, der die Niederlage gegen Brasilien 2002 im perzipierten Reformstau der damaligen Zeit und den Sieg jetzt als Ausdruck der wirtschaftlichen Stärke in der Eurokrise sehen will.

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Das alles ist Kokolores. Fußball ist Fußball. Und an und für sich waren bisher auch alle Versuche, es für nationale Sinnstiftung zu vereinnahmen, gescheitert. Wir ich bereits anlässlich der WM 2010 schrieb hat der Schland-Patriotismus noch nie bleibende Wirkung gehabt. Die Sticker der BILD von 2006 "Schwarz-Rot-Geil: Wir machen weiter" haben genausowenig Erfolg gebracht wie die Kultivierung der Vuvuzela 2010. Bereits eine Woche nach der WM sind die meisten Fähnchen von den Autos verschwunden, werden die Flaggen von den Balkonen eingeholt und das Leben geht weiter. Voreilige Statements, das sich das große Party-Gefühl irgendwie dauerhaft erhalten lasse, wurden noch jedes Mal widerlegt. Sie werden auch dieses Mal widerlegt werden. Spätestens wenn Deutschland gesammelt in die Sommerferien verschwindet wird die WM bereits wieder Erinnerung sein - sicher eine, an die man sich lieber erinnert als 2010 und 2006, aber nichts desto trotz Erinnerung. Wie viele Leute schauen heute noch nostalgisch ihre "Deutschland - Ein Sommermärchen"-DVD an? Der Kater nach der Feier am Brandenburger Tor ist deswegen so groß, weil alle Welt für einen Moment an den Wahn der Sinnstiftung durch Fußball geglaubt hat. Ein nüchterner Blick hätte genügt, um den Quatsch von Anfang an mit Vorsicht zu genießen. Es ist noch keine drei Wochen her, als alle Welt die deutsche Nationalmannschaft im Niedergang sah, das Ausscheiden im Viertelfinale ein schon fast zu wahrscheinliches Ergebnis. Es war erst die "Vernichtung" und "Demütigung" der Brasilianer, die urplötzlich eine Euphorie in Gang setzte, die deutlich über den Fußball selbst hinausging, weil der Untergang der Brasilianer nach Erklärungen schrie. Und diese fand man, wie könnte es anderes sein, in den liebgewonnenen Stereotypen der vergangenen Jahrzehnte. Für die Spieler selbst, die eben Fußball spielen und sich danach "in die Eistonne legen" wollen und sich sonst fragen, was man eigentlich von ohnen will, ist das zu viel. Sie haben gewonnen, sie haben sich gefreut, und sie haben eine Fanparty veranstaltet. Die wäre auch kein Problem gewesen, genausowenig wie der gesamte schwarz-rot-goldene Fahnenreigen, wenn man nicht versucht hätte, das Ganze mit einer überhöhten Sinnstiftung zu befrachten. Die WM bleibt nämlich genau das - eine Party. Eine Party, von der man hofft, dass sie immer noch ein Spiel weiterreichen wird, bis zum Finale und dann zum Sieg. Und dann kommt die große Abschlussfeier, und dann geht man nach Hause. 2006 und 2010 haben die meisten Beobachter das noch verstanden, und die Instrumentalisierungsversuche hielten sich in Grenzen. Dieses Jahr gab es kein Halten mehr. Merkel- und Gauck-Selfies mit der Nationalmannschaft, ein peinlicher Tweet der CDU, Wowereit im Nationaltrikot - der Peinlichkeit war keine Grenze mehr gesetzt. Jemand hätte daran denken sollen, die Spieler zu coachen, wie man Politik kommuniziert. Die aber wollten nur Party machen. Das hätte man ihnen besser gegönnt.

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