Dienstag, 30. September 2014

Ich lag falsch (4): Misogynie im Alltag


Dieser Post erschien ursprünglich auf Deliberation Daily.

Ein häufig unterschätztes Problem ist, wie sehr frauenfeindliche und Frauen benachteiligende Faktoren in unserem Alltag verwurzelt sind. Sie finden sich an Orten, wo man sie gar nicht vermuten würde und wo sie uns auch gar nicht auffallen, weil wir an ihren Anblick von klein auf gewohnt sind. Nichts trägt so sehr zur Konstruktion von Genderrollen und verwurzelten Stereotypen, wie wir sie noch einmal im letzten Teil der Serie betrachten werden bei wie die Konstruktionen, denen wir im Alltag begegnen. Wir finden sie auf den Schachteln von Nahrungsmitteln und Spielzeug. Sie begegnen uns in der Werbung allgegenwärtig. Wir sehen sie auf Schildern in Piktogrammen. Sie durchsetzen unsere Freizeitgestaltung in allen Medien. Selbst unsere Sprache ist davor nicht gefeit. Macht man sich diese Dinge erst einmal bewusst, sieht man es überall. Es ist, wie auf Aufforderung für fünf Minuten nicht an Eisbären zu denken.

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Nicht für mich gemacht.
Beginnen wir mit unschuldigen Babyprodukten. Wenn Elternteile neben den glücklichen, properen Babys abgebildet sind, sind es weit überdurchschnittlich Frauen, die sich mit den kleinen Rackern beschäftigen und ihnen den verschmierten Po abwischen. Auch Kinderspielzeug zeigt sehr häufig spielende Mütter mit ihren Kindern (es sei denn, es ist genderkodiertes Jungen-Spielzeug, aber dazu gleich mehr). Auf einer Packung Kindernahrung von Milupa findet sich allen Ernstes die Hotline für die "Mütterberatung". Väter haben offensichtlich nie Fragen zur Kindeserziehung. Die Hotline ist übrigens auch "Von Mamas für Mamas". Auf diese Art und Weise werden Tätigkeiten von vornherein mit einem bestimmten Geschlecht assoziiert. Gleiches gilt etwa auch viel zu häufig auch noch für Waschmittel. Auf der anderen Seite des Spektrums finden sich gerne Männer auf Packungen von Werkzeug und Autozubehör, weil Frauen ja bekanntlich nicht einmal Nägel in die Wand schlagen können.
Dieser ungute Trend setzt sich beim Spielzeug fort. Exemplarisch ist er bei Produkten der Lego-Familie zu betrachten, wo das Zielpublikum klar vorgegendert ist. Während die überwältigende Mehrheit der Produkte klar für Jungs beworben wurd (mit einem Fokus auf kämpferischem Wettbewerb und dem Prozess des Bauens) ist eine Produktlinie ("Lego Friends") explizit für Mädchen beworben und, natürlich, in Pastellrosa gehalten. Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass der Rest der Lego-Produktpalette nicht für sie ist - ein Fakt, das die Werbung unterstreicht. Auch bei Duplo und anderem Spielzeug, das eher für Kinder zwischen ein und drei Jahren gedacht ist finden sich bereits klare Gendererwartungen formuliert. Anita Sarkeesian hat in einer Serie von drei sehenswerten Youtube-Videos diese Mechanismen am Fall Lego analytisch dekonstruiert (hier, hier, hier).

Nun verbietet natürlich niemand Mädchen, sich mit den Lego-Produkten der Reihe "Ninja-Go" zu beschäftigen und sich gegenseitig floureszierende Chips an den Legomännchenkopf zu schießen, und ich würde auch nie fordern, diese Produkte nicht zu produzieren. Viele Mädchen werden die Genderkodierung auch ignorieren und sich das Material trotzdem kaufen. Ein anderer Faktor, der leider auch von Sarkeesian und anderen Feminstinnen nicht oft genug bemerkt wird ist, dass diese Stereotype auch für Jungs und Männer schädlich sind. Nicht nur blockieren sie eine ganze Reihe von erfüllenden oder nützlichen Funktionen für Männer (putzende Männer werden immer noch gerne ironisierend in der Werbung eingesetzt, und ein Spielen mit Barbies ist immer noch undenkbar). Während Mädchen und Frauen - glücklicherweise - immer mehr aufgefordert werden, die ihnen zugedachten Rollen aufzuweichen und zu durchbrechen, gibt es für Jungen und Männer noch keine vergleichbare Bewegung. Auch hier kann ich wieder mit Beispielen aus meiner eigenen Erfahrung aufwarten: Als es auf Arbeit darum ging, einige Regale an der Wand zu befestigen, musste ich zu meiner Schande gestehen, nicht gerade ein Gott an der Bohrmaschine zu sein. Kommentar der Chefin (!): "Was bist denn du für ein Mann?" Exakt dieselben Reaktionen bekommt meine Frau, wenn sie gesteht dass sie nicht nähen kann, ein Job, der bei uns mir zufällt. Purer Unglaube ist das Resultat.

Man beachte die Frauen im Hintergrund. Spaß für die ganze Familie!
  Auch in den Medien, die wir für unsere Unterhaltung benützen, finden wir diese Rollenbilder und Vorurteile ständig wieder und bekommen sie serviert. Hauptcharaktere in Filmen, die nicht explizit für ein weibliches Publikum gemacht sind, sind in überwältigender Mehrheit männlich (und weiß, aber das ist noch einmal ein ganz anderes Thema). Noch immer bestehen dramatisch viele Filme den Bechdel-Test nicht. Ihre Problemlösungsstrategien sind häufig sehr gewaltorientiert, was problematischerweise besonders häufig mit klassischer Männlichkeit verbunden wird. Besonders auffällige Delinquenten sind hier machoistische Gewaltphantasien wie die Serie "Sons of Anarchy" (meine Artikel dazu hier) oder das gesamte Genre der Rache-Geschichten, das in Filmen wie "96 Hours" seine Entsprechung findet. Frauen werden hier fast immer auf die Rolle des passiven Opfers reduziert, worauf es an dem Mann ist, für diese Ehrverletzung Rache zu nehmen (und häufig genug die alleine völlig hilflosen Frauen zu retten). Zwar sind die Täter auch in 99% der Fälle männlich; ihre Bosheit besteht aber aus der körperlichen Gewalt, die sie Frauen antun (und die gleichzeitig als Ausrede für billigen Gewalteinsatz dient). Ohne diesen Faktor sind sie dem Hauptcharakter selbst unangenehm ähnlich. So findet "Sons of Anarchy" nichts dabei, die Helden ein Pornostudio betreiben und Frauen anbrüllen zu lassen - die bösen Jungs bedienen sich Zwangsprostituierter und schlagen ihre Frauen. Hier reden wir aber nur noch über Gradunterschiede. Der beständige Rückgriff auf dieses uralte Muster der "Damsel in Distress" wurde von Anita Sarkeesian ebenfalls in zahlreichen Videos dekonstruiert (hier, hier, hier, hier). Für an der Debatte Interessierte habe ich hier und hier ebenfalls Stellung genommen.

Die Gamer-Kultur, die dieser Tage unter dem Stichwort #Gamergate so sehr in die Schlagzeilen geraten ist (sogar SpOn hatte was dazu) ist wohl das offensichtlichste Beispiel dafür, dass es noch weit verbreiteten Frauenhass gibt. Sarkeesians Kritik wurde von massiven Hass- und Drohungskampagnen begleitet, die so heftig waren, dass sie aus ihrem Haus flüchtete und Polizeischutz beantragte. Noch heute kann sie problemlos die "Hass-Mail des Tages" veröffentlichen; ihre Auswahl ist offenkundig groß genug. Drohungen sie zu vergewaltigen und zu töten erinnern auf ungute Art und Weise an die aktuellen Exzesse in Indien, wo die von den örtlichen Autoritäten legitimierte Vergewaltigung als probates Mittel der Züchtigung von Frauen gilt, die aus ihrer Rolle fallen und sich - in den Augen der Männer - zu viel herausnehmen. Auch der Skandal um die gestohlenen Nackt-Selfies von Popkulturgrößen wie Jennifer Lawrence offenbarte Abgründe, in denen den Frauen - wie in der missratenen Vergewaltigungs-Awareness-Kampagne der britischen Regierung - die Schuld gegeben wurde. Im Englischen wird dieser Prozess als "slut-shaming" bezeichnet. Er stellt ein jahrhundertelang erprobtes Mittel der Frauenunterdrückung dar: den Frauen einzureden, sie seien an ihrem Schicksal selbst schuld und nicht die Täter und sie sogar zu Komplizen im üblen Spiel zu machen (mehr dazu im letzten Teil der Serie).

Der Kampf gegen festgefahrene Stereotype und Rollenklischees hat sich zu lange nur auf einige wenige Teilbereiche der Gesellschaft bezogen. Mit Ausnahme des Schmutzboulevards (etwa Fox News) haben die Medien sich genauso wie die Politik einem beeindruckenden internen Säuberungsprozess unterworfen und vermeiden tendeniziöse Berichterstattung. Auch in der Politik (und zunehmend der Wirtschaft) ist offener Sexismus inzwischen praktisch unmöglich geworden. Im Privaten oder Semi-Privaten (Meinungsäußerungen im Internet lassen sich nicht mehr wirklich klar einordnen) aber fühlt man sich bisweilen immer noch wie im Dschungel.

Das perfide an all diesen Beispielen ist, dass sie für sich genommen nicht schlimm sind. Wer sieht nicht gerne Liam Neeson zu, wie er böse Mädchenentführer erschießt? Darf man nicht daran Spaß haben, wenn sich Motorradgangs gegenseitig über den Haufen schießen? Muss ich aufhören, GTA V zu spielen? Kriegt mein Sohn nun doch kein neues Lego-Flugzeug, sondern das Barbie-Set? Das ist natürlich Quatsch. Auch gibt es selbstverständlich auch positive Gegenbeispiele. Es gibt Filme und Spiele mit weiblichen Hauptfiguren, die sich nicht um Shoppen und Backen drehen. Die Welt ist nicht schwarz und weiß. Aber noch immer ist eine viel zu große Mehrheit der Produkte in unserem Alltag von Sexismus - in beide Richtungen! - durchsetzt, der uns in alten Genderrollen festhält. Von den historisch gewachsenen Rollenvorstellungen und ihren Beharrungskräften ganz zu schweigen. Aber die beschäftigen uns im nächsten und letzten Artikel der Reihe.

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