Allen Prognosen zufolge hat in Griechenland bei den Parlamentswahlen das Linksbündnis Syriza einen klaren Sieg davon getragen. Mit etwas Glück schafft es sogar das Erringen der absoluten Mehrheit. Gepaart mit der aktuellen EZB-Entscheidung, in großem Stil Staatsanleihen aufzukaufen, scheint sich eine kleine Zeitenwende in der Euro-Politik anzuberaumen - das heißt natürlich, wenn Syriza-Chef Alexis Tsirpas Erfolg mit seinen Plänen hat. Wirklich überraschend kommt der Wahlsieg Syrizias nicht. Sie sind die letzte ernstzunehmende Alternative im Wortsinn. Nach der Implosion der SPD-ähnlichen Sozialistenpartei Pasok überlebte die konservative Partei (Nea Dimokratia) und stellte die Regierung im Bündnis mit den Resten des Pasok. Dieses Bündnis ist nun ebenfalls zusammengebrochen. Der Grund für den Zusammenbruch dieser beiden ehemals wie CDU und SPD die griechische Politik dominierenden Parteien ist ziemlich eindeutig: ihre Rolle im griechischen Niedergang und seiner bisherigen Verwaltung.
Es gibt wohl niemanden, der die griechische Entwicklung als Erfolg hinstellen will. Das BIP des Landes ist gewaltig eingebrochen, und mit ihm die Gehälter, Löhne und Sozialleistungen, auf denen der bisherige griechische Lebensstandard fußte. Man mag dies wie die meisten Staaten der Europäischen Union, Deutschland voran, als eine ökonomisch notwendige und schmerzhafte Anpassungsoperation sehen, an deren Ende ein gesundes Griechenland den Kampf um wirtschaftlichen Wohlstand erneut aufnehmen kann. In der Realität aber ist die Frage, ob diese Sicht richtig ist - die an dieser Stelle auch nicht beantwortet werden kann - völlig irrelevant. Die Belastungen, denen die Griechen ausgesetzt sind, sind in einer Demokratie auf die Dauer nicht zu ertragen, und für die Griechen gehen sie mittlerweile in die Halbzeit einer Dekade. Den Deutschen reichten seinerzeit zweieinhalb Jahre unter solchen wirtschaftlichen Bedingungen, um alle Demokraten zum Teufel zu wünschen und ihr Glück im Autoritarismus zu suchen.
Der Wahlsieg Syrizas ist daher vermutlich auch die letzte Chance einer gesunden griechischen Demokratie. Werden die Hoffnungen der Bevölkerung auf eine Besserung der Lage erneut enttäuscht, bleibt keine gemäßigte demokratische Alternative mehr; das Land stünde zwischen Sylla Chrysi Avgi ("Goldene Morgenröte", die Neonazis) und Charybdis Kommounistikó Kómma Elládas (Kommunistische Partei Griechenlands) - eine ebenfalls vertraut vorkommende Wahl. Es lohnt sich also die Beschäftigung mit Tsirpas und seiner Syriza und den Chancen, die sie hat. Sehen wir uns dazu erst einmal an, was Tsirpas vorhat, sollte er tatsächlich in den nächsten drei Tagen Regierungschef werden.
Einige seiner ersten Maßnahmen beziehen sich auf den sozialen Sektor. Sie sind vor allem symbolischer Natur, indem sie die sichtbarsten ökonomischen Untragbarkeiten angreifen: künftig soll armen Familien nicht mehr der Strom abgestellt werden, und auch Zwangsräumungen von Wohnungen im US-Stil sollen verboten werden. Arme Familien, die frierend im Dunkeln sitzen oder auf die Straße geworfen werden, gerettet von Syriza - ein starkes Propagandabild. Zwei weitere Ankündigungen sind ebenfalls bereits bekannt: Tsirpas erste Auslandsreise soll nach Zypern führen anstatt nach Berlin oder Brüssel, und Griechenland will aufhören, mit der Troika zu verhandeln und stattdessen direkt mit den Geberländern zu sprechen. Während die Reise nach Zypern erneut vor allem symbolisch zu verstehen ist und Tsirpas Verlangen, eine Art Allianz der Schuldnerländer zu bilden ausdrückt, ist der effektive Rauswurf der Troika wesentlich bedeutender. Und er ist auch vernünftig, nicht nur aus griechischer Sicht.
Denn die Troika hat ihre Bestimmung wenn nicht erfüllt, so doch zumindest das Ende der Machbarkeit erreicht. Griechenland noch mehr auszupressen und zu noch mehr Einsparnungen zu zwingen scheint kaum möglich, während andererseits bislang keine großen Anstrengungen unternommen wurden, an der Einnahmenseite zu drehen (Stichworte griechische Milliardäre, Korruption beenden, ...). Für die europäische Öffentlichkeit ist die Troika zudem gesichtslos, was für alle Seiten einen gesichtswahrenden Exit ermöglicht: die Griechen können weiterhin Verhandlungen über Reformen führen während sie gleichzeitig den harten Hund markieren, und die Gläubigerländer können die Troika fallenlassen und damit einen Neustart wagen, ohne ihre eigene Glaubwürdigkeit zu gefährden. Man könnte sogar sardonisch sagen, dass sie genau dazu da ist.
Die Wahl von Syriza könnte also neue Handlungsspielräume für beide Seiten eröffnen. Während es unwahrscheinlich ist, dass Deutschland von seiner harten Linie abrückt, eröffnet Tsirpas anderen Ländern die Option, einen Politikschwenk zu vollziehen - eventuell auch gedeckt durch entsprechende Signale der EZB, die Deutschland und seine zunehmend schmelzende Schar an Verbündeten isolieren und zu einer Art zähneknirschenden Toleranz bewegen könnten. Welche Optionen aber hat Griechenland eigentlich? Tsirpas hat angekündigt, einen Schuldenschnitt einzufordern. Angesichts des Schuldenstands des Landes, der selbst mit eiserner Haushaltsdisziplin eigentlich nicht abbaubar ist, sind neue Optionen schlichte Notwendigkeit, auch für die Gläubigerländer. Eine Möglichkeit hierfür wurde in der FAZ angesprochen: die EU könnte die Zahlung von Schuld und Zinsen aussetzen, Griechenland die verbliebenen Kredite weiterbedienen und gleichzeitig eine Art Parallelwährung ausgeben.
Dass es genauso kommt ist natürlich mehr als zweifelhaft. Darum braucht es aber auch nicht zu gehen. Der relevante Teil ist, dass sich überhaupt etwas bewegen könnte in Griechenland und dass es nach der verheerenden Stagnation der letzten Jahre vielleicht endlich etwas aufwärts geht.
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