Je mehr man sich mit den Positionen von Yanis Varoufakis beschäftigt, desto mehr scheint es sich um eine Tragödie zu handeln, die sich vielleicht nicht in einer klassischen 5-Akt-Struktur vollzieht, aber von Zwängen und mangelnden Handlungsspielräumen geprägt ist wie die Klassiker. Varoufakis - und in extensia die gesamte griechische Regierung - ist eingeklemment zwischen ökonomischen und politischen Zwängen, die er beide ablehnt, und ist chancenlos, seine Vision für die Lösung der Krise auch nur auf das Tablett zu bringen. Sofern nicht ein Wunder passiert, dürfte er das Rücktrittsschreiben, das er nach eigener Aussage ständig in der Brusttasche trägt, bald brauchen. Varoufakis will kein Politiker sein, hat aber ein politisches Spitzenamt inne, und er will die griechische Schuldenwirtschaft nicht weiterführen, wird aber durch Verträge auf der einen und ökonomische Notwendigkeiten auf der anderen Seite dazu gezwungen. Die Erkenntnis dieses Dilemmas dürfte schmerzen, und sie wird nicht durch einen Chor unterstützt.
Varoufakis' politische Theorie ist vergleichsweise simpel. Er ist der Experte an der Spitze des Ministeriums und will versuchen, die Welt durch die Kraft seiner Argumente zu überzeugen. Aus Gründen persönlicher Integrität will er keinesfalls "ein Politiker werden", sprich, polarisieren und den Dialog zugunsten eines verdeckten Monologs einstellen, wie das in jeder deutschen Talkshow wöchentlich zu beobachten ist. Das ist auch sicher ehrenwert, aber völlig naiv. Es funktioniert innerhalb Griechenlands, weil Varoufakis seine Legitimation aus dem Wahlsieg Syrizas, quasi durch Akklamation des Volkes, sieht und Alexis Tsipras ihm den Rücken freihält, unter anderem durch die schmutzige Allianz mit den Rechtspopulisten. Auf EU-Ebene gibt es aber niemand, der ihm den Rücken freihält. Gegen die eingespielten Kontrahenten in der EU, die den politischen Prozess mit seinen ungeschriebenen und geschriebenen Regeln und Formen leben lief er wie gegen eine Wand. Man sehe sich nur Wolfgang Schäuble an: die "Verhandlungen" Varoufakis' mit seinem deutschen Gegenpart waren das Äquivalent eines vollen Laufs gegen eine Wand.
Varoufakis hat zudem entweder völlig unterschätzt, welche innenpolitischen Prozesse bei den anderen EU-Staaten ablaufen, oder sich nie darum gekümmert. Anders ist kaum zu erklären, dass er auf Schützenhilfe aus Italien, Spanien, Portugal und Irland hoffte. Die dortigen Regierungen haben keinerlei Interesse daran, ihren innenpolitischen Gegnern links wie rechts in die Hände zu spielen, indem sie ihre Positionen über das griechische Proxy legitimieren, egal wie hoch auch der Gehalt seiner Argumente ist. Syriza ist die einzige Linkspartei in Europa in der Regierungsverantwortung. Hat niemand in der Partei die Europawahlen beobachtet? Der Kontinent wird von einer großen Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten regiert, während die Sozialisten eine Sammlung von oppositionellen Splitterparteien sind.
Was aber sind seine ökonomischen Ideen? Hier liegt die wahre Tragik, denn Varoufakis spricht sich explizit gegen Hilfskredite für Griechenland aus. Seine Position, unterstützt vom mittlerweile legendären Stinkefinger, ist die, dass Griechenland 2010 den faktischen Bankrott hätte erklären müssen - eine Position, die durchaus kompatibel mit den deutschen Stammtischen ist. Er sagt klar, dass eine Erhohlung der griechischen Wirtschaft und die Rückzahlung all dieser Kredite illusorisch ist. Hier zeigt sich einmal mehr sein mangelnder politischer Instinkt, denn es gelingt ihm nicht, die Sprengkraft hinter diesen Positionen zu erkennen und entsprechend die Adressaten und Form der Botschaft zu wählen. Beispielhaft dafür ist seine völlig unprofessionelle Reaktion auf den Stinkefinger bei Jauch. Da inzwischen 2015 und nicht mehr 2010 ist, hat diese Fragestellung aber ohnehin nur theoretischen Charakter. Varoufakis sieht in den Krediten die Wurzel allen Übels, weil sie Griechenland am Tropf hielten, von dem es entwöhnt werden muss - was ja offiziell auch die Position der EU und besonders Deutschlands ist.
Nur kommt Varoufakis von dem Tropf nicht weg. Seine gesamte Aufmerksamkeit muss auf die Sicherung weiterer Tranchen aufgebracht werden, weil der griechische Staat stets nur Wochen von der Zahlungsunfähigkeit entfernt ist. Und im Gegensatz zu 2010 gibt es die ganzen Kredite jetzt über die Institutionen statt über die Banken, und die sind ewig. Der Bankrott ist damit keine Option mehr, der einzige Ausweg ist der Schuldenschnitt. Und genau hier ist Varoufakis völlig eingekästelt. Griechenland hat keinerlei Druckmittel, denn der Grexit ist keine Option und wurde von Varoufakis wiederholt und deutlich abgelehnt. Innerhalb der EU hat Syriza keine Freunde und keine Lobby, und das Gewicht Griechenlands ist gering (man vergleiche dies nur mit dem Einfluss, den Luxemburgs konservativer Premier Juncker hatte und hat und der in keinem Verhältnis zur Machtstellung seines Landes steht). Gleichzeitig ist die Regierung neu und war nie an der Macht, was alle Arten von Fehlern produziert und aufwändige Neuorientierung nötig macht. Was Varoufakis braucht sind Zeit und Druckmittel. Beides hat er nicht. Statt nach seinem eigenen Drehbuch wurde er innerhalb von kaum drei Wochen völlig auf das Drehbuch der Institutionen gezwungen.
Es ist auch nicht klar, wie dieses Dilemma aufgelöst werden sollte. Syriza ist völlig deklassiert in ihrem Kampf gegen die europäischen Institutionen. Jede neue Hilfe, jeder hart errungene Überbrückungskredit bleibt eine zeitlich eng befristete Lösung, die eine neue Auseinandersetzung mit dem Thema innerhalb kürzester Zeit nötig macht. Syriza erhält keine Chance, durchzuatmen und Kassensturz zu machen, Verbündete zu suchen und eine vernünftige Strategie zu überlegen. Das ist clevere Politik. Aber wundert das jemand? Schäuble macht das seit 40 Jahren. Varoufakis macht das seit zwei Monaten, und er hasst es und will eigentlich nicht. Syriza wird dabei immer verzweifelter. Die aktuellen Hilfegesuche an Russland und China und das halbe Ausscheren aus der gemeinsamen europäischen Außenpolitik beweisen es.
Welche Lösungen sollen denn aus Russland und China kommen? Griechenland kann natürlich etwas verbrannte Erde in der EU-Außenpolitik mit Russland hinterlassen, aber glaubt jemand ernsthaft, dass sich 27 Staaten, die jeder einzelne mehr politische Fähigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten haben als Syriza, ernsthaft vom Einstimmigkeitsprinzip abhalten lassen würden? Niemals wird Griechenland die Außenpolitik der restlichen EU torpedieren. Und selbst wenn Hilfe aus Russland oder China kommt - strategisch wäre dies besonders für Russland ein gigantischer Gewinn und eine herbe Niederlage für die EU-Diplomatie -, Griechenland ist immer noch im Euro. Es ist auf die Institutionen angewiesen, ob es will oder nicht. Es kettete sich nur an noch mehr mächtige Kreditgeber, nur dieses Mal an solche, die keine Probleme haben, Hellas im Zweifel völlig fallen zu lassen.
Nein, Griechenlands einzige Zukunft ist in der EU und im Euro, und sofern Syriza nicht bald etwas einfällt, womit sie den gordischen Knoten lösen können, werden sie mangels eines Schwerts an dem Druck zerbrechen. Da dies für alle anderen griechischen Regierungen auch gilt, kann die EU auch dem Fall Tsipras' gelassen entgegen sehen. Sie kann es sich leisten, Griechenland für das Gesamtprojekt zu opfern. Griechenland kann das nicht. Die Macht, über sein eigenes Schicksal zu entscheiden, ist seit 2011 nicht mehr gegeben. Vermutlich wird auch Syriza das bald einsehen müssen. Varoufakis kann dann Gebrauch von seiner Brusttasche machen.
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