Zuerst ein wenig Hintergründe zur Wahl: Ähnlich wie in den meisten parlamentarischen Systemen müssen im House of Represenatives die Mehrheit aller Abgeordneten den Speaker bestimmen, nicht nur die der Mehrheitspartei (im Senat ist das, natürlich, anders. Hier reicht die Mehrheit der Mehrheitsfraktion, denn warum sollten auch beide Häuser den gleichen Regeln folgen, das ist was für Europäer). Das bedeutet dass McCarthy nicht nur die Hälfte der Republicans braucht, sondern 218 der 247 Abgeordneten seiner Partei. Auf Stimmen der Democrats braucht er schließlich nicht zu hoffen. Gerüchten zufolge brachte er aber nur irgendetwas zwischen 170 und 200 Abgeordnete hinter seine Kandidatur. Besonders die mittlerweile im so genannten Freedom Caucus organisierten Radikalen verweigerten sich ihm komplett. Nicht, dass sie irgendeinen eigenen Kandidaten hätten - die Macht der Radikalen bleibt weiterhin rein destruktiv.
Aber erneut - nichts Genaus weiß man nicht. Wem simple Mehrheiten zu langweilig sind, wird sicher das ebenfalls die Runde machende Gerücht interessieren, dass McCarthy eine uneheliche Affäre mit der Abgeordneten Reene Ellmers (ebenfalls Republican, aus North Carolina) hätte. Die Medien berichten darüber betont nicht, was Anlass zu allerlei detaillierten Artikeln mit Spekulationen gibt, warum man denn nicht über die Affäre berichtet, von der niemand weiß, ob sie wahr ist, weswegen niemand darüber berichtet. Bewiesen ist auch hier natürlich gar nichts, aber der Unterton der Berichte deutet stark darauf hin, dass die Affäre ein offenes Geheimnis war. Ob sie Grund für McCarthys Rücktritt ist - who knows?
So oder so sind die Republicans im House of Represenatives jetzt ohne neuen Speaker-Kandidaten, aber nicht ohne Speaker. Denn John Boehner ist zwar mit Wirkung für den 30. Oktober zurückgetreten und hatte die Wahl seines Nachfolgers für den 29. Oktober anberaumt, aber der Termin ist jetzt mangels Kandidaten passé. Boehner aber, nicht gerade ein Waisenknabe auf dem politischen Feld, hatte in seinem Rücktritt eine Klausel untergebracht, dass er Speaker bleibe, bis ein neuer gewählt ist. Wenn er dieses Chaos vorhergesehen hat, um selbst den Posten behalten zu können und vorher seine innerparteilichen Gegner völlig zu blamieren könnte dies ein gewaltiger politischer Coup sein. Chapeau, wenn das so aufgeht. Und wenn nicht wird Boehner natürlich niemals einen solchen Plan gehabt haben. Hatte er ihn? Schwer zu sagen, wie so vieles.
Die Spekulationsmaschine läuft jetzt natürlich heiß, und das lustige Ratespiel (verbunden mit cleveren Ratschlägen, wer denn ein guter Speaker wäre) wird dadurch noch erst richtig spannend, dass der Speaker technisch gesehen nicht Mitglied des House sein muss. Das ist zwar seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr relevant gewesen, gibt aber Material für mindestens drei oder vier Artikel. Ezra Klein von Vox, der sonst eigentlich nicht durch Einschalten des Bullshit-Ventilators auffällt, schlägt etwa Mitt Romney vor. Auch einige der Präsidentschaftskandidaten wären möglich. Ich wäre ja für Trump. Der würde sicher einen echt classy Hammer mitbringen, nicht dieses alte Ding das Boehner immer benutzte, und der Kongress würde ihn zahlen, you bet. Der wahre Andrang entsteht gerade aber vor Paul Ryans Tür.
Ryan ist aktuell der Vorsitzende des Ways and Means Comittee, in seiner Funktion etwa vergleichbar mit unserem Haushaltsausschuss aber wegen der Gewaltenteilung in den USA ungleich mächtiger. Ryan ist in dieser Position sehr zufrieden, denn von hier aus hat er seine Finger an den Schalthebeln der Macht ohne selbst im Scheinwerferlicht zu stehen. Er ist einer der wenn nicht sogar der einflussreichste Republican, ohne dessen Plazet wenig möglich erscheint, zumindest wenn man Bundesgelder braucht. Nur, Ryan ist dort ziemlich zufrieden. Warum habe ich hier beschrieben. Bisher weigert er sich noch standhaft, den Job zu machen, aber vielleicht lässt er sich doch erweichen. Er hat sich auch 2012 als Vizepräsidentschaftskandidat von Mitt Romney aufstellen lassen, ohne dass klar wäre wie das in seine größere Strategie passt, was auch Matthew Yglesias heillos verwirrt:
Why did Paul Ryan want to be Vice President?
— Matthew Yglesias (@mattyglesias) 9. Oktober 2015
Yglesias' Verwirrung entspricht dabei dem kompletten Chaos des politischen Washington. Fragt sich, wem das Ganze nützt. Vordergründig natürlich den Democrats. Sollten die Republicans im House sich wirklich völlig ins Abseits schießen (was möglich, aber eher unwahrscheinlich ist) steigen ihre Chancen, doch wieder eine Mehrheit zu bekommen, leicht an. Zudem dürften die Beliebtheitswerte der Republican Party, die ohnehin nur knapp über dem Niveau von Fußpilz liegen, weiter absinken. Auf der anderen Seite nützt das Chaos natürlich John Boehner. So oder so sieht seine Amtszeit bereits jetzt besser aus als noch vor einer Woche, und wenn er den Job eigentlich behalten will läuft es gerade gut für ihn. Auch Paul Ryan profitiert, weil - ob er Speaker wird oder nicht - sein politischer Wert bestätigt wird. Und natürlich gewinnen wir Beobachter des ganzen Prozesses. Holt das Popcorn raus, Freunde.
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