Die erste Debatte zwischen Trump und Clinton ist vorüber. Die Presse hat Clinton fast einstimmig zur Siegerin erklärt. Wenig überraschend glänzte sie mit detailliertem Wissen über so ziemlich jedes Politikfeld, das zur Sprache kam, und hatte ordentlich geübte Antworten für praktisch jede der reichlich vorhersehbaren Fragen. Darin liegt kaum die Überraschung des Abends. Die Überraschung des Abends liegt vielmehr darin, dass Trump genau das getan hat, was er und sein Team über Wochen angekündigt haben: praktisch nichts. Trump hatte sich auf die Debatte fast nicht vorbereitet und entschloss sich stattdessen, nach seinem Instinkt zu gehen. In den Worten seines ehemaligen Wahlkampfmanagers Lewandowsky: "Let Trump be Trump." Es war der größte Gefallen, den er Clinton hätte tun können.
Deren Strategie bestand offensichtlich weniger darin, sich selbst zu präsentieren als vielmehr allzu deutliche Fehlgriffe zu vermeiden und ansonsten eine Tretmine nach der anderen für Trump auszulegen. Der dünnhäutige Kandidat lief dann auch prompt von einer in die nächste. Das fing damit an, dass er beständig die seit fast vier Jahrzehnten etablierte Debattennorm brach, den anderen Kandidaten während seiner Redezeit nicht zu unterbrechen. Beständig kommentierte er Clinton und brüllte in einem Fall sogar den Moderator Lester Holt nieder (was die Zuschauer hassen: die Focus Groups drehten die Anzeigen, auf denen sie zwischen 0 und 100 sekundenaktuell ihre Stimmung anzeigen, in diesem Moment unabhängig von der Parteipräferenz praktisch durchgängig auf null), die - im Splitscreen perfekt als Kontrast sichtbar - meist schlicht wartete, bis er seine Bemerkungen gemacht hatte¹.
Ihre Provokationen verfingen bereits nach rund 20 Minuten; Trumps anfangs starke und (für seine Verhältnisse) kohärenten Anworten wichen immer mehr den aus Interviews bekannten Halbsätzen und Abschweifungen, denen zu folgen praktisch unmöglich ist. Er nahm jede von Clintons Sticheleien² auf und ließ sich auf mäandernde, völlig unverständliche Detaildiskussionen über irgendwelche legalistischen Winkelzüge ein - eigentlich Clintons Spezialität. So betonte er mehrmals auf den Vorwurf, dass er schwarze Mieter diskriminiert und verdrängt hatte damit, dass er nur die Gesetze ausgenutzt habe und erklärte nachdrücklich, dass er vor Gericht niemals ein Schuldeingeständnis abgegeben hätte. In anderen Worten: ja, habe ich gemacht. Auf die gleiche Art erwischte Clinton ihn bei der Frage nach dem Kredit seines Vaters (den Clinton mit 14 Millionen Dollar bezifferte, was Trump indirekt bestätigte, indem er ihn erneut "klein und unbedeutend" nannte) und bei der Frage nach seiner Steuererklärung, wo sie ihm unterstellte, keine Einkommenssteuer zu bezahlen. Seine Reaktion: "I'm smart." Ihre Reaktion: "No money for the troops, for the vets [veterans], for hospitals." Mitt Romneys 47% sind ein Witz dagegen.
Entgültig ins Surreale glitt die Debatte in der letzten halben Stunde ab, als das Thema auf die NATO, nukleare Erstschläge und den Irandeal kam. Trumps Antworten ergaben werder grammatisch noch irgendwelchen Sinn, noch inhaltlich. Er erklärte, dass er die NATO-Verbündeten finanziell erpressen wolle. Er sagte, dass China in Nordkorea einmarschieren müsste, weil Nordkorea mit dem Iran zusammenarbeitet, wobei es ein Fehler Clintons und Kerrys war, Nordkorea nicht in den Irandeal einzubeziehen - oder etwas Ähnliches, denn in dem Moment wusste sicherlich Trump nicht einmal mehr, womit er seinen Satz eigentlich begonnen hatte. Nie war es so offensichtlich, dass der Mann nicht die geringste Ahnung hat, von was er redet. Wenn er Präsident wäre und in seinem Kabinett ein Curtis LeMay, die Welt könnte morgen ein nuklearer Feuerball sein.
An diesem Punkt sollte man eigentlich davon ausgehen, dass die Wahl gegessen ist. Clinton müsste in den Umfragen mit 20 Prozent führen. Stattdessen muss sie sich gerade über zwei Prozent freuen. Die Debatte wird daran vermutlich auch wenig substanzielles ändern. Das hat mehrere Gründe.
Zum einen war auch Clinton an diesem Abend nicht gerade fehlerfrei. Ihre Antworten kamen teils arg auswendig gelernt, ihre Pausen waren merkwürdig und zerhackten den Redefluss. Auf Trumps genuine Stärken hatte sie zudem kaum Antworten, was besonders im ersten Drittel der Debatte deutlich wurde, das eher von ihrem republikanischen Konkurrenten dominiert war. Als er ihr Druck wegen ihrer Zustimmung zu NAFTA machte und den Widerspruch ihrer Position zu TPP aufzeigte - dass sie es einerseits früher unterstützte und dass Obama immer noch dafür ist - hatte sie keine guten Antworten, obwohl es offensichtlich war, dass dieses Thema aufkommen würde. Bei NAFTA versuchte sie irgendwelche positiven Effekte für die Mittelschicht zu beschwören, ohne diese klar benennen zu können, und ließ Trumps Narrativ vom betrogenen "blue collar"-Arbeitnehmer unwidersprochen stehen.
Bei TPP imitierte sie Kerry: "I was for it, and then I was against it." You don't say, Miss Secretary. In den Händen eines fähigen Gegners wäre ein solcher Satz Gift. Trump aber erkennt die Gelegenheit nicht einmal, wenn sie sich ihm bietet, weil sie politisch ist und nicht persönlich. Als das Thema Cyberwar angesprochen wurde - bei dem Trumps Antworten einen ähnlichen Kohärenzgrad aufwiesen wie beim oben angesprochenen Nuklearbeispiel - blieb mir wahrlich der Mund offenstehen als Clinton jedem Staat uneingeschränkte Vergeltung androhte, der amerikanische öffentliche oder private (!) Netzwerke hackt. Wäre Trump nicht so ein elender Narr hätte er sie mit dieser krassen Position aufspießen können. Stattdessen musste er sich am Ende der Debatte den wohlvorbereiteten Todesstoß geben lassen, als Clinton die Wähler aufforderte, Trump einfach nur zuzuhören, und ihn dann die Beleidigungen gegen eine lateinamerikanischen Miss-World-Gewinnerin und andere Frauen wiederholen zu lassen (was Trump in einem Interview nach der Debatte auch noch bekräftigte).
Nur: die starke Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft wird dafür sorgen, dass nur wenige Anhänger der Republicans sich in ihrer Unterstützung Trumps verunsichert fühlen werden. Umgekehrt werden wohl auch keine Democrats von Clinton abrücken. Stattdessen konzentriert sich die Aufmerksamkeit einerseits auf Mobilisierung und andererseits auf die Unentschlossen. Für die erstgenannte Gruppe dürfte die Debatte hilfreich gewirkt haben. Da die meisten Menschen gerne Gewinner unterstützen, hilft Clinton ihr "Sieg" hier. Bei den Unentschlossenen bin ich selbst ehrlich gesagt unentschlossen. Mir ist und bleibt unklar wie man bei dieser Wahl überhaupt unentschlossen sein kann. Von daher würde ich hier mit Prognosen vorsichtig sein wollen. Mein Verdacht ist, dass diese Leute relativ klar einer Seite zuneigen, aber sich noch nicht festlegen wollen. Die Umfragewerte werden ab etwa Freitag oder Samstag die Veränderungen durch die Debatte wiederspiegeln. Bis dahin gehe ich davon aus, dass Clinton nur etwa 2% in den Umfragen zulegen wird. Das reicht ihr zum Sieg aus, aber es entspricht nicht dem Vorsprung, den sie eigentlich haben sollte.
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¹ Allerdings nicht immer; auch Clinton redete manchmal über Holts Zeitbegrenzungen und versuchte, Trump zum Schweigen zu bringen.
² Clinton nannte Trump auch penetrant "Donald", was Trump hasst. Er versuchte sich zu beherrschen und sie als "Secretary Clinton" zu bezeichnen, verlor jedoch die Contenance in der letzten halben Stunde und verfiel ins "Hillary".
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