Donnerstag, 13. Oktober 2016

Kandidat Bernie: kontrafaktische Überlegungen

Während der Wahlkampf sich mit Trumps politischem Selbstmord einem immer zwingenderem Wahlsieg Clintons entgegenzuschieben scheint, drängt sich besonders unter liberalen Kritikern Clintons die Frage auf, ob nicht Bernie Sanders hätte gegen Trump mindestens ebenso gut gewinnen müssen - wenn nicht ebenso hoch. Schließlich bringt Bernie nichts von Clintons Ballast an Emailkontroversen, Lungenentzündungen, Falken-Außenpolitik und Goldman-Sachs-Reden mit sich. Solche kontrafaktischen Überlegungen, besonders wenn sie einen Teil der Parameter einfach auf dem für das jeweilige Argument besten Stand einfrieren, sind natürlich immer problematisch. Sanders' Image ist auf seinem politischen Höhepunkt eingefroren, kurz vor dem Ende der Vorwahlen und dem DNC Parteitag, während Clinton seither monatelang brutalen Wahlkampf gegen Trump führte. Trotzdem soll hier ein Versuch unternommen werden, eine hypothetische Präsidentschaftskandidatur Sanders' für die Democrats gegen Trump zu skizzieren.

Ich möchte mit dem Bekenntnis beginnen, dass es mir überraschend schwerfällt, ein eindeutiges Urteil über den Verlauf zu fällen. Würde Sanders untergehen? Knapp verlieren? Knapp gewinnen? Auf Clinton-Level liegen? Sie übertreffen? Als ich begann, mir für diesen Artikel Gedanken zu machen ging ich davon aus, dass dies offensichtlich sein müsste, aber so einfach ist die Lage natürlich nie. Beginnen wir also mit einer Skizzierung eines Bernie-Siegs in den Vorwahlen im Unterschied zur Realität, der Original Time Line (OTL).

Während der Wahlkampf sich mit Trumps politischem Selbstmord einem immer zwingenderem Wahlsieg Clintons entgegenzuschieben scheint, drängt sich besonders unter liberalen Kritikern Clintons die Frage auf, ob nicht Bernie Sanders hätte gegen Trump mindestens ebenso gut gewinnen müssen - wenn nicht ebenso hoch. Schließlich bringt Bernie nichts von Clintons Ballast an Emailkontroversen, Lungenentzündungen, Falken-Außenpolitik und Goldman-Sachs-Reden mit sich. Solche kontrafaktischen Überlegungen, besonders wenn sie einen Teil der Parameter einfach auf dem für das jeweilige Argument besten Stand einfrieren, sind natürlich immer problematisch. Sanders' Image ist auf seinem politischen Höhepunkt eingefroren, kurz vor dem Ende der Vorwahlen und dem DNC Parteitag, während Clinton seither monatelang brutalen Wahlkampf gegen Trump führte. Trotzdem soll hier ein Versuch unternommen werden, eine hypothetische Präsidentschaftskandidatur Sanders' für die Democrats gegen Trump zu skizzieren.

Damit Sanders gewinnt, muss eine von zwei Bedingungen gegeben sein. Entweder schneidet er in den frühen Vorwahlen im Süden und Westen bis zum Super Tuesday besser ab als OTL, oder Clinton stolpert in der zweiten Hälfte der primaries über einen Skandal, der Sanders als besseren Ausweg als ihre Nominierung erscheinen lässt. Welcher der beiden Fälle auch eintrifft, 2008 gibt uns einen guten Vergleich für das, was gefolgt wäre: ein harter Zweikampf mit allen Bandagen. Ohne ihre komfortable Führung hätte Clinton sicherlich nicht den moralischen high-ground bewahrt und praktisch völlig von Angriffen auf Sanders abgesehen; er seinerseits hätte wohl noch härter zugeschlagen, als er es ohnehin getan hat. Für Clinton heißt das deutlich direktere Attacken auf ihren Charakter, die Emails und die Reden für Goldman Sachs sowie ihre außenpolitischen Entscheidungen. Für Sanders heißt das Rückgriffe auf seine Vergangenheit als Aktivist und Kongressabgeordneter, seine NRA-Freundlichkeit, seine Forderung im Jahr 2012 Obama in den Vorwahlen herauszufordern und auf seine Identifizierung als Sozialist.

Hier haben wir aber bereits das erste Problem. Wir können ohne Probleme ein kontrafaktisches Szenario von Sanders-Angriffen auf Clinton entwerfen, weil ihre Schwachpunkte alle bekannt sind (und mehrheitlich gerade von Trump durch die Mangel gedreht werden). Von Sanders wissen wir nur sehr wenig, weil Clinton ihre eigenen zweifellos betriebenen Nachforschungen nicht verwendet hat und die Republicans, in einem Spiegelbild von Clintons Strategie gegenüber Trump, in den Vorwahlen betont freundlich und zurückhaltend gegenüber dem Senator waren. Dieser Faktor wird später noch bedeutend werden.

Wir gehen nun aber davon aus, dass Sanders einen knappen Sieg gegen Clinton erzielt, im Rahmen von Obamas Sieg 2008 oder sogar noch knapper. Die Stimmung in der Partei ist mies, weil das Parteiestablishment auf Clintons Seite und der Wahlkampf hässlich war, weswegen nun ein latent schwelender Bürgerkrieg von einem notwendigen Friedensschluss notwendig überdeckt wird. Sanders verfügt zwar über eine hochmotivierte Armee Bodentruppen, hat jedoch nur wenig politisch erfahrenes Personal zur Verfügung und kann kaum auf DNC- oder Clintonpersonal zurückgreifen. Die Planung des DNC-Parteitags ist daher von ständigen Kleinkonflikten überschattet; alle wichtigen Democrats inklusive Clinton sagen aber schlussendlich zu. In einer Reihe von größtenteils uninspirierten Reden geben sie ihre endorsements an Sanders und betonen, wie wichtig es ist, Trump zu schlagen und Democrats in den Kongress zu wählen. Bernie-Unterstützer wittern darin nicht zu Unrecht eine bestenfalls halbherzige Unterstützung. Während des gesamten Wahlkampfs wird es immer wieder zu Konflikten zwischen seiner Organisation und dem DNC über strategische Prioritäten und Geldmittelverteilung kommen, weil der DNC ziemlich offensichtlich vorrangig daran interessiert ist, den Kongresskandidaten zum Sieg zu verhelfen. Die gehackten Emails sind in dieser Situation wenig hilreich und starten eine neue Runde im Bürgerkrieg der Democrats, der durch eine Reihe von hochrangigen Rücktritten notdürftig beigelegt wird.

Die Republicans unter Trump unterdessen stellen den Parteitag weniger unter die "lock her up"-Atmosphäre, den er gegen Clinton hatte, sondern nutzen die Angriffspunkte gegen Sanders, die sich als stärkste herausgestellt haben. Hier laufen wir wieder in unser größtes Problem: es ist unmöglich vorherzusagen, welche Skandale Sanders erlitten hätte. Aber: er hätte sicher welche erlitten. Sanders ist ein Aktivist seit den 1960er Jahren, und er hat garantiert Dinge gesagt und für Dinge demonstriert, die heute in äußerst unangenehmem Licht erscheinen. Man stelle sich die Affären von Daniel Cohn-Bendit (Verharmlosung von Pädophilie) oder Joschka Fischer (Steinewerfen in der Spontizeit) als Folie vor, nach der so etwas abgelaufen wäre. Sichere Evergreens wären Sanders' Steuerplan, seine Identifizierung als Sozialist, sein hohes Alter und seine Forderungen nach einer gesetzlichen Krankenversicherung für alle und kostenlosen Unis gewesen. Eventuell hätte Trump, der wenig Wert auf logische Konsistenz legt, auch versucht seinen eher zurückhaltenden Ansatz in internationalen Beziehungen zu thematisieren, aber das hätte angesichts von Trumps eigener gleichlautender Kritik wohl eher von Surrogaten kommen müssen und wäre kein Hauptbestandteil des Wahlkampfs gewesen (sehr wohl aber gegen jeden anderen republikanischen Kandidaten).

Unter diesen Vorzeichen wären beide Kandidaten in den Sommerwahlkampf gezogen. Trump hätte seine Normalisierung wie in OTL und damit einen Aufschwung in den Vorwahlen genossen. Sanders hätte den convention bump Clintons nicht gehabt, aber dank seiner höheren favorability-Werte eventuell auch nicht so viel aufholen müssen, so dass man hier wohlgehend von einem halbwegs ähnlichen Zustand ausgehen kann. Ich werde im Folgenden auch annehmen, dass sämtliche Enthüllungen Trumps wie in OTL stattfinden.

Wir haben damit einen wesentlich ausgeglicheneren Sommer, weil Sanders niemals eine Gold-Star-Familie auf dem Parteitag präsentiert hätte, sondern eher ausgebeutete Trump-Bauarbeiter, eventuell sogar illegale. Trumps Absturz wäre daher nicht so heftig gewesen, die Umfragen enger beieinander. Das ist im Übrigen ein Schema, das ich für den gesamten Wahlkampf sehe. Ohne den krassen Gegensatz zwischen der femininen Verkörperung des liberalen Siegs in den culture wars und - in den Worten Nigel Farages - dem dominierenden Silberrückengorilla-Alphamännchen sehe ich die krassen Vorsprünge, die Clinton nun schon zweimal herausgearbeitet hat, nicht.

Bernie Sanders' Kernbotschaft von grundlegenden ökonomischen Problemen - Stichwort Ungleichheit - und sein Mantra von der politischen Revolution sind beileibe nicht so griffig wie Clintons Wahlkampf gegen die Person Donald Trump. Neben dem Konflikt mit dem DNC sehe ich hier die zweite große Schwäche Sanders' gegenüber Clinton: seine Schwäche in den Vorwahlen bei schwarzen und lateinamerikanischen Wählern lässt darauf schließen, dass er keine besonders gute Figur gegen Trumps offenen Nativismus und Rassismus machen würde. Aus den Vorwahlen ist darauf zu schließen, dass er alle entsprechenden Trump-Statements in sein eigenes Narrativ von ökonomischer Ungleichheit einzubinden versuchen würde - eine Strategie, die bereits in den Vorwahlen nur sehr bedingt funktionierte.

Noch problematischer ist der Aspekt, der Trump nun wohl jede Chance im Wahlkampf kostet: der offene Sexismus und seine Geschichte mit sexueller Belästigung und Vergewaltigung. Sanders ist ein deutlich schlechterer Botschafter für diese Themen, schon alleine, weil er ein Mann ist. Trumps Ausbrüche gegenüber Clintons Vorwürfe, während sie schweigend daneben steht, funktionieren so viel besser weil sie eine Frau ist. Darüber hinaus ist dies für Sanders aber erkennbar auch kein großes Thema - erneut, die culture wars sind seine Sache nicht. Martin O'Malley würde hier vermutlich besser dastehen als Sanders.

Das bedeutet, dass Sanders in den beiden Gruppen, die für Clinton gerade die größten Wählerblocks darstellen - Frauen, vor allem die eigentlich den Republicans zuneigenden weißen Vorstadtbewohnerinnen, Latinos und Schwarze - schwächeln würde. Die Gruppe der Frauen würde sich vermutlich rund 50:50 aufspalten, während die Latinos eher in Mitt-Romney- oder Bush-Proportionen als in dem krass einseitigen Verhältnis wie in OTL für die Democrats stimmen würden. Zudem könnte Sanders mit deutlich weniger Unterstützern durch prominente Republicans rechnen. Diese Gruppe ist zahlenmäßig nicht besonders groß und wird für kaum mehr als einen sehr niedrigen einstelligen Prozentwert der Stimmen aufkommen, aber diese würden entweder bei Trump bleiben und damit auch seine furchtbare Position beim RNC stärken (wo zudem weniger Sexismus-Skandale den Laden zusammenhalten) oder auf Drittkandidaten wie Johnson oder McMullin ausweichen, was in einigen Staaten Probleme bereiten könnte. Ralph Nader lässt grüßen.

Sanders hat aber natürlich auch Stärken. So dürfte er bei den traditionellen Wählern der Arbeiterschicht deutlich besser ankommen als Clinton. Das würde zwar immer noch nicht reichen, um West Virginia ins Spiel zu bringen, könnte aber die Battlegrounds von Virginia und North Carolina in den Mittleren Westen verlagern und Ohio sichern. Sein größter Vorteil aber besteht natürlich aus seiner Kerngruppe, den Millenials, die ihn bereits in den Vorwahlen so nah an Clinton heranbrachten und mit denen sie immer noch ihre liebe Not hat. In gewisser Weise würden sich Sanders' Problem mit den Schwarzen und Clintons Problem mit den Millenials genau umdrehen, also begeisterte Millenial-Unterstützung und nur lauwarmer support bei den Schwarzen. Da die Afro-Amerikaner aber zuverlässiger zur Wahl gehen als die Millenials, dürfte das in einem Netto-Gewinn für Sanders enden, während er bei den Latinos und den Frauen in diesem Szenario Verluste einfährt.

Für die Wahl bedeutet das, dass Trump eine deutliche Entlastung an der culture-wars-Front erhält und dafür mit deutlich mehr Druck bei seinen Steuern, der Trump Foundation und Trump University sowie bei seinen Plänen für einen Ersatz von Obamacare rechnen müsste. In anderen Worten, es wäre ein Wahlkampf entlang deutlich klassischerer Linien, mit einem Umverteilungskandidaten bei den Democrats und einem Trickle-Down-Apologeten auf der Rechten. Und genau das ist ein Problem.

Trump war immer am stärksten, wenn er normalisiert wurde. Seine Stärke im Frühsommer und im September beruhte darauf, dass sich die gesamte republikanische Partei in der Hoffnung hinter ihn stellen würde, dass er letztlich zwar dumme Sachen sagen, aber ansonsten das traditionelle politische Programm der Republicans absegnen würde. Viele republikanische Politiker wie etwa Paul Ryan sprachen diese Hoffnung bei ihren endorsements explizit aus. Ohne die meltdowns Trumps über Gold-Star-Familien, Alicia Machado und Billy Bush gibt es für die meisten Republicans kaum einen Grund, ihn zu verraten, und für die wenigen #NeverTrump-Leute gibt es ohne Clintons außenpolitische Schärfe und bekannten moderaten Instikt nur wenig Grund, einem Democrat zu helfen. Dazu kommt, dass Sanders' Hauptangriffspunkte gegen Trump wesentlich abstrakter sind als die Clintons. Sexuelle Belästigung ist wesentlich leichter zu fassen als die Winkelzüge im Bundessteuergesetz, die Trump ausnutzte, und die Frage nach seinen Fähigkeiten als Geschäftsmann. Clinton verfolgt diese Linie nicht ohne Grund kaum.

Ich gehe davon aus, dass die Hoffnung vieler Bernie-Anhänger, ihr Kandidat würde deutlich besser als Clinton abschneiden, eine Schimäre ist. Elizabeth Warren - vielleicht, aber vieles des hier Gesagten gilt auch für sie. Stattdessen denke ich, dass Sanders größere Probleme als Clinton gegen Trump hätte. Ein Absturz wie Clinton ihn wegen ihrer Emails im September erlitt ist auch für ihn anzunehmen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass sich irgendetwas skandalträchtiges in seiner Vergangenheit oder in seinen Positionen findet, ohne dass er eine plausible Chance hätte, dies wie Clinton durch krasse Trump-Skandale wieder aufzuholen. Zudem könnte er nicht auf eine hoch effiziente Wahlkampforganisation zurückgreifen und hätte im Extremfall sogar mit öffentlichen Absetzbewegungen prominenter Democrats zu kämpfen, was ich aber für wenig wahrscheinlich halte.

Wenn Sanders die Wahl gewänne, dann ultraknapp. Wahrscheinlicher ist aber ein ebenso knapper Verlust. Die hohe Polarisierung macht eine krasse Niederlage mit unter 250 Elektorenstimmen dagegen sehr unwahrscheinlich.

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