Donnerstag, 22. März 2018

Von Hunden und Pfeifen

Es gibt manche Begriffe im Englischen, für die es einfach keinen eingebürgerten deutschen Begriff gibt. "Dogwhistling" ist so einer. Zwar kennen wir auch die Hundepfeife, aber im politischen Diskurs hat sie, außer vielleicht in Diskussionen über Hundesteuer-Verrechnungen, bisher keinen Eingang gefunden. Der Begriff bezeichnet das Verstecken rassistischer Rhetorik unter scheinbar unverbundener, eher abstrakter Rhetorik. Lee Atwater, einer der Strategen hinter der Strategie der Republicans, die Wähler der Südstaaten zu gewinnen, erklärte das Prinzip 1981 so:
You start out in 1954 by saying, “Nigger, nigger, nigger.” By 1968 you can’t say “nigger” — that hurts you. Backfires. So you say stuff like forced busing, states’ rights and all that stuff. You’re getting so abstract now [that] you’re talking about cutting taxes, and all these things you’re talking about are totally economic things and a byproduct of them is [that] blacks get hurt worse than whites. And subconsciously maybe that is part of it. I’m not saying that. But I’m saying that if it is getting that abstract, and that coded, that we are doing away with the racial problem one way or the other. You follow me — because obviously sitting around saying, “We want to cut this,” is much more abstract than even the busing thing, and a hell of a lot more abstract than “Nigger, nigger.”
Besonders Linke sind immer wieder erstaunt, dass diese Strategie so gut funktioniert. Gerne schiebt man das dann auf die mangelnde politische Bildung abgehängter Bevölkerungsgruppen, die dann "gegen ihre Interessen" wählen, was ja ein Dauerschlager in diesen Kreisen ist. Aber die Effizienz dieser Strategie fußt weniger auf dem Unverständnis der unteren Schichten als vielmehr in der willful ignorance der Eliten.

Ich habe das Phänomen bereits in meinem Artikel zur Polarisierung durch die klassischen Medien anzusprechen versucht, aber nicht den richtigen Ansatz gefunden. Vor ein paar Tagen stolperte ich dann über ein Zitat von einer Rede Victor Orbans (oder, präziser gesagt, über seine englische Übersetzung, ich kann kein Ungarisch):
We are fighting an enemy that is different from us. Not open, but hiding; not straightforward but crafty; not honest but base; does not believe in working but speculates with money; does not have its own homeland but feels it owns the whole world.
In rechten Kreisen scheint man sich mittlerweile ziemlich sicher zu sein, dass antisemitische Hetze kurz vor Stürmer-Niveau kein Ausschlussgrund aus der Fraktion der Christkonservativen im Europaparlament mehr darstellt. Orban nutzt hier schon ein veritables Hunde-Megafon, keine Hundepfeife mehr. So schien es mir zumindest. Ich habe das Zitat dann auch in meine Abiklasse mitgebracht. Wir haben schon öfter im Unterricht über Ungarn geredet, und letztes Jahr waren Judenverfolgung und Holocaust dran. Für mich war das ein netter Aufhänger um über modernen Antisemitismus zu sprechen. Meine ironische Frage aber, was die Schüler denn glaubten, von dem die Rede sei, brachte nicht das erwartete Ergebnis. Der erste Verdacht waren Flüchtlinge, weil sich gegen die ja gerade Rassismus jeglicher Spielart richtet. Der zweite Verdacht waren dann Sinti und Roma, weil wir über deren Verfolgung im Unterricht sprachen. Als ich es aufklärte waren die Schüler völlig ungläubig: es wollte nicht in ihre Köpfe, dass jemand im Jahr 2018 so etwas sagen würde, und sie versicherten sich mehrfach, dass ich das Zitat nicht erfunden hatte.

Heute stolperte ich dann über eine Rede, in der Trump über die mehrheitlich Weiße betreffende Opioid-Krise sprach und sie auf "immigrants and inner cities" schob. Auch das ist ein wenig subtiles dogwhistling; "immigrants" sind ohnehin ein Standardobjekt seiner Rede, aber "inner cities" ist spätestens seit Nixon eine rechte dogwhistle für Schwarze (die dem Klischee zufolge die heruntergekommenen und kriminellen Innenstädte bewohnen, was zwar empirisch längst widerlegt ist, sich aber hartnäckig hält). Auch die CSU bedient sich natürlich solcher Hundepfeifen (bloß keine Anglizismen im Heimatministerium!), wenn sie den Begriff der "Heimat" zu pachten und gegen ihre politischen Gegner in Stellung zu bringen versucht. Denn selbstverständlich ist diese Heimat, die Seehofer schützen zu müssen glaubt, konservativ, christlich, ländlich und weiß. In Interviews hat er nun auch mehrfach ausgeschlossen, dass Muslime in diesen Begriff hineinzählen könnten. Ein anderes Beispiel ist das ständige Rekurrieren auf "Familie", dessen sich Konservative von Jens Spahn bis Mike Pence bedienen, um ihrer Abneigung gegen Homosexuelle und emanzipierten Frauen Ausdruck zu verleihen, ohne das so offen zu sagen.

Diese dogwhistles sind deshalb so effektiv, weil viele Menschen schlichtweg nicht bereit sind zu glauben, dass hinter den rhetorischen Mechanismen tatsächlich genau diese Ressentiments begraben (oder notdürftig überdeckt) liegen, die tatsächlich das Fundament bilden. Stattdessen rutschen sie in eine reflexhafte Abwehrhaltung gegen diejenigen, die den Sachverhalt benennen. Daher kommen dann die "erhobenen Zeigefinger" und "Moral", die Bitte, man möge Leute doch nicht "in die rechte Ecke stellen" und den relativierenden Verweis, dass die andere Seite bestimmt auch schlimme Dinge tut (notfalls de Zeigefinger moralisierend heben, das ist ein Dauerschlager). Auf diese Weise verschiebt sich der Diskurs nach rechts: die schiere Existenz wird geleugnet, sie wird relativiert und normalisiert. Die Furcht der Leitmedien, Stellung zu beziehen, sorgt dafür dass plötzlich ernsthaft Fragen debattiert werden, die kurz zuvor in höflicher Gesellschaft aufzuwerfen noch unmöglich gewesen wäre. Es steht zu befürchten, dass wenn Horst Seehofer anfinge den Holocaust zu relativieren, eine ernsthafte Debatte darüber in Gang gesetzt würde, mit Pro und Contra, und am Ende verschwindet alles in einer undurchschaubaren Soße, in der halt jeder glaubt, was er glauben möchte - und wieder sind zivilisatorische Tabus gefallen.

Es ist daher notwendig, sich klar gegen dogwhistles zu positionieren und diese zu benennen. Andernfalls verroht unser Diskurs, ironischerweise vorangetrieben hauptsächlich von denen, die sich sonst als seine Hüter aufschwingen, der bürgerlichen Presse. Vor allem die FAZ hat sich hier in letzter Zeit unrühmlich hervorgetan. Auf der anderen Seite haben die Kritiker natürlich Recht wenn sie zu bedenken geben, dass derartige Tabus ebenfalls problematisch sein können. Es braucht eine Balance, aber die findet sich aktuell nicht mehr.

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