In seinem Video "Das Geschäft mit den Sanifair-Gutscheinen" kritisiert Rayk Anders die Privatisierung der deutschen Tankraststätten 1998, weil diese dazu geführt haben, dass die Toilettengänge 50 bis 70 Cent kosten, die dann auf einem Gutschein in einem der teilnehmenden Geschäfte beim Einkauf eingelöst werden können. Anders beklagt, dass ein öffentliches Gut wie eine Toilette so von ruchlosen Investoren vermarktet wird und ein körperliches Grundbedürfnis Geld kostet, und dass die Toilettengutscheine einen Anreiz bieten, etwas Überteuertes an den Raststätten zu kaufen, das man eigentlich gar nicht braucht. Inzwischen ist Sanifair auch in Einkaufszentren eingeführt, wo nur wenige der Geschäfte Kooperationspartner sind. Für Rayk Anders ist damit klar: Sanifair ist ein Sinnbild des Privatisierungswahnsinns, ein klares Beispiel für den Irrweg, den diese Form geht.
Ich bin da anderer Meinung. Für mich ist Sanifair eher ein Beispiel dafür, was mit einer Investitonsstrategie an sinnvollen Ergebnissen erzielt werden kann. Bevor Sanifair seine Bezahlschranken (im wörtlichen Sinne) und Gutscheine einführte, waren öffentliche Toiletten an Rastplätzen Dreckslöcher, in denen man wirklich nur im äußersten Notfall sein Geschäft verrichten wollte. Die Dinger, die man manchmal an Autobahnparkplätzen noch findet, sind Mahnmale dieser Zeit. Wenn Sanifair eine Toilette übernimmt, habe ich eine Garantie dass sie ordentlich gereinigt und hygienisch ist und ohne schlechtes Gewissen induzierende Klomenschen mit einem Teller Kleingeld auskommt. Kurzum: eine Sanifair-Toilette garantiert mir, dass ich mich auf das Kerngeschäft beschränken kann, ohne Angst vor Ekelanfällen oder den peinlichen fest an die nächste Wand gerichteten Blick, um ja nicht auf den Teller zu schauen.
Kommt es zu den Gutscheinen, von denen Anders in breiter Entrüstung erklärt, dass die Kunden damit angeleitet werden, in den Raststätten teure Waren zu kaufen, kann man kaum anders als zu sagen: No shit, Sherlock! In der Welt gibt es nichts umsonst. Vor der Privatisierung der Raststätten 1998 zahlte ich die Toilettenreinigung mit meinen Steuern, jetzt zahlen sie effektiv die Kunden und die teilnehmenden Betriebe. Ich finde das Prinzip super fair. Die jeweiligen Läden wollen die Infrastruktur zur Verfügung stellen, also bezahlen sie sie effektiv anteilig (je nachdem wo viel eingekauft wird werden auch viele Sanifair-Gutscheine eingelöst), und wer nichts kaufen will, bezahlt den Toilettengang selbst. Klar sind die Sachen in Raststätten teurer, sonst würden die ja kein Geschäft machen. Angebot und Nachfrage, und so.
Dass die Hälfte (oder sogar mehr) der Sanifair-Gutscheine nicht eingelöst werden, ist für mich daher kein Skandal, sondern eher ein Zeichen für gutes Verständnis der Kunden. Sie lassen sich eben nicht ködern irgendwelchen teuren Scheiß zu kaufen den sie nicht brauchen, sondern zahlen halt 70 Cent für die Toilette und gut. Und das ist in Ordnung. Ich sehe nicht, wo ich ein Grundrecht auf saubere öffentliche Toiletten ohne jede Gegenleistung haben sollte. Entweder das macht der Staat (und angesichts der dreckigen Toiletten an Autobahnen sehe ich den Performance-Mehrgewinn keinesfalls) oder irgendein Unternehmen. Ersteren finanziere ich über Steuern, und letztere machen das für den Gewinn. So oder so muss ich für eine saubere Toilette zahlen.
Das von Anders angesprochene Problem, dass in den Einkaufscentern nur wenige Geschäfte Sanifair-Gutscheine einlösen, ist eines, das der Betreiber lösen muss. Das System funktioniert nur richtig, wenn ich in jedem Geschäft den Gutschein einlösen kann. Mir ist nicht ganz klar, warum die Geschäfte, die in diesen Zentren teilnehmen, den Trittbrettfahrern ihr Vorgehen ermöglichen. Vermutlich rechnen sie mit genügend Mehrumsatz. Das ist eben Marktwirtschaft. Entweder Sanifair funktioniert abseits der Autobahnen, oder es wird auf diese beschränkt bleiben. Ich persönlich bin froh, wo ich über ein funktionierendes, von ordentlichen Angestellten unterhaltenes System auf die Toilette gehen kann und nicht darauf angewiesen bin, dass irgendwelche ausgebeuteten Niedriglöhner mit traurigem Blick von Spenden lebend die Dinger sauber halten. Go Capitalism!
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