Samstag, 30. Juni 2018

Die Jugend von heute mag Zölle, die CSU startet eine linke Sammlungsbewegung und in der Krise der Männlichkeit sollte man Lehrer feuern -Vermischtes 30.06.2018

Die Serie "Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Bayern lehnen mehrheitlich Söders Politik ab - nur 40% für die CSU
Nur 38 Prozent der Bayern sind mit der bisherigen Arbeit Söders zufrieden, 56 Prozent dagegen „weniger zufrieden oder unzufrieden“. Das Urteil über Söder fällt fast so schlecht aus wie das über Söders Vorgänger Horst Seehofer kurz vor seiner Ablösung im Dezember 2017. Mehrheitlich zufrieden mit Söder sind nur die Anhänger der CSU (56 Prozent) und der AfD (67 Prozent). Mit Merkels Arbeit sind 43 Prozent der Bayern zufrieden – sie erhält damit fünf Prozentpunkte mehr als Söder. Selbst unter den CSU-Anhängern schneidet Merkel mit 61 Prozent um fünf Prozentpunkte besser ab als Söder. Die Abneigung der bayerischen AfD-Anhänger gegen die Kanzlerin ist dagegen deutlich: 99 Prozent sehen sie kritisch. Horst Seehofer schneidet im Urteil der Bayern genauso schlecht ab wie sein ungeliebter Nachfolger Söder. Nur 37 Prozent der Bürger im Freistaat bewerten seine Arbeit positiv, 61 Prozent aber negativ. [...] Seehofer betrachtet die „Lösung der Flüchtlingsfrage“ als seine Hauptaufgabe in der Bundesregierung – 75 Prozent der Bayern sind allerdings der Auffassung, dass es Probleme gibt, „die genauso wichtig oder sogar noch wichtiger sind“. Das glauben sogar auch zwei Drittel der CSU-Anhänger (66 Prozent). Nur von den AfD-Anhängern sind 72 Prozent davon überzeugt, dass es zurzeit keine wichtigeren Themen gibt als die Flüchtlingspolitik. Bei einer Bundestagswahl käme die CSU in Bayern derzeit nur noch auf 36 Prozent, das sind 2,8 Prozentpunkte weniger als bei der Wahl im September 2017. Bei der Landtagswahl würde sie mit 40 Prozent besser abschneiden als im Bund, wäre aber mit 7,7 Prozentpunkten weniger als bei der letzten Wahl 2013 weit von der angestrebten absoluten Mehrheit entfernt. Mittlerweile trauen 35 Prozent der Deutschen weder Merkel noch Seehofer eine nachhaltige Lösung der Flüchtlingspolitik zu. Den zuständigen Minister Seehofer halten nur 25 Prozent der Befragten für fähig, von Merkel denken das immerhin 40 Prozent. Dabei kann sich die Kanzlerin auf die CDU-Anhänger stützen (72 Prozent), während Seehofer sogar von der eigenen Wählerschaft das Vertrauen verweigert wird: Nur 34 Prozent der CSU-Anhänger glauben, er könne die Flüchtlingsfrage lösen. Der Streit zwischen CDU und CSU wirkst sich natürlich auch auf die politische Stimmung aus. Wenn in dieser Woche Bundestagswahl wäre, würden die Deutschen zu 30 Prozent die Union wählen. Das entspricht dem Wert der vergangenen Woche und ist der niedrigste Wert seit der Bundestagswahl im September 2017. (Die Welt)
Das lohnt sich ja richtig für die CSU. Nicht nur bringen sie elementare Teile der eigenen Wählerschaft gegen sich auf, sie erreichen natürlich auch nicht ihr Ziel, die AfD zu reduzieren. Man merkt auch deutlich, wie sich alles immer mehr auf Merkel konzentriert. Pech für die CSU ist nur, dass sie mehrheitlich immer noch hohe Beliebtheitswerte hat, auch innerhalb der CSU selbst. Alle Hater versammeln sich in der AfD. Man hat fast das Gefühl, der Hass auf Merkel ist das größte verbindende Element in dem Laden. Viel besorgniserregender als das Schicksal der CSU aber ist für mich, wie die bayrischen Papiertiger das ganze Land mit ihren Eskapaden herunterziehen. Denn außer Spesen ist ja, wie die Zahlen oben zeigen, noch mehr gewesen: Das permanente Agitieren von Seehofer und Söder, ihr beständiges Zündeln am rechten Rand, sorgt dafür, dass sich bei 65% der Bevölkerung das Gefühl breit gemacht hat, die Politik könne die Krise (die, wie das letzte Vermischte gezeigt hat, ohnehin eingebildet ist) nicht lösen. Dieses Gefühl ist hochgradig gefährlich, und dafür haben wir diesen beiden Macho-Idioten zu danken.

2) Warum wir eine neue Sammlungsbewegung brauchen
Die liberale Demokratie befindet sich in einer tiefen Krise. Äußeres Zeichen sind die Wahlsiege rechtsnationaler, offen illiberaler Kräfte – von Donald Trump über Victor Orbán bis zu Matteo Salvini. Auch in Deutschland taumeln die ehemaligen Volksparteien von einer Wahlniederlage zur nächsten und erreichen gemeinsam gerade noch ein gutes Drittel aller Wahlberechtigten. Die Ursache solcher Verschiebungen in der politischen Tektonik liegt auf der Hand: Es ist die Enttäuschung, Verärgerung, ja aufgestaute Wut erheblicher Teile der Bevölkerung über politische Entscheidungsträger, die seit vielen Jahren nicht mehr für sich in Anspruch nehmen können, im Auftrag oder auch nur im Interesse der Mehrheit zu handeln. [...] Und sie alle haben diesem Uralt-Liberalismus, der aus der Zeit vor der Entstehung moderner Sozialstaaten stammt, die glitzernde Hülle linksliberaler Werte übergestreift, um ihm ein Image von Modernität, ja moralischer Integrität zu geben. Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz sind das Wohlfühl-Label, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten. Und es widerspricht sich ja nicht: Ehe für alle und sozialer Aufstieg für wenige, Frauenquote in Aufsichtsräten und Niedriglöhne dort, wo vor allem Frauen arbeiten, staatlich bezahlte Antidiskriminierungsbeauftragte und staatlich verursachte Zunahme von Kinderarmut in Einwandererfamilien. [...] Auch die Aggressivität, mit der progressive liberale Werte heute wieder in Teilen der Gesellschaft abgelehnt werden, dürfte ihren wichtigsten Grund darin haben, dass die Betroffenen diese Werte schlicht als Teil eines politischen Pakets empfinden, dessen wirtschaftsliberale Komponente ihren Lebensstandard bedroht. Für sie sind Minderheitenrechte und Antidiskriminierungspolitik heuchlerische Facetten eines politischen Programms, das sich als edel, hilfreich, solidarisch und gut inszeniert, obschon seine Protagonisten ihrem Wunsch nach einem Leben in bescheidenem, halbwegs gesichertem Wohlstand seit jeher mit völliger Gleichgültigkeit, ja Verachtung begegnen. (Welt)
Der neue Kurs von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine fußt auf einem Problem, das die Linke seit geraumer Zeit hat und das Streits innerhalb der Bewegung seit Längerem bestimmt: Wie kann man in einer Zeit steigender Ungleichheit dafür sorgen, dass die Wähler sich an linke Parteien wenden statt Rechtspopulisten zu wählen? Ob Bernie Sanders die Arbeiter des Rust Belt zurückgewinnen will, Jeremy Corbyn die aus Manchester oder die LINKE die aus Eisenhüttenstadt oder Freital - sie alle haben das Problem, dass die Mitte-Links-Parteien diese Wählerschichten verloren haben. Manche, wie die Democrats, versuchen dies anderweitig zu kompensieren (etwa über multikulturelle, progressive Wähkerkoalitionen), andere glitten über Jahre durch den Niedergang (Parti Socialiste, SPÖ, SPD, etc.). Die Idee ist es, so scheint es mir, die Strategie der Mitte-Links-Parteien als eine Art Sklavendienst an der Elite abzulehnen und somit an die typische Anti-"Political Correctness"-Rhetorik der Rechten anzudocken und gleichzeitig den wirtschaftlichen Populismus der Rechten (Sozialstaat für Weiße) durch klassischen linken Wirtschaftspopulismus (Umverteilung von oben nach unten) zu ersetzen und so praktisch eine Synthese zu erschaffen: eine sozial konservativere Politik und dafür eine wirtschaftlich progressivere. Ich glaube nicht, dass das sonderlich Erfolg versprechend ist (wenngleich besser als das, was die kontintentaleuropäischen sozialdemokratischen Parteien gerade abziehen). Mein Gefühl ist, dass Lafoknecht, Sanders und Corbyn die Stimmen der Minderheiten als garantiert nehmen und deswegen glauben, deren Anliegen ignorieren zu können und in der Lage zu sein, um ihr klassisches Klientel zu werben. Das kann aber auch nach hinten losgehen.

3) Einmal Skandal und zurück? Rechercheverbund in der Kritik
Am 20. April enthüllte ein „Recherchenetzwerk“ aus Journalisten der „Süddeutschen Zeitung“, des NDR und Radio Bremen schwerwiegende Vorgänge beim BAMF, Außenstelle Bremen, konkret den Verdacht eines „weitreichenden Skandals“ bei der Bearbeitung von Asylanträgen; auch von „Korruption“ und „Asylbetrug“ war die Rede. Die frühere Leiterin, Ulrike B., habe im Zusammenwirken mit drei Rechtsanwälten und einem Dolmetscher etwa 2000 Asylanträge rechtswidrig positiv beschieden. Nur für einen Bruchteil der Fälle (genau 98!) sei die Bremer Außenstelle zuständig gewesen; die große Mehrheit der Fälle stamme aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Ein verdächtigter Anwalt habe dazu sogar Asylbewerber in angemieteten Bussen nach Bremen bringen lassen. Die Frage der Bestechlichkeit stehe im Raum, wenn auch im Moment noch nicht klar sei, ob Frau B. sich habe bezahlen lassen oder nur von Hotel- und Restaurantbesuchen profitiert habe. Die Radionachrichten kündeten den ganzen Tag vom „Korruptionsskandal beim BAMF in Bremen“, am nächsten Tag standen ähnliche Schlagzeilen in vielen Presseorganen auf Seite eins. [...] Über die Identität der schon 2016 versetzten langjährigen Leiterin der BAMF in Bremen konnte sich jeder Internet-Nutzer in kürzester Zeit informieren. Etliche einschlägige „flüchtlingskritische“ Betreiber von Blogs bzw. Accounts auf Facebook und Twitter taten das und veröffentlichten den vollständigen Namen, Bilder und weitere persönliche Daten der Hauptbeschuldigten. Sie schrieben dazu Texte, die diese Beamtin im beleidigenden bis hasserfüllten Duktus geradezu als Inkarnation des Bösen darstellen. Sie sei für horrende Schäden verantwortlich, ausgelöst durch die seit der unrechtmäßigen Anerkennung der Asylbewerber ihnen zugeflossenen Sozialleistungen und Unterkunftskosten. Die darunter von anonymen Lesern hinzugefügten Kommentare übertreffen dies noch. Ich werde solche Quellen nicht verlinken, aber sie sind wohl bezeichnend für ein aus dem Ruder laufendes Netz, wenn eine konkrete Person mit Straftatverdacht konfrontiert wird: Weder die Unschuldsvermutung noch eine auch nur ansatzweise menschliche Regung bleibt dann erhalten. Eine anonyme Masse wird zum Rufmord-Mob, der sich durch die Rechercheergebnisse der seriösen Presse und Sender, die man doch sonst auch gern der Lüge bezichtigt, geradezu ermuntert fühlt. Und Staatssekretär Mayer aus dem Innenministerium macht mit, er spricht bei Anne Will von „hoch kriminellen Mitarbeitern“ des BAMF. Nicht für alles das ist das Recherchenetzwerk verantwortlich, aber in der heutigen Zeit müssen Journalisten wissen, was ihre Berichte über ein Ermittlungsverfahren anrichten können. Umso besser und fundierter muss die Recherche sein. [...] Wels warnt davor, angesichts der Relativierung vieler Vorwürfe jetzt den Schluss zu ziehen, dass an allen Vorwürfen nichts dran sei. Auch der Revisionsbericht sei trotz offenkundiger Mängel nicht zwingend komplett falsch. Christine Adelhardt vom Rechercheverbund, weist darauf hin, dass verschiedene Medien unterschiedlich mit den Vorwürfen umgegangen sind. „Wir haben den monströsen Anfangsverdacht immer kleiner gemacht; bei anderen wurde er zwischendurch immer größer.“ „Bild“ behauptete, es seien zahlreiche Gefährder ins Land gekommen; vermutlich war es kein einziger. Adelhardt widersprach bei „Anne Will“ auch Stefan Mayer (CSU), der von hoch kriminellen Mitarbeitern im BAMF sprach, als sei das eine erwiesene Tatsache. (Übermedien)
So sehr ich die Berichterstattung über den konstruierten Skandal um das Bremer Bamf ablehne, so viele Probleme habe ich mit diesem Artikel. Das fängt schon damit an, dass hier der "Rechercheverbund" in Fragezeichen gepackt wird. Das ist gefährlich, denn damit findet eine Delegitimierung statt. Rechercheverbünde sind aber grundsätzlich absolut kein Problem und ein legitimes Mittel des Journalismus. Es ist anzunehmen, dass Übermedien kein Problem mit dem Rechercheverbund hatte, der die Wikileaks-Materialien von Chelsea Manning oder Edward Snowden untersuchte. Ein anderer Faktor, der mir hier etwas aufstößt: Während das Problem, dass Vorverurteilungen stattfinden und die jeweils unter Verdacht stehenden Funktionsträger natürlich an die Öffentlichkeit gezerrt werden, absolut real ist, lässt es sich leider auch nicht vermeiden. Der Fehler den die den Verbund tragenden Medien hier gemacht haben, und für den sie geradestehen müssen, ist dass sie auf nicht hinreichender Faktenbasis schwere Vorwürfe erhoben haben die sich schnell als haltlos herausstellten. Soweit ich das beurteilen kann war der Treiber hier die Furcht, mit der Story zu spät dran zu sein. Ich würde aber warnen, hier die berechtigte Kritik soweit zu treiben, dass eine generelle Delegitimierung der Medien daraus wird, denn das ist etwas, das nur den Populisten Vorschub leistet. Und gleichzeitig sollten die betroffenen Medien sich an die eigene Nase fassen und ordentlich arbeiten, damit sie nicht ihre Vertrauenswürdigkeit wegwerfen.

4) Was ist bloß mit den Vätern los?
Schröder: Kinderlose Frauen haben die höchste Lebenszufriedenheit, wenn sie circa 40 Stunden arbeiten. Kinderlose Männer müssen dafür etwas länger arbeiten. Aber Sie haben recht. Wenn man sich die deutschen Väter anschaut, ist das schon verstörend, da fragt man sich: Was ist bloß mit denen los?
ZEIT: Sagen Sie es mir.
Schröder: Väter sind am zufriedensten, wenn sie 50 Stunden pro Woche arbeiten. Also richtig lange. Die Lebenszufriedenheit von Müttern hängt dahingegen kaum von ihren Arbeitsstunden ab. [...]
ZEIT: Und die Mütter?
Schröder: Auch bei ihnen steigt die Lebenszufriedenheit mit der Arbeitszeit des Partners. Erst wenn der Mann über 50 Stunden arbeitet, sinkt auch wieder die Lebenszufriedenheit der Mütter. [...]
ZEIT: Das liegt aber quer zur politischen Debatte. Da geht es meist darum, wie Erwerbsarbeit fairer unter den Partnern aufgeteilt und die Doppelbelastung der Mütter reduziert werden könnte.
Schröder: Es gibt tatsächlich die Theorie, dass es Eltern besser geht, wenn sich beide um Kind und Beruf kümmern. Aber die Daten bestätigen dies nicht. Ich habe Eltern untersucht, deren Situation perfekt ist, um sich Hausarbeit und Erwerbsarbeit fair aufzuteilen: sichere Jobs, sehr gute Kinderbetreuung, keine starke Belastung durch Hausarbeit. Aber bei denen sieht man das Muster noch deutlicher. Die Lebenszufriedenheit dieser Mütter sinkt sogar, wenn sie mehr arbeiten, obwohl sie die perfekten Bedingungen dazu haben. Ich finde das wirklich überraschend.
ZEIT: Wie lässt sich das erklären?
Schröder: Am besten passt das Erklärungsmuster der traditionellen Rollentheorie. Die argumentiert, dass die traditionelle Rolle für Männer die des Familienernährers und Vollzeitarbeiters ist. Männer scheinen sich in dieser Rolle am wohlsten zu fühlen. Das heißt aber nicht, dass es direkt die Arbeitsstunden sind, die Männer zufrieden machen. (Zeit)
Die Ergebnisse dieser Studie, von der Schröder hier erzählt, sind absolut erschreckend. Letztendlich sind sie eine flammende Anklage für das typische kleinbürgerliche Familienmodell. Wenn Väter glücklicher werden, je länger sie von zuhause weg sind, und Mütter dieses Gefühl teilen - dann haben wir de facto eine Nation von alleinerziehenden Müttern, nur dass manche davon gelegentlich Hilfe und ein höheres Einkommen haben. Mit dem in Sonntagsreden und Leitartikeln beschworenen Bild von "Familie" hat das aber wenig zu tun. So interessant die Studie auch ist, so vorsichtig muss man sein, denn die Ergebnisse sagen nichts über die Gründe, die sich hinter diesen Antworten verbergen. Ist das Ergebnis Ausdruck einer natürlichen, biologischen Anlage? Ist es Ausdruck gesellschaftlicher Normierungsprozesse? Wollen Männer einfach nur von zuhause weg und die Arbeit stellt eine sozialverträgliche Ausrede dar, oder genießen sie ihre Arbeit? Geht es beiden Seiten nur um das Einkommen, und eine Familie braucht mehr Geld weswegen die gestiegenden Arbeitsleistungen durch bessere Konsummöglichkeiten mehr Zufriedenheit bieten? Über all das schweigt sich die Studie aus. Ironisch ist nur, dass sowohl konservative als auch progressive Debattenteilnehmer sich durch die Zahlen kaum beruhigt fühlen dürften. Denn Väter, die sich soweit wie möglich aus dem Familienleben zurückziehen, passen kaum zur konservativen Idealvorstellung. Und genausowenig sind die realen Präferenzen ein Anzeichen dafür, dass sich die von Progressiven angestrebte Gleichverteilung von Haushalt/Familie und Beruf zwischen den Geschlechtern zeitnah einstellen wird. Vielleicht ist die bürgerliche Familie, die evolutionshistorisch gesehen ja eine brandneue menschliche Erfindung ist, auch eine Sackgasse und wir brauchen eine radikal andere Gesellschaftsform. Wer weiß? Die Studie jedenfalls sollte Anlass geben, in diese Richtung weiter zu forschen und zu fragen.

5) The ignorant do not have a right to an audience
The media are motivated primarily by getting the largest audience possible. This leads to a skewed conception about which controversial perspectives deserve airtime, and what “both sides” of an issue are. How often do you see controversial but well-informed intellectuals like Noam Chomsky and Martha Nussbaum on television? Meanwhile, the former child-star Kirk Cameron appears on television to explain that we should not believe in evolutionary theory unless biologists can produce a “crocoduck” as evidence. No wonder we are experiencing what Marcuse described as “the systematic moronization of children and adults alike by publicity and propaganda.” [...] Donald Trump, first as candidate and now as president, is such a significant news story that responsible journalists must report on him. But this does not mean that he should be allowed to set the terms of the debate. Research shows that repeatedly hearing assertions increases the likelihood of belief — even when the assertions are explicitly identified as false. Consequently, when journalists repeat Trump’s repeated lies, they are actually increasing the probability that people will believe them.Even when journalistic responsibility requires reporting Trump’s views, this does not entail giving all of his spokespeople an audience. MSNBC’s “Morning Joe,” set a good precedent for just access by banning from the show Kellyanne Conway for casually spouting “alternative facts.” [...] What just access means in terms of positive policy is that institutions that are the gatekeepers to the public have a fiduciary responsibility to award access based on the merit of ideas and thinkers. To award space in a campus lecture hall to someone like Peterson who says that feminists “have an unconscious wish for brutal male domination,” or to give time on a television news show to someone like Coulter who asserts that in an ideal world all Americans would convert to Christianity, or to interview a D-list actor like Jenny McCarthy about her view that actual scientists are wrong about the public health benefits of vaccines is not to display admirable intellectual open-mindedness. It is to take a positive stand that these views are within the realm of defensible rational discourse, and that these people are worth taking seriously as thinkers. (New York Times)
Um die Gedanken oben etwas zu ergänzen: Medien wollen Klicks, Auflage oder Einschaltquote, und Berichte über Idioten generieren die doppelt: einmal über die Nachricht selbst, und einmal beim drüber lachen im Follow-Up. Auf diese Art rentiert es sich, aberwitzige Stories zu generieren. Es ist die Smalltalk-Mechanik, über die ich kürzlich schon einmal sprach. Erst brauchst du die Schlagzeile, um mitreden zu können - damit du im Gespräch weißt, welchen totalen Irrsinn irgendein B-Promi wieder produziert hat - und danach kriegst du den Crashkurs, warum das so doof ist, damit du in der In-Group bleibst und informiert drüber lachen kannst. Und das alles für so viele Teilnehmer wie möglich. Seit dem Monopol-Verlust der Öffentlich-Rechtlichen bestimmt diese Mechanik den Medienmarkt. Was übrigens kein Argument für die ÖR ist; ich glaube nicht, dass die Leute früher besser informiert waren als heute, nur weil im Dritten Hannah Arendt interviewt wurde. Ein zweiter wichtiger Aspekt des Arikels: niemand hat ein Recht auf Publikum. Gerade im Zusammenhang mit den Protesten gegen Auftritte rechter Prominenter an US-Unis hört man oft das Argument, das sei eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Das ist es aber nicht, denn keiner hat das Recht, dass man ihm zuhört. Sagen kannst du, was du willst, aber jemanden zwingen, dir ein Forum zu geben, nicht. Deswegen ist diese Konzentration auf die AfD unter dem Banner von Demokratie und Meinungsfreiheit auch Quatsch. Niemand muss Gaulands Vogelschiss ein Forum bieten. Die Verantwortung dafür, wenn dessen geistiger Dreck salonfähig wird und ernsthaft diskutiert wird, liegt schon bei denen, die das machen.

6) Tweet von CNN // Black Lives Matter and the long history of resisting civil rights protestors


Such tepid acceptance of black activism isn't surprising. This country has a history of disapproving of civil rights protests and demonstrations. And perhaps nothing better demonstrates that dynamic than the movement of the 1960s. Today, sit-ins, freedom rides and marches for voting rights are viewed with historical reverence. Schoolchildren across the country memorize Martin Luther King Jr.’s “I Have a Dream” speech. Conservatives invoke the moral authority of the civil rights movement as a model for their own activism. Civil rights workers are viewed as national heroes. But in their day, activists were met with widespread disapproval. A review of polling data from the 1960s paints a picture of an America in which the majority of people felt such protest actions would hurt, not help, African Americans’ fight for equality. [...] Recognizing the deep opposition toward the civil rights movement’s tactics in its day — “the things we think of normal today and not controversial” — may cause people to “think through what their opinions are about things today, and why they have those opinions,” said Charles Cobb, who was a field secretary for the Student Non-Violent Coordinating Committee in the 1960s. [...] In 1961, mobs in Southern cities attacked Freedom Riders, the activists testing the federal ban on bus segregation. Most Americans weren’t on the activists’ side; 61 percent said they disapproved “of what the ‘Freedom Riders’ are doing,” according to a 1961 Gallup Poll. That same poll found that 57 percent of Americans felt the “Freedom buses,” sit-ins at lunch counters and “other demonstrations” by African Americans would hurt their chances of being integrated in the South. Just 28 percent of Americans said these actions would help. [...] Mass demonstrations by blacks were viewed as even less helpful in a Gallup poll taken two years later. These numbers don’t surprise Cobb, the one-time SNCC field secretary: “It pretty much confirms our sense of public opinion, even back then.” Ladner, who worked on the March on Washington, also wasn't shocked by the historical data. “It was going against the grain of tradition,” she said. The very nature of protest is fighting against the norm, Cobb said. “Whether it’s segregated lunch counters or voting rights or whether it’s police violence — that’s what protest does, and it challenges with varying degrees of intensity the status quo.” [...] Even the March on Washington — so revered today — wasn’t welcomed. Just before the 1963 march, Gallup asked a nationally representative sample of adults how they felt about the coming event. Less than a quarter of Americans said they held favorable opinions. (Washington Post)
Der Mechanismus ist immer derselbe. Progressive Aktivisten sind für etwas, die Mehrheitsgesellschaft lehnt es ab, und die Very Serious People runzeln besorgt die Stirn darüber, dass durch den Protest alles noch viel schlimmer werde und man lieber einfach alles in der Hoffnung hinnehmen solle, dass es von allein besser wird. Es wird aber nicht von alleine besser; stattdessen gewöhnen sich alle an den neuen Status Quo, und eine Generation später versteht keiner mehr, wie jemals jemand dagegen sein konnte. Oder würde heute noch jemand in der CDU die erbitterte Kritik daran verteidigen wollen, dass Frauen ein eigenes Konto eröffnen und ohne Erlaubnis des Ehemanns einen Job annehmen können? Würden Konservative heute noch die Einführung der Anti-Babypille verhindern wollen? Die Senkung des Wahlalters auf 18? Den BH als höchsten Ausdruck des gesellschaftlichen Sittenverfalls geißeln? Genauso wird die aggressiv geführte Debatte, ob Transsexuelle auf eine Toilette ihres Geschlechts gehen oder Homosexuelle heiraten dürfen, in zwanzig Jahren nur noch befremdlich wirken. Und all diejenigen, die sich heute darüber beklagen, wie Progressive die natürliche Ordnung ins Wanken bringen wollen, werden so tun, als seien sie schon immer dafür gewesen, so wie sich heute in den USA nur noch MLK-Fans finden.

7) Krise der Männlichkeit
Es geht nicht um die Liebe des Mannes zum ungeborenen oder geborenen Kind, es geht um Macht. Um Bestimmung und die große Schmach, dass Frauen es wagen, das Geschenk des Lebens, das der Mann in sie legte, einfach zu verweigern. Die gefühlte Krise, in der sich die Welt zu befinden scheint, die Auflösung, das Zusammenbrechen der Systeme, die immer vor einer Weiterentwicklung stehen, ist auch eine Krise der Männlichkeit. Bleiben Sie bitte, gehen Sie nicht, lesen Sie weiter. Ich nehme Millionen großartiger Forscher, Wissenschaftler, Feuerwehrmänner, Brüder, Buddys, Väter aus. Es bleiben dennoch viele Männer mit Angst. Vor dem Verlust von Macht und Wichtigkeit, die von allen Seiten bedroht wird. Von der Natur, an deren Raubbau sie beteiligt waren, als CEOs und Politiker, als normale Grummelbürger. Bedroht von fußballspielenden Frauen, Homosexuellen, Ausländern und Robotern, der Angst vor dem Aussterben. Sagen wir kurz: vor der Entwicklung. Was gerade erfolgt, ist ein gnadenloser Backlash der Gewalt. [...] Weltweit nehmen Vergewaltigung, Brutalität und Morde an Frauen und Homosexuellen zu. [...] Im Moment scheint die erfreuliche Entwicklung, Frauen und Homosexuelle als Lebewesen wahrzunehmen, zu stagnieren. Der Krieg gegen die Demokratie ist immer ein Krieg gegen Frauen und Minderheiten. Aber nun kommt die gute Nachricht: Wir sind viele. Viele Männer und Frauen, die sich zur Wehr setzen. Die genug haben von Hass, Diskriminierung und den Zerstörungsversuchen aller humanistischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte. (SpiegelOnline)
Hier, anwesend. Ich sage schon eine Weile, dass wir toxische Männlichkeit genauso ernsthaft diskutieren sollten wie wir das Islamismus, Neonazitum oder Linksterror tun und getan haben. Es ist auch kein Zufall, dass der Überlapp zwischen diesen Gruppen so groß ist. Es passt zu Fundstück 6), und es geht hauptsächlich um das Gefühl, zu einer bedrohten Minderheit zu gehören, die sich gegen einen gefährlichen Wandel zur Wehr setzen muss. Ich weiß das gut, ich war ja selbst mal Maskulist. Aber ich habe festgestellt, dass ich falsch lag. Schaffen andere auch.

8) New study concludes that firing bad teachers and rewarding good ones accomplishes nothing
Long story short, there was no improvement at all in student achievement, despite the fact that funding was far greater than it would be in any real-life reform of this nature. There may have been some other successes in this program, but if the ultimate goal is better students, it was a complete failure. Whatever the answer is, rewarding good teachers and firing bad ones sure doesn’t seem to be it. (Mother Jones)
Die genauen Zahlen und eine graphische Aufbearbeitung finden sich im verlinkten Artikel. Ich lasse das hier hauptsächlich als Kuriosität liegen. Ich sage schon immer, dass "leistungsgerechte Bezahlung" bei Lehrern (und vermutlich fast allen anderen Berufen) Blödsinn ist und nicht funktionieren kann. Man muss sich ja nur bei Managern anschauen, zu welchen Perversionen die falschen Benchmarks führen können (Stichwort Shareholder Values). Gleiches gilt bei Lehrern. Egal welchen Benchmark man vorschlägt, es würde sofort dazu führen, dass sich Leute darauf konzentrieren. Miss die Lehrer an den Noten der Schüler, und es ist völlig klar, was passieren wird. Mach Evaluationen, und die werden gegamet. Und so weiter. Die beste Möglichkeit ist vermutlich die, die wir aktuell haben: Bezahlung nach Seniorität, stabile Jobs, training on the job und Förderung, und die Pfeifen, die übrig bleiben, halt mitschleppen. Alles andere klingt zwar gut, führt aber zu nichts. Und das scheint in praktisch jedem Beruf zu gelten.

9) Donald Trump has raised taxes on the middle class by 250 billion dollars
Last year Donald Trump cut taxes on corporations and the rich by about $2 trillion over the next ten years. But what about us ordinary schmoes? For us he’s levied the following taxes:
  • 25 percent tariff on steel imports
  • 10 percent tariff on aluminum imports
  • 25 percent tariff on $50 billion in imports from China
By my calculation, this comes to about $250 billion over ten years, something that Republicans have grumbled about slightly but done nothing to stop. And make no mistake: this is basically a sales tax that will ultimately be paid by consumers. So there you have it: a $2 trillion cut cut for the rich and a $250 billion tax hike for the middle class—so far. Welcome to the Republican Party’s vision for America. (Mother Jones)
Der Artikel ist natürlich völliger Unfug, Steuern und Zölle sind zwei völlig unterschiedliche Paar Stiefel. Die Botschaft könnte trotzdem im Wahlkampf gut funktionieren. Die USA wurden schließlich darauf gegründet, dass die Leute den Unterschied nicht verstehen (die "Steuern", gegen die Kolonisten damals ins Feld zogen, waren ja auch Zölle). Das ist ein Teich, in dem nicht nur die Republikaner fischen können. Ich befürchte ja nur, dass Kevin Drum das oben stehende völlig ernst meint.

10) Oh, give the kids a break already
The CDC’s latest Youth Risk Behavior Surveillance survey is out, and as you already know, the kids are alright these days. But there’s always something, isn’t there? The Washington Post uses the CDC report as a hook to tell us that risky teen behavior is down across the board except for one thing: they aren’t eating their veggies. Do kids ever get a break from our nation’s news media? Apparently not. The Post kinda sorta plays this for laughs, but they also take it seriously enough to lie with statistics, informing us that since 1999 there’s been a 71 percent increase in the share of kids who don’t eat vegetables. This is technically true, but check out the scales on the Post’s charts. Most of them go from zero to about 40 percent—except for the veggie chart, which goes from zero to 5 percent. I have helpfully redrawn their graphic to put everything on approximately the same scale: The veggie line has barely moved. But I guess that doesn’t make for a very good story. The kids may be alright, but I sure have my doubts about the adults these days. (Mother Jones)
Einer der wirklich sympathischen Charakterzüge an Kevin Drum ist sein Argumentieren für die Jugend von heute, denn da kann ich mich voll anschließen. Das ständige Geseier davon, was an den Jugendlichen heute schlimm ist, ist unerträglich. Die Jugend von heute ist die beste Jugend von heute die wir jemals hatten. Die Kids sind schon fast ZU harmlos. Nur ein Beispiel: ich war die letzten drei Tage mit einer Klasse auf Studienfahrt, die als problematisch galt, weswegen wir strengere Rauch- und Trinkregeln hatten als üblich. Alle Schüler waren immer pünktlich, keiner war betrunken, und die beiden schlimmsten Sachen die wir regeln mussten war sie einmal zu ermahnen bitte auch den Mülleimer im Bad der Jugendherberge zu leeren und die Musik im Bus etwas leiser zu stellen. Und das war die "Problemklasse"; ich war erst vor zwei Monaten mit drei Klassen in Krakau und Auschwitz, und da gab es nicht einmal ein solches Problem. Von daher, liebe Generation 40+: fasst euch bitte an der eigenen Nase, esst euer Gemüse, hört auf Nazis zu wählen und tut ein bisschen mehr für die Umwelt.

11) To end the border crisis for good give Trump his border wall
The Democrats need to accept that they lost the last presidential election for a reason, and that their opponent’s main campaign pledge was to tackle illegal immigration, with a wall at the southern border as the centerpiece. Completely resisting a legitimate agenda based on a clear campaign promise — well, it reminds me of the Republicans with Obamacare. [...] So give him his fucking wall. He won the election. He is owed this. It may never be completed; it may not work, as hoped. But it is now the only way to reassure a critical mass of Americans that mass immigration is under control, and the only way to make any progress under this president. And until the white working and middle classes are reassured, we will get nowhere. [...] The point is that after this crisis, we have to return this debate to the calm and nitty-gritty area of legislative hearings and compromises, rather than the cable news and social media rhetorical screech of the recent past. [...] And this is what Miller and Bannon want. They want to turn the fall elections and the next presidential contest into a polarizing, fearmongering referendum on illegal immigration. They don’t mind the current hysterical atmosphere or the brutality that occasioned it. They relish both because they believe that immigration is the issue of the future, and that, in the end, if passions run high, it will be to their advantage. Looking at the rest of the West right now, I suspect they’re more right than wrong. Which means to say: Don’t give them this issue. Do the work to defuse it. And do it sooner rather than later. (Andrew Sullivan)
Ich habe zwei grundsätzliche Probleme mit Sullivans Argumentation. Das erste spricht er selbst direkt am Anfang an: Die extremistische, rein parteitaktisch motivierte Opposition zu Obamacare. Und zwar aus mehreren Gründen. Einerseits war Obamacare noch im Vorwahlkampf 2008 ein republikanisches Konzept, kein demokratisches. Eine Mauer an der Grenze Mexikos zu bauen dagegen war für normale Republicans noch Anfang 2016 ein undenkbar extremistischer Vorschlag, aber mit Sicherheit nichts, mit was die Democrats etwas zu tun haben.
Doch selbst wenn wir diese parteiideologischen Fragen kurz beiseite lassen: McConnells Strategie funktionierte. Wie können Democrats die Geschehnisse 2008 bis 2010 anschauen und ernsthaft zu dem Schluss kommen, dass Zusammenarbeit mit einer Regierung, die eine Reform aus eigener Kraft verabschieden kann, eine kluge Strategie ist?!
Außerdem: Sein Wahlsieg 2008 gab Obama offensichtlich nicht das gottgegebene Recht auf eine durchgreifende Reform der Krankenversicherung, noch erwuchs ihm aus seiner Wiederwahl 2012 ein Recht auf ein Reformprogramm zur Beseitigung der Ungleichheit im Land, mit dem er Wahlkampf betrieb. Ein Politiker kann durchsetzen, was er durchsetzen kann. Wenn die Republicans zu dämlich sind, mit einer Kontrolle aller drei Säulen des politischen Systems etwas durchsetzen, ist es einen Teufel an den Democrats, ihnen aus dem selbst gegrabenen Sumpf zu helfen. Die Republicans waren 2009 bereit, Millionen Arbeitslose und eine gigantische Wirtschaftskrise in Kauf zu nehmen, nur damit sie nicht Stimmen für Obama gaben. Warum Democrats nun für eine scheiß Mauer die andere Wange hinhalten sollten ist mir völlig unerklärlich.
Andererseits kommt noch hinzu, dass Sullivans eigene Begründung irrsinnig ist. Wenn er tatsächlich glaubt, dass McConnell im Geiste der überparteilichen Konsensfindung mit den Democrats an Lösungen arbeiten würde, wenn sie nur Trump seine Mauer gäben, dann hätte ich ein Landhaus in Venedig, das ich ihm gerne verkaufen würde.
Naturally, all this has led to lots of pained disapproval from self-appointed guardians of civility. A Washington Post editorial urged the protesters to think about the precedent they are setting. “How hard is it to imagine, for example, people who strongly believe that abortion is murder deciding that judges or other officials who protect abortion rights should not be able to live peaceably with their families?” it asked. Of course, this is not hard to imagine at all, since abortion opponents have assassinated abortion providers in their homes and churches, firebombed their clinics and protested at their children’s schools. The Roman Catholic Church has shamed politicians who support abortion rights by denying them communion. The failure to acknowledge this history is a sign of the reflexive false balance that makes it hard for the mainstream media to grapple with the asymmetric extremism of the Republican Party. I’m somewhat agnostic on the question of whether publicly rebuking Trump collaborators is tactically smart. It stokes their own sense of victimization, which they feed on. It may alienate some persuadable voters, though this is just a guess. (As we saw in the indignant media reaction to Michelle Wolf’s White House Correspondents’ Association Dinner routine, some pundits project their own concern with Beltway decorum onto swing voters, who generally pay less attention to the news than partisans.) On the other hand, there’s a moral and psychic cost to participating in the fiction that people who work for Trump are in any sense public servants. I don’t blame staff members at the Virginia restaurant, the Red Hen, for not wanting to help Sanders unwind after a hard week of lying to the public about mass child abuse. Particularly when Sanders’s own administration is fighting to let private businesses discriminate against gay people, who, unlike mendacious press secretaries, are a protected class under many civil rights laws. Whether or not you think public shaming should be happening, it’s important to understand why it’s happening. It’s less a result of a breakdown in civility than a breakdown of democracy. Though it’s tiresome to repeat it, Donald Trump eked out his minority victory with help from a hostile foreign power. He has ruled exclusively for his vengeful supporters, who love the way he terrifies, outrages and humiliates their fellow citizens. (New York Times)
Ich würde noch mehr aus diesem Artikel zitieren, aber dann wäre es ein Plagiat, fürchte ich, von daher klickt den Link und lest selbst. Der Punkt aus dem obigen Ausschnitt, den ich hervorheben will, ist die Tatsache, dass zum ersten Mal der Präsident selbst diese Maßnahmen ergreift. Bisher galten für den Umgang mit ihm und seinen Leuten eigene Regeln, das ist durchaus korrekt. Aber wenn die Exekutive mit all den Machtmitteln, die hinter ihr stehen, Politik betreibt wie extreme Aktivisten das normalerweise tun, dann entsteht eine Ungleichheit, die bisher bei den meisten Journalisten irgendwie nicht angekommen zu sein scheint und die andere Formen des Protests und des Aktivismus' erfordert als in einer normalen Demokratie. Ich glaube es ist kein Zufall, dass die linke Basis in den USA sich als "Resistance" bezeichnet, also "Widerstand", und in ihrer ganzen Mentalität eher agiert als wäre sie Ghandi im imperialen Indien als die Tea Party in den USA Barrack Obamas. Ich fürchte, die haben schneller verstanden wie die neue Realität aussieht als viele Beobachter, mich eingeschlossen.

Dienstag, 26. Juni 2018

Superman betreibt Entwicklungshilfe, Gastarbeiter lernen Hashtags und Erdogan löst die Flüchtlingskrise - Vermischtes 26.06.2018

Die Serie "Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Was wirklich gegen Armut und Flucht hilft
Entwicklungshilfe – oder besser Entwicklungszusammenarbeit – findet auf verschiedenen Ebenen statt. Auf der Makro-Ebene geben Regierungen des Nordens Ländern im Süden Budgethilfe. Auf der Meso-Ebene bauen staatliche Entwicklungsorganisationen wie die GIZ über Trainings und Regierungsberatung Wissen und Fähigkeiten auf. Auf der Mikro-Ebene arbeiten Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe direkt mit armen, ausgeschlossenen Menschen, Gruppen und Dorfgemeinschaften. Wir sind soziale Dienstleister, wenn der Staat versagt, und wir fördern politischen Wandel, indem wir Menschen stärken, selbst starke Institutionen in ihrem Land zu erreichen. Erfolg für eine Hilfsorganisation ist in Krisensituation ganz einfach: Leben retten. Jedes Kind, das nicht verhungert, ist ein Erfolg unserer Arbeit. Aber unser Anspruch ist Hilfe zur Selbsthilfe. Hier muss es der Gradmesser des Erfolgs sein, dass sich zum Beispiel die Ernährungssituation verbessert – und das auch so bleibt, wenn wir Helfer uns zurückziehen. Mein Fazit: Die Welt ist nicht gut, aber sie wird besser. Entwicklungshilfe wirkt. Aber nur, wenn sich auch die Rahmenbedingungen ändern. Wir brauchen mehr Fairness: zwischen Nord und Süd im Bereich Handel. Zwischen Stadt und Land bei den Investitionen in ländliche Entwicklung, die von den eigentlich versprochenen "10 Prozent fürs Land" noch weit entfernt sind. Zwischen Alt und Jung durch Jobs für die 20 Millionen jungen Afrikaner, die jährlich auf den Arbeitsmarkt strömen. Und zwischen Mensch und Umwelt, denn wir im Norden tun so, als gäbe es vier Planeten, statt dem einen, auf dem wir alle leben. Die Antwort auf die Fragen nach Korruption, Bevölkerungswachstum und Leid auf der Welt ist immer dieselbe: Entwicklung. Meine Reise nach Zentralafrika endete übrigens mit einer Diskussion mit meinen knapp vierzig Kollegen im Landesbüro, viele aus Zentralafrika, einige aus Europa, West- und Ostafrika. Auf meine Frage, ob unser Ziel "Null Hunger bis 2030, wo immer wir arbeiten", in ihrer Situation nicht naiv und weltfremd wäre, haben sie geantwortet: "Wir schaffen es nicht im ganzen Land. Aber mit etwas Stabilität: Ja, das Ziel können und werden wir erreichen." Wenn meine Kollegen in einem Ort wie Bangui, wo nachts die Kugeln fliegen, daran glauben, dann können wir es auch. (T-Online)
Entwicklungshilfe hat einen schlechten Ruf. Ich denke, sie hat ihn einerseits zurecht und einerseits zu unrecht. Zurecht, weil Entwicklungshilfe über Jahrzehnte vergleichsweise wenig getan hat, um die Dritte Welt auf den Pfad zum Wohlstand zu bringen und weil tatsächlich viel von dem Geld für zweifelhafte Zwecke ausgegeben wurde (vor allem staatliche Entwicklungshilfe, und vor allem früher). Zu unrecht, weil, wie der Artikel zeigt, Menschen in Not konkret geholfen werden kann. Die Debatte über die Frage, ob Entwicklungshilfe geleistet werden sollte oder nicht, ob sie schädlich oder nützlich ist, ist hochaktuell und extrem kontrovers. Ich habe dazu vor allem zwei Bücher gelesen, die ich interessant genug finde, um sie weiterzuempfehlen: Why Nations Fail (Warum Nationen scheitern) und Poor Economics (Für ein neues Verständnis von Armut). Ersteres legt auf der Makroebene ein großes Gewicht auf das Vorhandensein robuster, liberaler Institutionen, zweiteres zeigt auf der Mikroebene, wie Armut psychologisch funktioniert und warum Entwicklungshilfe so oft scheitert. Beide sind ungeheuer spannend, wenn man sich für das Thema interessiert, und sehr zu empfehlen. Ich weiß insgesamt viel zu wenig über das Thema, um zu einem abschließenden Urteil zu kommen. Mein bisheriger Eindruck ist, dass Entwicklungsländer erst dann aus der Armut herauskommen können, wenn sie selbst den Löwenanteil leisten, sprich: wenn sie die Institutionen schaffen, die ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum ermöglichen und die Früchte dieses Wachstums sowohl investieren als auch in Form steigenden Lebensstandards an ihre Bevölkerung weiterreichen. Welcher Weg dazu gegangen wird - Turbokapitalismus nach dem Washington Consensus oder Staatskapitalismus à la Fernost - ist dafür glaube ich eher zweitrangig. Aber erneut, das sind nur grobe Instinkte, keine vorgefertigten Meinungen. Wenn jemand mehr Fachwissen, andere Denkansätze oder weiterführende Links oder Literatur hat, ab in die Kommentarspalte damit!

2) How superman helped defeat the KKK // Tweet von Elana Levin
Having convinced a “Klavern” in Atlanta, Georgia that he shared their bigoted views, Kennedy donned the ominous attire of a Klansman, attended cross burnings, and covertly collected information about the group that he would then share with law enforcement and media. Radio journalist Drew Pearson would read the names and minutes of their meetings on air, exposing their guarded dialogues. [...] Ostensibly aimed at children, Superman’s daily radio dramas were often broadcast to assembled nuclear families; one phone poll showed that 35 percent of its audience was composed of adults. But regardless of whether parents listened, the activist believed the younger demographic was worth attending to. “Even back in the ’40s, they had kids in the Klan, little girls dressed up in Klan robes at the cross burnings," Kennedy said. "I have photos of an infant in a cradle with a complete Klan robe on. It seemed like a good place to do some educating.” [...] As Kennedy continued to serve up Klan secrets to Superman, he watched as Klan morale dipped and membership enrollment ebbed. Desperate, the Klan tried calling for a boycott of Kellogg’s, a new sponsor of the show, but racial intolerance was no match for the appetites of post-World War II homes. Rice Krispies and Corn Flakes remained breakfast table staples, and Superman’s battles with the close-minded continued. Emboldened by his success against the Klan, Superman took aim at Communism, a favorite target of the show’s anti-Red star, Bud Collyer. (Mentalfloss)
Wer ein eingängiges Beispiel dafür braucht, dass "Moralisieren" durchaus helfen kann, Einstellungen zu verändern und dass die Zivilgesellschaft da auf allen Ebenen mithelfen kann - Superman im Kampf gegen Rassismus und Bigotterie mögen dafür genügen und laufen auch wieder in mein generelles Argument, dass Popkultur wesentlich bedeutsamer im Formen der öffentlichen Meinung ist als ihr oftmals zugestanden wird.

3) Was die Hasthags über die Parteien verraten
CSU: #Klartext: Mit großem Abstand am besten aber lässt sich die Diagnose der dritten Regierungspartei anhand der Hashtag-Verwendung erstellen. Für die CSU muss dabei eine alte, wahrscheinlich amerikanische Wendung reanimiert werden, mit der die Deutschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bedacht wurden: "cold hysteria". Kalte Hysterie. Wenn das Wutbrodeln um die erste Hitze reduziert zum Konzept wird. Kalte Hysterie ist Angstbeißen in Nadelstreifen. Die CSU hat auf Twitter ein absolutes Lieblingswort: #Klartext. Es ist der meistverwendete Hashtag, die wortgewordene Welthaltung der CSU: Klartext. In diesem Jahr hat die CSU bereits 70-mal #Klartext getwittert. Man muss dabei berücksichtigen, dass die CSU 2018 rund 230 Tweets veröffentlicht hat, also etwa so viele wie die CDU allein im Juni (Stand: 19. Juni). In rund jedem dritten Tweet der CSU kommt also der Begriff #Klartext vor. Natürlich schreibt die CSU fast ausschließlich im Kontext von Flüchtlingen, Islam und innerer Sicherheit #Klartext. Der Begriff ist der CSU so unendlich wichtig, dass sie manchmal an einem Tag sämtliche Statements der führenden Funktionäre so anpreist: "#Klartext von Seehofer", "#Klartext von Söder", "#Klartext von Scheuer", "#Klartext von Dobrindt". Es ist das populistische Konzept der Pseudoentlarvung in einem Wort, denn wer Klartext ankündigt, erklärt alles andere zum Unklartext, zur Beschönigung, zum lästigen Getue um Details. Was "Man wird doch wohl noch sagen dürfen" für die Generation Sarrazin war, haben die beinahe promovierten Gelfrisuren der Generation Scheuer verdichtet auf den Hashtag #Klartext. (SpOn)
Auch die häufigsten Hashtags von CDU (#merkel) und SPD (#brückenteilzeit) fassen gut Wohl und Wehe der Volksparteien zusammen. Ich meine, dass die CDU #merkel twittert - ok, das machen die seit 2005, und damals gab es nicht mal Twitter. Warum ein Erfolgsrezept auswechseln? Merkel genießt immer noch Zustimmungsraten weit jenseits der 50%, und aktuell fällt ja die moderate Linke beim eifrigen Loben über ihre eigenen Füße. Die taz etwa veröffentlicht gerade ein wohlwollendes Porträt nach dem anderen. Nicht, dass deren Leser deswegen Merkel wählen würden, was mittelfristig das Problem daran ist. CDU-Wähler und FAZ-Leser fanden in den frühen 1980ern auch Helmut Schmidt toll. Über den #klartext der CSU gibt es nicht mehr zu sagen als das, was Sascha Lobo oben erklärt. Aber die #brückenteilzeit der SPD ist mehr als endemisch. Wer glaubt denn, dass #brückenteilzeit zum Meme taugt? Ich habe in dem Artikel wahrscheinlich öfter #brückenteilzeit geschrieben als irgendein Twitter-Account, der nicht von der SPD gemanagt wird. (#brückenteilzeit, nur um sicher zu gehen). Diese Partei ist dermaßen verbohrt in ihrer Überzeugung, sie könnte mit guter policy Wähler gewinnen, und so inkompetent in ihrer Außendarstellung, das ist unglaublich.

4) Im Namen des Vaters
Einen Deutschkurs bekamen die Gastarbeiter tatsächlich auch. Einen, in dem sie lernten, wie die einzelnen Werkzeuge oder Maschinen heißen, mit denen sie arbeiten mussten. Diese können auch heute noch die meisten Gastarbeiter runterrasseln, während der Gang zum Arzt eine sprachliche Katastrophe ist. Aber das Deutsch, das für einen Arztbesuch heute nötig wäre, wurde ihnen leider nie vermittelt. Sie taten also genau das, wofür sie geholt wurden. Niemand verlangte von diesen Menschen, die gerade einmal lesen und schreiben konnten, dass sie Deutsch lernten. Anders als heute verlangte das noch nicht einmal irgendjemand von ihren Familien, die sie nachholten. Denn keine Seite wollte, dass dieses Arrangement von Dauer sein würde. Irgendwann sollte es ein Ende haben. Bei den allermeisten war dieses Ende die Rente. Und bis zu diesem Ende blieb es bei der harten Arbeit. Nebenbei bekam man Kinder, die man in Kindergärten und Schulen schickte, damit sie nicht nur Deutsch lernten, sondern so viel lernen sollten, um es einmal besser zu haben als ihre hart schuftenden Mütter und Väter. Damit sie Stifte halten und nicht, wie die Eltern, Hammer oder Besen. Nicht nur für Deutschland und somit ihren Arbeitgeber, sondern auch für ihre Familien hier und in der Heimat arbeiteten sie hart. Ihr Anspruch war es, selbst für die Bedürfnisse ihrer Familien aufzukommen. Zum Standardrepertoire meines Vaters gehört deshalb auch dieser Satz, wenn man ihn auf seine Arbeit anspricht: „40 Jahre unter Tage – ohne einen Tag krank!“, sagt er ganz stolz. Stolz ist er ebenso, dass er nie auf Sozialleistungen angewiesen war und immer brav seine Steuern gezahlt hat. Ja, und wir Gastarbeiterkinder sind stolz auf die Leistung unserer Väter und Mütter! Wir wissen, was sie für dieses Land und für uns getan haben und höchstens mit ihrem schlechten Deutsch negativ aufgefallen sind. Dank ihnen sind wir heute in der Lage zu verstehen, und aus vielen von uns ist tatsächlich auch etwas geworden – ohne dass wir so hart arbeiten mussten wie sie. Deshalb kränkt es uns, wenn ihnen heute der Vorwurf gemacht wird, sie könnten nach Jahrzehnten immer noch kein richtiges Deutsch. Dieser Vorwurf ist so einseitig wie plump und offenbart nur, dass es Menschen in unserem Land gibt, die auch nach Jahrzehnten so wenig über das Leben der Gastarbeiter wissen. Nett interpretiert, ist das einfach nur traurig. In den Worten des Bundespräsidenten ist es „nicht hinnehmbar“. (FAZ)
Erleuchtend zu hören, wie die Perspektive der Gastarbeiter war. Auch dieses selektive Deutsch-Lernen macht Sinn, also dass man die Worte gelernt hat, die für die Arbeit notwendig waren, nicht die, die für das Leben in der Gesellschaft notwendig Sinn. Solches selektive Lernen sieht man beispielsweise auch in der Schule. Was mir in den letzten Jahren an mir selbst aufgefallen ist ist, dass ich zwar englischsprachige Paper zu den Internationalen Beziehungen lesen und problemlos verstehen kann, aber viele der einfachsten Gemüsesorten nicht benennen kann - Gurken, Radieschen, Blumenkohl, etc. auf Englisch zu benennen, also Sprachfertigkeiten, die für den Alltag notwendig sind (keine Bange, habe sie inzwischen gelernt). Und ich habe einen akademischen Hintergrund und wesentlich mehr Zeit und Ressourcen dafür als ein Gastarbeiter in den 1960er Jahren. Dieses Problem scheint mir von daher schon sehr real. Auch was mehrere dieser Artikel inzwischen angesprochen haben: Die sie aufnehmende Bundesrepublik hatte ja auch keinerlei Interesse daran, diese Leute entsprechend zu bilden und zu integrieren. Deutschkurse für Gastarbeiter gab es kaum, weil es nicht notwendig schien, und ihre Kinder fielen allzuoft durch die weiten Maschen des legendär sozial selektiven dreigliedrigen Schulsystems. Es dauerte bis zum Ende der 1970er Jahre, bis der Ausländerbeauftragte der damaligen SPD-geführten Regierung in seinem ersten offiziellen Bericht das Thema "Integration" zum ersten Mal ansprach, und es dauerte bis zur rot-grünen Regierung unter Schröder/Fischer, bis eine deutsche Regierung überhaupt Konsequenzen daraus zog (auch wenn man gerne darüber streiten kann wie sinnig die waren, Stichwort Visa-Affäre). Aber die Kritik eines Gauck in diesem Zusammenhang ist mehr als wohlfeil.

 5) "I'm seriously fed up making these movies"
The most alarming thing about revisiting “Bowling for Columbine” is how the moments that are stuck in time allow us to trace how much we’ve changed; the film now functions like a sun dial that’s always trending darker. It’s something about Moore’s interview subjects that he didn’t have to seek out or manufacture in the editing room — it’s their distinct sense of surprise. Most of the people he interviews for the movie look into the camera like a deer in headlights, a natural effect that’s augmented by the sense that they’ve never really thought about this stuff before. “Before Columbine,” Moore said, “nobody paid attention to school shootings because they were usually gang-related and white people weren’t dying. The ironic twist is that today, 20 years later, the mass school shootings never occur in our inner cities.” Today — partially due to that inversion, and partially due to the hyper-awareness of social media — all but the most privileged and myopic of white people have to reckon with violence on a daily basis, even if only to disavow it or blame it on the Democrats. “Bowling for Columbine” helped pave the way for the once-private conversations we’re now having in public forums, but those conversations haven’t solved the problem so much as they’ve encouraged us to scream over them. And again, it would seem the film has led us to a dead end. Worse, it’s possible that the attention we pay to school shootings — and the way that something like “Bowling for Columbine” can help to enshrine them in the media — might actually be fueling the fire it’s hoping to put out. As Stanford sociologist Mark Granovetter once argued (and Malcolm Gladwell later popularized in an article for The New Yorker), social behavior is driven by thresholds, and individuals can be persuaded to go against their personal beliefs if other people violate certain boundaries for them (e.g. a law-abiding citizen who doesn’t think themselves a thief might decide to loot a store in the midst of a large enough riot). If, as Gladwell does, you think of the school shooting epidemic as a slow-motion riot, it becomes pretty easy to see a movie about it as an inadvertent way of exciting the mob. If Moore hasn’t made things better, is there a chance that some of his efforts have actively made things worse? (IndieWire)
Michael Moore ruft schon ein bisschen den "Und täglich grüßt das Murmeltier"-Effekt hervor. Amokläufe in Schulen? Bowling for Columbine, 1999, schlimmer als je zuvor. Aggressive und hybristische US-Außenpolitik? Fahrenheit 9/11, 2004, hat sich seither nicht wesentlich gebessert. Der mangelnde Zugang der Unterschicht zu Gesundheitsversorgung? Sicko, 2007, hat sich gebessert und wird von den Republicans mit riesigem Aufwand bekämpft, um auf den Status quo ante (oder schlimmer) zurückzukommen. Eine völlig unterregulierte Finanzindustrie, die obszöne Geldmengen an sich selbst ausschüttet? Capitalism - A love story, 2009, und auch hier arbeiten die Republicans mit Hochdruck daran alle bescheidenen Erfolge Obamas zurückzudrehen. Gleichzeitig fühlt sich Michael Moores Filmographie auch alt an. Vielleicht ist das nur eine Generationenfrage. Ich bin mit dem Zeug aufgewachsen, in meine beginnende Politisierung wirkte das wie eine Injektion von rechtschaffener Empörung und gab einen Strukturrahmen vor. Wenn ich solche Dokus heute schaue habe ich ständig diesen "in Wahrheit ist es komplizierter"-Effekt, verbunden mit einem "Es lässt sich politisch nicht so einfach lösen". Wie viel davon anderthalb Dekaden Lebensalter und wie viel schlichte Wohlstandsdegeneration ausmachen ist mir nicht ganz klar. Aber Moores Ermüdung ist nachvollziehbar, auf mehreren Ebenen.

6) Der Präsident geht in die schwierigste Kurve

In einem normalen Land wäre unter solchen Umständen die Wiederwahl einer Regierung undenkbar. In der Türkei aber, wo Politik über Identitäten geführt wird, hat Erdogan immer noch Chancen. Er übergießt den Populismus mit einer Soße aus Nationalismus und Islamismus, um seine Wählerschaft zu halten. Allerdings weist keine einzige bisher veröffentlichte Umfrage eine absolute Mehrheit für ihn aus, auch wenn es sicher scheint, dass er in der ersten Runde vorn liegen wird. Sollten sich die oppositionellen Kräfte aber vor der nachfolgenden Stichwahl einigen, wäre sein Abschied aus dem Palast keineswegs unmöglich. Weit mehr raubt Erdogan derzeit allerdings die Aussicht, die Mehrheit im Parlament zu verlieren, selbst wenn er sich im Präsidentenpalast behaupten kann, den Schlaf. Es gibt nur eine Möglichkeit, dieses Risiko auszuschließen: die Kurden-Partei HDP an der Zehn-Prozent-Hürde scheitern zu lassen. Damit würden die siebzig Sitze, die die HDP in Aussicht hat, automatisch der AKP zufallen. [...] Um „keinen zweiten 7. Juni“ zu erleben, wies Erdogan anschließend die Mitarbeiter seiner Partei an: „Wenn unsere Wahlhelfer vor allen anderen in die Schulen gehen und wir mit Unterstützung der Beobachter die Mehrheit in den Wahlkommissionen bekommen, dann erledigen wir die Sache gleich zu Beginn in Istanbul.“ Sie haben sich nicht verhört. Der türkische Staatspräsident gibt Anweisungen, die HDP, die er nicht unter die Zehn-Prozent-Hürde drücken kann, mit Machenschaften an der Urne auszuschalten. In einem normalen Land hätte es nach diesen skandalösen Sätzen ein Erdbeben gegeben. Bei uns nicht, das wäre auch gar nicht möglich bei uns. Denn das Video konnte nur über die sozialen Medien verbreitet werden. Außer einigen Websites und kleineren Zeitungen brachte kein Presseorgan eine Meldung dazu. In der Türkei, wo 93 Prozent der Medien vom Palast kontrolliert werden, bekam die Öffentlichkeit auch die Reaktion der HDP, auf die Erdogan es abgesehen hat, nicht mit: „Erdogan ruft offen zu einer Straftat auf. Er plant, mit Betrug und Repression unsere Stimmen zu stehlen, damit die HDP die Zehn-Prozent-Hürde nicht schafft.“ (FAZ)
Ich hoffe niemand geht mehr davon aus, dass die Türkei ein demokratischer Staat wäre. Das Ding ist noch nicht ganz eine Diktatur, aber es ist sehr nah dran. Auf einer Diktaturskala liegt es näher als Ungarn, aber etwas weiter als Putin (wenngleich nicht viel). Im Gegensatz zu Russland ist die Türkei allerdings ein Freundfeind. Freund, weil seine strategische Lage (Stichwort Flüchtlingskrise, Bollwerk gegen isalmistischen Fundamentalismus) und jahrzehntelange NATO-Mitgliedschaft für viele verschränkte Interessen mit dem Westen sorgen, ähnlich wie bei Saudi-Arabien. Und Feind, weil das Land offensichtlich die Werte des Westens nicht nur nicht teilt, sondern aktiv bekämpft, und weil Erdogan die Regierungen der EU-Demokratien aktiv zu unterminieren versucht. Ich kenne mich ehrlich gesagt mit der Außenpolitik der Region nicht so sehr aus, aber die Soll-Seite dieser speziellen Buchung füllt sich rapide, und die Haben-Seite wird immer unleserlicher.

 7) Tweet von Scott Bryan

Das Mittelmeer ist ein riesiges Massengrab. Über 34.000 namentlich bekannte ertrunkene Flüchtlinge, keine Ahnung wie viele, von denen man nichts weiß. Was in dem ganzen irren Gerede über Masseneinwanderung und Umvolkung und AfD-Erfolg gerne vergessen wird ist, dass die Willkommenskultur von 2015 ein reales, wenn durch Köln auch kurzgebliebenes Phänomen war, und dass dieses menschliche Drama der eigentliche Grund dafür war, dass die Stimmung in Deutschland, die jahrelang trotz zahlreicher Berichte dieses Massensterben hingenommen hat, plötzlich gekippt ist. Wer die Erinnerungsauffrischung braucht, klicke hier. Ich halte das nicht lange genug aus, um das Bild einzubinden. Denn ich habe es nicht vergessen.

8) Tweet von Baunerd
Ich will dem eigentlich gar nicht so viel hinzufügen, besser hätte man es nicht sagen können. Vielleicht nur so viel: Betroffene bewusst zu verletzen und in Kauf zu nehmen dass Rassismus gestärkt wird, ist halt scheiße. Und wer sich scheiße benimmt muss damit rechnen, dass man ihn darauf anspricht.

 9) Why are game companies so afraid of the politics in their games?
While games tend to take a broadly progressive view of the world, game company marketing departments understand that explicitly stating hostility toward reactionary positions risks the enmity of right wing media, streamers and online communities. They fear, above all, finding themselves at the center of a Gamergate-like publicity inferno. [...] According to PR sources, the hard costs of media controversy can run into seven figures, as crisis management companies are called in, expensive monitoring software is deployed, and staff are required to respond to social media messages and online message boards. But there are other costs. Investors dislike controversy and are prone to flee. CEOs of game companies that are owned by massive non-gaming corporations are rarely keen to explain negative headlines to their bosses. Staff morale can take a massive hit from waves of internet fury. “Why deal with it?” said a game industry source. “It’s easier just to take the line that the work is open to many interpretations, and that it isn’t taking sides, even when it has something to say.” [...] Christian Miller is a Hawaii-based developer, who released Neofeud, which melds politics and social ideas in a cyberpunk world. He says the way big companies address divisive issues is “a little a silly. It’s like they don’t want to have any opinions about anything, ever. They want to say, ‘we’re just making fun entertainment.’ It’s disingenuous.” “I know that they need to reach a very wide demographic they need to get the lowest common denominator,” Miller added. “But even big movies are able to tackle these issues. The games companies need to move on.” Big budget movies like Black Panther embrace difficult messages in content and in external messaging. If its director Ryan Coogler or publisher Walt Disney Studios had tried to pretend it was just a story about an African king, rather than a reflection of societal and historical wrongs, he would rightly have been mocked. (Polygon)
Ich würde am liebsten noch mehr aus diesem großartigen Artikel zitieren. Die Mechanismen, die hier ablaufen, sind super-spannend. Ein kleiner, aber extrem lauter Mob kann im Endeffekt über gezielte Kampagnen Medienriesen kontrollieren, die, etwa im Fall von Electronic Arts, diverse Filmstudios an purer Größe und Marktmacht in den Schatten stellen. Die Frage ist, warum das so ist. Ein guter Grund liegt in der Jugend des Mediums. Videospiele sind immer noch keine ernstgenommene Kunstform. Die Öffentlichkeit hat praktisch keinerlei Anspruch an die Dinger, und dementsprechend gibt es auch keine Kanäle, über die - analog zur Besprechung von Filmen oder Serien - ernstzunehmende Analysen und Kritiken veröffentlicht werden; die Reviews der Spielemagazine reduzieren sich selbst völlig auf das Konzept der "Spielbarkeit" (das auf Basis seiner eigenen Prämissen auch sehr problematisch ist, nebenbei bemerkt) und meiden diese Kontroversen ebenfalls. Es bräuchte so etwas ein rogerebert.com für Videospiele, aber das fehlt weitgehend. Die WASD hat das auf dem deutschen Markt ein wenig versucht, aber das ist nicht Fisch und nicht Fleisch, fürchte ich. Ein Bekannter äußerte dazu die These, dass der Unterschied zwischen Videospiel und Film und damit dem Umgang mit politischen Inhalten in der Natur des Mediums liegt: Filme sind ein passives Medium, so dass sich solche Inhalte deutlich subtiler und anspruchsvoller verpacken lassen als in dem aktiven Medium des Videospiels, wo die gleichen Ansätze häufig plump wirken. Ich denke da ist etwas dran, aber es entlastet mir die Branche zu sehr von der Verantwortung und geht in den Bereich von "nur ein Spiel". Videospiele müssen anders ihre Leitmotive und Plots rüberbringen, nicht darauf verzichten. Dass die AAA-Firmen glauben, der Höhepunkt des storytelling im Spiel seine Zwischensequenz mit Quick-Time-Event ist das Problem, nicht die Erklärung. Was der Artikel völlig in seiner Prämisse übersieht ist, dass Spielefirmen keineswegs Angst vor politischen Inhalten in ihren Spielen haben; viele right-wing politics sind schon drin. Man denke nur an die "Call of Duty"-Reihe, in der tapfere US-Soldaten gegen Terroristen aus dem Nahen Osten und finstere nordkoreanische und russische Verschwörungen kämpfen. Wer behauptet, das sei apolitisch, hat ein merkwürdiges Verständnis von politischen Inhalten. Tatsächlich nehmen sich Spiele auf den Feldern der Innen- und Gesellschaftspolitik heraus; außenpolitisch ist Politik schon lange ein Teil. Und selbst auf dem gesellschaftspolitischen Feld finden sich, etwa mit Kingdom Come: Deliverance, durchaus Beispiele für explizitere Inhalte, nur eben auf der Rechten. Das Videospielsegment hat als Zielgruppe immer noch männliche Teenager und Tweens, und in solchen Episoden zeigt es sich.

10) Trump's Defenders
These are just ordinary people. But it’s that ordinariness that makes their view noteworthy. They express a common indifference that is justified through an appeal to authority. If that sounds familiar, it’s because the same attitude has marked four years of arguments over violence against black Americans, from Trayvon Martin’s death at the hands of George Zimmerman, to Renisha McBride’s at the hands of Theodore Wafer, to Eric Garner, Michael Brown, Tamir Rice, Walter Scott, Philando Castile, and Alton Sterling—who were each killed by police officers. After each of these deaths, outrage from activists and community members was met by incredulity and hostility from those who believed the killings were justifiable. Some of this came from pundits, like former NYPD detective Harry Houck, who argued on CNN that police “didn’t have a choice” but to shoot Rice on arrival. Or Bob McManus, an opinion writer for the New York Post who blamed both Garner and Brown for their own deaths: “Each broke the law—petty offenses, to be sure, but sufficient to attract the attention of the police. And then—tragically, stupidly, fatally, inexplicably—each fought the law.” Garner, he concluded, “was a victim of himself. It’s just that simple.” But in social media posts, letters to the editor, and occasional interviews, ordinary Americans also expressed similar views, sympathizing with police and sometimes blaming victims. “Why is the press all over the police for just doing their jobs?” read one such letter to the Chicago Tribune, citing the potential danger to officers if they reacted too cautiously. “If you hesitate or make the wrong choice, you are dead.” Some of the rebuttals became common refrains: “He shouldn’t have resisted” or “He should have followed orders,” reflecting the same belief in obedience and authority we see now with the defense of family separation. (Slate)
Jamelle Bouie zielt hier auf einen wichtigen Punkt. Die Fans dieser Politik haben starke autoritäre Tendenzen, Die Idee, dass Schwarze, die von der Polizei ermordet wurden, dies "verdient" hätten, weil sie nicht gehorcht hätten, ist aus zwei Gründen abartig. Zum einen ist es schlichtweg falsch. Es gibt zahllose Beispiele, in denen Polizisten in den USA Schwarze ermorden, die sich nicht auch nur das Geringste haben zu Schulden kommen lassen. Und auf der anderen Seite ist die Idee, dass einem Polizisten zu widersprechen eine Tötung rechtfertigen würde, hoffentlich offensichtlich krankhaft. Diese Leute haben diese Ansicht, weil es sie nicht betrifft. Wenn sie argumentieren, dass die Toten selbst Schuld sind, weil sie "tragically, stupidly, fatally, inexplicably fought the law", sehen sie Schwarze. Ihnen kommt überhaupt nicht in den Sinn, dass es ihnen auch so gehen könnte. Sie gehen direkt davon aus, dass die Macht eines autoritären Staats sie nicht betrifft. Ein Weißer, der auf einem Tea-Party-Protest 2010 einem Polizisten widersprochen hätte und dafür von diesem getötet worden wäre - man kann davon ausgehen, dass in diesem Falle nicht von seiner Dummheit, der Staatsmacht zu widersprechen, gersprochen werden würde. Was diese Leute antreibt ist das Verlangen, Gewalt gegen ihre Gegner einzusetzen. Es ist eine typische Regung. Die meisten Deutschen hatten auch kein Problem damit, wenn die SA-Knüppel Kommunisten trafen und Juden deportiert worden. Das alte Sprichtwort vom "Als sie die Kommunisten holten, habe ich nichts gesagt, denn ich bin ja kein Kommunist" kommt ja nicht von ungefähr. Aber diese Leute können sich gar nicht anders vorstellen als die privilegierte Mehrheit, die Gewalt gegen den Rest über die Stellvertretung durch die Staatsmacht ausübt. Deswegen reagieren sie ja so ungeheuer aggressiv auf den gesellschaftlichen Wandel: sie sehen diese privilegierte Stellung erodieren. Als Reaktion versuchen sie, die Macht umso fester zu greifen und umso aggressiver auszuteilen.

The bureaucratic battles threatened to undermine Mr. Trump as his administration tries to counter a political crisis driven by heartbreaking images and recordings of crying migrant children separated from their parents and sent off to shelters. On Friday, the president was defiant. “We cannot allow our Country to be overrun by illegal immigrants as the Democrats tell their phony stories of sadness and grief,” Mr. Trump said on Twitter. But inside the White House, the arguments echoed the chaos at American airports after Mr. Trump’s ban on travel from predominantly Muslim countries. The ban, issued days after he took office, surprised Border Patrol agents and State Department consular officials. Officials at the southwestern border are struggling to obey Mr. Trump’s demand to prosecute people who illegally enter the United States — ending what the president has reviled as a “catch and release” policy — while also following an executive order he issued Wednesday to keep migrant families together as they are processed in courts. But as with the case of the travel ban, the reality of a vastly complicated bureaucratic system is colliding head-on with Mr. Trump’s shoot-from-the-hip use of executive power. The president’s whiplash-inducing order caught several people by surprise. Just a day before Mr. Trump signed it, one person close to the president said that he told advisers that separating families at the border was the best deterrent to illegal immigration and that he said that “my people love it.” Even on Wednesday, Mr. Trump repeatedly changed his mind about precisely what he wanted to do, and how, until shortly before he signed the order. (New York Times)
"My people love it." Da ist es, von den Lippen des Orangenen höchstpersönlich. Und das ist auch alles, worum es hier geht, und deswegen ist das Chaos auch so übel. Die Trump-Regierung ist in einem konstanten Wahlkampfmodus; effektives Regieren ist Nebensache. Executive Orders werden nicht unterzeichnet, weil man ein spezifisches Ziel erreichen will, sondern weil man Bilder will, die von einer Executive Order ausgelöst wurden. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass Trump offensichtlich davon ausgeht, dass "seine" Leute es lieben, wenn Einwanderern Grausamkeiten zugeführt werden. Und das Schlimme ist: er hat Recht. Denn seine Deplorables lieben die Bilder von weinenden Babys, die ihren Müttern entrissen werden. Für sie ist das genau das, wofür sie ihn gewählt haben. Aber vermutlich ist es unhöflich, das zu sagen, denn es könnten ja die Gefühle der Privilegierten verletzt werden. Und das ist viel, viel wichtiger als der sehr reale Schaden, der Minderheiten und Andersdenkenden zugefügt wird.

12) There is no migration crisis
Most reasonable people agree that these are not humane ways to deal with what these politicians call a “migration emergency.” But too many people take their word that there actually is some sort of a migration emergency. To be clear: There is no immigration crisis in 2018. Not in the United States, not in Europe, not in Canada. “It is not a migration emergency – it’s a political emergency,” William Lacy Swing, the American director-general of the International Organization for Migration, said this week. The IOM’s 8,400 staff monitor the movement of people around the world, and while they’ve identified plenty of challenges, there aren’t any overwhelming or unmanageable movements of people this year. “The overwhelming majority of migration is taking place in a regular, safe and orderly fashion,” he said. [...] The European Union has had a problem with thousands of people crossing the Mediterranean on rafts and fishing boats, and sometimes walking over from Turkey, since about 2003. That problem began when the European Union eliminated temporary-work visas, creating an illegal market. It was reduced dramatically a decade ago when governments struck deals with sending countries, creating pathways for legitimate migration and return. When those countries fell into political crisis, those arrangements fell apart. After experiencing more than 100,000 sea arrivals a month during the Syrian crisis – peaking at 200,000 in mid-2015 – Europe is currently experiencing between 4,000 and 10,000, roughly the level of a decade ago. This remains deadly– more than 3,000 people died or went missing last year alone – but it’s a European policy challenge, not an emergency. In no way are these migration challenges associated with crime or violence. U.S. President Donald Trump tried to justify his baby-seizing policy this week by claiming that the United States might become like Germany, whose million unplanned migrants in 2015-16, he said, had caused crime to soar. In fact, Germany’s Interior Ministry reported last month that criminal offences, including violent crime, had fallen to their lowest levels since 1992. Despite a growing population, an increasing number of criminal statutes and a million recent migrant arrivals, the German crime rate has not been so low since the 1980s. The only significant rise was in anti-Semitic crimes – almost all of them committed by supporters of right-wing parties. In the United States, crime statistics repeatedly show that immigrants – including illegal immigrants and refugees from Latin America – have considerably lower rates of criminality, including violent crime, than Americans do. So even if there were a migration emergency, those waves of illegals would be making Americans safer by lowering their crime rates. But there’s no emergency, and the only danger in 2018 is coming from within. (Globe and Mail)
Die Debatte über Masseneinwanderung ist inzwischen nur noch blanke Hysterie. Ich wage jetzt die Voraussage, dass es in zehn Jahren keiner gewesen sein will. Heute findet sich ja auch keiner mehr, der in den 1980er Jahren Panik wegen dem Sauren Regen geschoben hat oder in den 1990er Jahren davor warnte, dass wir wegen FCKW und des Ozonlochs alle an Hautkrebs starben. Das Ausbleiben der Apokalypse hat übrigens in beiden Fällen einen Grund, der nicht darin liegt, dass die zugrundeliegende Befürchtung völlig irreal war. Aber der Staat unternahm Schritte dagegen. Die 1980er Jahre sahen eine Welle von Umweltschutzmaßnahmen, und FCKW wurde verboten. Seither haben sich die Wälder erholt (und auch die Gewässer, die man aufwändig gereinigt hat) und das Ozonloch hat sich geschlossen. Genauso sind die Grenzen längst dicht gemacht. Wenn man bedenkt, wie viel potenzielle Flüchtlinge sich vor den europäischen Außengrenzen drängen ist das was reinkommt praktisch nichts. Würde man jetzt noch besonnen eine vernünftige Einwanderungs- und Integrationspolitik auflegen, könnte man das Thema ad acta legen und endlich reale Probleme lösen. Stattdessen fällt man auf die rechten Bauernfänger herein und peitscht sich kollektiv in die Hysterie.

Montag, 25. Juni 2018

Bei den Midterms gibt es nur ein Thema: Trump

Die Democrats sind in den USA auf eine Art in der gleichen Position wie die SPD in Deutschland: ob Freund oder Feind, links oder rechts, offen oder geschlossen, jeder fühlt sich bemüßigt, der Partei Ratschläge zu geben, was sie tun müsse. Ganz besonders beliebt ist der "über was die Democrats angesichts der Wahlen reden müssen". Kritiker vom linken Bernie-Flügel wissen, dass nur das Thematisieren sozialer Ungleichheit, die Forderung nach höheren Steuern für Reiche und eine allgemeine Krankenversicherung den Weg zu elektoralen Höhenflügen ebnen. Aktivisten schwören darauf, den Kontrast auf den Feldern der Umwelt- und Einwanderungspolitik durch entsprechend weitreichende Forderungen zu betonen. Moderate Anhänger der Partei erklären die Bedeutung von Trumps Korruptionsskandalen. Russlandfalken wollen Putins Rolle in Trumps Wahlsieg ins Zentrum rücken. Von Trump abgestoßene Konservative hätten gerne, dass die Democrats sich zu den Republicans der 1950er Jahre entwickeln. Und generell alle Very Serious People im Beltway wissen, dass keinesfalls, unter keinen Umständen!, die Partei durch progressive Forderungen unzufriedene Rechte zurück in Trumps Arme treiben darf. Einer der häufigsten Ratschläge den ich höre ist es, nicht über Trump zu reden, sondern stattdessen über die eigenen Themen. Ich möchte an der Stelle das schmutzige kleine Geheimnis verraten, das alle diese Leute entweder kennen oder bewusst nicht zur Kenntnis nehmen wollen: Was die Democrats im Wahlkampf sagen, ist völlig irrelevant. In den Midterms gibt es exakt ein Thema, und nur ein Thema: Trump. Und nichts, was die Democrats tun, kann daran etwas ändern.

Auf den ersten Blick macht der Ratschlag, sich nicht zu sehr auf Trump zu versteifen, Sinn. Jede Kritik an Trumps Positionen, wie sinnig sie auch immer ist, sorgt automatisch dafür, dass seine Anhänger sich hinter ihm versammeln. Es ist dabei auch völlig egal, um was es sich handelt und ob Trump am Tag zuvor noch eine völlig entgegengesetzte Meinung vertreten hat. Die republikanischen Kernwähler befinden sich in einer hermetisch versiegelten Blase, in der Kritik an ihrem Präsidenten nicht vorkommt. Was auch immer Trump tut wird in den staatlichen Propagandakanälen - vor allem FOX News, Breitbart und National Review - bejubelt. Dieser Empörungsmaschinerie mehr Futter zu geben scheint daher widersinnig. Zudem bleibt stets die Frage nach der Mitte zwischen den Parteien (nicht verwechseln mit gesellschaftlicher Mitte), also die Unentschlossenen, die Trump 2016 den Wahlsieg gaben, als sie sich auf den letzten Metern überwältigend für ihn entschieden. Werden sie, die sie sich in den letzten anderthalb Jahren enttäuscht bis angewidert von ihm abgewandt haben, nicht zurück in seine Arme getrieben, wenn die Democrats nun anfangen, die culture wars gegen ihn zu führen?

Grundsätzlich: ja. Die Democrats profitieren nur eingeschränkt davon, sozialprogressive Themen zu vertreten. Zwar ist die Bevölkerung bei all diesen Themen - Homoehe, Diskriminierungsverbote, etc. - mehrheitlich auf ihrer Seite. Aber jedes Mal, wenn Trump wieder MS-13-Mitglieder als "Tiere" beschimpft, Sarah Huckabee Sanders der Minderheitsführerin der Democrats im Repräsentantenhaus Nancy Pelosi vorwirft aktiv mit Gewalttätern zusammenzuarbeiten, konservative Kolumnisten fordern abtreibende Frauen aufzuhängen, republikanische Senatoren öffentlich darüber philosophieren ob Homosexuelle wirklich staatsbürgerliche Grundrechte genießen oder Stephen Miller verkündet, wie "schön" er die Bilder von weinenden, ihren Müttern entrissenen Kindern an der Grenze fände, findet eine Konsolidierung der "Deplorables" statt und sie scharen sich um ihren Präsidenten. Grundsätzlich ist das kein Problem, weil diese Leute keine Mehrheit haben. Grundsätzlich.

Für die Democrats ist das trotzdem nicht sonderlich gut. Es ist ja nicht so, als wöllte die Partei ständig diese Themen kultureller Identität neu verhandeln. Fragt man Abgeordnete oder registrierte Parteimitglieder, sind diesen Themen wie die Steuerpolitik und, über allem stehend, eine Reform des Krankenversicherungswesens am Wichtigsten. Die meisten der Partei gewogenen Kommentatoren in den Leitmedien hätten gerne eine Rückkehr zu dem unaufgeregten, moderaten, kompetent-pragmatischen Politikstil, der Barack Obamas Regierungszeit auszeichnete (den die im Aufwind befindlichen linkeren Aktivisten der Partei ablehnen, aber das ist ein anderes Thema). Sie wollen nicht über Trump reden, weil sie auf diesem Feld ohnehin keine relevante Stimme sind. Die Opposition redet immer schlecht über die Regierung.

Man muss sich dazu klar machen, wie Politiker eigentlich mit ihren Wählern kommunizieren. Ein Politiker kommuniziert üblicherweise über die Medien, anders erreicht er nicht genügend Menschen. Das kann über Interviews passieren, wird aber üblicherweise die Form eines Berichts oder eines Kommentars annehmen. Jeder kennt diese Schlagzeilen: "[Name] fordert [knackige Forderung]", "Opposition kritisiert [Names] Pläne", "Warum [Names Forderung] [gut/schlecht] ist", und so weiter. Je mehr darüber berichtet wird, desto präsenter ist die jeweilige Forderung, oder doch zumindest der jeweilige Politiker. Nancy Pelosi kann den lieben langen Tag über Krankenversicherungen und Ungleichheit reden, wenn darüber nicht berichtet wird ist das so, als ob im Wald ein Baum umfällt. Natürlich können Politiker auch selbst Reden vor Publikum halten oder in Fußgängerzonen gehen, aber auch hier gilt: berichtet niemand darüber ist es irrelevant, denn zu diesen Veranstaltungen gehen ohnehin nur die Fans. Hätten die Medien nie über Trumps Veranstaltungen berichtet, wären sie völlig bedeutungslos geblieben (oder Obamas, gilt für alle).

Normalerweise ist das kein echtes Thema. Der Präsident wird immer mehr Aufmerksamkeit bekommen als ein disparates Feld von Kongressabgeordneten, aber üblicherweise werden irgendwelche Themen debattiert, gibt es die gelegentliche Schlagzeile über Forderungen der Opposition, die dann von der Regierung abgelehnt werden und, vor allem, das umgekehrte Phänomen. Aber die Regierung hat keine Forderungen, die man diskutieren könnte. Es gibt keine "Migrationspolitik" Trumps. Es gibt niedere Instinkte, die in improvisierten Maßnahmen Niederschlag finden, aber konkrete policies herauszufiltern ist wie Marmelade an die Wand nageln. Woher sollte so was auch kommen? Das Weiße Haus hat selbst keine Idee, was es am nächsten Tag tun wird.

Stattdessen passiert dasselbe wie im Wahlkampf 2016 auch: Trump dominiert alle Nachrichten. Der Mann hat das einzigartige Talent, sämtlichen Sauerstoff aus dem Raum zu ziehen, in dem er sich aufhält. Er lässt anderen Themen keinen Raum. Seit Mai 2016 sind alle Nachrichten Trump-Nachrichten. Die Berichte sind mehrheitlich negativ, aber das fiecht Trump nicht an. Any PR is good PR. Die Midterm Elections dieses Jahr werden die entscheidende Frage beantworten, ob diese Strategie tatsächlich funktionert oder nicht. Gute Argumente gibt es für beide Möglichkeiten. Trump mobilisiert unbestreitbar seine eigene Basis permanent und verlässlicher als jeder moderne Präsident vor ihm. Das ist das eine. Er bringt aber auch eine Mehrheit des Landes zuverlässiger gegen sich auf als jeder andere moderne Präsident vor ihm. Das ist das andere. Die entscheidende Stellschraube ist die Wahlbeteiligung. Wenn Trumps begeisterte Anhänger in größeren Zahlen zur Wahl gehen als diejenigen, die ihn nur nicht gut finden, reicht das aus.

Neben Trump ist genau Platz für ein Thema: einen beliebigen Skandal, der NICHT von den Republicans ausgeht. Das ist der Fluch des Bothsiderismus. Die Medien wollen unbedingt den Eindruck vermeiden, parteiisch zu sein, und die Very Serious People müssen zur Aufrechterhaltung ihrer Very Serious People-ness ebenfalls grundsätzlich die andere Seite mit kritisieren, sonst sind sie nicht in dem Club, dessen Mitgliedschaft im Beltway alles ist. Diese Dynamik sorgt dafür, dass selbst wenn sich alle Democrats den Mund zunähen und auf ihre Hände sitzen, irgendein der progressiven Seite angelastetes Skandälchen als gleich wichtig mit Trumps Machenschaften diskutiert werden wird¹.

Und genau das ist das Problem der Democrats: Um die eigenen Anhänger zu begeistern, wäre es toll, wenn ihre Themen hoch und runter debattiert werden. Denn ob die Wähler der Partei aus reiner Ablehnung Trumps zuverlässig genug zur Wahlurne schreiten werden, besonders die junge Basis, ist unklar. Die Zahlen, die von den Umfrage- und Forschungsinstituten erhoben werden, sind ambivalent. Zwar weist ein großer Teil darauf hin, dass dieses Jahr eine "blue wave" die überdehnten Republicans treffen könnte. Aber diese Zahlen werden durch diverse andere Faktoren relativiert, so dass das ehrliche Fazit aktuell lauten muss: nobody knows. Vielleicht wiederholen die Democrats den Erfolg der Republicans von 2010. Der Tea Party reichte auch die Fundamentalopposition zum ersten schwarzen Präsidenten und der Hass auf das, wofür Obamacare stand - also rein ablehnende Faktoren. Vielleicht reicht es aber auch nicht.

Nur können sich die Democrats auf den Kopf stellen: egal über was sie reden, die Wahl entscheidet sich an diesen Faktoren, und nicht am Für und Wider der allgemeinen Krankenversicherung. Enthusiastische Politikbeobachter treiben solche Aussagen in den Wahnsinn (mich eingeschlossen), aber im Endeffekt ist es so banal: ob die Democrats die Wahl gewinnen oder nicht, liegt weitgehend außerhalb ihrer Kontrolle. Das ist keine schöne Story, und für die Anhänger der Partei ist es nicht sonderlich motivierend. Aber es leider wahr.

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¹Aktuelles Fallbeispiel: Dass die Trump-Regierung unsägliches Leid über Einwandererfamilien bringt und Kinder in Käfige sperrt, nur um ihre rassistische Basis zu befriedigen, hat zurecht zu harscher Kritik geführt. Im Gegenzug kritisieren die Leitartikler von Washington Post, New York Times und wie sie alle heißen auf Seite 1 den "Verlust an Umgangsformen", weil ein Restaurant Trumps Pressesprecherin nicht bedienen wollte. Eine Verbindung zu den Democrats gibt es nicht einmal, aber in der verzweifelten Suche danach, den Guten auch etwas anzuhängen, wird wirklich alles genommen, was irgendwie geht. Und das noch bei der gleichen Partei, die letztinstanzlich mit allen Mitteln für das Recht einer Bäckerei kämpft, ein schwules Ehepaar nicht bedienen zu müssen.

Samstag, 23. Juni 2018

Markus Söder bezahlt Praktikanten, durchschaut Verschwörungen, geht ins Altenheim in Florifda, agitiert gegen Busse, ist vom EU-REcht überfordert und beschwert sich über Amazons Rückgabepolitik - Vermischtes 23.06.2018

Die Serie "Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) "Deutschland hat verschlafen"
SPIEGEL ONLINE: Für das Geschehene in Namibia wurde in Deutschland erstmals 2015 offiziell das Wort "Völkermord" verwendet. Woran liegt das? Melber: Das hat damit zu tun hat, dass es schmerzlich ist, einsehen zu müssen, dass Deutschlands dunkle Vergangenheit sich nicht allein auf das Kapitel der Naziherrschaft beschränkt. SPIEGEL ONLINE: Das heißt, weil man schon so sehr mit der Aufarbeitung des Holocaust beschäftigt ist, ist kein Raum mehr? Melber: Genau. Und die Kolonialzeit wurde und wird noch immer als gute alte Zeit romantisiert. Das hat dazu geführt, dass kein öffentliches Bewusstsein für die Kolonialverbrechen entstanden ist. Daraus resultiert eine Haltung, die dem Motto folgt: "Jetzt lasst es doch gut sein. Wie weit sollen wir denn noch in der Geschichte zurückgehen und schauen, was deutsche Schuld ist und was nicht?" SPIEGEL ONLINE: Geht es bei der Aufarbeitung denn nur um die Schuldfrage? Melber: Es geht um ein Schuldeingeständnis. Das heißt nicht, dass wir im Büßergewand rumlaufen müssen, als hätten wir persönlich die Kolonialverbrechen begangen. Aber Namibia erwartet, dass Deutschland das begangene Unrecht eingesteht und sich dafür entschuldigt. Das ist Voraussetzung für eine gemeinsame Aufarbeitung der Geschichte. (SpOn)
Ich habe es bereits im letzten Vermischten angesprochen: Deutschland sollte dringend mehr für seine Aufarbeitung des Völkermords in der Kolonialzeit tun. Dieses Interview mit einem Afrikanisten gibt eine Reihe guter Gründe und Einschätzungen dafür. Auf der anderen Seite ist die Haltung der Regierung verständlich. Würde man offiziell "Völkermord" anerkennen und Reparationen bezahlen, würde man Pandoras Box öffnen und eine ganze Welle von Klagen bekommen. Daher wird die Regierung diese Begriffe zwingend vermeiden. Aber das ist an und für sich nicht das Problem; das wäre durchaus möglich. Die Regierung tut sich leider bereits mit der grundsätzlichen Anerkennung schwer. Und das ist schade, denn damit leistet man dem geistigen Vogelschiss Vorschub, den Schweine wie Gauland vertreten. Und bevor jemand meine Wortwahl kritisiert, mir war nicht klar, dass jemand diese Worte negativ interpretieren könnte. Gauland wird da sicherlich Verständnis dafür haben.

2) Das geheime Dahinter
Die Verschwörungstheorie ist nicht mehr der Modus der Verrückten, die in der Fußgängerzone stehen und predigen, sie lässt sich nicht mehr an den Rand exotisieren. Sie ist mentaler Ausweg der Mitte, existiert im Kopf einflussreicher Publizisten, im Bundestag. Nicht nur bei der AfD. Christian Lindner begründet die Notwendigkeit eines Bamf-Untersuchungsausschusses mit dem Hinweis, man müsse Verschwörungstheoretikern die Grundlage entziehen. Womit er sich zwar vordergründig gegen Verschwörungstheorien stellt, sie aber gleichzeitig adelt. Offenbar hält Lindner die Theorie, hinter dem amtlichen Durchwinken von Flüchtlingen stehe ein politischer Großplan, für widerlegenswert. Je komplexer der Weltabdruck in unserer Wahrnehmung, desto höher ist die Gefahr, dass der Kopf auf den abgesicherten Modus umschaltet. Wenn in Syrien ein Bürgerkrieg ausbricht, der von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr komplizierter wird, unter Beteiligung des Iran, Russlands, der USA, Terroristen, Islamisten, Salafisten, Kurden, wenn sich Hunderttausende auf die Flucht machen, manche religiös, manche nicht, der eine nett, der andere nicht, jeder mit eigener Biografie – wenn diese Menschen abgerissen über Felder marschieren und plötzlich vor uns stehen, als herausfordernde Tatsache, als Mosaik der Millionen Geschichten, dann ist es verlockend, dahinter einen Generalplan zu vermuten. Zum Beispiel das Vorhaben Angela Merkels, die deutsche Bevölkerung komplett auszutauschen. Soll doch erst mal jemand beweisen, dass es nicht so ist! (Zeit)
Bevor jemand den Artikel mit "Ah, Rechten-Bashing!" ignoriert, auch die Linke von Lafontaine bis Augstein kriegt ihr Fett weg. Der oben verlinkte Artikel erklärt ziemlich gut, was eigentlich eine "Verschwörungstheorie" ausmacht, und warum diese Dinger immer die gleiche Gruppe von Leuten anziehen. Ich möchte besonders hervorheben, dass Lindners ostentives Vorgehen gegen diesen Unsinn in Wirklichkeit auch nur der Versuch ist, mitzuspielen ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen. Ein ähnliches Spiel gab es im Ersten Weltkrieg: Angesichts der immer schlechteren Lage an der Front beschloss die Oberste Heeresleitung, einen internen Blitzableiter zu schaffen und gab mit großem Publicity-Aufwand eine Studie in Auftrag, die überprüfen sollte, ob - wie von der Kritik von rechts immer behauptet wurde - tatsächlich weniger Juden an der Front Dienst taten als ihrem Bevölkerungsanteil entsprechen würde. Durch die aggressiv publizierte Studie wurde die Verschwörungstheorie, nach der Juden (wie und von wem auch immer) Vorzugsbehandlung bekommen sollten und sich nicht für Deutschland aufopferten, wie es "echte Deutsche" taten, überhaupt erst im Bewusstsein der Mehrheit außerhalb des rechten Fiebersumpfs verankert, bekam quasi durch die OHL das "Seal of Approval". Als dann herauskam, dass die Juden sogar überdurchschnittlich häufig an der Front dienten (und fielen), ließ die OHL die Studie still und heimlich begraben, weil es nicht ins Narrativ passte. Der Brunnen war aber vergiftet, und der Vorwurf war die nächsten dreißig Jahre ein Dauer-Baustein von Hitlers Hetzreden und denen anderer Antisemiten. Die Moral von der Geschichte: Lindner macht sich die Hände schmutzig, auch wenn es im Moment nicht so aussieht, und er gehört dafür angegriffen und verurteilt. Die Normalisierung dieses ganzen Drecks durch ihn und seinesgleichen ist es, die das Klima in Deutschland vergiftet, nicht die AfD. Die und ihre 13% könnte man einfach isolieren und ignorieren.

3) Generation Pickleball: Welcome to Florida's political tomorrowland
The Villages is America’s largest retirement community, a carefully planned, meticulously groomed dreamscape of gated subdivisions, wall-to-wall golf courses, adult-only pools and old-fashioned town squares. It’s advertised as “Florida’s friendliest hometown,” and it’s supposed to evoke a bygone era of traditional values when Americans knew their neighbors, respected their elders and followed the rules. It has the highest concentration of military veterans of any metropolitan area without a military base. It has strict regulations enforcing the uniformity of homes (no second stories, no bright colors, no modern flourishes) as well as the people living in them (no families with children, except to visit). And it is Trump country, a reliably Republican, vocally patriotic, almost entirely white enclave that gave the president nearly 70 percent of the vote. Older voters are America’s most reliable voters, which is why baby-boomer boomtowns like The Villages represent the most significant threat to a potential Democratic wave in Florida in 2018—and the most significant source of Republican optimism for many years to come. [...] Republicans outnumber Democrats by more than 2:1 here, and in interviews, they generally expressed support for Trump’s tax cuts, as well as his hands-off approach to Medicare and Social Security. That has helped blunt the perennial Democratic pitch to seniors: Choose us, because Republicans are coming for your checks. But what really attracted them to Trump were issues that had little to do with their pocketbooks or their daily lives—like his opposition to sanctuary cities, or his insistent rhetoric about strength, or his attacks on Muslims, MS-13 and protests by black athletes. They feel like Trump is on their side in a cultural war against cop-haters, their perception of scheming foreigners, global warming alarmists, and other politically correct avatars of disorder and decline; they thought President Barack Obama was on the other side, standing with transgender activists, welfare freeloaders and Islamic terrorists. And when Trump vows to make America great again, they sense that he means more like The Villages. “They want an America that’s a little more like it was when they were growing up, and that’s what Trump is offering,” says Daniel Webster, the area’s conservative Republican congressman. Dennis Baxley, the area’s equally conservative Republican state senator, points out that The Villages offers that, too, with safe streets, light traffic, artificial lakes that provide a real sense of serenity, and hundreds of support groups for every imaginable malady or hardship. It’s a throwback to when they were children in 1950s America, without actual children. (Politico)
Es ist die Generation der Babyboomer, die die Welt zugrunderichtet. Ob Brexit, ob Trump, ob LePen oder AfD, überall sind es die über 60jährigen, die an vorderster Front dabei sind. Sie setzen eisern ihre Interessen durch, und auf nachfolgende Generationen ist geschissen. Das Frustrierende ist, dass sie das nur können weil sie eine extrem hohe und zuverlässige Wahlbeteiligung haben, während sich die Jungen offensichtlich nicht dazu bequemen können, ihre eigene Zukunft zu retten. Das erinnert mich an ein Gespräch, das ich kürzlich mit einer Kollegin (um die 30) hatte. Es ging um die betriebliche Altersvorsorge, und ich wollte im Betriebsrat etwas dafür erreichen (Details tun wenig zur Sache). Sie lachte nur und meinte, dass sie sich um die Rente noch keine Gedanken mache, das Thema sei ihr egal. Mit dieser behämmerten Einstellung sehe ich Kollegen meiner Altersgruppe ständig agieren, solange sie noch keine Kinder haben. Scheiß egal ob das Gehalt 300 oder 400 Euro höher oder niedriger ist, für den Single-Lebensstil reicht es dicke. YOLO. Aber wenn man sich nicht für Politik ignoriert, wird man immer von denen regiert, die sich für Politik ignorieren. Auch wenn es sich um die wohlstandsverwahrloste, gentrifizierte Dystopie in Florida handelt.

4) Nuclear power won't survive without a government handout
There are 99 nuclear reactors producing electricity in the United States today. Collectively, they’re responsible for producing about 20 percent of the electricity we use each year. But those reactors are, to put it delicately, of a certain age. The average age of a nuclear power plant in this country is 38 years old (compared with 24 years old for a natural gas power plant). Some are shutting down. New ones aren’t being built. And the ones still operational can’t compete with other sources of power on price. Just last week, several outlets reported on a leaked memo detailing a proposed Trump administration plan directing electric utilities to buy more from nuclear generators and coal plants in an effort to prop up the two struggling industries. The proposal is likely to butt up against political and legal opposition, even from within the electrical industry, in part because it would involve invoking Cold War-era emergency powers that constitute an unprecedented level of federal intervention in electricity markets. But without some type of public assistance, the nuclear industry is likely headed toward oblivion. “Is [nuclear power] dying under its own weight? Yeah, probably,” said Granger Morgan, professor of engineering and public policy at Carnegie Mellon University. (FiveThirtyEight)
Kernenergie hat noch nie ohne massive Regierungssubventionen funktioniert, nicht einen Tag. Deswegen ist es auch so lächerlich, wenn Gegner der Energiewende deren Kosten gegenüber dem "billigen" Atomstrom bejammern. Rechnet man die Kosten des Atomstroms real, ist dieser deutlich teurer als der aus Solar- oder Windenergie. Nur wird ein Großteil der Kosten externalisiert und taucht nicht auf der Stromrechnung auf. Oder glaubt ernsthaft jemand, dass die Stromkonzerne für die Beseitigung des ganzen Mülls und den Abbau der Kraftwerke über die nächsten Jahrzehnte zahlen werden? Das werden unsere Steuergelder sein, und zwar, um um Thema von Fundstück 3) zu bleiben, die Steuergelder der jungen Generation. Die Alten, die jahrzehntelang billigen Strom hatten, sind dann nicht mehr da und hinterlassen uns die Trümmer ihres unnachhaltigen Lebensstils. Aber immerhin konnten sie sich immer über die grünen Weltverbesserer und ihre Naivität lustig machen, das ist ja schon mal was.

5) How the Koch brothers are killing public transport
The group, the local chapter for Americans for Prosperity, which is financed by the oil billionaires Charles G. and David H. Koch to advance conservative causes, fanned out and began strategically knocking on doors. Their targets: voters most likely to oppose a local plan to build light-rail trains, a traffic-easing tunnel and new bus routes. [...] In places like Nashville, Koch-financed activists are finding tremendous success. Early polling here had suggested that the $5.4 billion transit plan would easily pass. It was backed by the city’s popular mayor and a coalition of businesses. Its supporters had outspent the opposition, and Nashville was choking on cars. But the outcome of the May 1 ballot stunned the city: a landslide victory for the anti-transit camp, which attacked the plan as a colossal waste of taxpayers’ money. “This is why grass roots works,” said Tori Venable, Tennessee state director for Americans for Prosperity, which made almost 42,000 phone calls and knocked on more than 6,000 doors. [...] The Kochs’ opposition to transit spending stems from their longstanding free-market, libertarian philosophy. It also dovetails with their financial interests, which benefit from automobiles and highways. [...] The Nashville strategy was part of a nationwide campaign. Since 2015, Americans for Prosperity has coordinated door-to-door anti-transit canvassing campaigns for at least seven local or state-level ballots, according to a review by The New York Times. In the majority, the Kochs were on the winning side. (New York Times)
Was hier oben beschrieben ist ist eine direkte Folge davon, dass die Konservativen in den USA den Supreme Court dominieren und 2010 die Entscheidung durchdrücken konnten, dass Geld in egal welcher Menge nur ein Ausdruck der Meinungsfreiheit und damit von der Verfassung geschützt ist (im Gegensatz etwa zum Stimmrecht der Schwarzen, das keinen solchen Schutz genießt). Die Koch Brothers sind der wohl offenkundig schlimmste Ausfluss des amerikanischen Geldadels, der mit massivem Geldeinsatz die Politik zu bestimmen versucht. Auffällig ist vor allem die schiere Bösartigkeit dieser Maßnahmen. Das Sabotieren des öffentlichen Nahverkehrs schadet praktisch ausschließlich den Armen, die am meisten davon profitieren würden günstig zu potenziellen neuen Arbeitsstellen zu kommen, und damit dem Wirtschaftswachstum des gesamten Landes. Die Kochs könnten sich noch hinstellen und Welpen den Hals umdrehen, aber viel mehr Steigerungen sind nicht wirklich vorstellbar. Ebenfalls bemerkenswert ist, was ich immer wieder predige: jegliche Strategie ist wertneutral. Nur weil Obama 2008 mit Wahlkampf an der Haustür siegte oder Bernie Sanders sich mit Graswurzel-Methoden seine Basis schuf heißt nicht, dass die Guten immer die einzigen sein werden, die das machen. Niemand hindert die Kochs daran, diese Methoden ebenfalls einzusetzen, und auf lokaler Ebene können die Erfolge, wie der Artikel zeigt, durchschlagend sein - und für die Kochs, die passend zu 3) übrigens auch schon reichlich alt sind, sehr lukrativ.

6) Trump aides plan fresh immigration crackdown before the Midterm elections
The president and his top aides have framed the family separation issue as something Democrats could end by signing on to Republican legislation addressing Trump’s priorities, including funding the border wall — even though the separation moves are solely the outgrowth of a Department of Justice decision and not grounded in a particular law. Miller, who was instrumental to Trump’s early travel ban — which, like the border separations, triggered widespread public outrage and was put into effect without sufficient logistical planning — is among those who see the border crisis as a winning campaign issue. “That is the fundamental political contrast and political debate that is unfolding right now,” Miller said in an interview with Breitbart News published on May 24. “The Democratic Party is at grave risk of completely marginalizing itself from the American voters by continuing to lean into its absolutist anti-enforcement positions.” (Politico)
Es ist völlig offensichtlich, dass die Republicans ihre gesamte Wahlkampfstrategie darauf auslegen, dass ihre Wählerschaft rassistische Politik toll findet, und zusätzlich, dass ihre Wählerschaft es gut findet, undokumentierten Einwanderern weh zu tun. Es ist das gleiche Schema wie bei der CSU. Ob die Architekten dieser Politik wirklich glauben, dass das in irgendeiner Art und Weise hilfreich ist, oder auch nur dass es funktionieren könnte, ist völlig zweitrangig. Diese Leute gehen davon aus, dass ihre Wähler einfach nur dumpfe Arschlöcher sind. Die Hoffnung wäre, dass sie damit falsch liegen.

7) Gelder für Breitband werden nicht abgerufen
Inzwischen sind Tausende Förderbescheide an Städte und Gemeinden verteilt. Doch die zugesagten Gelder sind nicht einmal ansatzweise abgeflossen: Bis Ende Mai 2018 erst knapp 27 Millionen Euro von rund 3,5 Milliarden - nicht einmal ein Hundertstel der Fördermittel also. Das geht aus einer Antwort des Verkehrsministeriums, das auch für die digitale Infrastruktur zuständig ist, auf eine Anfrage der Grünen hervor, die heute.de vorliegt. "Das ist eine Bankrotterklärung für den Breitbandausbau. Die Bundesregierung ist faktisch mit ihrem Programm zum Breitbandausbau gescheitert", sagt Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer im ZDF. Auffällig: Gerade in ländlichen Teilen Deutschlands, in denen schnelles Internet bisher besonders fehlt, werden kaum Gelder abgerufen. In Mecklenburg-Vorpommern etwa ist von den 825 Millionen bewilligten Fördergeldern erst eine Million ausgezahlt - eine Abrufquote von gerade einmal 0,1 Prozent. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg sind die Zahlen nur minimal besser. In Bayern und Baden-Württemberg liegen die Abrufquoten immerhin bei über drei Prozent. Spitzenreiter ist Berlin, hier wurden fast 40 Prozent der bewilligten Gelder auch tatsächlich abgerufen. In der Antwort auf die Anfrage der Grünen muss das Verkehrsministerium einräumen, wie weit Deutschland bei der Förderung des schnellen Internets hinterherhinkt. Auf die Frage, wie viele der Tausenden Breitband-Projekte inzwischen abgeschlossen seien antwortet der zuständige Parlamentarische Staatssekretär Steffen Bilger: zwei. Mehrere Projekte seien inzwischen aber teilweise in Betrieb. Die Frage, wie viele Haushalte bisher in den Genuss des schnellen Internets von 50 MBit pro Sekunde gekommen seien, kann das Ministerium gar nicht erst beantworten. Die genaue Anzahl lasse sich noch nicht ermitteln. Warum erst so wenige Fördermittel abgerufen worden sind? Im Ministerium verweist man darauf, dass es vor Ort "zu wenige Firmen" gebe, die Ausbauprojekte schnell realisieren können. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Förderrichtlinien schlicht zu kompliziert sind. Viele kleine Gemeinden sind mit den technischen Dokumentationspflichten und europaweiten Ausschreibungen überfordert, bemängeln nicht nur die Grünen. Laut einem Sprecher des Ministeriums will Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Förderrichtlinien überarbeiten. Ziel sei es, den Breitbandausbau zusätzlich zu beschleunigen. (ZDF)
Das ganze Elend der deutschen Digitalisierungspolitik. Nicht nur, dass Deutschland schier endlos hinterherhängt beim Ausbau des Breitbands, die kläglichen Mittel, die man bereitstellt, werden auch nicht abgerufen. Zum Teil sind das die hier angesprochenen bürokratischen Hürden, und natürlich war Deutschland schon immer klasse darin, möglichst viel "Red Tape" in den Weg zu hängen. Aber offensichtlich haben viele andere Länder kein Problem damit. Die estische Bürokratie muss sich auch an europäische Ausschreiberegeln halten und hat trotzdem wesentlich besseres Breitband produziert als wir. Was also ist es? Personelle Unterbesetzung der Ämter? Mangelnde Fachkenntnisse? Reibungsverluste im Föderalismus, weil alles auf die kleinstmögliche Ebene geschoben wird? Hat da jemand eine Idee? Mir ist das völlig unklar.

8) Nachhaltigkeit, Retouren und der Amazon-Skandal
In meinem Studium (vor gefühlten 100 Jahren) hatte ich auch eine SVWL-Vorlesung zum Thema Nachhaltigkeit belegt​. Unterm Strich die wichtigste Erkenntnis daraus: Die nachhaltige Lösung ist nicht immer offensichtlich. Denn dafür muss immer der gesamte involvierte Prozess betrachtet werden. (Während die „offensichtliche“ Lösung nur diejenige ist, deren nach außen sichtbarer Schritt genehm erscheint.) Hier zum Beispiel: Der komplette Rücktransport von Produkten ist nicht nur teurer sondern auch weniger nachhaltig als die Vernichtung der Produkte. (Besser wäre natürlich weder das eine noch das andere tun zu müssen, aber wir reden eben über eine Situation, bei der die Entscheidung zwischen diesen beiden Optionen liegt.) [...] Es ist dieser Gotcha-Journalismus, der unbedingt den „großen Plattformen“, den „Digital-Riesen“, „GAFA“, schlechtes Verhalten nachweisen will, der uns keinen Deut voran bringt. Dabei braucht es echte kritische Analyse mehr denn je: Unsere Wirtschaft wird gerade komplett auf den Kopf gestellt. Die neuen Dynamiken, die mal positiv, mal dysfunktional wirken, müssen ernsthaft analysiert werden. Nur eine gut informierte Öffentlichkeit ist eine Öffentlichkeit mit Zukunft. Die substanzlose Skandalaneinanderreihung dagegen wird in der Wirtschaft nicht ernstgenommen und verpufft im besten Fall deshalb wirkungslos, im schlechtesten Fall führt sie zu volkswirtschaftlich schädlicher Regulierung. ​So oder so: Big Tech bietet genügend Angriffspunkte, auch und besonders Amazon, dafür muss man sich nicht an branchenüblichen Praktiken reiben, die genau betrachtet verhältnismäßig und nachhaltig sind. (Neunetz)
Der Artikel - und die dort verlinkten, unbedingt weiterlesen - ist aus zweierlei Gründen interessant. Einmal als Journalismusversagen, weil einfach ein superbequemes Narrativ nachgeplappert wird. Diese Art von Story findet sich ständig, weil es etwas ist, wo praktisch jeder Leser sofort mit dem Kopf nickt und empört ist, aber über die richtigen Sachen (nicht Sexismus oder Rassismus, darüber darf man nicht empört sein, das wäre Normalisieren) und das dann seinen Freunden und Bekannten im Smalltalk weitergibt, mit einem "hast du auch in der [Zeitungsname] gelesen, dass..." Das ist auch aus wirtschaftlichen Gründen die beste Art von Story, und die Kirsche oben drauf ist dass die entsprechenden Artikel sich super schnell schreiben und man quasi früher Feierabend machen kann. Im Idealfall kannst du dann ein cleveres Follow-Up schreiben, wie doof alle sind dass sie die erste, überall verbreitete Geschichte geglaubt haben, und dann hast auch gleich die zweite Runde Smalltalk geschaffen. Das passiert permanent, und ich merke bei mir selbst auch immer wieder, dass ich in diese Falle rutsche. Liest was Empörendes, klingt eingängig, schnell was gebloggt/getweetet, Zustimmung kassiert, fertig. Da muss man sich ständig selbst auf die Finger klopfen, und ich hab nicht mal Auflagenzeilen und Redaktionsschlüsse im Nacken. Auf der anderen Seite ist es spannend, welchen Marktdynamiken Unternehmen wie Amazon unterworfen sind. Aus Kundensicht ist und bleibt der Laden der absolute Traum. Besser sortiert, freundlicher und kulanter als praktisch jedes Einzelunternehmen, und dazu ist er noch billiger und bequemer. Kein Wunder dass der Einzelhandel untergeht. Schön zu sehen, wie das hinter den Kulissen funktioniert.

8) Congress might finally start to pay its interns
Each year, more than 6,000 wide-eyed interns swarm the halls of Congress. Most of them don’t earn a cent for the hours spent answering calls from angry constituents and regurgitating memorized lines on tours of the Capitol. The rise of unpaid internships on the Hill, as I wrote earlier this year, is a relatively new development. In the ‘70s and ‘80s, when internships took off in Congress, compensation was the norm. As a college student, Chuck Schumer—then a working-class kid from Brooklyn, today the Democratic leader in the Senate—came to Washington for a paid internship in the House that helped start his career in politics. But amid the fever of ‘90s era budget cuts, compensation for internships shriveled up, even as the cost of living in D.C. began to skyrocket. Today, most members of Congress don’t pay their interns. I spoke with one unpaid intern, Kendall, who endured a 90-minute commute and late nights serving appetizers at glitzy cocktail parties to make her internship on Capitol Hill financially viable. For every Kendall, countless other budding politicos turn down or don’t even apply for unpaid congressional internships. That has ripple effects. Since offices snatch up their interns for full-time gigs when positions open up—90 percent of intern coordinators say that internships are valuable for hiring junior staffers—limiting internships to those who can afford to work for free helps insure that Hill staffers are overwhelmingly white and affluent. Only 7 percent of top Senate staffers are minorities; just one democratic senator, Doug Jones, has a black chief of staff. (Washington Monthly)
Themen wie die Bezahlung von Praktikanten im Parlament sind zugegebenermaßen eher Nischenthemen, aber sie haben eine größere Bedeutung, als man denkt. Im Bundestag gibt es ja dasselbe Problem. Wenn die Leute nicht vernünftig bezahlt werden, dann läuft das drauf raus, dass dich ein Praktikum Geld kostet. Und wenn das der Fall ist, dann können nur reiche Menschen das machen, und wenn das der Fall ist, dann reproduziert sich eine Elite selbst, und die wertvollen Perspektiven, die so ein Praktikant theoretisch auch an die Abgeordneten zurückbringen könnte, fallen raus. Stattdessen bekräftigen die BWL-Schnösel die Echokammer auch auf Praktikantenebene. Man muss an der Stelle übrigens auch festhalten, dass das kein Ruhmesblatt für die linken Parteien ist, die ihre Praktikanten in den meisten Fällen auch schlecht bezahlen und effektivb ausbeuten.

9) Das Ende des "geordneten Multilateralismus": Markus Söders Angriff auf die europäische Rechtsgemeinschaft
Doch wie es so häufig ist, wenn ein politischer Akteur die Grenzen des Sagbaren verschiebt: Es ist einfach, eine Äußerung als Affront zu erkennen und sich davon abgestoßen zu fühlen. Doch solange die Reaktion darauf sich auf bloße Empörung beschränkt, erlaubt das den verbalen Grenzverletzern unter Umständen sogar, sich als mutige Tabubrecher zu inszenieren. Es ist deshalb nötig, konkreter zu werden: Was genau ist an Söders Haltung so problematisch? Eine naheliegende Antwort auf diese Frage ist schnell gefunden: Die Forderung der CSU, Asylbewerber schon an der Grenze abzuweisen, würde klar gegen geltendes Europarecht verstoßen. Die Asylpolitik fällt nach Art. 78 AEUV in die Kompetenz der EU, die die Frage, welcher Mitgliedstaat welchen Asylantrag bearbeiten muss, in der sogenannten Dublin-Verordnung geregelt hat. Zuständig ist demnach meistens das Land, in dem der Asylbewerber erstmals das Territorium der EU betreten hat. Allerdings gibt es eine Reihe von Vorrangregeln, durch die dieses Prinzip nicht in allen Fällen gilt: Beispielsweise sollen die Asylanträge von Familienangehörigen möglichst in demselben Land bearbeitet werden. Deshalb muss in jedem konkreten Fall zunächst einmal in einem eigenen Verfahren geprüft werden, welcher Mitgliedstaat tatsächlich für den Asylantrag zuständig ist. Diese Zuständigkeitsprüfung wiederum muss der Mitgliedstaat vornehmen, in dem der Asylantrag tatsächlich gestellt wurde. Würde Deutschland Asylbewerber an der Grenze abweisen, würde es sich vor dieser Pflicht drücken und damit gegen die Regeln der Dublin-Verordnung verstoßen. Dass Söder einen solchen Rechtsverstoß explizit damit begründet, Deutschland müsse „an die einheimische Bevölkerung denken“ und seine „Interessen selbst wahrnehmen“, zielt auf die Wasserlinie der Europäischen Union. Zu den Grundsätzen, auf denen der europäische Integrationsprozess basiert, gehört die Idee der Rechtsgemeinschaft: Dass die EU trotz ihrer schwachen zentralen Exekutive funktioniert, liegt an dem Respekt, den die nationalen Institutionen dem gemeinsam gesetzten Recht entgegenbringen. Wenn die Mitgliedstaaten jedoch beginnen, auf das Recht des Stärkeren zu setzen und europarechtliche Bindungen einfach zu ignorieren, hat die EU nur verhältnismäßig wenig Zwangsmittel in der Hand. Im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens kann der Europäische Gerichtshof zwar Rechtsverstöße feststellen und gegebenenfalls Zwangsgelder verhängen. Doch solche Verfahren dauern lang – und auch sie beruhen letztlich auf der Bereitschaft der Mitgliedstaaten, Urteile des EuGH als verbindlich zu akzeptieren. Söders offene Absage an den „geordneten Multilateralismus“ lässt zumindest befürchten, dass die CSU auch dieses Tabu zu brechen bereit wäre. (Der europäische Föderalist)
Quo Vadis, CSU? Die Linie, die die Partei bezüglich der Europapolitik fährt, erinnert sehr stark an das, was Orban in Ungarn tut. Auch der dortige Westentaschendiktator geht mit einer schnoddrigen Arroganz gegenüber den EU-Institutionen vor. Auch lassen sich Ähnlichkeiten mit der FPÖ-Regierung Anfang der 2000er Jahre erkennen, als die EU mit Sanktionen reagierte. Ich fürchte, aus deren vergleichsweise geringer offensichtlicher Wirkung - in Österreich gingen die Leute nicht in Sack und Asche, und die FPÖ regiert heute wieder - wurden falsche Schlüsse gezogen. Denn natürlich haben die Sanktionen seinerzeit nicht einen offensichtlichen Wandel herbeigeführt, aber sie haben deutlich gemacht, dass die EU hinter ihren Regeln und Institutionen steht (dieses Motiv steht übrigens auch hinter den EU-Sanktionen gegen Russland, nebenbei gesagt). Diese Sicherheit fehlt heute. Mit Polen, Ungarn und nun auch Italien tanzen bereits mehrere Länder aus der Reihe, die, anders als die FPÖ, den offiziellen Segen der EU genießen. Am auffälligsten ist es im Falle Ungarns, weil Fidesz immer noch Mitglied in der EVP ist. Dass die Christdemokraten Europas deren Parlamentssitze und Stimmen im EU-Parlament für wichtiger erachteten als zentrale Prinzipien der Union rächt sich jetzt. Die CSU ist inzwischen völlig auf die Linie der Rechtspopulisten eingeschwenkt und ist bereit, jahrzehntelange Grundsätze der Europapolitik über Bord zu werfen und es den Autoritaristen in Ungarn, Polen und Italien gleichzutun. Die AfD lacht sich ins Fäustchen.

10) Bush family virtue signals
The Trump administration has recently increased efforts to arrest and prosecute adults who have entered the country illegally, while putting their children in the care of the U.S. Department of Health and Human Services. As is the case when U.S. citizens are arrested, children do not accompany their parents to jail. Such situations are tragic, regardless of whether the parents are citizens or not. Among the immigrants, many are seeking political asylum, and if they arrive at a legal entry point they at least have a chance of securing it—and won’t be separated from their children. The tragedy at the border may extend beyond the apprehended families as the U.S. misses out on the potential societal contributions of new Americans. [...] Into this difficult and sensitive issue dives the Bush family with a message that seems designed to persuade no one who doesn’t already agree with them. Jeb Bush tweets that the Trump policy of vigorously enforcing existing law is “heartless.” In her Post op-ed Mrs. Bush doesn’t suggest a solution, but simply brands the current government policy “cruel” and “immoral.” Why not just describe all Americans who favor border enforcement as deplorable? If Democrats have decided that it’s not in their interest to give Mr. Trump another victory before the fall elections, then it makes cynical political sense to inflame the issue and kill the chances of a compromise. But for those who want one, it has to start with a healthy respect for those who want the rule of law at the southern border and everywhere else in America. (Wall Street Journal)
Dieser Artikel des Wall Street Journal ist ein Musterbeispiel für die ungeheure Schieflage, den die Diskussion über "Moral" und Migration kennzeichnet. Nicht nur verwendet die Hauspostille des sich seriös gerierenden Teils der GOP das Framing von Rechtspopulisten - "virtue signaling", in Deutschland würde man "Gutmenschentum" sagen - sondern sie ergibt sich auch einem Bothsiderismus, der einfach nur zum Kotzen ist und wie nichts seit 2015 dazu beigetragen hat, dass die Rechten eine solche Akzeptanz genießen. Eine völlig enthemmte Behörde wurde von Trump ermächtigt, die Menschenrechte von Einwanderen und Asylbewerbern mit Füßen zu treten. Babys und Kleinkinder werden ihren Eltern an der Grenze entrissen, in Käfige gesperrt und nicht einmal registriert, so dass die gleiche Behörde nicht in der Lage ist, die Familien, die sie so unter traumatischen Umständen zerrissen hat, wieder zusammenzuführen. Sie tun dies aus blankem Sadismus und geben es auch noch offen zu. Für das Wall Street Journal ist das ein "schwieriges und sensibles Thema", und dass Barbara Bush sagt, dass sie das "herzlos" findet, beleidigt Trump-Wähler. Man muss sich diese irre Argumentation klar machen: Nennt man Sadismus gegen Babys und Kinder "herzlos", was wahrlich nicht gerade eines der härteren Wörter ist, die einem dazu einfallen, könnte man die Gefühle von Trump-Wählern verletzen. So the fuck what? Diese Leute haben einen Wahlkampf auf Basis wildgewordener identity politics gewonnen, in dem sie ihr Recht eingefordert haben, jeden Schwarzen als nigger zu beschimpfen, jeden Homosexuellen zu diskriminieren und jede Frau zu begrabschen, die sie wollen, alles unter dem wehenden Banner der Meinungsfreiheit. Aber wenn man sie "herzlos" nennt werden sie zu kleinen Mimosen und weinen und fordern ihr Recht ein, nicht beleidigt zu werden. Das ist ein Haufen abgeschmackten Abschaums. Und ich benutze absichtlich so vulgäre Worte. Wie die AfD und Konsorten fordern diese Menschen das Recht ein, anderen gegenüber unsensibel zu sein und sie zu beleidigen, vom Zigeunerschnitzel bis zum Versenken des Flüchtlingsboots. Von daher sollen sie ruhig spüren, wie das ist, wenn sie sich an ihren eigenen Maßstäben messen lassen müssen. Vielleicht können wir dann wieder zu einem zivilisierten Diskurs zurückkehren, indem Respekt, Manieren und Grundrechte nicht nur für eine Schicht von Privilegierten gelten.

11) Tweet von Jochen Bittner
Und passend zu 10) haben wir diese Perle von einem Tweet. Natürlich hat Jochen Bittner Recht. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Auf Twitter werden überhaupt keine Probleme gelöst. Es ist eine soziale Plattform. Menschen reden miteinander, hauen markige Statements raus, machen dumme Witze, pöbeln, organisieren sich, hetzen. Es ist Öffentlichkeit, digitale zwar, aber Öffentlichkeit. Wie viele praktikable Lösungen diskutiert denn die Zeit, für die Bittner arbeitet, für gewöhnlich? Wenn die Alpha-Journalisten der Leitmedien nur HALB so gut darin wären, moralische Urteile zu fällen, wie in selbstzufriedenem Ton eine Selbstinzenierung als seriös-pragmatische Führungsfiguren abzugeben, wäre Deutschland ein besseres Land.