1) Der letzte radikale Kampf
Die einen nennen es Agenda-Setting. Die anderen Framing. Das Ergebnis ist derzeit eine Diskursdominanz von rechts, die konsequent Werte der liberalen Demokratie infrage stellt. Es wird nicht mehr über die Pflicht zur Einhaltung von Werten gesprochen, sondern darüber, an wie vielen Stellen sich Demokratie beschneiden ließe, ohne sie zu zerstören. Orbán hat hierfür den Nonsens-Begriff "illiberale Demokratie" erfunden. Er kommt aus dem Reich des manipulativen Wunschdenkens. Wer mit Politikern wie Orbán redet, redet - wenig überraschend - stets über antidemokratische Ansätze. [...] Es liegt diesem Europa ein jahrzehntealter Wertekonsens zugrunde, der es handlungsfähig machte. Europa lässt sich diese Handlungsfähigkeit aber derzeit beschneiden. Jene, die Liberalität rückabwickeln möchten, sind in der öffentlichen Diskussion überproportional vertreten. Sie lähmen so gezielt die Handlungsfähigkeit. Auch Zerstörung wirkt anfangs wie Bewegung. Zu Beginn mag sich das stark anfühlen für einige. Es ist jedoch die Aufgabe von Politikern und Intellektuellen, klar zu verdeutlichen, wohin das Recht des Stärkeren letzten Endes führt. [...] Man muss selbst die Agenda setzen. Als Gegenrede ist kein neues Framing möglich. Gut ablesbar ist das an den Debatten um den Migrationspakt. Wo waren jene Stimmen, die fragten: Ist das alles, in Anbetracht der weltpolitischen Lage, human genug? Die rechten Kräfte Europas setzen derzeit die Pflöcke, innerhalb derer angeblich demokratische Debatten stattfinden. Wer sich vorwiegend in diese nationalen Debattenkleingärten hineinbegibt, gibt Europa bereits verloren. (Jagoda Marinic, Süddeutsche Zeitung)Es ist, was ich immer wieder sage: Den Parteigängern von Liberalismus und Demokratie fehlt ein ordentliches Narrativ, das man dem zugegebenermaßen wirkmächtigen der Rechten entgegensetzen könnte. Stattdessen akzeptiert man die Diskursverschiebung. Dies ist natürlich nicht auf allen Feldern gegeben - gerade auf dem Feld der Gleichstellungspolitik hat sich das liberal-progressive Narrativ nach einer kurzen Schockphase ja bereits als stärker herausgestellt - aber bei Migration oder Wirtschaft fehlt das noch weitgehend, mit fatalen Folgen.
2) Human nature sucks. Become a leftie!
So what’s the deal with so many conservatives who seemingly believe that we liberals believe in the perfectibility of mankind? I sure as hell don’t. I believe that humans are, by and large, mean, nasty, greedy, tribal, and ignorant—which is precisely what makes the liberal political program so indispensable. From the Enlightenment onward, Western liberals have done their best to promote a culture dedicated to fighting our worst and basest instincts in order to improve the lot of the destitute and construct a better world. This seems admirable, doesn’t it? Certainly it seems admirable compared to defending the powerful and keeping the poor in their place because, hey, human nature is horrible and there’s no point in fighting it. As for trade-offs, it’s hard to say anything except huh? Conservative “trade-offs” are almost never anything but thinly-veiled excuses for not doing anything to upset the current order. The modern Republican Party, in particular, is almost entirely committed to the propositions that tax cuts pay for themselves, wars don’t cost anything, social welfare hurts the poor, climate change doesn’t exist, and the unregulated free market magically solves all problems. If there’s ever been a political party more dedicated to selling itself to the electorate on the basis of no trade-offs or sacrifices ever being necessary, it’s the contemporary GOP. (Kevin Drum, Mother Jones)Die Fehleinschätzungen darüber, wie die jeweils andere Seite tickt, sind ein Problem, das ich hier vor geraumer Zeit bereits einmal im Kontext der Einschätzung der Verbreitung von Homosexualität (Konservative) und Reichtum (Progressive) thematisiert habe. Aber sie beziehen sich natürlich auch auf ideologische Annahmen; hier ist das Verständnis über die Grundlagen der anderen Seite oftmals nicht über Klischees hinaus definiert. Man sieht das ja auch hier im Blog gerne, wenn Stefan Pietsch "den Linken" beharrlich eine Lust am Geldausgeben und staatlicher Intervention um ihrer selbst willen unterstellt, die teilweise Christian Lindner zu plakativ wäre. Was Kevin Drum oben anspricht, ist zugegebenermaßen eine klassischer konservative Fehleinschätzung, die in Europa glaube ich so keine große Rolle spielt. Kommentatoren und Leser, was haltet ihr für die jeweils missverstandendste Einschätzung, die euch von euren politischen Gegnern am meisten nervt?
3) What Cold War Liberalism can teach us today
Facing totalitarianism rather than populism, the cold war liberals always emphasized pluralism. By that they meant not just a pluralism of interests, which was at the basis of conventional mid-twentieth-century defenses of democracy as a system that lets interest groups compete peacefully, but also a pluralism of human values and what Schlesinger called “a genuine cultural pluralism” characteristic of a democratic society. Thinkers like Berlin and Popper stressed that the utopian state cannot realize a blueprint based on set values without riding roughshod over the rights of individuals—for values held by individuals were simply too varied and often incompatible. This principled pluralism, with its call to respect the diversity of individuals and groups, also helps to show why the populist notion of a unitary volk is so dangerous. Cold war liberals like Arthur Schlesinger Jr. also sought to formulate a “fighting faith” to defend the vital center. They threw themselves into a battle of ideas, a side effect of which, they thought, was greater clarity about their own ideals. As Berlin once put it, “I have always said to myself that I preferred Jesuits to muddled men of good will. At least one knows what one is fighting for and against, and the weapons are kept sharp.” On other occasions, though, Berlin counseled moderation and warned that a political “faith” should not necessarily be answered with a “counter faith,” as though fanaticism required a fanatical response to be defeated. Both liberal stances—longing for a “good fight” to affirm one’s identity, and a self-conscious espousal of moderation—are problematic today. Since populism offers no coherent creed, there is no Schlesinger-style “counter faith” to be crafted; in any case, liberals should be able to figure out what they stand for without needing enemies to help them define it. And being centrist or moderate is only an attractive position to hold if one can plausibly argue that two extremes are equally dangerous. There is no symmetry between right-wing populism and what is often labeled as left-wing populism in our time. One might not agree with their policy proposals, but neither America’s Bernie Sanders supporters and democratic socialists, nor Britain’s followers of Labour leader Jeremy Corbyn, are anti-pluralists. They may advocate “for the many, not the few,” but they are hardly operating with a notion of the pure people. (This is not to suggest that an inherently anti-liberal populism cannot be found anywhere on the left: Venezuela’s disastrous “socialism for the twenty-first century” is an obvious example.) (Jan-Werner Müller, New York Books)Die theoretischen Hintergründe dieses alten Liberalismus sind mehr als spannend, finde ich, und werden im Artikel von Jan-Werner Müller auch sehr ausführlich dargestellt. Ich sehe dieses Fundstück als Komplementärstück für Fundstück 1, denn der alte Liberalismus bot ein klares Gegennarrativ sowohl nach links als auch nach rechts. Diese Mitte-Position machte ihn entsprechend anfällig dafür, von beiden Seiten erodiert zu werden - was dann auch beginnend mit der wirtschaftlichen Krise liberaler Wirtschaftspolitk (Stagflation) ab den 1970er Jahren und befeuert durch die als moralische Krise empfundene Liberalisierung der Gesellschaft einerseits und die steigende Kriminalität andererseits geschah.
4) Saboteur in Chief
Die gute Nachricht ist, dass das im deutschen System so nicht möglich ist. Da bei uns die zentralen Schaltstellen der Institutionen nicht mit politischen Ernennungen, sondern durch Berufsbeamte mit einem überparteilichen Ethos besetzt sind, die grundsätzlich unabhängig von herrschenden Mehrheitsverhältnissen sind, laufen die Maschinen des Staates auch recht problemlos weiter, wenn die eigentliche Politik für eine Weile außer Gefecht ist. Man hat das ja gut gesehen, als die Regierungsbildung ungewöhnlich lange dauerte. Auch Belgien überlebte problemlos über ein Jahr ohne Regierung. Das wäre in den USA unvorstellbar, wo bereits einige Tage Shutdown für schwerwiegende Störungen innerhalb der Maschinerie sorgen, die sofort die Existenzen des amerikanischen Beamtenpendants - der civil servants - bedrohen. Erst vor einigen Tagen erzählte mir ein Bekannter, der im Pentagon arbeitete, dass der Shutdown 2013 und der anschließende sequester-deal ihn mehrere tausend Dollar kostete. Trump kann auf diese Art und Weise tatsächlich das Regierungssystem lahmegen und sich als "Saboteur-in-chief" aufstellen. Generell ist das US-System anfällig gegenüber dieser Art der Sabotage, auch von anderen Regierungszweigen, was teilweise verheerende Auswirkungen haben kann. Das Jim-Crow-Regime, das rund 100 Jahre Bestand hatte, existierte etwa aufgrund von instutioneller Sabotage. Der Widerstand gegen Obamacare wäre in Deutschland schlicht illegal. Und die Möglichkeit, einen laufenden Krieg zu sabotieren, indem man der Armee die Finanzierung und damit das Material entzieht, obwohl er de jure noch läuft, ist auch alles, aber nicht sonderlich sicher oder demokratisch (etwa von den Democrats im Vietnamkrieg).If you keep saying that government is not the solution but the problem, that “Washington” as a generic term for all the institutions that manage the public realm is just a swamp to be drained, you will end up wanting to destroy it. And if this is what you want to do, then the aspects of Trump that seem most like political weaknesses—his ignorance and his incompetence—are not weaknesses at all. They are powerful weapons of administrative destruction. The best way to undermine government is to make it as stupid and as inept as your rhetoric has always claimed it to be. The American system is uniquely vulnerable to this maneuver. Americans tend to think they have the best system of government in the world. Yet from the outside, one aspect of it seems insane. Most functioning democracies have a permanent civil service that is legally obliged to be politically neutral. It takes orders from elected politicians but is protected from subversion by protocols of parliamentary accountability and the difficulty of firing its members. In the US, there is of course a vast permanent public service of two million employees. But the top layers of each department and institution are made up of four thousand presidential appointees. Not only is there no continuity of management, but chaos is easy to create. All an incoming president needs to do is appoint people to these agencies who should not be allowed anywhere near them—or indeed appoint no one at all. There is in the US system an opportunity to abuse power by simply declining to use it. (Finnan O'Toole, New York Books)
5) Blieben Sie bloß im Bett!
Ich kann den Artikel nur unterschreiben, diesem Problem begegne ich tagtäglich. Aber er erzählt nur die halbe Geschichte. Denn was im Artikel nur angesprochen wird ist die Position der Arbeitnehmer, als ob alle von denen sich ausschließlich aus eigener Veranlassung krank zur Arbeit schleppen würden. Ich habe wahrlich schon oft genug Repressalien der Vorgesetzten gegen Arbeitnehmer erlebt, die sich krank gemeldet haben, und öffentliches Lob gegenüber denen, die sich auch krank zur Arbeit schleppen. Stefan Pietsch hat hier in den Kommentaren ja auch schon den Generalverdacht gegenüber faulen, krank feiernden Arbeitnehmern aufgemacht. Diese Einstellung ist wahnsinnig weit verbreitet und sorgt für diese Art der "Selbstzensur" durch Arbeitnehmer. Dazu kommt ja gerade in den etwas gehobeneren Jobs auch, dass sich krank zu melden umso mehr Arbeit bedeutet, sobald man wieder zurückkehrt. Es ist ja nicht so, als ob nicht alles zur Bearbeitung liegen bliebe; schließlich macht ja niemand in meiner Abwesenheit meinen Kram mit. Ich erwische mich, wenn es mir nicht gut geht, auch immer wieder bei diesen Überlegungen. Gerade in meinem Beruf kommt noch dazu, dass ich mich aus einem Verantwortungsgefühl gegenüber den Schülern (besonders in Abschlussjahrgängen) nicht krank melden möchte. Gesund und vernünftig ist das alles nicht.Präsentismus heißt das Phänomen, wenn Menschen ins Büro kommen, obwohl sie krank sind. Es ist ziemlich verbreitet: Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat herausgefunden, dass 67 Prozent der Beschäftigten das mindestens einmal im Jahr so halten. Ich verstehe schon, warum: Sie wollen die Kunden nicht im Stich lassen bei dem großen Projekt, das diese Woche fertig werden muss. Sie sorgen sich, dass die Kollegen lästern: "Die übertreibt doch." Oder dass der Chef denkt, Sie seien faul – und eventuell Ihren Vertrag nicht verlängert. Oder Sie sind einfach scharf auf die Prämie, die Ihre Firma Beschäftigten zahlt, die nie krank sind. Bitte, bleiben Sie trotzdem zu Hause, liebe Kollegen! Ich will Ihre Erkältung nicht. Und erst recht nicht die Grippe. Ich will mir nicht in Besprechungen den Schal über die Nase ziehen müssen, weil Sie neben mir husten. Ich will nicht mit Kolleginnen in die Kantine gehen, die Eukalyptus ausatmen. Und ich will Türen nicht mit dem Ellbogen öffnen müssen, weil Sie vor mir Ihre infizierten Hände auf die Türklinke gelegt haben. Natürlich liegen Sie ganz richtig damit, dass Ihr Arbeitgeber nicht erfreut ist, wenn die halbe Belegschaft das Bett hütet. 133 Milliarden Euro gehen den Unternehmen laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin im Jahr verloren, weil Beschäftigte sich krankmelden. Aber man muss die Rechnung zu Ende denken: Wenn Sie sich zur Arbeit schleppen, weil Sie Ihr Team nicht hängen lassen wollen, und dann alle im Büro anstecken – dann verliert Ihr Arbeitgeber noch mehr Geld durch Ihr Pflichtbewusstsein. Finden Sie Ihre Kollegen wirklich so doof, dass Sie ihnen die Grippe an den Hals wünschen – damit es ihnen so schlecht geht wie Ihnen? Und seien wir mal ehrlich: Wie produktiv sind Sie wirklich mit 38,5 Grad Fieber? (Leonie Seifert, Die Zeit)
6) The slow-motion collapse of the American health-care system
Let's examine two facts. The first is the typical cost of health care for a family of four on an average employer-sponsored plan, taken from a Milliman Research Report. It has increased almost $5,000 just from 2014 to 2018, to $28,166. Note the median household income in 2017 was $61,372, and health-care costs have exceeded income growth by a long shot for decades. The second is what is being bought with that increased money. Despite the huge increase in spending, the answer is less health care for everything except prescription drugs. As this chart from the Health Care Cost Institute details, skyrocketing costs have pushed people away from treatment — especially inpatient care, which declined by nearly 13 percent from 2012 to 2016. The American health-care system is a hellish tangle of bureaucracy, the various (often-deadly) inefficiencies and injustices of which would take several shelves full of books to describe. But these two trends paint a decent broad-strokes picture of what's happening: Americans are paying more for less. We are pitilessly soaked for health care — worse than any other country, by far — and getting steadily less actual treatment for our money. (Ryan Cooper, The Week)Man muss das amerikanische Gesundheitssystem auf eine gewisse Art schon bewundern. Wenn man den Auftrag hätte, ein besonders verschwenderisches System zu designen, das trotzdem miserable Ergebnisse bringt, hätte man eine gute Chance, bei einem besseren System zu landen als dem, das die USA gerade haben. Da gehört schon echt einiges an bösem Willen dazu, und damit sind wir auch wieder bei Fundstück 4. Die weitgehenden Sabotagemöglichkeiten im US-System, die große Zahl an Veto-Spielern, die Macht der Gesundheitslobbyisten und deren bemerkenswerte Freiheit von jeglicher Moral ergeben einen toxischen Cocktail, der das System in diesem katastrophalen Stand hält. Und das sind nur die US-spezifischen Eigenheiten, die institutionelle Beharrungskräfte und Pfadabhängigkeit, wie sie in jedem System vorkommen, noch gar nicht einbeziehen...
7) Sie haben ja nichts gegen Homos, aber...
Mir fällt keine andere gesellschaftliche Gruppe ein, die sich in so kurzer Zeit so fundamentale Rechte erkämpft hat wie Homosexuelle. Ab nächstem Monat dürfen wir auch heiraten. Weltweit ist Österreich das 26. Land, das die Ehe für alle einführt. Und damit ist oft ein Irrglaube verbunden – dass wir den Heterosexuellen nun vollends gleichgestellt sind. [...] Die Uni, so dachten wir, ist ein Ort, an dem man sein kann, wer man will. Bis zu dem Tag, als sich zwei Frauen in der Empfangshalle küssten und vom Security-Personal mit den Worten ›Wir wollen das nicht sehen‹ ermahnt wurden. In der Cafeteria sehe ich ständig heterosexuelle Paare, die sich küssen, umarmen oder auf den Schoß nehmen. [...] Das ist die offensichtliche Homophobie, die mittlerweile für einen Großteil der Menschen indiskutabel ist. Es gibt aber auch eine Homophobie, von der die wenigsten etwas mitbekommen. Martin und ich nennen sie: stille Homophobie. Sie wird oft kleingeredet. Stille Homophobie ist, wenn ich als lesbische Frau nicht ernst genommen werde. Oder noch schlimmer – sexualisiert. Lesben sind eine Männerphantasie. Die Vorstellung, nicht nur mit einer Frau, sondern mit zweien ins Bett zu gehen, ist so etwas wie die ultimative Potenzsteigerung. [...] Aber viele nehmen es persönlich, wenn ich ihnen sage, dass ich mit einer Frau zusammen bin. Sie fragen dann Dinge wie: ›Hast du vielleicht nicht den Richtigen getroffen?‹ Oder sie machen ein trauriges Gesicht. Als wäre ich absichtlich lesbisch, um die Männerwelt zu kränken. Homophobie gegenüber Schwulen funktioniert anders als Homophobie gegenüber Lesben. So anziehend, wie lesbische Liebe wirkt, so tabuisiert ist schwuler Sex. Zu einem Filmabend in Martins Wohngemeinschaft kam eine Freundin vorbei. Sie schauten sich ›Call Me by Your Name‹ an – ein Liebesdrama in der Toskana. Als zwei nackte, männliche Körper zu sehen waren, die sich berührten, sagte die Freundin: ›Das ist mir zu viel.‹ Eine Sexszene, die nicht annähernd so explizit ist wie die meisten Mann-Frau-Liebesszenen, wird plötzlich zum Tabu und ein Film ab zwölf Jahren zu extrem für eine Vierzigjährige. Hier wird ein doppelter Standard angesetzt. Heterosexuelle Männer argumentieren oft so: ›Ich bin ja nicht homophob, aber was die Schwulen machen, will ich nicht sehen!‹ Dafür gibt es eine psychoanalytische Erklärung. Der Ekel vor schwulem Sex kommt daher, dass Männer ihre homosexuellen Phantasien abwehren und auf andere projizieren. Sie kämpfen gegen ihre eigenen Ängste an. Die Angst, selbst schwul zu sein. Die Angst, dass das heteronormative System, das aus strammer Männlichkeit und zarter Weiblichkeit besteht, ins Wanken gerät. (Franziska Tschinderle/Martin Fuchs, Datum)Interessant sind hier zwei Aspekte. Einerseits ist es tatsächlich so dass die "sanfte Homophobie", wie sie im Artikel deutlich gemacht wird, weiterhin ein großes Problem für Homosexuelle darstellt. Toleranz wird oftmals zwar ihrer Existenz insofern entgegengebracht, als dass ihre Grundrechte nicht in Frage gestellt werden. Was das öffentliche Leben anbelangt, wird aber immer noch weitgehend Unsichtbarkeit erwartet, ungefähr so, wie in den Südstaaten von Schwarzen ja auch Unsichtbarkeit und Deferenz gegenüber Weißen erwartet wurde, obwohl eine rechtliche Gleichstellung de jure bestand. Der andere interessante Faktor ist die Ungleichbehandlung von Schwulen und Lesben. Letztere bekommen zwar ebenfalls nervige Diskriminierung ab, aber eine deutlich wohlmeinendere als die Schwulen. Dass "schwul" kein Schimpfwort ist, bekommt man aus den Jugendlichen etwa kaum heraus. Und die ungeheure Abneigung gegenüber Zurschaustellung von Zuneigung unter Schwulen ist ja - trotz der unter Frauen zunehmend beliebteren Schwulen-Erotik - weiterhin virulent. Hier spielt, wie so oft, toxische Maskulinität eine Rolle. Es ist ja kein Zufall, dass gerade die Autokraten, deren Verbindung zur männlichen Performance wir bereits im letzten Vermischten herausgestellt haben, besonders aggressiv gegen Schwule vorgehen - Putin allen voran.
8) House Progressives are set to wield a lot more power in 2019
Put another way, in 2010, there were about 1.5 progressives for every Blue Dog in the House. In 2019, progressives will have a 4-to-1 advantage. This is the biggest the Progressive Caucus has ever been, according to a spokesperson for the group. Why does all this matter? After all, liberal policies like Medicare-for-all are almost certainly not going to be signed into law as long as Donald Trump is president and Republicans remain in control of the Senate. That’s true enough, but some legislation — most notably bills to fund the federal government — must be approved over the next two years, divided government notwithstanding. Ultimately, those bills will be hashed out in negotiations led by Senate Majority Leader Mitch McConnell, President Trump and whoever leads the House (likely Nancy Pelosi). But the bills will have to be approved by the full House and will likely need a lot of Democratic members backing them. I don’t think the progressives are going to just placidly follow Pelosi’s lead and vote for whatever she negotiates with Trump and the Republicans in the Senate. Instead, I expect the group to push the party to the left in these negotiations. In some ways, the progressives in 2019-20 could act a lot like the House Freedom Caucus did in 2017-2018. The Freedom Caucus, a bloc of the most conservative members of the House, often successfully forced House Speaker Paul Ryan to make bills more conservative. Democratic leaders in the Senate, for example, were hinting earlier this year that they would agree to fund Trump’s border wall in exchange for a provision basically turning the Deferred Action for Childhood Arrivals program into a federal law. Trump didn’t take the deal, so it never came to a vote. But I don’t think that kind of deal will be much of an option going forward — progressive Democrats are unlikely to view such a compromise favorably, and would likely fight to limit any wall funding. (Some of them were pushing a provision earlier this year to abolish the Immigration and Customs Enforcement Agency.) (Perry Bacon Jr., 538)Ich habe schon öfter an dieser Stelle über die Gefahr geschrieben, die von einer progressiven Tea Party ausgeht. Wenn die Democrats sich so verhalten würden wie die Republicans, wäre die amerikanische Demokratie am Ende. Gleichzeitig kann es wohl kaum beständig so weitergehen, dass Progressive einfach nur immer die andere Wange hinhalten, während die Rechten ihre Gewinne einstecken und dem Schaden auch noch den Spott hinterwerfen, wie es etwa Mitch McConnell gerne tut. Die obigen Aussichten sind da wahrscheinlich der realistische Mittelweg. Abgesehen vom Haushaltsrecht dürfte der neue liberalere Caucus wenig Einflussmöglichkeiten in den nächsten zwei Jahren haben; entscheidend ist hauptsächlich, wie das Programm für die Zeit nach der Wahl 2020 aussieht, wenn man dann Trump ablöste. Wenn die Democrats taktisch geschickt sind, gelingt es ihnen einen innerparteilichen Konsens zu policy-Fragen zu entwickeln und fertige Legislatur anzufertigen, die "nur noch" durch beide Häuser gestimmt und vom Präsidenten unterschrieben werden muss. Die Chancen dafür sind gering - die Republicans sind deutliche Favoriten für den Senat, und die Präsidentschaftswahl ist in höchstem Maße unsicher - aber wenn der Fall eintrifft, sollten sie nicht mit heruntergelassenen Hosen und ohne Konzept dastehen wie ihre Gegner 2017. Das heißt auch, dass man sehr vorsichtig sein muss, wie man Trump und seine Parteigänger angreift, gerade was das Geschrei zum Impeachment angeht. Aber dazu ein andermal mehr.
9) Beware the Bush family image-rehab machine
Presidents, as Trump forcefully reminds us with each tweet, are the monarchs of our democracy, including the ones we turn against. After long years of banishment, even Herbert Hoover had his moment, becoming a good friend of Harry Truman’s, himself a once-despised figure who has been rehabilitated. Lyndon Johnson, hounded from office because of Vietnam, has since risen as the legislative maestro of the civil-rights era. Now it is the Bushes’ turn. Everything we once rejected looks different. The Skull and Bones elitism and Establishment presumptions now remind us of tradition — of the Wise Men and their internationalist worldview, American grown-ups who belong on the world stage. For all our talk of anti-elitism, we prize — even protect — our elites. And the odd Bush mix of Greenwich clubbiness and Sun Belt yahooism, which often seemed so phony, now looks like an attempt to bridge old and new America, to unite rather than divide, as George W. Bush liked to say. In the alienating age of Trump, the Bushes seem comforting — more like the country we used to be and, in some ways, at least, wish we were again. [...] The Middle East is as it is today because of the Bushes. The first Iraq invasion has been enshrined as a model of foreign policy — but only because the second one was so much worse. In fact, doubts attended 41’s invasion, too. [...] This is the darker side of “humility,” a word that appears four times on a single page in The Last Republicans when the subject is Trump. He keeps failing the humility test, which Bush 43 says begins in “recognizing your limitations and surrounding yourself with people who know what you don’t know.” This formulation will surprise anyone who remembers the second Iraq War and Bush’s own brazen disregard for opinions that came from outside the closed curia of his war room — or recalls Bush’s swaggering speech at the U.N. a year and a day after 9/11. (Sam Tanenhause, New York Magazine)
"Über die Toten nur Gutes" heißt es immer, aber das macht als gesellschaftliche Konvention nur privat Sinn. Öffentliche Figuren und Personen der Zeitgeschichte müssen sich an ihren Taten messen lassen; historisch-politische Analysen sind kein Ort für Sentimentalitäten. Viel von dem, was positiv war über Bush 41, wurde in den zahllosen Op-Eds zum Thema zurecht ja auch bereits genannt. Er ist sicherlich ein Republican, der grundsätzlich für Progressive erträglich ist, so wie Merkel eine CDUlerin ist, die für Progressive erträglich ist. Zudem hat er genuine Leistungen vorzuweisen, vor allem in der Abwicklung des Kalten Kriegs, die in weniger geschickten Händen in Katastrophen hätten enden können - effektiv ein Jugoslawien auf ganz Europa ausgeweitet. Bush fällt in diesen Zeiten auch durch seinen verantwortungsvollen Pragmatismus auf, weswegen ihn seine eigene Partei heute ja in einem Ausmaß hasst, gegenüber dem die ambivalente Stimmung gegenüber Schröder in der SPD wie eine Fanklubversammlung wirkt.
Aber Bush spielt auch eine nicht unerhebliche Rolle in der Radikalisierung der GOP. Zwar achtete er in bewährter Patriziermanier darauf, sich nach Möglichkeit nicht selbst die Hände schmutzig zu machen und dies seinen Untergebenen zu unterlassen, aber im "campaign mode" war er ein Hetzer erster Güte, was er dann nach vollbrachtem Wahlsieg gerne vergessen zu machen suchte. Bush war einer der großen Bannerträger der Radikalisierung der Republicans in den 1960er Jahren, weil ihm dies damals in Texas als Außenseiter den Sieg garantierte, und er schob die GOP aus der ohnehin wenig zimperlichen Reagan-Ära noch eine Stufe weiter (Stichwort Willy Horton, aber ich habe ausführlich darüber geschrieben). Aber hier sind einfach noch zwei sehr gute Artikel (klick, klick) zu dem Thema, bevor ich nur andere, bessere Autoren wiederkäue.
Interviews with more than 30 senior executives suggest many are spooked by #MeToo and struggling to cope. “It’s creating a sense of walking on eggshells,” said David Bahnsen, a former managing director at Morgan Stanley who’s now an independent adviser overseeing more than $1.5 billion. This is hardly a single-industry phenomenon, as men across the country check their behavior at work, to protect themselves in the face of what they consider unreasonable political correctness -- or to simply do the right thing. [...] While the new personal codes for dealing with #MeToo have only just begun to ripple, the shift is already palpable, according to the people interviewed, who declined to be named. They work for hedge funds, law firms, banks, private equity firms and investment-management firms. [...] On Wall Street as elsewhere, reactions to #MeToo can smack of paranoia, particularly given the industry’s history of protecting its biggest revenue generators. “Some men have voiced concerns to me that a false accusation is what they fear,” said Zweig, the lawyer. “These men fear what they cannot control.” [...] There are as many or more men who are responding in quite different ways. One, an investment adviser who manages about 100 employees, said he briefly reconsidered having one-on-one meetings with junior women. He thought about leaving his office door open, or inviting a third person into the room. Finally, he landed on the solution: “Just try not to be an asshole.” That’s pretty much the bottom line, said Ron Biscardi, chief executive officer of Context Capital Partners. “It’s really not that hard.” (Gillian Tan/Katia Porzecanski, Bloomberg)Man würde ja die letzten Sätze des Zitats oben gerne einfach unkommentiert stehen lassen, wenn es nicht so ungeheuer traurig wäre. Da fabulieren sie von "men check their behavior", wenn gerade das nicht passiert. Offensichtlich findet gerade dieses checking, die notwendige Introspektive, ja nicht statt. Stattdessen wird das eigene kriminelle Verhalten gegenüber Frauen einfach als gegeben hingenommen, die Schuld auf die Opfer abgewälzt und diese dann auch noch ausgeschlossen. Ganz großartig. Dass das in dem Testosteron-geladenen Milieu der Finanzfirmen passiert, ist auch nicht gerade ein Wunder. Ich wäre nicht überrascht, wenn einige dieser Typen ihre"Befürchtungen" vor allem deswegen äußern, weil sie glauben dass es sie als besonders männliche und dominante Kerle dastehen lässt, wenn beständig die Gefahr besteht, dass Frauen sich von ihnen bedroht fühlen könnten. Diese Typen sind die Personifizierung toxischer Maskulinität, und es wird Zeit dass es ihnen mal jemand sagt. Aber die Masters of the Universe wissen ja eh alles am besten und werkeln in ihrer Blase vor sich hin, bis zum nächsten Crash, wo sie dann die Gesellschaft wieder hysterisch um Hilfe anbetteln. Was für ein erbärmlicher Haufen.
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