Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) Auch durch Astronautinnen ändert sich nicht alles
Niemand glaubt, dass sich durch gerechtere Sprache alles ändert. Aber auch durch Frauenquoten, kostenlose Tampons auf öffentlichen Toiletten oder Interviews mit Astronautinnen ändert sich nicht »alles«. Es wurde millionenfach erklärt, warum es richtig und notwendig ist, geschlechtergerechte Sprache zu verwenden, unter anderem weil man aus Studien weiß, dass Menschen sich unter der männlichen Form einer Gruppenbezeichnung eben nicht alle Geschlechter vorstellen. [...] Das muss man lernen, klar. So sagte etwa ARD-Chef Tom Buhrow im Interview, wenn Moderatorinnen wie Anne Will von »Politiker_innen« sprechen, dann wirke das auf ihn »künstlich«, es sei ja bisher »nicht in den Alltagsgebrauch übergegangen«. Da sei es wie mit Kleidung: »Alles, was irgendwie ablenkt, führt dazu, dass man sich nicht mehr auf das Thema konzentriert.« Das ist schon auch niedlich, aber wirklich auch albern, wenn ein gestandener Journalist mit Führungsposition sagt, dass er sich wegen geschlechtergerechter Sprache nicht mehr aufs Thema konzentrieren könne. [...] Ähnliches gilt für den Einwand, »gegenderte« Texte seien »unlesbar«, gerne vorgebracht von Menschen, die diverse Fremdsprachen sprechen und auch sonst intellektuell eigentlich gut mitkommen. Oft wird dieser Einwand dann noch mit Ästhetik begründet – es sähe einfach hässlich aus, ein Gendersternchen zu benutzen – und unter dem Schlagwort »Gendergaga« vorgebracht, aber, ganz ehrlich: Wer »Gendergaga« sagt, hat sich in sprachästhetischer Hinsicht doch eh völlig aufgegeben. [...] In der »FAZ« schrieb der emeritierte Linguistik-Professor Peter Eisenberg: »Jetzt knickt auch noch der Duden ein«. Hauptsächlich argumentiert Eisenberg aber gegen den Genderstern, den zu schreiben oder zu sprechen er falsch findet, den er aber noch nicht einmal verstanden hat. So schreibt er: »Der Genderstern wird in Wortformen eingefügt oder ihnen angehängt, um zu zeigen, dass sie sämtliche möglichen Geschlechter einbeziehen, auch sexuelle Orientierungen wie lesbisch, trans, queer, bi, schwul, inter, divers und andere.« Das ist schlicht falsch. Der Genderstern hat nichts mit sexueller Orientierung zu tun, Sie erfahren aus einem Wort wie »Leser*innen« nicht, ob es sich um Lesben handelt. Auch sind »inter« und »divers« keine sexuellen Orientierungen, sondern Beschreibungen der geschlechtlichen Identität jenseits von männlich und weiblich. Wie ernst kann man jemanden nehmen, der der Gegenseite so wenig zuhört? [...] Es geht darum, sich Mühe zu geben, gerecht zu sein. Wenn man sich diese Mühe nicht machen will, dann soll man es eben lassen, aber dann sollte man auch einfach zugeben, dass man keinen Bock hat. Dann wird es auch nicht so peinlich, wenn man irgendwann dann doch mal die Energie aufbringt, es zu ändern. (Margarete Stokowski, SpiegelOnline)
Ich stimme Stokowski völlig darin zu, dass die Gegenargumente (ablenkend, sprachästhetische Probleme, etc.) letztlich vorgeschoben sind. Diese Sprachkritik ist letztlich immer die Frontseite eines tiefer gehenden Problems, das jemand mit dem entsprechenden Phänomen hat. Nehmen wir als Beispiel einmal die vor etwa 15 Jahren verbreitete moral panic, die selbst ernannte SprachschützerInnen vor Anglizismen aller Art hatten. Was wurde da nicht in aufgeregtesten Tönen der "Service-Point" der DB attackiert und sich über Anglizismen in Werbung und Alltagssprache echauffiert (während "echauffiert" vermutlich als alt-ehrwürdiger deutscher Wortbestand galt).
Auch da waren die Argumente um Verständlichkeit und Ästhetik letztlich Symptom des zugrundeliegenden Unbehagens, das die KritikerInnen mit dem Phänomen hatten, das wahlweise der amerikanische Einfluss (Anti-Amerikanismus geht in Deutschland immer), der Kapitalismus oder einfach nur das Alt-Ehrwürdige nicht schätzende Jugend war. Ob links, ob konservativ, ob rechts, für jeden war etwas dabei, anhand dessen man sich über die Phänomene der Sprache ärgern konnte. So ist es letztlich auch mit dem Gendern. Genauso wie die Anglizismen mittlerweile deutlich stärker die Alltagssprache durchsetzen als ehedem, so wird sich auch das Gendern weiter festsetzen und verbreiten - allen immer gleichen Kritiken der Sprachästhetik zum Trotz.
2) What 'Blue Lives Matter' was always about
But this obscures a deeper reality about the far right's relationship to the police. What they really think came out in a comment from one of the putschists overheard by reporter Andrew McCormick, who covered the putsch for The Nation: "This is not America," a woman said to a small group, her voice shaking. She was crying, hysterical. "They're shooting at us. They're supposed to shoot BLM, but they're shooting the patriots." [...] In other words, the Trumpist right thinks the police are on their side in their war against American democracy — that they are supposed to be fascist storm troopers like themselves. And indeed, we saw during the putsch that there were a considerable number of Capitol Police who were reluctant at best to do their jobs, taking selfies with the mob or giving them directions, while at the same time there were a whole bunch of off-duty cops and current or former members of the military among the putschists. [...] There can be no better encapsulation of what Blue Lives Matter really stands for than the image of a self-described "patriot" beating a police officer with an American flag because he was defending the national legislature from an attempted putsch. Patriotism, to these people, means "I get to enforce my will on you, and if you resist I will kill you." Their appropriation of American symbols and constant use of patriotic lingo obscures the fact that they loathe the United States as it actually exists — its democratic system (however flawed), its diversity (however unequal), and its civil liberties (however threadbare). What they want is plainly something like the old Jim Crow South — an authoritarian, one-party apartheid state, with a racial caste system enforced by terror — except this time enforced across the entire country, and with Donald Trump as president for life. (Ryan Cooper, The Week)
Der identitätspolitische Komplex der "Law&Order"-Politik drehte sich noch nie um den Rechtsstaat. Dasselbe gilt ja auch in Deutschland, wo die entsprechenden Phänomene zwar bei weitem nicht so extrem und gewalttätig, in ihrer Natur aber völlig vergleichbar sind. Das Beschwören von Polizei und und deren Gewaltanwendung (in Deutschland gerne als "ganze Härte des Rechtsstaats" verbrämt) gehört zum festen Vokabular des ritualisierten politischen Diskurses. Es geht nicht um Rechtsstaatlichkeit, sondern darum, die Polizei als Werkzeug oder Waffe zur Durchsetzung, Herstellung oder Verteidigung einer bestimmten Gesellschaftsordnung zu sehen, die man für sich selbst wünscht. Auch die Nazis hatten kein Problem, Recht und Ordnung zu beschwören, während ihre SA-Schlägertrupps Straßenschlachten veranstalteten. Was sie meinten war, IHR Recht und IHRE Ordnung durchzusetzen - auf Basis des Rechts des Stärkeren. Das allerdings hat mit Rechtsstaatlichkeit nicht viel zu tun. Wir sehen das ja auch in der Flüchtlingspolitik, wo die gleichen Leute, die mit Grabesstimme Angela Merkels "Rechtsbruch" bei der "Öffnung der Grenzen" beklagt haben, überhaupt kein Problem mit illegalen Pushbacks und jeder Menschenrechtskonvention spottenden Flüchtlingslagern haben.
3) Georgia Was A Disaster For Republicans. It’s Not Clear Where They Can Go Next.
Ich kann mich nur beständig wiederholen, die Republicans sind strukturell eine Minderheitenpartei. Dass sie überhaupt Regierungsmehrheiten bekommen können verdanken sie einzig einem Wahlsystem, das Stimmenanteile in einem Ausmaß verzerrt, gegenüber dem die Repräsentation im Europäischen Parlament geradezu vorbildlich wirkt. Und selbst das reicht ihnen ja vielerorts nicht, wo sie sich auf WählerInnenunterdrückung bis hin zum möglichen Wahlbetrug zurückziehen.
Das bedeutet übrigens nicht, dass die Democrats automatisch eine Art Mehrheitspartei wären; sie haben zwar aktuell strukturell eine Mehrheit der Stimmen, aber ein gutes Drittel der AmerikanerInnen fühlt sich parteipolitisch nicht gebunden. Nur geben sich die Democrats eben Mühe, überhaupt Mehrheiten zu gewinnen, während die Republicans das nicht tun - worauf sie bisher auch nicht angewiesen waren.
Ich hoffe, dass Silvers Analyse korrekt ist und dass die GOP tatsächlich so viele WählerInnen verliert - besonders eben im vorstädtischen Gebiet - dass ihr das alles nicht mehr reicht und sie Mehrheiten dauerhaft verliert. In einem Zwei-Parteien-System ist das nie ein dauerhafter Zustand; noch immer wenn eine der beiden amerikanischen Parteien in der WählerInnengunst eindeutig einbrach, änderte sie sich und stellte ein neues Gleichgewicht her. Es ist meine Hoffnung, dass die Republicans durch eine Niederlagenserie gezwungen sein werden, sich zu moderieren und wieder um die WählerInnen der Mitte konkurrieren - und damit die Demokratie wieder gesundet.
4) Biden Must Avoid Obama's Mistake When Setting His Agenda
Alternate histories are difficult to imagine, but it seems likely that had Obama spent his 2009 political capital on things more directly related to the recession — such as more infrastructure spending, a bigger bailout for underwater homeowners and a stronger welfare state — he'd have realized a higher return on that political capital. In other words, a crisis does present an opportunity for long-term reforms, but it’s best to use that opportunity for reforms that address the immediate crisis. [...] The first priority is public health. [...] This will be a bigger challenge than is popularly realized because of the possibility that vaccine-resistant virus strains will emerge. Biden will need to reorient much of the U.S. economy toward vaccine production and distribution until COVID-19 has been decisively beaten all around the world. It will take a lot of money and a lot of will. After the virus is beaten, the U.S. economy will still linger in recession unless the government acts decisively to boost demand. The best tool for doing this, as usual, is infrastructure investment. And the rapid progress in solar power and batteries means that Biden has a unique opportunity to address the climate crisis at the same time. A huge build-out of solar power and electric-car charging stations, including subsidies to rapidly replace fossil fuel plants and gasoline vehicles, will ensure that the U.S. economy comes roaring back while making huge steps toward decarbonization. (Noah Smith, Bloomberg)
Ich halte die in der Überschrift geäußerte These für falsch. In abgewandelter Form kann man sie gerade häufig in linkeren Kreisen sehen; meine Twitter-Timeline ist auch voll von "Democrats must use their majority"-Thesen, an Aufforderungen an die Partei, jetzt nicht feige einzubrechen, sondern ihr Mandat zu nutzen. Nur: Obama ist nicht das Problem. Das Problem - sofern man es als solches sieht, was sicherlich viele nicht tun, sondern eben eher links oder progressiv denkende Menschen - ist Joe Manchin, ist John Tester.
Ich stelle die Senatoren aus West Virginia und Montana hier pars pro toto. Sie sind die letzten der rar gewordenen blue dogs, der konservativen Democrats. Noch vor zehn Jahren gab es von ihnen viel mehr, machten sie über ein Drittel der Abgeordneten aus. Heute sind es nur noch wenige (während es so etwas wie red dogs überhaupt nicht gibt). Diese Leute, nicht Obamas oder Bidens mangelnder Mut, stehen einer radikaleren progressiven Reformagenda im Weg.
Die Democrats haben 50 Stimmen im Kongress. Zwei davon sind Tester und Manchin. Stimmen diese beiden nicht zu, kann sich Biden auf den Kopf stellen. Manchin etwa lehnt eine Abschaffung des filibuster ab. Es ist daher Quatsch, "Democrats" aufzufordern, den filibuster abzuschaffen. Ohne Manchins Stimme geht das nicht. Und der Mann ist unangreifbar. Das sind die harten Realitäten.
5) ‘We Tried to Warn You’
Tech companies, when they finally—many of them begrudgingly—owned up to the issues they helped create in foreign countries, liked to point the finger at “media literacy” or “digital literacy.” This was Silicon Valley’s polite way of saying that users in these countries were too new to the internet, too naive to know that what they were seeing was fake, too easily misled by crudely Photoshopped pictures and doctored videos. While there is no doubt that this played a role, the overemphasis on this one issue, rather than a comprehensive look at the roles these companies’ own products played, seemed at times to border on calling people stupid and gullible. In the U.S., the thinking appeared to be, users familiar with the internet and fluent in the language of social media could tell fact from fiction, reality from illusion. Underlying this message was a tacit belief in, ultimately misguided, exceptionalism, that this could never happen in America. Until it did. [...] This misinformation, and the plans to take violent action, like that found in other countries, received enormous levels of amplification on social-media platforms and little resistance from them. The resulting violence and deaths were appalling and yet unfortunately familiar, as was the reaction from social-media companies. (Timothy McLaughlin, The Atlantic)
Die hier angesprochene Problematik ist vor allem außerhalb der westlichen Welt relevant; Facebooks Rolle etwa in den jüngsten Massakern in Indien, Sri Lanka und Myanmar wird hier viel zu wenig rezipiert. Zwar haben wir mit dem Sturm auf das Kapitol einen Geschmack davon bekommen, wie das hierzulande aussehen kann - und welches Potenzial für die "Querdenker" in Deutschland besteht -, aber letztlich bleibt die Rolle der Sozialen Netzwerke kleiner, als die Aufregung darum Glauben machen will.
Das Problem in den USA ist nicht Facebook oder Twitter; es ist FOX News. Der Fernsehsender ist der Urquell der Radikalisierung und macht fröhlich weiter damit. Hier muss angesetzt werden, wenn es um die Eindämmung der Radikalisierung geht. In Deutschland haben wir keinen Sender wie FOX, und ich denke dass darin der Hauptgrund liegt, warum unsere "Querdenker" und die AfD ein solches Randphänomen bleiben.
Weitere Details hat Kevin Drum, der sich gerade intensiv dem Thema widmet: hier, hier, hier, hier.
6) The Police’s Tepid Response To The Capitol Breach Wasn’t An Aberration
Between May 1 and November 28, 2020, authorities were more than twice as likely to attempt to break up and disperse a left-wing protest than a right-wing one. And in those situations when law enforcement chose to intervene, they were more likely to use force — 34 percent of the time with right-wing protests compared with 51 percent of the time for the left. Given when this data was collected, it predominantly reflects a difference in how police respond to Black Lives Matter, compared with how they respond to anti-mask demonstrations, pro-Trump extremists, QAnon rallies, and militia groups. [...] The differences in intervention weren’t because BLM protests were particularly violent. [...] Even absent statistical evidence, those beliefs have consequences, Maguire told me. “I think protesters on the right, because they view the police as in their corner, they feel a sense of tacit permission,” he said. This is only exacerbated when police live up to those expectations. But, while it is true that law enforcement responded with far less force to Wednesday’s storming of the Capitol than to Black Lives Matter protests, there was some force, which resulted in one woman being shot and killed by police. And Maguire says this represents a jarring breach between the treatment right-wing extremists expect and the reality. The consequences of that worry him. He’s been watching this year as those extremists’ beliefs about themselves and their relationship with police grew increasingly religious and apocalyptic. [...] The police, meanwhile, he worries, are likely to see criticism of a lack of force in D.C. and respond with more force elsewhere — whether that be against right-wing or left-wing groups. “Every other police department facing an angry crowd will be concerned about being overrun, and overcorrecting in response to that concern may lead to overly forceful, unconstitutional responses.” Violence, as they say, begets violence. And disparities in police force may well beget more disparities. (Maggie Koerth, 538)
Passend zu Fundstück 2 ist dieses hier. Ich meine, das verwundert ja auch nicht. Nicht nur ist Polizei eher ein Beruf, der autoritärer veranlagte Menschen anzieht (so wie überdurchschnittlich viele Progressive in Journalismus und Bildung arbeiten). Aber es gibt auch noch eine andere Seite der Medaille: Linke Demonstrierende betrachten ja die Polizei auch als Feind (man denke etwa an das berühmt-berüchtigte Akronym ACAB, all cops are bastards). Das ist durchaus eine Beziehung, die auf Gegenseitigkeit beruht. Das macht die Sache nicht besser: Die Polizei hat das staatliche Gewaltmonopol, weswegen die Maßstäbe, die wir an sie anlegen, notwendigerweise höher sind als die für linksradikale Demonstrierende. Aber man sollte nicht vergessen, dass Nazis überrascht sind, wenn sie mit der Polizei aneinandergeraten - während die Antifa diese Auseinandersetzung oft genug geradezu lustvoll sucht.
7) Trump Is on the Verge of Losing Everything
If this were still 2015, Trump could fall back on his tried-and-true income generators: money laundering and tax fraud. The problem is that his business model relied on chronically lax enforcement of those financial crimes. And now he is under investigation by two different prosecutors in New York State for what appear to be black-letter violations of tax law. At minimum, these probes will make it impossible for him to stay afloat by stealing more money. At maximum, he faces the serious risk of millions of dollars in fines or a criminal prosecution that could send him to prison. [...] The assumption until now has always been that Trump wouldn’t really be convicted of crimes or sentenced to prison, despite the fairly clear evidence of his criminality. American ex-presidents don’t go to jail; they go on book tours. That supposition wasn’t wrong, exactly. It rested on the understanding of a broad norm of legal deference to powerful public officials and an understanding of the dangers of criminalizing political disagreement. But what has happened to Trump in the weeks since the election, and especially since the insurrection, is that he has been stripped of his elite impunity. The displays of renunciation by corporate donors and Republican officials, even if they lack concrete authority, have sent a clear message about Donald Trump’s place in American society. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Ich glaube immer noch nicht wirklich daran, dass Trump die Konsequenzen seiner jahrzehntelangen Verbrechensserie fürchten muss. Zwar ist durchaus anzunehmen, dass die zugehaltene Nase, mit der die amerikanischen Milliardäre in den letzten Jahren Trump und sein Zerstörungswerk der Demokratie im Namen von Steuergeschenken unterstützt haben, jetzt in einem schnellen sozialen Ostrakismus des Mannes endet. Und ich gönne es ihm von ganzem Herzen.
Nur bleibe ich extrem skeptisch, ob es eine gute Idee ist, Trump und Mitglieder seiner Regierung gerichtlich zu verfolgen, vor allem für Dinge, die während der Regierungszeit passiert sind. So schuldig er offensichtlich auch ist, mir bleibt immer das Beispiel des Falls der Römischen Republik vor Augen. Verfolgt man PolitikerInnen gerichtlich, drückt man sie an die Wand und gibt ihnen keinen Grund, jemals die Macht wieder aufzugeben. Ich lasse Trump lieber seine betrogenen Millionen, wenn er sich dafür nach Mar-o-Lago zurückzieht und die Klappe hält, als dass der nächste Westentaschendiktator im Putsch seine einzige Chance sieht, in Freiheit zu bleiben.
8) The Rise and Fall and Rise (and Fall) of the U.S. Financial Empire
And so the ramshackle rule of the dollar has not just survived the 2020 crisis but been reaffirmed. Can it continue? Faced with the grandiose spectacle of China’s return to global power, the conversation turns to history. Grand strategists invoke the Thucydides trap and predict war. That ought to be unthinkable. But war is, in fact, the only model we have in the modern era of a transition in hegemonic currency. It was World War I and World War II that exploded Britain’s global empire and brought about the dominance of the dollar. When advocates of monetary reform on both the left and right invoke a new Bretton Woods, it is worth remembering that the conference met in the weeks after D-Day and as the Red Army was battering its way toward Poland. If that is our future, the question of currency standards will be the least of our problems. If we imagine instead a more gradual transition, the key issue to watch is the ability of the United States to attract investors willing to lend to it in dollars. [...] In 1973, the economist Richard N. Cooper published an essay in Foreign Policy offering “an unconditional forecast about the future of the dollar for, say, the next decade.” He predicted: “At the end of a decade the position of the dollar will not be very different from what it is now. The dollar will continue to be suspect and the struggle to find acceptable ways to rein it in will continue, but generally they will fail, and the dollar will still be widely used both as a private international and as an official reserve currency. … The basic reason for this forecast is simple: there is at present no clear, feasible alternative.” Almost half a century later, Cooper’s forecast still seems like a good bet. The dollar is a bit like democracy: It is the worst global currency, except for all the others. (Adam Tooze, Foreign Policy)
Ich empfehle die Lektüre dieses spannenden, langen Artikels vom profilierten Wirtschaftshistoriker Tooze (dessen Bücher ich ja immer wieder gerne empfehle) zu Lektüre. Ich habe keine großen Kommentare dazu; es ist nicht wirklich mein Feld. Vielleicht will ja jemand in den Kommentaren ausführlicher Stellung beziehen.
9) So isser, der Laschet. Wirklich?
So einen Satz muss man sich leisten können, er kommt bescheiden daher, selbstkritisch, ehrlich – und doch ist er enorm voraussetzungsreich. Wie ist er denn, dieser Armin Laschet, fragt man sich. Und selbst wer das nicht beantworten kann (und das sind vermutlich ziemlich viele), der gewinnt den Eindruck: Perfekt isser offenbar nicht, der Laschet, aber authentisch. Das wiederum ist nicht das Gegenteil von Inszenierung, es ist die Perfektionierung der Inszenierung. Sie dient vor allem einem Zweck: Vertrauen zu generieren. Merkel hat dieses Image kultiviert: die Sachpolitikerin, uneitel und pragmatisch. Ausgerechnet Merkel, die ihr Privatleben anders als ihr Vorgänger Gerhard Schröder stets aus der Öffentlichkeit hielt, sagte 2013: Sie kennen mich. Es war ein Satz, der über den Moment hinauswies und ihre Kanzlerschaft prägte. Wie kann man Angela Merkel kennen? Es ist das Paradox der Merkelschen Inszenierung: dass sie immer so daherkommt, als sei sie das Gegenteil einer solchen. Auch Bodenständigkeit will sorgsam dargestellt werden. In einer Homestory berichtete die »Bunte« einst darüber, dass Merkel Kartoffelsuppe mag und Gartenarbeit. Banal, egal? Keineswegs. Nur eine Inszenierung, die nicht als solche daherkommt, taugt dazu, Vertrauen zu generieren. [...] Authentizität braucht den Anschein von Bodenhaftung (»ein Mann/eine Frau wie du und ich«), erzeugt durch wohldosierte private Äußerungen, vor allem über Krisen, Fehler und Fehlbarkeiten. »Self-disclosure« nennt die Wahrnehmungspsychologie das. Verkürzt gesagt: Wenn wir Vertrauen gewinnen wollen, dann müssen wir etwas von uns preisgeben. Wenige Attribute oder Anekdoten reichen aus, es geht nicht um wortreiche Selbstoffenbarungen, im Gegenteil. Von dem Politiker als Menschen wird auf den Politiker als Politiker geschlossen. Das ist einfachste Wahrnehmungstheorie: Die Menschen verallgemeinern von dem, was sie wissen (wie wenig das auch sein mag), auf das, was sie nicht wissen. Und sie können die Alltagstauglichkeit eines Politikers meist ohnehin besser beurteilen als seine Fachkompetenz. (Barbara Hans, SpiegelOnline)
Es ist immer wieder faszinierend, wie es neu für Leute ist, dass Politik aus Inszenierung besteht. Die albernste Kritik an Hillary Clinton war immer, dass sie nicht authentisch sei. Klar war sie authentisch. Sie war sehr authentisch eine Frau, die sich nicht wohl darin fühlte, Volksnähe vorzugaukeln. Andere machen eine bessere Figur beim Bratwurstessen auf dem Marktplatz (das deutsche Äquivalent dieses Blödinnkarussells). Aber das sagt ja nichts über die Qualitäten der Leute aus. Die WählerInnen wollten lieber mit Bush als mit Kerry ein Bier trinken; eine Entscheidung, die durchaus verständlich sein mag, aber mit dem höchsten Regierungsamt halt herzlich wenig zu tun hat. Nur ist es für die Wahl eben entscheidend. Laschet ist gut darin, eine Performance der verkörperten Mittelmäßigkeit abzugeben. Das scheint ungefährlich. Nach 16 Jahren Merkel sollte aber doch inzwischen die Lektion gelernt worden sein, wie sehr dieser Schein trügen kann.
10) It Turns Out that Deplatforming Works.
And indeed, deplatforming conspiracy promoters has been proven to work, both now and in the past. In the wake of the recent bans of Trump and QAnon mavens, election misinformation online has dropped by over 70%: [...] The new research by the San Francisco-based analytics firm reported that conversations about election fraud dropped from 2.5 million mentions to 688,000 mentions across several social media sites in the week after Trump was banned from Twitter. Election disinformation had for months been a major subject of online misinformation, beginning even before the Nov. 3 election and pushed heavily by Trump and his allies. Zignal found it dropped swiftly and steeply on Twitter and other platforms in the days after the Twitter ban took hold on Jan. 8. [...] The problem, of course, is that if a single push of a button by Mark Zuckerberg and Jack Dorsey can so profoundly affect democratic discourse and even election outcomes, then our democracy is functionally profoundly affected if not controlled outright by a few autocratic corporations. After all, what if Facebook and Twitter had taken these actions far earlier? What if their leadership, or the whims of their CEOs, changed to being sympathetic with autocracy? It’s far too much power in too few hands, without democratic accountability. The flip side of the argument, though, is that it would indeed be totalitarian for the government to dictate to a private company that it must allow certain speakers or irresponsible speech on its platforms, even when they run counter to its terms of service or even expose it to liability. It was comical to hear conservatives claim that “Twitter censorship” resembled “Communist China” when the reality in China is that media networks are required to support its political leaders–quite the opposite of being empowered to ban them. (David Atkins, Washington Monthly)
Es war die absolut richtige Entscheidung, und sie war überfällig. Wie in Fundstück 7 beschrieben halte ich es nicht unbedingt für zielführend, Trump und seine White-Supremacy-Kollegen gerichtlich zu verfolgen. Wenn man ihnen ihr Megaphon wegnimmt, reicht das völlig. Die Sozialen Medien sind aber - siehe Fundstück 5 - nicht ausschlaggebend. Twitter hat nicht genug Nutzer. Relevant war, dass Trumps Tweet permanent in den Leitmedien rezipiert wurden. Dort muss der Wandel erfolgen.
11) Linke diskutiert radikalen Kurswechsel in der Außenpolitik
Höhn ist sicherheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion, Reformer, und hat ein Diskussionspapier an die anderen linken Abgeordneten geschickt, das ein ganz neues außen- und sicherheitspolitisches Programm der Linken skizziert. Es liegt dem SPIEGEL vor. Man könnte sagen: Es stellt eherne Prinzipien infrage. Man könnte auch sagen: Es rüttelt an überalterten Dogmen. In jedem Fall eröffnet es eine Diskussion, um die die Linke in diesem Wahljahr kaum herumkommt. »Die Welt dreht sich weiter – auch sicherheitspolitisch«, schreibt Höhn. Doch »die Partei vermeidet die Diskussion darüber.« Auf sieben Seitens spricht er alle zentralen Streitfragen der Partei an: d s Verhältnis zur Nato, zur Ausstattung der Bundeswehr, zur EU, zu Auslandseinsätzen im Rahmen der Uno, die Haltung zu den USA und Russland. Seine Antworten dürften für Widerspruch sorgen. [...] Feste Finanzierung der Bundeswehr, Integration in eine EU-Armee, Bereitschaft zu Blauhelmeinsätzen und mehr Geld für Uno-Missionen, Verbleib in der Nato, mehr Distanz auch zu Russland: Höhn steht damit gegen die meisten anderen bekannten Außenpolitiker der Linken. Die Parteispitze, die die Linke regierungsbereit machen möchte, dürfte dagegen mit mehr Wohlwollen auf das Papier schauen. Er wolle, schreibt Höhn zum Schluss, ein Diskussionsangebot machen und Debatten in der Partei anstoßen. Die Chancen stehen gut, dass ihm das gelingt. (Jonas Schaibe, SpiegelOnline)
So sehr ich den Schwenk zum Isolationismus bei der SPD (Stichwort Drohnen, Russland) für fatal halte, sosehr begrüße ich den zu einer halbwegs realistischen Außenpolitik bei der LINKEn. Letztlich nähern sich die beiden Parteien einander deutlich an und räumen das Thema Außenpolitik, das einer Kooperation im Bund bisher immer im Weg stand, ab. In einer hypothetischen R2G-Koalition wären die Grünen dann - wie absurderweise vermutlich auch in einem schwarz-grünen Bündnis, wenn man Laschets Einlassungen ansieht - der Garant für eine Fortsetzung wenigstens eines rudimentären Transatlantismus. Ich halte bekanntlich sehr wenig von den außenpolitischen Vorstellung den der LINKEn und SPD (einen Mix, in den man die FDP leider auch aufnehmen muss, und die AfD natürlich sowieso). Dass jetzt auch die CDU Anstalten macht, in diese Richtung Bewegungen zu vollführen, ist echt merkwürdig. Hoffen wir, dass das nicht passiert.
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