Anfang Dezember habe ich darüber geschrieben, dass Trump und die Republicans inmitten eines wenngleich schlecht ausgeführten Putschversuchs stecken. Gestern konnten wir mit Entsetzen einen bewaffneten Sturm auf das Kapitol erleben. Hunderte von teils bewaffneten Trump-Anhängern betraten das Kapitols-Gebäude und erzwangen eine Evakuierung der dort zur offiziellen Zertifizierung des Wahlergebnisses versammelten Abgeordneten. Bereits seit geraumer Zeit waren im rechten Fiebersumpf Pläne geheckt worden, an diesem Tag gewalttätig zu werden. Zuletzt hatten manche Trumpisten wie etwa Rudy Giuliani explizit dazu aufgerufen (der noch Stunden zuvor einen "trial by combat" forderte); Trump selbst rief ebenfalls implizit zu Gewalt auf und bekräftigte seine AnhängerInnen während des Aufstands weiter. Die Lage ist ernst.
Nicht, dass die PutschistInnen eine ernsthafte Chance hätten, die US-Regierung zu stürzen. Dazu fehlt ihnen die Zusammenarbeit mit der Armee, die Organisation, die Kompetenz. Die Ereignisse gestern waren eher der Bürgerbräukellerputsch als der Marsch auf Rom. Aber es war ein Putschversuch. Die Leute, die ins Kapitol eindrangen, waren zwar mehrheitlich wohl schlicht Gewalt-Touristen, die eine Tour durch das Gebäude machten, Nancy Pelosis Büro vandalisierten und Erinnerungsstücke stahlen. Aber andere waren bewaffnet und hatten größere Vorräte Fesseln bei sich, was zumindest den Schluss nahelegt, dass sie Geißeln nehmen wollten. Glücklicherweise konnten die Abgeordneten und ihre MitarbeiterInnen rechtzeitig fliehen; einE schnell denkendeR MitarbeiterIn brachte sogar noch rechtzeitig die Wahlscheine in Sicherheit, auf die es die Aufständischen abgesehen hatten.
Aber was wir hier beobachten konnten, ist nichts desto trotz erschreckend. Es sind Bilder, wie man sie aus Nationen kennt, bei denen die Nachricht eines Putschversuchs eher ein Achselzucken begleitet. Und wie bereits beim im Dezember begonnenen kalten Putschversuch mit dem Umsturz des Wahlergebnisses durch dubiose politische Manöver, der von sehr großen Teilen der republikanischen Partei getragen wurde - man sollte nicht vergessen, dass eine deutliche Mehrheit gegen die Verifizierung des Ergebnisses zu stimmen plante und dass solche Manöver in manchen Staatenhäusern bereits von sich gingen, etwa in Pennsylvania, wo 108 republikanische Abgeordnete gegen die Verifizierung stimmten und den Amtseid eines neu gewählten demokratischen Abgeordneten blockierten - sollte man sich nicht davon täuschen lassen, dass es sich um einen vergleichsweise chancenlosen Putschversuch von inkompetenten IdiotInnen handelte. So viel Glück hat man nicht immer.
Man sollte auch nicht zu viel Hoffnung darauf haben, dass die Ereignisse einen Umschwung mit sich bringen würden. Denn die Propagandamaschine läuft bereits auf Hochtouren. Auf OAN, Newsmaxx und FOX News wird bereits die neue Legende zum Thema gestrickt: Die Aufständischen seien gar keine Republicans, sondern Antifa-AnhängerInnen, die sich als Konservative getarnt hätten. Man kann bereits sehen, in welche Richtung dieses Ereignis von Rechts gebürstet wird. Intern brüstet man sich damit und bejubelt das Ereignis (50% der RepublikanerInnen bezeichnen die Verbrecher als "Patrioten"), während man nach außen hin eine völlig lächerliche Verschwörungstheorie postuliert, die keine Wahrheitsfindung zulässt und die eigene Anhängerschaft immunisiert. Der weitere Absturz einst rationaler konservativer Medien passt da ins Bild. Der American Conservative etwa berichtet Stand heute morgen GAR NICHT über den Aufstand, sondern...über linke Cancel Culture, die angeblich Homers Odyssee verbieten will. Daneben findet sich ein Artikel, der erneut Wahlfälschung vorwirft. Wenig überraschend: 68% aller republikanischen WählerInnen betrachten die Putschisten nicht als "Gefahr für die Demokratie". Mehr als die Hälfte gibt die Verantwortung für den Sturm des Kapitols Joe Biden. Immerhin 45% unterstützen den Sturm auf das Kapitol.
Diese Strategie wird von Teilen der republikanischen Abgeordneten auch bereits implementiert. Mo Brooks etwa wiederholt, noch während sich die Reste des Tränengases im Kapitol verflüchtigen, erneut die Lüge von der Wahlfälschung. Matt Graetz bläst bereits in dasselbe Horn wie die rechtsextremen Medien und bezeichnet die Aufständischen als verdeckte Antifa-Agenten. Für diese Rede bekam er standing ovations von seinen AmtskollegInnen. Zuvor waren es Ted Cruz und Josh Hawley, die den Versuch der Republicans anführten, das Wahlergebnis nicht zu zertifizieren. Es gibt wenig Anzeichen, dass dieser Irrsinn aufhört. Bestenfalls gibt es eine Spaltung innerhalb der GOP über den Umgang mit diesen Themen, aber ein ordentlicher Teil der Partei wird weiterhin diese Schiene fahren.
Warum auch nicht? Die Ergebnisse aus Georgia, so niederschmetternd sie für die Partei im Moment auch sein mögen, geben keinen Anlass, die Strategie zu ändern. Die Republicans haben mit der Konzentration auf Identitätspolitik und dem gebetsmühlenartigen Wiederholen der Lüge von der Wahlfälschung, die den Wahlkampf komplett dominierte, eine Rekordwahlbeteiligung für sich eingefahren - die genauso wie bei der Präsidentschaftswahl 2017 nur von der Wahlbeteiligung für die Democrats übertroffen wurde. Bereits 2022, wenn Warnocks Sitz bereits erneut zur Wahl stehen wird, wird sich der Wind vermutlich drehen und werden die Democrats beide Häuser des Kongresses wieder verlieren - ohne dass die GOP auch nur ein Iota ändern müsste. Das sind zwei Jahre, in denen wegen der Pandemie und Joe Manchin ohnehin nur relativ wenig für die Democrats erreichbar sein wird. Und wenn die nächste Wahl knapper ist, gibt es auch keinen Bedarf für Schlägertrupps. Dann kann man einfach die Wahlergebnisse per politischem Manöver ignorieren. Den Probelauf haben wir 2020 bereits gesehen.
Doch die Ereignisse sind noch aus einem anderen Grund extrem beunruhigend. Denn warum kamen die Putschisten überhaupt ins Kapitol? Haben die keinen Sicherheitsdienst? Aber klar. Die Sicherheitsmaßnahmen gegen die BLM-DemonstrantInnen sahen übrigens so aus:
Reminder fo what capitol "security" in full military-grade riot gear looked like for Black Lives Matter protests this summer. pic.twitter.com/x2H3E13VPd
— El Norte Recuerda (@Vanessid) January 6, 2021
Und als es Demonstrationen gegen den Mord an Michael Brown gab, reagierte die Polizei so:
Reminder that this was who showed up when people protested the shooting of Michael Brown pic.twitter.com/J7C5DKdpwZ
— Quinn Slobodian (@zeithistoriker) January 6, 2021
Gestern dagegen ließen die PolizistInnen die Aufständischen einfach ins Kapitol. Im Gebäude machten Polizisten Selfies mit den Putschisten. Das Verteidigungsministerium blockierte stundenlang die Entsendung der Nationalgarde. Das ist dasselbe Verteidigungsministerium, in dem Trump im Dezember eine politische Säuberung durchführte und zahlreiche Posten, auf denen eigentlich eher unauffälliges, verdientes und kompetentes Personal saß, durch unqualifizierte LoyalistInnen besetzen ließ. Ich habe das seinerzeit wie viele andere als weiteres Beispiel seiner Korruption gesehen; durch die Geschehnisse gestern erhielt es allerdings eine wesentlich sinistere Note. Die Nationalgarde Virginias (D.C. hat, da es kein Bundesstaat ist, keine eigene) wurde dann doch in Marsch gesetzt - weil Vizepräsident Pence ihren Einsatz befahl. Damit beging der Vizepräsident effektiv Verfassungsbruch, denn er hat dazu gar nicht die Kompetenz. Trump aber war völlig abgetaucht.
Die Demokratie hat gehalten. Aber dass weite Teile der Polizei offenbar so radikalisiert sind, dass sie sich auf derselben Seite wie die Aufständischen sehen und mit diesen kooperieren, ist alarmierend. Man erinnere sich daran, dass die New York Times im Sommer ein viel kritisiertes Op-Ed von Rechtsextremist Tom Cotton publizierte, in dem er den Einsatz von Armeeeinheiten gegen Black-Lives-Matter-DemonstrantInnen forderte. Damals entblödeten sich viele nicht, die Veröffentlichung als Akt der Meinungsfreiheit zu preisen und Kritik als linke Cancel-Culture zu geißeln. Diese Fantasien sind nur einige wenige aufrechte StaatsdienerInnen von der Verwirklichung entfernt.
Wenn der Innenminister Georgias weniger standfest gewesen wäre, hätten die USA heute eine gigantische Verfassungskrise an der Hand. Wäre das Ergebnis knapper, wäre es heute niemals ratifiziert worden. Gäbe es ernsthafte Aussichten auf einen erfolgreichen Umsturz - wer weiß, wie viele Republicans der Versuchung erlegen wären? Die Ereignisse bieten alles, aber keinen Grund zur Erleichterung - auch wenn alles glimpflich ausging.
Das gilt übrigens auch für die Reaktionen aus Deutschland.
Auch manche CDU-Politiker entblöden sich nicht, den Antifa-Bothsiderismus zu bemühen. Diese Verantwortungslosigkeit kennzeichnet die ganze Ära Trump. Erinnert sich noch jemand daran, wie Horst Seehofer (hier stellvertretend für viele andere, die Ähnliches sagten) Trump dafür lobte, dass er so unumwunden und direkt zum Volk (also zu Weißen) spräche? Diese Lobeshymnen sehen jetzt ziemlich dumm aus. Und das war bereits damals absehbar, hätte man es nur sehen wollen. Währenddessen bezeichnet Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt, dem für Luisa Neubauer und Greta Thunberg kein Stalinvergleich zu dumm ist, die Lage als "Amerika ist zerrissen". Was für ein feiges, wachsweiches Ausweichen von Verantwortlichkeit. Zerrissenheit, ein passiver Effekt, ohne Verantwortliche, und wenn, sind sie auf beiden Seiten gleichzeitig zu finden. Es ist ekelhafte Rückgratlosigkeit.
Das ist deswegen relevant, weil kaum Zweifel daran bestehen dürften, dass die AfD einen ähnlichen Weg ginge, wenn sie stark genug wäre. Danach sieht es zum Glück gerade nicht aus. Aber man sollte diese Zuversicht nicht allzu weit in die Zukunft projizieren. Fantasien von der Erstürmung des Reichstags fanden schließlich erst diesen Sommer auch bei uns ihre willigen Ausführenden. Das heißt nicht, dass uns ein Umsturz der AfD bevorsteht. Aber es heißt, dass man genauso wie in den USA den Anfängen wehren muss. Es war eine jahrelange Erosion der Demokratie, die die Grundlagen für den gestrigen Tag legte. Es braucht die klare Abwehr der demokratischen Mehrheitsgesellschaft und vor allem der Konservativen und Liberalen - ideologische Nachbarschaft, wir erinnern uns -, um sie zu erhalten. Es ist an uns dafür zu sorgen dass die USA nicht einmal mehr die Avantgarde einer Entwicklung der westlichen Welt sind, die dann von den anderen Demokratien nachvollzogen werden wird.
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