Dienstag, 13. September 2022

Liberale Elfen versuchen Kriminelle in Florida mit e-Zigaretten und iPads zu verhaften - Vermischtes 13.09.2022

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) Nichtstun First. Bedenken Second

Das Programm, das Wissing vorgelegt hat, reicht für 13,66 Megatonnen Reduktion. Und schon diese zwei Nachkommastellen sind eine Art böser Witz, wenn man sich die Einzelposten ansieht, denn die wirken eher wie ein Wunschzettel. Krassestes Beispiel ist der fromme Wunsch – mehr ist es eben nicht – dass der Fortbestand von Home-Office-Regelungen über die Pandemie hinaus pro Jahr eine halbe Megatonne CO₂ einsparen werde. [...] Das ist offensichtlich auch nicht einfach Unfähigkeit oder Faulheit, sondern Strategie: Christian Lindner hat schon ziemlich unverblümt erklärt, dass er sich an die bestehende Regelung für die sogenannten Sektorziele nicht gebunden fühlt . Im Klartext: Das, was die FDP-Ministerien nicht hinkriegen, soll irgendjemand anderes ausgleichen. Im Bereich Verkehr soll sich offenbar einfach gar nichts ändern. Nichtstun First. Bedenken Second. [...] Tatsächlich verbirgt sich hinter der Weigerung des FDP-Verkehrsministers und des Finanzministers, irgendeinen relevanten Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise zu leisten, eine tiefere, selbstzerstörerische Ideologie. Die Lindner-FDP versucht weiterhin so zu tun, als sei die Abwesenheit von Veränderung eine reale Möglichkeit: [...] Die FDP versucht derzeit, die Fiktion aufrechtzuerhalten, dass sich in Deutschland eigentlich nichts ändern muss. Doch Wissings Progrämmchen würde gerade mal für ein Zwanzigstel des eigentlichen Ziels reichen. Wenn es denn funktionieren würde, was, wie gesagt, viel mit Wunschdenken zu tun hat. (Christian Stöcker, SpiegelOnline)

Ich teile Christian Stöckers Kritik völlig, aber es wäre vielzu kurz gesprungen, die FDP allein dafür verantwortlich zu machen, diese Fiktion aufrechtzuerhalten. Das ist ja eine Allparteienkoalition, mal mehr, mal weniger (wie wir wissen sind die Grünen am schlimmsten, weil Habeck den Tipp gibt, kürzer zu duschen oder so). Aber die angesichts der Klima-Krise, deren Dringlichkeit der jüngste ICPP-Bericht wieder vor Augen geführt hat (eien Institution, die nicht eben zu Übertreibungen neigt), ist das alles merkwürdig unernst. Der radikalste Vorschlag in diesem Land ist aktuell ja wirklich, kürzer zu duschen, was von vielen ja als völlig unzumutbar betrachtet wird. Das ist völlig unwirklich.

Aber: Wissing und sein Chef verdienen hier durchaus noch einmal eine spezielle Schelte. Denn die kalte Auflösung der Sektorziele, die die beiden hier betreiben, ist sowohl ein Verstoß gegen den Koalitionsvertrag, den weder die FDP noch ihre Anhänger*innen so auf der Gegenseite akzeptieren würden, als auch in der Sache wahnsinnig problematisch. Ich teile Stöckers Analyse nicht, dass die Lindner-FDP die Abwesenheit von Veränderung als reale Möglichkeit begreift. Es ist eher, dass sie die Abwesenheit politischen Handelns als reale Möglichkeit begreift, weil sie ihre Hoffnung auf Marktprozesse wie die CO2-Bepreisung und solche Maßnahmen legt (zumindest manchmal). Aber das halte ich insgesamt für illusorisch; nicht, weil diese Marktprozesse nicht funktionieren würden, ich bin da ja sehr dafür, sondern weil sie alleine nicht ausreichend sind. Und die Sektorziele sind ein guter Ansatz.

2) On the wisdom of the historians

But I think a big part of the reason people care so much about the goings-on in history academia is that in recent years, history professors have become some of the most important voices that we look to in order to understand our current political and social troubles. Jay Caspian Kang explained it well in a New York Times column today: "Over the past decade or so, history has become the lingua franca of online political conversation. This is a relatively new phenomenon…[T]he shift has something to do with the centrality of Twitter over the past decade (historical documents and photos make for great screenshots) and, more important, the changes in the country itself. Once Donald Trump became president, it was harder to write about “Breaking Bad” and Taylor Swift in such self-serious tones…Twitter has also allowed historians to assume a place in the public discourse that would’ve only been available to a select few before the advent of social media…As a result, history does seem to have an unusual amount of weight in the public discourse. [...] Note that I am not arguing that we shouldn’t try to draw lessons from the past! Instead I am arguing that when we do try to draw lessons from the past, we should have some sort of empirical procedure for testing whether and when those lessons are good or bad ones. Otherwise, historians are just free to use their personal judgment — or their personal politics — to pick and choose whichever historical examples they feel like analogizing with the present day. (Noah Smith)

Der Streit zwischen Noah Smith und Bret Devereaux (Transparenz-Vermerk: ich bin mit Devereaux freundschaftlich verbunden) ist ziemlich faszinierned. Smith hat ihn mit obigem Beitrag von Twitter in die Blogosphäre geschoben, wo man bekanntlich wesentlich differenzierter argumentieren kann. Inzwischen gibt es diese großartige Replik von Bret Deveraux. Für diejenigen, die das Ganze komplett verfolgen wollen (es lohnt sich). Ich habe einige wenige Anmerkungen und verweise sonst auf Devereaux.

Das erste wäre, dass dies ein typisches Beispiel vom Schuster, der bei seinen Leisten bleiben sollte, ist. Weitreichende Aussagen über eine Fachkultur, die man nur aus der Außenperspektive kennt, sind immer problematisch, und Smith ist hier definitiv der (wenngleich gut belesene) Amateur. Ich will Smith nicht zu sehr in den Senkel stellen, ich habe ihn früher immer sehr geschätzt. Aber seit er seine Kolumne bei Bloomberg hat, ist die Qualität seiner Beiträge zurückgegangen. Negative Korrelation mit Reichweite und Ruhm, fürchte ich.

Das zweite ist Smiths Wissenslücke über die Stellung von Geschichtswissenschaftler*innen, die einmal mehr seine Außenperspektive verrät. Wenn er sagt, dass sie gerade eine präzedenzlose Stellung bei der Interpretation des Weltgeschehens innehätten, ist das geradezu lächerlich. Einerseits, weil die Historiker*innen zwar in den letzten Jahren gegenüber den Wirtschaftswissenschaften, die vor allem in den 2000er Jahren tonangebend waren, einigen Boden gut gemacht haben, aber noch weit von einer dominierenden Stellung, wie Smith sie hier imaginiert, entfernt sind. Andererseits, weil Historiker*innen im 19. Jahrhundert eine Stellung besaßen, die alles seither Dagewesene in den Schattenstellt. Was von Leuten wie Delbrück oder Mommsen kam, war effektiv das Wort Gottes. Davon sind wir noch weit entfernt.

Das dritte ist, dass Smith einem völligen Missverständnis aufsitzt, was die Grenzen der Geschichtswissenschaft anbelangt: wie auch Devereaux beschreibt, sind Analogien immer "pick and choose", das liegt in der Natur der Sache. Es gibt keine Möglichkeit, in der Geschichtswissenschaft empirisch etwas zu beweisen. Das mag viele aus anderen Wissenschaftszweigen Kommende frustrieren, aber es gehört eben zum Gewerbe dazu. Ich versuche mich deswegen ja auch (nur leidlich erfolgreich), mich mit historischen Analogien zurückzuhalten.

3) Violent crime is spiking in Trump’s California. These counties blame everyone but themselves

It’s safe to say that none of these counties coddle their criminals — presidential leanings don’t define policy, but they are an indicator of how local politicians and law enforcement think about and handle crime. And yet, not only do these counties share the same problems of dark-blue Los Angeles and San Francisco — poverty, homelessness, drugs — they are doing worse on homicides. That’s true, even given the fact that a few killings in less-populated counties can mean big jumps in year-to-year statistics.  [...] At the other end of the spectrum is Contra Costa County, which has been successful at beating state averages on crime and has one of the state’s only (along with L.A.'s George Gascón) openly progressive district attorneys, Diana Becton. [...] So the idea that progressive policies lead to more violent crime just doesn’t pan out, any more than the idea that getting tough dissuades criminals.  [...] There are two things we should talk about: guns and NIMBYism. First, we are swimming in guns. Drowning in them. Becton told me there are now “more guns in the hands of people than I think in history.” [...] Racist before reforms and still, our system has locked up people of color at alarming rates, while criminalizing health issues including addiction and mental illness. So the changes we’ve put in place to create equity, fairness and compassion are vital to reimagining a paradigm that for too long crushed not just people, but communities. Where we’ve failed is in supporting and implementing those reforms. When someone is released from prison, diverted from jail or is the victim of a crime, that can’t be the end of the story. [...] Most Californians are liberal at a distance, but bring it too close and it just doesn’t make sense here. There may be no better example than the San Francisco neighbors who last year successfully blocked the conversion of a 131-room boutique hotel into permanent supportive housing for people who were previously homeless. [...] So criminal justice reform may be the easiest focus of blame for why some violent crime is up. But it turns out guns really do kill people, regardless of what the right likes to argue. And so does NIMBYism, though it’s an uncomfortable culprit to name. (Anita Chabria, LA Times)

Es ist einmal mehr spannend zu beobachten, wie fehlgeleitet viele Politiken sind, die versuchen, Kriminalität in den Griff zu bekommen (ich hatte darüber ja geschrieben). Der ständige "tough on crime"-Bullshit produziert nichts als menschliches Leid, aber nicht das, was er eigentlich zu produzieren vorgibt: weniger Kriminalität. Es gibt nur wenige so offensichtlich gescheiterte Ansätze, die trotzdem ständig neu reproduziert werden.

Auf der anderen Seite ist auch die Kritik am "wasch mich, aber mach mich nicht nass"-Progressivismus völlig berechtigt. Die Politiken, die tatsächlich Kriminalität vorbeugen könnten, werden oftmals rundheraus abgelehnt. Auch von Progressiven. Niemand will gerne soziale Projekte in direkter Nachbarschaft, obgleich das gar nicht zwingend problematisch sein muss (ich hatte sowohl ein Heim für schwer erziehbare Jugendliche als auch für geistig Behinderte im Haus nebenan und es war unstressig); ein Geflüchtetenheim will ich trotzdem nicht unbedingt neben mir). So scheitert das Wünschenswerte häufig an solchen Umständen.

4) Soziale Probleme lösen – und Naturschutz ist die Folge

Die neue beschreibt die Krise nicht mehr vor allem als eine Krise der Natur, sondern der Gesellschaft. "Wir haben keine ökologischen Probleme – wir haben soziale Probleme, die die ökologischen Probleme verstärken", sagt Johan Rockström, der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Daraus folgt: Wenn die Menschheit die größten sozialen Probleme löst, dann ist Naturschutz fast eine automatische Folge. Das ist eine interessante These, die (so hofft der Club of Rome), für Diskussionen sorgen wird. Dafür könnten auch die Schlussfolgerungen oder Empfehlungen sorgen: Denn die Studie beschreibt nicht nur den möglichen Untergang der Menschheit. Sie wagt auch eine Skizze für eine optimistische Zukunft. Im "Giant Leap"-Szenario ("gigantischer Sprung") rafft sich die Menschheit auf – und löst, überraschenderweise, die Probleme. Und das ist in diesen Zeiten der täglich immer düsterer werdenden Gegenwart nun mal wirklich erfrischend. [...] Fünf Punkte zählt die Studie auf: Erstens ein Ende der Armut. Zweitens das Ende der Ungerechtigkeit. Es darf nicht länger sein, dass die oberen zehn Prozent der Bevölkerung über 40 Prozent der Ressourcen benutzen. Drittens mehr Bildung für Frauen, was automatisch zu einem Sinken der Geburtenrate führt. Viertens eine gesündere Ernährung für alle Menschen, weniger Fleischkonsum ermöglicht mehr Nahrungsmittel für alle. Und fünftens der schnelle Wandel hin zu sauberen Energieformen. Das alles klingt wenig spektakulär und doch zugleich utopisch – jedenfalls unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen. (Petra Pinzler, ZEIT)

Was mir an der Berichterstattung über diese neue Studie des Club of Rome massiv auffällt ist wie ständig betont wird, dass "die obersten zehn Prozent" die Kosten tragen und ihren Lebensstil ändern müssen. Das wird ständig im gleichen Duktus wie Plädoyers für eine Vermögens- oder Reichensteuer vorgetragen, ohne den Kategorienfehler zu bemerken: der Club of Rome redet in globalen Maßstäben, und grob über den Daumen gepeilt würde ich sagen, dass alle Deutschen über der Grundsicherung zu den globalen 10% gehören. Ich glaube nicht, dass dieses Land darauf vorbereitet ist, solche Einschnitte hinzunehmen (was gleichzeitig auch eine tolle Analogie dafür ist warum es so schwer ist, die Superreichen angemessen zu beteiligen). Nicht, dass die Logik des Club of Rome fehlerhaft wäre; es ist eher ein Umsetzungsproblem. Wenn ich mal das ganze "ich wäre persönlich massiv betroffen" ignoriere. Ich will ja auch nicht gerade die Hälfte meines Lebensstandards verlieren...

5) „Profiteure von menschlichem Leid“ (Interview mit Conni Lenert und Nina Kemper)

Was kann man dann den Menschen in der Ukraine konkret raten?

Lenert: Was man tun kann, wenn man angegriffen wird, ist natürlich eine Entscheidung der Einzelnen. Wichtig ist zu unterstreichen: Es geht um die Menschen und nicht um Staaten. Linke sagen gerade oft: „Wir müssen Waffen an die Ukraine liefern“, und dann reden sie plötzlich aus der Perspektive der Bundesrepublik. Gleichzeitig ist das eine schwierige Frage, auf die wir keine zufriedenstellende Antwort haben. Wir verweisen aber darauf, dass wir rausmüssen aus der militärischen Logik insgesamt.

Manchen gibt diese Aufrüstung ein Gefühl von Sicherheit.

Lenert: Als Antifaschistinnen ist es für uns sehr bedrohlich, dass die Bundeswehr, die von einem Rechtsextremismus-Skandal in den nächsten stolpert, so viel Waffen und Ausrüstung bekommt. [...]

Kempert: Wir müssen grundsätzlich aus dieser militärischen und kapitalistischen Logik herauskommen. Krieg ist eben eines der profitabelsten Geschäfte auf dieser Welt. [...] Krieg und Flucht sind ein tödlicher Kreislauf, der durch mehr Waffen immer weiter befeuert wird. Deswegen ist es für uns keine Möglichkeit, dieses staatliche Verlangen nach mehr Aufrüstung in irgendeiner Form zu unterstützen. Gleichzeitig sind wir mit allen Protestierenden und Kriegsgegnern, sowohl in der Ukraine als auch in Russland solidarisch. [...] Man kann Ukraine und Rojava nicht miteinander vergleichen. Das eine ist ein neoliberales Staatsgebilde, das seine Bevölkerung unter Zwang dazu verpflichtet zu kämpfen. Und Rojava ist eine emanzipatorische Bewegung, die sich selbstverwaltet und auf Gleichberechtigung abzielt. (Lea Fauth, taz)

Dieses ganze Interview ist eine beeindruckende intellektuelle Bankrotterklärung und vor allem als solche interessant. Wenn Lenert sagt, es sei "die Entscheidung jedes Einzelnen" was man tut, wenn russische Panzer heranrollen, ist so lächerlich, da kommt ja nicht einmal der krasseste Libertäre mehr mit, der den Kampf gegen die Klimakrise zur rein individuellen Lifestyle-Entscheidung erklärt. Ob Lenert überhaupt auffällt, was sie da sagt? Gleiches gilt für den Staatshass, den die beiden hier zu Markte tragen und der jeden Neoliberalen dazu bringt "mach mal langsam" zu sagen. Die beiden vertreten einen ziemlich anderen Linksradikalismus, als man ihn üblicherweise sieht, aber beknackt ist er trotzdem.

6) Schulamt verbietet Lehrkräften Rückgabe von Dienst-iPads (dafür gibt’s jetzt Office 365)

Zu klein, zu schlecht ausgestattet, kaum zu gebrauchen: Über 1.000 Lehrkräfte in Köln hatten ihre Dienst-iPads an die Stadt zurückgeben wollen – daraus wird nun allerdings nichts, wie die „Kölnische Rundschau“ berichtet. Die Aktion darf nicht stattfinden. Das Schulamt habe in einem Infobrief an die Schul- und Ganztagsleitungen kurzfristig die Rückgabe untersagt – und mit dienstrechtlichen Maßnahmen gedroht. [...] „Die Möglichkeiten zur Nutzung des von der Stadt zur Verfügung gestellten Videokonferenztools sind eingeschränkt. Unerklärlich ist zudem, dass Geräte ausgewählt wurden, mit denen das vom Land gestellte Lernmanagementsystem Logineo LMS im Editiermodus nur sehr begrenzt bis gar nicht nutzbar ist, weshalb selbst die Medienberatung NRW von einer iPad Nutzung bei Logineo LMS Schulungen abrät. Hinzu kommt, dass alle Arbeit am kleinen 10 Zoll Bildschirm stattfinden muss: seitenlange Gutachten, Zeugnisse, Noten- und Klassenlisten, Lern- und Förderempfehlungen.“ (News4Teachers)

Es macht mich so wütend, solche Nachrichten zu lesen. Das passiert ständig, ob in Behörden oder in Unternehmen. Es war bei uns genau dasselbe. Ich habe mich jahrelang mit Zähnen und Klauen dagegen gewehrt, dass iPads als Standardgeräte eingeführt werden. Diese Entscheidungen, die in irgendwelchen Bürokratien - ob staatliche oder betriebliche ist dafür echt so Hupe - getroffen werden, ohne die Betroffenen einzubinden, führen genau zu solchen Ergebnissen. Man hat einen riesigen Stapel fabrikneuen Elektroschrott, der für die zu bewältigenden Aufgaben völlig ungeeignet ist. Aber Hauptsache, irgendwelche Kästchen konnten auf den richtigen Formularen angekreuzt werden. Ausbaden müssen es dann die Beschäftigten, die mit völlig ungeeignetem Gerät operieren müssen.

7) Coverage of Ron DeSantis shows the media has learned nothing from Trump

DeSantis has learned he can get away with anything, no matter how extreme or how deceitful. Rather than holding him accountable, political reporters praise his strategy. Sure, our major news organizations run the occasional story pointing out who he really is. But what DeSantis is exploiting is the “both-sides” political media’s inability to sustain outrage against one side, no matter how extremist and authoritarian it becomes. [...] The outrage ebbs, so by definition it’s not outrageous any more. And then, for political reporters, it’s back to horserace coverage, where every horse has to be given a fair shot — where politics has no right or wrong, just who’s winning and how they’re doing it. [...] Can any reporter honestly say that an introductory clause stating that DeSantis “raised his national profile over his handling of the pandemic and is widely considered a potential 2024 presidential candidate” (Wall Street Journal) or “has relished stoking cultural battles, even going to war with Disney, a storied company with deep ties to his state” (New York Times) is an adequate summary of who he is and how he would govern? [...] The argument I sometimes hear from establishment media types is that when reporters describe outrageous things a politician has done, that’s enough. They don’t need to suddenly stop using emotionless jargon and both-sides story structures. There’s no need for yelling, readers can contextualize this stuff for themselves, they tell me. But the fact is that reporters are contextualizing these actions, they’re just doing it with euphemisms, or at the strategic level. The stakes are so high that reporters must not understate them. That is not the same as screaming. That is doing their job. (Dan Froomkin, Press Watch)

Ich weiß gar nicht, was man hier noch sagen soll, außer kräftig mit dem Kopf zu nicken, bis man Genickstarre hat. Um mal meine linke Seite zu pflegen, ein Teil des Problems ist in der in der wirtschaftaftlichen Situation begründet. Hier gibt es einen großartigen Thread zu den finanziellen Anreizen von CNN, passend zu Resterampe n), den ich der Lektüre empfehlen will.

Gleichzeitig aber ist mir auch klar, dass es eine schwierige Situation ist. Froomkin schießt in seiner Kritik weit über das Ziel hinaus, denn CNN kann ja andererseits nicht einfach Partei werden, was geschehen würde, wenn der Sender das machen würde, was Froomkin fordert. Die Situation ist deswegen so verfahren, weil die GOP keine demokratische Partei ist; ginge es um Tories vs. Labour, hätten wir dieses Problem überhaupt nicht. Aber wie verhält man sich, wenn von zwei Parteien eine Demokratie und Meinungsfreiheit zerstören will? An dem Problem sind die Medien immer wieder gescheitert, und eine gute Lösung hat noch keiner gefunden. Ich hab auch keine. Aber das macht es nicht weniger ärgerlich, in Echtzeit zu sehen wie Proto-Faschisten normalisiert werden.

8) Einweg E-Zigaretten: Dümmster Trend seit langem – so schädlich sind Wegwerf-Vapes

Bei genauerer Betrachtung entpuppen sich solche Wegwerf-E-Zigaretten aber als extrem umweltschädliche Produkte. Der einfache Grund: In den für rund 10 Euro erhältlichen E-Zigaretten stecken meistens Lithium-Ionen-Akkus, die dann schließlich gemeinsam mit der E-Zigarette im normalen Hausmüll landen, wo sie eigentlich nicht hingehören. [...] In der "Elf Bar 600" steckt beispielsweise laut Hersteller ein 550-mAh-Akku. Nach etwa 600 Zügen landet damit jedes Mal ein eigentlich wiederverwertbarer Akku im Müll. Zum Vergleich: Im Galaxy S22 steckt ein 3.700-mAh-Akku. Mit dem Wegwerfen von 7 Elf Bars wird damit eine Akkukapazität einfach in den Müll weggeschmissen, die für den jahrelangen Einsatz eines Galaxy S22 ausreichen würde. Ganz zu schweigen von der Verschwendung der wertvollen Seltenen Erden, die für die Herstellung der Akkus benötigt werden. Allein in Deutschland werden jeden Monat eine hohe sechstellige Anzahl solcher Wegwerf-E-Zigaretten verkauft und damit nach dem Verbrauch wieder weggeschmissen. (Panagiotis Kolokytha, PC-WELT)

Wir sind wirklich eine der dümmsten Spezies auf diesem durch die Galaxis kreisenden Erdball. Mitten in einer Gaskrise trocknen wir mit Gas Kaminholz, und in der größten Klima- und Umweltkrise seit wir von den Bäumen heruntergeklettert sind, während ständig die Elektrifizierung der Autos unter anderem mit dem Argument, dass es gar nicht genug Ressourcen für die Batterien gäbe, blockiert wird, produzieren wir Wegwerf-E-Zigaretten. So sehr ich den Kapitalismus als Konsumwünsche-Erfüllungsmaschine liebe, in solchen Momenten werden seine Schattenseiten einfach zu offensichtlich.

9) Schutzlos

Die strukturelle Missachtung, die wie in Münster zu tödlicher Gewalt führt, beginnt viel früher. Sie beginnt in den Blicken, in der Sprache. Sie beginnt im Klassenzimmer, in dem Homosexualität nur im Zusammenhang mit HIV vorkommt. Oder in der Familie, in der davon ausgegangen wird, dass die Kinder heterosexuell sind. Sie beginnt in Medien, in denen über trans Menschen diskutiert wird, als wäre ihre Existenz eine Meinungsfrage, und im Büro, wenn Menschen sich fragen, wie sichtbar sie wirklich sein können. Sie beginnt in der Bar, in der Queers sich lieber nicht küssen. Der junge Mann, der in Münster andere beschützen wollte, hat sich in einem Verein gegen Transfeindlichkeit eingesetzt. Er kannte also die Vorurteile, er wusste um die Gefahr. Er hat sich entschieden, trotzdem sichtbar zu sein. Er hat andere geschützt, damit sie es auch sein können. Es wird Zeit, Menschen wie ihn zu schützen. (Simone Sahles Prado, SZ)

Auf Twitter haben dieser Tage viele Menschen zurecht darauf hingewiesen, dass die ständige transfeindliche Berichterstattung, die das ganze Thema vor allem unter dem Blickwinkel "geben Sexualstraftäter sich als Frauen aus und machen perversen Scheiß in Mädchenumkleiden" geframet hat, mit Sicherheit eine Mitverantwortung für das Geschehen trägt. Auch J. K. Rowling darf man da gerne wieder erwähnen. Sie hat gerade ein 1200-Seiten-Buch über einen Charakter geschrieben, der von Trans-Aktivist*innen bedroht wird. Die Frau kippt echt völlig ab, und die Kritik an ihr zeigt sich vor diesem Hintergrund als wesentlich berechtigter, als dies oft dargestellt wurde.

10) When 'wokeness' comes to Middle-earth: Why some say diverse casting ruins the new 'Lord of the Rings' series

Morse is deputy managing editor of RedState, a conservative news site. He says "The Rings of Power" producers have cast non-White actors in a story based on European culture and who look wildly different from how Tolkien originally described them. He says it's an attempt to embed "social justice politics" into Tolkien's world. "If you focus on introducing modern political sentiments, such as the leftist obsession with identity issues that only go skin deep, then you're no longer focusing on building a good story," says Morse, who wrote an impassioned essay about his misgivings. "You're effectively making propaganda, or art meant to fit a message, not a message to fit the art." [...] Middle-earth fans and scholars like Morse have clashed in online forums and dueling op-eds over this question: Does casting non-White actors enhance the new series, or is it a betrayal of Tolkien's original vision? [...] Steve Toussaint, a Black actor who plays a wealthy naval commander in the current "Game of Thrones" prequel, "House of the Dragon," spoke to this debate recently when he revealed he's been criticized by White fans for being cast in the HBO series. "They are happy with a dragon flying," Toussaint said. "They're happy with white hair and violet-colored eyes. But a rich Black guy? That's beyond the pale." [...] But critics of casting non-White actors in "Rings of Power" say their objections have nothing to do with racism. It's about being faithful to Tolkien's vision. (John Blake, CNN)

Dieser Artikel ist ein großartiges Beispiel für die Dummheit von Bothsiderismus auch außerhalb Politik. Es ist offensichtlich, dass Morse "woke" hier als Synonym für "schwarz" benutzt. Etwas ist "woke" und damit abzulehnen aus dem einzigen Grund, dass schwarze Personen zu sehen sind. Das ist nicht nur deswegen so absurd, weil "Mittelerde" eine Fantasiewelt ist, so dass nicht einmal das sonst so gerne bemühte Strohmann-Argument von der "historischen Genauigkeit" wirklich zieht, sondern auch, weil etwa die Harfoots bei Tolkien wohl als "braun" beschrieben werden und das Casting sogar NÄHER an Tolkiens Vision wäre. Nicht, dass das eine relevante Kategorie ist; "Rings of Power" muss gutes Fernsehen sein, nicht zu erraten versuchen, was Tolkien gefallen hätte, würde er heute noch leben (es ist übrigens kein gutes Fernsehen, nebenbei erwähnt).

Wie immer übrigens, wenn jemand eine Arschloch-Versammlung eröffnet, ist auch Elon Musk nicht weit. Neil Gaiman hat dazu den perfekten Kommentar. Die ganze dumme Episode wirft aber noch ein Schlaglicht auf Amazons Marktmacht einerseits und die Diskurs-Dynamik andererseits: der Unternehmensriese besitzt auch das Filmportal IMDB und hat dort sämtliche Bewertungen unter 5/10 Punkten gelöscht. Das ist quasi der eine Aspekt. Der andere Aspekt ist, dass ich Amazon dabei auch noch verteidigen muss, weil die Serie wegen der idiotischen Identitätspolitik-Krieger "review bombed" wurde, also noch vor Erscheinen mit tausenden und abertausenden von 1/10-Punkten-Reviews überzogen wurde.

Das passiert Werken, die vom rechten Mob als "zu woke" klassifiziert werden, in den letzten Jahren ständig und greift immer mehr auch in die reale Welt über; letzthin hatte es mal eine Bäckerei erwischt (ich glaube in Thüringen, erinnere mich aber nicht mehr genau), in der zum Tragen einer Maske aufgefordert wurde. Mob's gonna mob, I guess, und Linke machen das bestimmt auch. Hab gerade nur kein Beispiel parat. Es ist aber eines dieser vielen aus dem Internet resultierenden Probleme, die wir irgendwann mal angehen und lösen sollten.

Resterampe

a) Als weiteres Beispiel realer, weil realen Machtverhältnissen entspringender Cancel Culture: in Nebraska hat ein school board eine Schüler*innenzeitung verboten, weil die LGTBQ+-Themen besprochen hat.

b) Aktionen wie diese sind wohl der wichtigste Grund dafür, warum ich mich nicht mit den Grünen identifizieren kann.

c) Der New Statesman zieht über das 9€-Ticket Resümee.

d) Diese Sammlung von Hassmails und -nachrichten an Jürgen Zimmerer zeigt deutlich, welche Schlagseite diese beknackte Winnetou-Debatte hat.

e) Frankreich misst nicht nur Übertretungen der Höchstgeschwindigkeit, sondern auch der Lärmgrenzen. Können wir das bitte auch haben?

f) Eine hervorragende Ausgabe des MDR-Altpapiers, die die Debatten schön zusammenfasst.

g) Klasse Thread von Georg Löfflmann zur Russland-Liebe der Linken.

h) Die von Andrea Geier hier beschriebene Paradoxie habe ich auch schon öfter angemerkt.

i) Ganz spannende Analyse der Prognosekraft von Noten.

j) Ich fürchte, Hedwig Richter hat Recht.

k) David Frum rekontextualisiert Clintons Niederlage 2016 als gute Sache, weil es zu einem overreach der Republicans führte, der ihnen jetzt schadet. Ich bin nicht sicher, inwieweit ich zustimme - und war das schon in meinen eigenen Betrachtungen immer nicht - aber er formuliert es gut aus. Was denkt ihr? Als weiteren Denkansatz vielleicht diese neuen Umfrageergebnisse zur Abtreibungsfrage.

l) Cancel Culture is real, Kapitel 3252385239. Siehe dazu auch hier.

m) Diesen beliebten republikanischen Talking Point von wegen "ich bin Faschist geworden weil die Democrats so fies zu Mitt Romney waren" kann ich einfach überhaupt nicht nachvollziehen. Es stimmt einfach faktisch nicht, erstens. Und zweitens: warum gibt es dann auf der Gegenseite keine vergleichbare Radikalisierung?

n) Ganz spannende Analyse über die unterschiedlichen Geschäftsmodelle der New York Times und der Washington Post und warum letztere gerade im Sinkflug ist.

o) René Pfister hat ein Buch über die Gefahr des linken Aktivismus an US-Unis veröffentlicht. Aus progressiven Kreisen regt sich viel Kritik, weil die Rechte wesentlich gefährlicher ist. Ich teile diese Einschätzung, aber ich bin wesentlich weniger negativ gegenüber Pfisters Buch. Zwar ist die Aufmerksamkeit, die auf die linke Cancel Culture gepackt wird, im Vergleich zu der auf der Rechten überzogen. Aber das heißt ja nicht, dass die nicht existierte und keine Bedrohung ist. Und wir haben ja, Stichwort Brockschmidt, auch ein Sachbuch für die andere Seite.

p) Für Fans, Nostalgiker und Nerds ein Blick zurück auf "Fire Walk With Me".

q) Braess' Paradox und dass das immer noch nicht weithin bekannt ist ist einfach faszinierend.

r) Maaßen zeigt gerade wieder schön, wo der Unterschied zwischen Demokraten und wie auch immer man das nennt, was er ist, verläuft.

s) Corona zeigt sich als klarer Bruch in der Lebenserwartung.

t) Wie dumm kann ein Tweet sein? Und Georg Pazderski so: "Hold my beer."

u) Eine Studie stellt fest, dass Konservative sich gerne als "rural" (ländlich) identifizieren, was diesen Twitter-User zu der treffenden Bemerkung veranlasst, dass wohl das woke der Konservativen ist.

v) The American economy is a model for the rest of the world.

w) Ein sehr gutes Porträt von Mathias Döpfner in der Washington Post.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.