Freitag, 12. Juli 2024

Rezension: Cixin Liu - Death's End

 

Cixin Liu - Death's End (Hörbuch) - Cixin Liu - Jenseits der Zeit (Hörbuch)

Die "Three-Body Problem"-Trilogie hat durch die Netflix-Verfilmung einen ziemlichen Boost bekommen. Ich war tatsächlich durch Empfehlung eines Freundes auf die Romane aufmerksam geworden; vor allem der dritte, so der Freund, sei so genial, dass man die ganze Trilogie lesen müsse. Meine Besprechung der ersten beiden Bücher waren eher lauwarm (obgleich ich die Netflix-Verfilmung, jedenfalls die erste und zum Zeitpunkt der Rezension (2024) einzige Staffel, sehr mochte). Umso interessierter ging ich in die Lektüre von "Death's End", den längsten und, wie sich schnell zeigte, ambitioniertesten von Lius drei Romanen. Ich würde fast Geld darauf verwetten, dass Benioff und Weiss die Verfilmungsrechte vor allem für diesen Roman haben wollten, um die Twists und Bilder dieses Werks visualisieren zu können, ähnlich wie das Red Wedding ihr Heiliger Gral für "Game of Thrones" war. Aber der Reihe nach.

Erster Teil: Krise und Hoffnung

„Death’s End“, der dritte Band von Cixin Lius „Drei Sonnen“-Trilogie, setzt die Geschichte der Menschheit und ihrer Auseinandersetzung mit der außerirdischen Zivilisation Trisolaris fort. Die Handlung beginnt mit Yun Tianming, einem sterbenskranken Wissenschaftler, der im Zuge eines Menschheitsprojekts sein Gehirn ins All schicken lässt, um die Trisolaraner zu treffen. Dieses mutige Opfer macht ihn zu einer zentralen Figur, deren Handlungen die Zukunft der Menschheit beeinflussen.

Cheng Xin, eine Wissenschaftlerin, die sich in kryogene Hibernation begeben hat, wird aus ihrem Schlaf geweckt, um ihren Anteil an der Verwaltung der Planeten des DX3906-Systems zu übergeben. Sie trifft AA, eine Astronomin, die diese Planeten entdeckt hat. Gleichzeitig kehrt die Bronzezeit-Raumflotte zur Erde zurück und wird wegen Hochverrats verurteilt. Luo Ji gibt die Kontrolle über das Abschreckungssystem nach einer Wahl an Cheng Xin ab, die Wade vorher deswegen zu ermorden versucht hatte, damit er selbst die Rolle des "Schwertträgers" übernehmen kann. Der Deterrence-Ära, in der die Menschheit mit dem Einsatz von Gravitationswellen-Trägerraketen eine Patt-Situation mit den Trisolaris erreicht hatte, wird ein abruptes Ende gesetzt, als Trisolaris die Antennen des Abschreckungssystems zerstört.

Zweiter Teil: Universelle Bedrohung und menschliche Ingenuität

Die Crew der Blue Space nutzt ein vierdimensionales Fragment, um die Trisolaris-Schiffe, die sie verfolgen, zu überwältigen. Dies erlaubt ihnen, eine universelle Übertragung zu senden, die die Position von Trisolaris und dem Sonnensystem verrät. Diese Handlung löst eine Fluchtbewegung der Trisolarans aus dem Sonnensystem aus und beendet die Internierung der Menschen in Australien. Es beginnt die Broadcast-Ära, in der die Menschheit versucht, sich von den Katastrophen zu erholen, ständig im Schatten der Bedrohung durch einen Dark-Forest-Angriff auf das Sonnensystem.

Während dieser Zeit entwickelt Cheng Xin zusammen mit AA die Halo-Gruppe, um die Menschheit weiter zu schützen. Trisolaris wird letztlich durch einen relativistischen Fotoid zerstört, was als ein bedeutendes Ereignis in der Geschichte der Menschheit markiert. Cheng Xin und AA gehen erneut in Hibernation und übergeben die Kontrolle der Halo-Gruppe an Thomas Wade, der heimlich Lichtgeschwindigkeitsschiffe entwickelt. Es werden drei Pläne entwickelt: Flucht mit Lichtgeschwindigkeitsschiffen, die Schaffung einer Zone mit reduzierter Lichtgeschwindigkeit und der Bau von Raumstationen im "Schatten" der Gasriesen, um eine Supernova durch einen Photoidangriff zu überleben.

Dritter Teil: Bunker-Ära und fortschreitende Forschung

Die Bunker-Ära beginnt mit dem Bau von Städten hinter den Gasriesen des Sonnensystems und der Erzeugung eines künstlichen schwarzen Lochs im Rahmen des Black Hole Project. Cheng Xin wird nach der Sezession von Halo City geweckt und erfährt, dass bedeutende Fortschritte bei der Entwicklung von Lichtgeschwindigkeitstechnologien gemacht wurden. Sie übernimmt die Kontrolle über die Firma zurück, nachdem sie herausfindet, dass Wade antimaterielle Waffen entwickelt hat, und lässt ihn hinrichten.

Vierter Teil: Begegnung mit einer neuen Bedrohung

Die Menschheit wird auf eine neue außerirdische Zivilisation aufmerksam, als sie auf das Schiff von Singer trifft. Dieser erkennt die Verbindung zwischen der Erde und der Übertragung, die Trisolaris zerstört hat, und stuft die Menschheit als gefährlich ein. Singer setzt eine dual-vektorige Folie frei, die einen Kollaps der Dimensionen einleitet. Cheng Xin und AA werden beauftragt, nach Pluto zu reisen, um die menschliche Kultur in einer zweidimensionalen Form zu bewahren. Luo Ji enthüllt, dass ihr Schiff mit Lichtgeschwindigkeitstechnologie ausgestattet ist, und sie entkommen der drohenden Katastrophe.

Fünfter Teil: Das Ende des Sonnensystems und neue Hoffnung

Das gesamte Sonnensystem kollabiert in zwei Dimensionen. Cheng Xin und AA erreichen das DX3906-System, wo sie von den überlebenden Menschen von Blue Space und Gravity erfahren. Diese Überlebenden planen, vier Planeten im Universum zu besiedeln. Yun Tianming trifft AA, und Cheng Xin und Guan Yifan untersuchen fünf Alienschiffe auf Planet Gray. Bevor sie zurückkehren können, wird das System in ein schwarzes Domänengebiet transformiert, und sie werden auf ihrem Schiff gefangen.

Cheng Xin und Guan Yifan schaffen es, aus der neuen Realität zu entkommen und finden eine Nachricht von Yun Tianming und AA, die ihnen einen temporär-unabhängigen Taschenuniversum schenken. Sie leben dort für eine lange Zeit und studieren die neuen Gegebenheiten. Schließlich erhalten sie eine Warnung aus dem Hauptuniversum, dass die Masse der Taschenuniversen zurückgegeben werden muss, um den Big Crunch zu ermöglichen. Sie akzeptieren diese Notwendigkeit und hinterlassen eine Flaschenpost für die zukünftigen Bewohner des Universums.

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Wie bereits eingangs beschrieben ist der dritte und letzte Teil der Trisolaris-Trilogie (was für ein Wort) der ambitionierteste. Dies führt etwa dazu, dass einige meiner größten Kritikpunkte an der Struktur der ersten beiden Romane hier nicht mehr so stark zubuche schlagen. Denn die Struktur, die Liu wählt, ist im Grundsatz wesentlich sinnvoller als in den beiden Vorgängerromanen. Anstatt sämtliche Exposition durch direkte Erklärungen des auktorialen Erzählers oder, noch schlimmer, furchtbare Dialoge zwischen den Protagonisten abzuhandeln, schiebt er immer wieder Auszüge aus einem Geschichtsbuch ein, das "jenseits der Zeit" geschrieben wurde. Der Ansatz, den Roman deutlicher als Auszüge aus Quellen zu konstruieren, wäre von Anfang der Sinnvollere gewesen und behält Dialoge nur für jene Elemente übrig, die zwischenmenschliche Beziehungen oder Gefühle betreffen.

Beides bleibt die größte Schwäche von Lius Schreibkunst. Die Charaktere sind immer noch hölzern, und die massiven Zeitsprünge machen die Lage nicht viel besser. Es ist frappant, wie wenig Charakterisierung Liu auf so vielen Seiten mit so wenig Charakteren unterbringt. Gleichzeitig entsteht aber auch nie ein Gefühl für die großen Menschenmengen, die die eigentlichen Protagonisten sein sollten; dazu aber gleich mehr. Zwar ist der Anteil der Dialoge, die mit einem "Suppose..." oder "Imagine..." beginnen immer noch wesentlich zu hoch, und die Charaktere verbringen die Hälfte ihrer Zeit damit, sich gegenseitig physikalische Konzepte zu erklären (und sich für ihre gelungenen Analogien zu loben), damit die Lesenden diese auch verstehen. Aber immerhin traut sich Liu mehr, aus seiner ohnehin vorhandenen Tendenz für auktoriale Einsprengsel eine Tugend zu machen und dieses Element offensiver zu nutzen.

Insgesamt aber bleibt das Grundproblem bestehen: Liu hat zwar eine beeindruckende Vorstellungskraft für physikalische und technologische Konzepte, aber kaum eine für Menschen. Die Charaktere existieren kaum als Personen, sie sind praktisch nur Gefäße für Rollen oder Konzepte, schaffen es aber dafür nicht einmal, repräsentativ zu sein. Schlimmer noch aber ist, dass gleichzeitig das institutionelle und gesellschaftlich-politische Erzählen ebenfalls nicht wirklich funktioniert. Die schlimmsten Dialogschnippsel gehören nicht den Charakteren, sondern Lius Versuchen, der Masse ein Gesicht zu geben. Was die namenlose Menge von sich gibt, spottet jeder Beschreibung und hat mit dem, wie reale Menschen sich ausdrücken - noch dazu in Katastrophensituationen - wenig zu tun.

Überhaupt tritt die Menschheit ständig als monolitscher Block oder bestenfalls als monolithische Blöcke auf, was durch Lius Tendenz, ihnen generelle Entscheidungen zuzuschreiben ("die Menschheit entschied sich für Politik X") nicht besser wird. Dem steht eine geradezu absurde Überhöhung der Rolle einzelner Individuen wie Luo Ji, Thomas Wade oder Cheng Xin gegenüber, die universumsumspannende Entscheidungen treffen können. Dass diese Individuen fast durch die Bank Chines*innen sind, ist angsichts der Herkunft Lius verständlich und spiegelt letztlich auch nur den Trend westlicher Unterhaltungsliteratur; all das macht das Problem aber nicht besser.

Der Roman brilliert allerdings in den großen Linien technologischer Entwicklung und den absolut faszinierenden Dynamiken interstellarer Beziehungen (oder ihrem Fehlen). Liu hat einen erfrischenden Mangel an Respekt vor den von ihm geschaffenen Systemen; das Ende der Bedrohung durch Trisolaris ist geradezu antiklamatisch, und der Untergang des Sonnensystems ist zwar dramatisch, hat aber seine eigene Poesie. Überhaupt gerät die zweite Hälfte des Romans geradezu in einen traumartigen, hypnotisch-reflexiven Zustand.

Wie viel man aus diesem zieht hängt von der eigenen Toleranz gegenüber der Prämisse ab, dass physikalische Grundkonstanten permanent geändert werden. Die inhärente Spannung kommt aus der Konsequenz, mit der Liu dies tut. Zwar erreicht das technologische Level das Äquivalent von Magie, aber die Auswirkungen sind so gewaltig und werden von Liu dennoch auf einem nachvollziehbaren Niveau gehalten, dass man vor dieser Fähigkeit den Hut ziehen muss. Die Mehrdimensionalität des Universums und das ständige Verändern derselben haben Konsequenzen, die zur Zerstörung des gesamten Universums führen. Wer möchte, kann da sicher Analogien zur Klimakrise ziehen, wie man auch aus der gegenseitigen Abschreckung irgendwelche Analogien zum Kalten Krieg finden könnte; wie zielführend das für Literatur ist, sei einmal dahingestellt.

Mich überzeugt die Idee vom "Dark Forest", in dem alle Zivilisationen sich in einer endlosen Spirale gegenseitig aus reiner Furcht vernichten, weiterhin nicht wirklich. Die Entscheidung der Menschheit, Liebe über das eigenen Überleben zu stellen - egal wie unterbewusst - scheint mir eine, die wesentlich sinnvoller ist als die Idee, dass das Weltall innerhalb von fünf Minuten alle in eine totalitäre Gesellschaft verwandelt (eine Prämisse, die explizit als Regel formuliert wird). Wie auch das eher negative Menschenbild, bei dem bis auf einige (teilweise rein aus Zufall) hervorgehobene Individuen eigentlich alle eher dumme Schafe sind, stößt mir immer wieder auf.

Zuletzt lugt die Prägung des Autors auch aus den Charakteren und Geschlechterbildern deutlich hervor. Lius Sonnensystem ist ein männliches Sonnensystem (einige Forscher sind angesichts eines technologischen Durchbruchs "so glücklich, als hätten sie Nachricht von der Geburt eines Sohnes erhalten", nur um ein Beispiel zu nennen), mit klar definierten Rollen. Männer sind hart, rational und martialisch, Frauen sind emotional, behütend, dem Wachstum verpflichtet. Auch das macht Liu, nicht eben ein Meister der Subtilität, in seinen auktorialen Wertungen explizit deutlich, wie auch seine merkwürdige Vorliebe für totalitäre Entscheidungen (ungeachtet dessen, dass die Menschheit ihre größte Stärke gerade nicht im Totalitarismus findet, den er ablehnt).

Diese Muster werden auch in den Beschreibungen zukünftiger Gesellschaften deutlich, in denen er deutlich der Fremen-Mirage verfällt: der Luxus durch technologischen Fortschritt und die Beseitigung materieller Not machen die Menschen weich, weswegen sie auf die Führung der hibernierten Menschen unserer Gegenwart angewiesen sind, die quasi die Spitze menschlicher Entwicklung darstellen und als einzige die Härte aufbringen können, zu tun, was getan werden muss. Die Menschen der Zukunft sind weiche Kinder, die die Führung der Menschen (fast nur Männer) unserer Gegenwart brauchen, was auch explizit gegendert wird: in dieser Zukunft sehen die Männer aus wie Frauen, ist traditionelle Männlichkeit ausgerottet (und erlebt bezeichnenderweise in der Bunker-Ära ihre Renaissance). Tacitus würde sich sofort wie zuhause fühlen.

Ich bin gespannt, wie Benioff und Weiss diesen Stoff adaptieren werden. Ich hoffe sehr, dass sie die Irrungen Lius vermeiden und den faszinierenden Stoff auf die narrative Ebene hieven, die ihm gebührt.

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