Dienstag, 26. November 2024

Marine LePen hasst amerikanische Medien und bekämpft mit deutschen Imperialisten und AOC die Inflation - Vermischtes 26.11.2024

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) The Lesson of This Election: We Must Stop Inflation Before It Starts

Ein brasilianischer Regierungsbeamter sagte einmal: „Arbeitslosigkeit schwächt Regierungen, Inflation bringt sie um.“ Nach Jahren des Vernachlässigens dieser Gefahr erinnert die Wiederwahl Donald Trumps Demokratien daran, dass Inflation die Stabilität bedroht. Die Biden-Regierung reagierte zunächst zögerlich und setzte auf Zinserhöhungen – mit dem Nebeneffekt, dass die Wohn- und Schuldenkrise verschärft wurde. Die heutige Realität, in der sich Krisen wie Naturkatastrophen und Konflikte häufen, erfordert neue Maßnahmen zur wirtschaftlichen Stabilität und zur Absicherung der Demokratie. Forschungsergebnisse zeigen, dass Großunternehmen in Krisen häufig Preiserhöhungen koordinieren und so die Inflation verstärken. Besonders Sektoren wie Öl und Gas erzielen hohe Gewinne, was soziale Ungleichheiten verschärft. Es wird vorgeschlagen, strategische Reserven wie die „Strategic Petroleum Reserve“ effizienter zu nutzen, um Preisschwankungen durch gezielte Käufe und Verkäufe abzufedern. Darüber hinaus könnten Puffer für kritische Mineralien und Lebensmittel helfen, extreme Preissprünge zu vermeiden. Antipreis-Wucher-Gesetze und Windfall-Steuern könnten verhindern, dass Unternehmen in Krisen von Preissteigerungen profitieren. (Isabella Weber, New York Times)

Diese Argumentation ist für mich völlig stichhaltig und der Grund, warum ich in meiner Liste zu Fehlschlägen den Artikel über Inflation nur als teilweise Fehlschlag betrachtet habe: meine Argumentation, man müsse keine Angst vor Inflation haben, war zweifellos einer meiner größten, wenn nicht der größte, Irrtum der letzten zehn Jahre. Aber dass die Politik, die von rechter Seite dafür kam - Zinserhöhungen - sowohl nicht hilft als auch kontraproduktiv ist. Letzten Endes hat Weber Recht, wenn sie betont, dass eigentlich keine Seite ein vernünftiges Rezept hatte, in meinen Augen, weil man die Gründe für die Inflation nicht richtig benannte. Ein korrektes Verständnis hierfür ist aber absolut notwendig, wenn man die richtigen Maßnahmen treffen will: die Zinserhöhungspanik der Zentralbanken etwa dürfte sich als ziemlich kostspieliger Fehler herausstellen, der auch darin begründet liegt, dass man als Werkzeug ausschließlich einen Hammer zur Verfügung hatte, die Probleme aber nicht alle Nägel waren.

2) Staatsanwaltschaft fordert Haftstrafe und fünf Jahre Unwählbarkeit

Marine Le Pen, die dreimal vergeblich für das französische Präsidentenamt kandidierte, könnte durch ein Pariser Strafgericht an weiteren politischen Ambitionen gehindert werden. Die Staatsanwaltschaft forderte eine fünfjährige Haftstrafe, davon drei Jahre auf Bewährung, und eine Geldbuße von 300.000 Euro wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder. Besonders schwerwiegend ist die Forderung, Le Pen für fünf Jahre das passive Wahlrecht zu entziehen. Dies würde sie sofort von politischen Wahlen ausschließen, auch bei Berufung. Die Anschuldigungen gegen Le Pen betreffen den Missbrauch von EU-Mitteln, wobei Parteimitglieder als parlamentarische Mitarbeiter bezahlt wurden, obwohl sie für die RN-Partei arbeiteten. Die Ermittlungen, eingeleitet durch Hinweise der EU-Betrugsbehörde OLAF, haben laut Staatsanwältin Neyton der europäischen Demokratie „schweren Schaden“ zugefügt. Weitere Belastungen kamen durch belastende E-Mails und Aussagen von Parteimitgliedern ans Licht. Das Urteil im Fall wird Anfang 2025 erwartet. (Michaela Wiegel, FAZ)

Wenn dieses Urteil tatsächlich rechtskräftig wird, ist das ein Erdbeben für die französische Politik. Dafür wird es bemerkenswert wenig rezipiert. Derselbe Ansatz wird ja schließlich gerade in Deutschland diskutiert und hätte den USA einiges erspart, wenn nicht Mitch McConnell ein solch charakterloser Feigling gewesen wäre (pars pro toto, versteht sich). Kann man den Extremist*innen mit Verboten das Handwerk legen? Der Blick auf Frankreich wird in der Folgezeit sicherlich noch interessant werden, auch deswegen, weil Korruption unter den populistischen Parteien weit verbreitet ist. Man denke nur an die Russlandverbindungen sowohl der AfD als auch des BSW, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht vollständig und richtig deklariert wurden. Es ist effektiv der Al-Capone-Ansatz: man erwischt den Killer über Steuerhinterziehung. Ob das im Ergebnis etwas ausmacht, wird sich weisen. Aber leichter zu beweisen als nebulöse "Verfassungsfeindlichkeit" ist es allemal. Und eine Wahl 2026, bei der LePen nicht antreten darf, wird sicher einer anderen Dynamik folgen als eine, in der sie darf.

3) Why Americans Hate the Media

James Fallows analysiert in diesem Artikel aus The Atlantic von 1996 die Gründe für die sinkende Glaubwürdigkeit der Medien in den USA. Fallows argumentiert, dass die Medien zunehmend auf Sensationslust und politische Taktik fokussiert sind, anstatt die Öffentlichkeit über wesentliche Themen aufzuklären. Er beschreibt Beispiele, in denen Journalisten Politik als ein "Spiel" darstellen, etwa indem sie Politiker vor allem zu ihrer Popularität oder Strategie befragen, anstatt die inhaltlichen Aspekte ihrer Politik zu analysieren. Ein zentraler Punkt ist die Selbstbezogenheit prominenter Journalisten und die Betonung von Unterhaltung statt Substanz in politischen Talkshows. Fallows kritisiert insbesondere, dass journalistische Formate oft inszenierte Konflikte bevorzugen, was zu einer trivialisierten Darstellung der Politik führt. Diese Haltung untergrabe die Verantwortung der Medien, zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beizutragen. Fallows warnt, dass diese Entwicklungen nicht nur das Ansehen der Medien schädigen, sondern auch das Funktionieren der Demokratie gefährden. (James Fallows, The Atlantic)

Ich möchte noch einmal auf das Erscheinungsdatum des Artikels, 1996, verweisen, weil wir hier in den Kommentaren oft die Diskussion über die Auswirkungen von Social Media haben. Die Abneigung gegenüber "den Medien" ist offensichtlich bereits älter. Wenn mich die Erinnerung nicht trügt, ist diese im Übrigen auch ein Allzeit-Phänomen. Es wurde schon öfter darauf hingewiesen, dass der Journalismus in den 1950er bis 1970er Jahren eine höhere Autorität besaß, und das ist korrekt. Ich bin aber zunehmend unsicher, ob das nicht die Ausnahme von der Regel war; sowohl in Weimar als auch im Kaiserreich besaß der Journalismus soweit meine Erinnerung nicht trügt kein sonderlich hohes Ansehen. Interessant am obigen Text zu sehen ist übrigens auch, wie beharrlich die Kritik am "horse race journalism", an der Konzentration auf Politics und an der Trivialität ist. In der alten BRD sprach man ja auch vom "Raumschiff Bonn"; auch hier ist die Kritik nicht neu.

4) How German Imperialism Rebranded Itself as Feminist

Die „feministische Außenpolitik“ Deutschlands, angekündigt im März 2023, ist erneut in den Fokus der Debatte gerückt, ausgelöst durch eine Pressekonferenz am 21. Oktober 2024. Dort diskutierten Außenministerin Annalena Baerbock und Vertreterinnen des Center for Feminist Foreign Policy (CFFP) über Themen wie Femizide und Abtreibungsrechte. Die Veranstaltung erntete jedoch massive Kritik: Proteste innerhalb und außerhalb der Konferenz warfen Baerbock „weißen Feminismus“ und die Vernachlässigung palästinensischer Frauenrechte vor. Diese Kontroversen verdeutlichen Widersprüche in der deutschen Außenpolitik. Trotz der offiziell erklärten Unterstützung für Frauenrechte exportiert Deutschland weiterhin Waffen an Länder wie Israel, Saudi-Arabien und die Türkei, was unter anderem die Unterdrückung der kurdischen Frauenbewegung unterstützt. Kritiker werfen Baerbock vor, feministische Rhetorik als Fassade für kapitalistische und interventionistische Interessen zu nutzen. Das CFFP, ursprünglich als unabhängige Stimme gedacht, wird selbst wegen seiner Nähe zur Bundesregierung kritisiert. Mehrere prominente Mitglieder, darunter internationale Feministinnen, traten aus dem Beraterkreis aus, teilweise aufgrund des Umgangs mit der Situation in Gaza. Linke Feministinnen wie Rosa Burç und Hêlîn Dirik betonen, dass echte Frauenbefreiung systemische Veränderungen erfordert, die mit der kapitalistischen Außenpolitik unvereinbar seien. Der Konflikt um die Definition und Umsetzung feministischer Außenpolitik zeigt, dass der Begriff oft als politisches Werkzeug verwendet wird, ohne echte strukturelle Probleme zu adressieren. (Magdalena Berger, Jacobin)

Die Linke wird echt immer bekloppter. Mir ist einfach unklar, warum ausgerechnet Gaza da der Hügel ist, auf dem zu sterben man sich entschlossen hat. Besonders absurd ist die verwendete Terminologie, wo ein "deutscher Imperialismus" konstatiert wird. Das ist die gleiche Ecke, aus der diese plumpe Instrumentalisierung der Postkolonialismus-Theorie herkommt. Es ist auch der übliche linke Irrtum, dass man meint, weil die eigenen Verbündeten den eigenen Ansprüchen nicht genügten sie schlimmer seien als die Gegenseite. Erwartet Berger ernsthaft eine progressivere Außenpolitik, wenn die SPD oder FDP das Außenministerium besetzen? Oder glauben sie an das Hervorheben der inneren Widersprüche des Kapitalismus, das dann - dieses Mal aber wirklich! - die Revolution mit sich bringen wird, wenn man nur linientreu genug ist? Diese Leute machen wirklich denselben Fehler ein um das andere Mal. Es erinnert auch an Vietnam oder Kuba, wo ähnliche Dynamiken am Werk waren. Das Ho-Ho-Ho-Chi-Minh-Rufen ist irgendwo in derselben Kategorie wie die aktuelle Palästina-Romantik. Gemein ist dem Ganzen, dass man in den Opfern auch keine Menschen sieht, sondern nur Munition für den eigenen, sehr innenpolitischen ideologischen Grabenkampf.

5) ‘A change from the status quo’: the voters who backed Trump and AOC

In den USA sorgte die Wahl 2024 für Überraschungen, als einige Wähler sowohl Donald Trump als auch progressive Demokraten wie Alexandria Ocasio-Cortez unterstützten. Im New Yorker Stadtteil Bronx stieg Trumps Unterstützung um 11 Prozentpunkte auf 33 %, während Ocasio-Cortez mit fast 69 % wiedergewählt wurde. Dieses Phänomen des „Split-Ticket-Votings“ zeigt die Unzufriedenheit der Wähler mit dem politischen Establishment. Wähler nannten beide als „authentische“ Außenseiter, die gegen das System kämpfen. Ocasio-Cortez reagierte auf diese Dynamik und sprach von einem berechtigten Frust über eine Politik, die die Interessen von Konzernen und Reichen über die der arbeitenden Bevölkerung stelle. Auch Trump wurde von Wählern für seine systemkritische Haltung geschätzt. Das Phänomen könnte einen Kurswechsel in der amerikanischen Politik signalisieren, da Wähler zunehmend charismatische, populistische Kandidaten bevorzugen, die als „authentisch“ wahrgenommen werden. Für die Demokraten zeigt dies, wie dringend neue Strategien und Kandidaten mit glaubwürdigen wirtschaftlichen Botschaften nötig sind, um die Wähler zurückzugewinnen, insbesondere angesichts sinkender Wahlbeteiligung. (Edward Helmore, The Guardian)

Die These, dass es vor allem eine Anti-Establishment-Wahl war und sich um einen globalen Trend handelt, findet immer mehr Futter (letzteres geht aus dem Datenpunkt natürlich nicht hervor...). Ich halte es für zweifelhaft, dass die regierenden Democrats - und überhaupt die Democrats - in der Lage wären, eine ähnlich populistische, anti-establishmentartige Gegenkandidatur zu Donald Trump ins Feld zu führen. Irgendwo muss der ganze Support der Institutionen und Eliten ja hin, und aus einer moderaten Regierung heraus kann man eben nur schwer einen solchen Generalaufstand proben (vom Personal mal ganz abgesehen). Deswegen glaube ich auch nicht, dass eine Kandidatur möglich gewesen wäre, die gegen Trumps Anti-Establishment-Credentials eine Chance gehabt hätte. AOC ist da eine Besonderheit, ebenso wie eine Ilhan Omar, aber die sind ja nicht mehrheitsfähig. Und oft merken sie das nicht mal.

Resterampe

a) Scholz mit seinem Scheiß Populismus für Arme.

b) Dreistigkeit siegt, CSU-Edition.

c) Diese Atomenergiedebatte, die Merz grad loszutreten versucht, ist auch nur ein sinnloser Kulturkampf ohne reale Verankerung.

d) Die deutsche Startup-Szene radikalisiert sich. Siehe auch hier zu Unternehmern in der Schweiz.

e) Dieser Punkt im Bluesky-Thread von Chris Hayes macht mich auch wahnsinnig.

f) Die Lügengeschichte um das angebliche Rückwärtsparkverbot geht möglicherweise auf KI zurück.

g) Lars Feld hat sich schon auch ganz schön ins Aus geschossen. Siehe auch hier.

h) Marco Herack auf Twitter zu strategischer Unabhängigkeit von den USA und der CDU.

i) Twitter-Thread von metaliberal zu Mileis Bilanz.

j) Dieser Bothsiderismus ist manchmal echt absurd (Twitter).


Fertiggestellt am 18.11.2024

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