Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Die unterschätzte Kraft der Bürokratie
Im Artikel wird argumentiert, dass der Ruf nach „Entbürokratisierung“ in der Wissenschaft zwar verständlich sei, aber gefährliche Schlagseite bekommen könne. Wiarda beschreibt, wie Freiheit und Bürokratieabbau rhetorisch verknüpft würden, während übersehen werde, dass Bürokratie zugleich „vor Willkür“ schütze und eine „Bremse im positiven Sinne“ sein könne. Am Beispiel des Leopoldina-Papiers werde gezeigt, dass legitime Kritik an Überregulierung schnell in eine Abwertung von Themen wie Nachhaltigkeit, Diversität und Gleichstellung umschlagen könne, die dort als „Nebenzwecke“ erscheinen. Wiarda warnt, dies komme einer Anbiederung an einen nach rechts driftenden Zeitgeist gleich, der genau diese Werte als „ideologische Gängelung“ diffamiere. Zugleich werde betont, dass es sehr wohl guten Bürokratieabbau gebe – etwa Standardisierung von Verfahren, höhere Pauschalen oder weniger Binnenregeln. Problematisch sei jedoch jede „Anti-Regulatorik“, die Regeln diskreditiere, die Transparenz, Gleichstellung und den Schutz von Steuergeldern sichern. Bürokratie werde daher als „Infrastruktur der Freiheit“ beschrieben, die gerade die Unabhängigkeit der Wissenschaft stütze. (Jan-Martin Wiarda)
Was Wiarda hier beschreibt lässt sich noch auf eine viel grundsätzlichere Ebene ziehen. Jede Kritik, die zu pauschal wird - etwa einfach nur "Bürokratie" zu verdammen -, wird wertlos und führt entweder zu Paralyse ("die Bürokratie" ist nichts, das sich reformieren oder bekämpfen lässt, sie ist zu abstrakt und allumfassend) oder zu extrem undurchdachten und zerstörerischen Maßnahmen (wie in der kurzen DOGE-Phase wieder sichtbar wurde). Eine vernünftige Kritik setzt an konkreten Problemen an und geht analytisch an die Sache. Das bedeutet auch, sich die Frage zu stellen, warum das Zeug überhaupt da ist. So zu tun, als ob Bürokratie einfach um ihrer selbst Willen eingeführt wurde, heißt, genau diese Erkenntnis nicht zu haben. Ich kann nur sinnvoll entbürokratisieren, wenn ich weiß, warum die Vorschriften überhaupt einmal geschaffen wurden. Sonst kämpfe ich gegen Windmühlen. Ich glaube, darin liegt ein großer Grund des Scheiterns der ständigen Entbürokratisierungsversuche. Und es ist ja wahrlich nicht so, als gäbe es da nicht genug zu tun. Aber die Gründe für das Vorhandensein und die Blockade müssen ja erstmal verstanden werden, bevor ich an irgendwelche Reformen herangehen kann. Und genau das passiert nicht.
2) Bas attackiert Arbeitgeber – und stößt auf Gegenkritik
Im Bericht wird geschildert, dass Bas nach dem Arbeitgebertag, bei dem ihre Aussage zur Finanzierung des Rentenpakets mit Gelächter quittiert wurde, ungewohnt scharf reagierte. Laut Darstellung habe sie das Ereignis als „Schlüsselerlebnis“ bezeichnet und auf dem Juso-Kongress betont, dort sei deutlich geworden, „gegen wen wir eigentlich gemeinsam kämpfen müssen“. Im Artikel wird ausgeführt, sie habe zugleich kritisiert, Unternehmer säßen als „Herren in bequemen Sesseln“ im Publikum. Diese Zuspitzungen hätten nach der Darstellung nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in Teilen der SPD Irritationen ausgelöst. Ein Regierungsmitglied wird wiedergegeben mit der Einschätzung, Bas verkenne die politische Lage. Im Text heißt es, dass ihr Umgang mit den Arbeitgebern als riskant gelte, weil zentrale Vorhaben – etwa in der Rentenpolitik – auf Kompromissfähigkeit angewiesen seien. Die Autorinnen führen aus, dass die doppelte Konfrontation binnen weniger Tage als unnötige Eskalation wahrgenommen werde und innerparteilich Zweifel an ihrer Rollenwahrnehmung im Regierungsgefüge wecke. (Greive, Gillmann, Handelsblatt)
Für mich ist diese ganze Szene und die Reaktion darauf ein Symptom dafür, wie sehr wir in den vergangenen Jahrzehnten grundsätzliche politische Wahrheiten vergessen haben. Ich habe viele Artikel wie den im Handelsblatt gelesen, in denen Bas dafür kritisiert wurde, die Arbeitgeber als Gegner zu betrachten. Aber abgesehen von der Formulierung "Gegner" (siehe dazu auch gleich unten mehr) überrascht mich am meisten, dass Bas diesen Schlüsselmoment brauchte und wie viele Leute vom Inhalt überrascht zu sein scheinen. Erstens sollte man sich klarmachen, dass dieser Verband ein Lobbyverband ist. Das ist keine Repräsentation "der Wirtschaft". Da wird ein guter Teil repräsentiert, aber bei weitem nicht alles. Zweitens, und das ist das Entscheidende, besteht selbstverständlich ein Interessengegensatz zwischen Arbeitgebern einerseits und einem sozialdemokratischen Arbeits- und Sozialministerium andererseits. Das schließt ja nicht aus, dass man dasselbe Ziel hat - die deutsche Wirtschaft zu stärken. Ich habe als Arbeitnehmer auch ein Interesse an der wirtschaftlichen Gesundheit meines Unternehmens, aber trotzdem harte Interessengegensätze gegenüber dem Arbeitgeber. Diese sollte man durchaus anerkennen.
Dass Bas' Ursprungskommentar zur Rente zudem inhaltlich korrekt und bei weitem nicht so albern war, wie das hämisch lachende Publikum dachte, unterstreicht diesen Punkt noch: die Arbeitgeber haben bestimmte Interessen, aber diese sind nicht deckungsgleich mit dem Wohl Deutschlands als Ganzem. Niemand ist das. Man kann Kompromisse finden, aber das geht nur dann, wenn die Interessengegensätze überhaupt einmal klar sind. Und die SPD hat viel zu lange vergessen, was eigentlich ihre Klientel ist. Der Arbeitgebertag wird nie ein Freund der SPD sein. Selbstverständlich sind das Gegner. Man muss mit denen reden und sie verstehen und gemeinsame Lösungen ausarbeiten. Aber das macht einen nicht zu Freunden. Wir haben einfach kollektiv in diesem Einheitsbrei des Reformkonsens nach 1998 vergessen, dass Interessengegensätze existieren und in der politischen Arena ausgefochten werden müssen.
3) Missverstehen wir uns richtig?
Im Kommentar wird beschrieben, wie Bas mit ihrer Aussage zur Steuerfinanzierung der Rentengarantie eine Debatte ausgelöst habe, die sich durch Missverständnisse und Empörung hochgeschaukelt habe. Im Artikel wird erläutert, dass ihre Bemerkung in einer finanzpolitischen Tradition stehe, die als Bismarck-Beveridge-Debatte bekannt sei: Die Frage, ob Sozialausgaben über Beiträge oder Steuern finanziert werden sollten, gelte als zentrales fachliches Unterscheidungsmerkmal. Laut Schieritz werde jedoch in der Öffentlichkeit so getan, als sei Bas’ Hinweis bloß „linke Tasche, rechte Tasche“, obwohl sich die Lastenverteilung – Beveridge statt Bismarck – tatsächlich verändere. Im Text wird ausgeführt, dass das Gelächter der Arbeitgeber und Bas’ spätere polemische Zuspitzung gegenüber den „Gegnern“ Ausdruck einer Eskalation seien, die durch wechselseitige Kränkungen entstanden sei. Der Kommentar konstatiert, dass ähnliche Muster bereits bei Merz’ umstrittener Stadtbild-Äußerung beobachtet worden seien. Insgesamt wird dargelegt, dass Empörung und taktisches Missverstehen sachliche Auseinandersetzungen verdrängten und die demokratische Debatte dadurch verarme. (Schieritz, Die ZEIT)
Schieritz hat sicher Recht, dass da auch viel mutwilliges Missverstehen dabei ist, und natürlich ist man immer bereit, die eigene Seite differenziert zu sehen und ihr unglückliche Formulierungen oder eben den Gegnern das mutwillige Missverstehen zuzuschreiben und umgekehrt. Ich sehe das grundsätzlich bei mir auch; ich habe Merz jetzt auch nicht sonderlich viel Differenzierungsspielraum bei der Frage der Stadtbild-Debatte zugesprochen. Ich bin aber wie so häufig unsicher, ob das ein neues Phänomen ist. Schließlich ist dieses mutwillige Missverstehen und das Empören über Aussagen des politischen Gegners recht normal und in einem gewissen Ausmaß auch nötig zur politischen Identitätsbildung. Ich finde deswegen auch den Gegner-Begriff nicht so schlimm; viel dramatischer wäre gewesen, hätte Bas die Arbeitgeber als Feinde bezeichnet.
4) Trump’s Security Strategy Is Incoherent Babble
Im Artikel wird erläutert, die neue National Security Strategy der Trump-Regierung erscheine als „bombastisch“ und widersprüchlich und erinnere stilistisch an das „Babbeln eines Schlafenden“. Zugleich werde betont, das Dokument biete trotz der hemmungslosen Selbststilisierung Trumps einige aufschlussreiche Hinweise auf tatsächliche Probleme. Es wird hervorgehoben, frühere Strategiepapiere seien von Figuren wie Kissinger oder Brzezinski geprägt gewesen, während die aktuelle Fassung literarisch wie analytisch misslinge. Im Text wird dargelegt, die Strategie schwanke zwischen Bekenntnissen zu Respekt gegenüber anderen Kulturen und dem Ziel, Europa zu einem vermeintlichen zivilisatorischen Ursprung zurückzuzwingen. Ebenso werde angeführt, das Papier enthalte drei teils zutreffende Punkte: die Vernachlässigung der westlichen Hemisphäre, eine stärker ökonomisch ausgerichtete Afrikapolitik und den Hinweis auf migrationspolitische Herausforderungen in Europa. Insgesamt wird die NSS jedoch als populistisch charakterisiert, die Gegneranalyse als unzureichend beschrieben und konstatiert, das Dokument spiegele vor allem die „muddled enthusiasms“ eines intern zerstrittenen Trump-Lagers wider. (Eliot A. Cohen, The Atlantic)
Die Selbstentmachtung der USA durch die atemberaubende Inkompetenz dieser Regierung ist einer der größten Gefahrpunkte, die gerade viel zu wenig diskutiert werden. Die Sicherheitsstrategie ist ja auch aus demselben Grund wie der Ukraine-Friedensplan inkohärentes Gerede: diese Leute verstehen gar nicht, was sie da eigentlich schreiben. Trump und MAGA operieren in einem beständigen Kulturkampfmodus, der markige Phrasen für das eigene Publikum und "owning the libs" als zentrale Merkmale besitzt. Die diplomatische Sprache, in der Feinheiten und Nuancen von entscheidender Wichtigkeit sind, ist das genaue Gegenteil. Deswegen sind diese Leute gar nicht in der Lage, irgendwelche kohärenten Pläne zu entwerfen oder sich verständlich bezüglich ihrer Absichten auszudrücken. Alleine dass Überschriften wie "Did Trump just end the US-Europe alliance?" völlig ernsthaft publiziert werden können, zeigt das Problem. Vielleicht sollte man über solche Fragen Klarheit haben. Nur als Idee.
5) Das Problem der Demos gegen den Wehrdienst
Im Artikel wird erläutert, der Protest gegen das Wehrdienst-Modernisierungsgesetz falle überraschend schwach aus und die Organisatoren der Schulstreiks hätten eine „klägliche“ Mobilisierung betrieben. Es wird hervorgehoben, die jungen Demonstrierenden hätten weitgehend auf sachliche Argumente verzichtet und stattdessen mit überzeichneten Szenarien operiert, obwohl ein Hinweis auf Länder ohne Wehrpflicht naheliegend gewesen wäre. Zugleich wird ausgeführt, die gleichzeitige Verabschiedung von Renten- und Wehrdienstgesetz belaste die junge Generation, sodass Kritik grundsätzlich berechtigt erscheine. Der Text beschreibt, Verteidigungsminister Pistorius habe mit dem Hinweis auf die demokratische Paradoxie des Wehrdienstes reagiert: Dieser sichere auch die Freiheit, gegen ihn zu demonstrieren. Im Artikel wird zudem betont, Schulpflicht gelte weiterhin; wer von seinen Argumenten überzeugt sei, müsse einen Fehltag in Kauf nehmen. Schließlich wird ausgeführt, organisatorische Probleme – etwa die Distanzierung der Grünen Jugend von antisemitisch eingestuften Gruppen – die Proteste zusätzlich geschwächt hätten. Insgesamt wird konstatiert, die Staatsräson habe gesiegt und der Widerstand gegen das Gesetz sei überschaubar geblieben. (Alan Posener, WELT)
Ich will hier gar nicht in die Wehrdienstdebatte selbst gehen, sondern auf die Frage, wie die Schulen mit so was wie den Demonstrationen dazu umgehen sollen. Sowohl bei Posener als auch bei der Union (Wehrdienst-Streit: Union warnt Schulen davor, Schüler bei ihrem Schulstreik zu unterstützen) geht da einiges durcheinander. Es ist absolut indiskutabel, dass die Schulen Schüler*innen vom Unterricht befreien, damit diese an den Demonstrationen teilnehmen können. Solche Parteinahme können Schulen nicht machen. Genauso wenig können sie Entschuldigungen von Eltern dazu akzeptieren. Das wäre ja auch eine Freistellung. Es ist natürlich möglich, quasi im Rahmen des Unterrichts zu so einer Demo zu gehen und sie anzuschauen (Stichwort Demokratiebildung), aber ich zumindest fände eine aktive Teilnahme dann schon wieder echt problematisch. Die Schüler*innen können natürlich die Konsequenzen von Schulschwänzen akzeptieren und hingehen und dafür Sanktionen in Kauf nehmen. Aber ich zweifle, dass signifikante Anteile dazu bereit sind.
Resterampe
a) Unbedingt hörenswertes Interview mit einer Cum-Ex-Ermittlerin. (SWR1)
b) Völlig verblendet. (Twitter)
c) The Bubble-Wrapped President (The Atlantic).
e) The New German War Machine (The Atlantic).
f) Die „große Reform“ ist eine Illusion (Welt). Die sagen doch nicht mal, dass das eine ist?
g) Thread zur wirtschaftlichen Lage Deutschlands vis-a-vis China. (Twitter)
h) Noch ein Thread, dieses Mal zum außenwirtschaftlichen Ungleichgewicht. (Twitter) Kommt aus Deutschland vertraut vor.
i) CDU verspricht (im Wahlprogramm), vermeintlich faulen Lehrern Druck zu machen (News4Teachers). Ich hätte damit null Problem, wenn das ausgeglichen wäre. Druck auf faule Leute, Belohnungen für Engagierte. Reformen im System. Aber das ist einfach nur billiger Anti-Beamte-Populismus.
j) The Mad Men Streaming Debacle Is a Strange Cautionary Tale (The Atlantic).
k) NYC hat gute Erfahrung mit Abgasbesteuerung. (Twitter)
Fertiggestellt am 10.12.2025
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.