Mittwoch, 17. August 2011

Es ist Politik, Dummkopf!

Von Stefan Sasse

Die Schuldenkrisen, die wir derzeit in den USA und in Europa erleben, sind - darin sind sich die Beobachter überraschend einig - zu einem guten Teil künstlich produziert. Tatsächlich scheint das grundlegende Problem zu sein, dass nicht genügend Geld vorhanden ist, um die Schulden in dem Ausmaß zu bedienen, wie es die Schuldtitel vorsehen, und gleichzeitig noch ein wenigstens stagnierendes Wirtschaftswachstum aufrecht zu erhalten. Hier enden die Gemeinsamkeiten jedoch. Der Grundtenor der gesamten Debatte unterliegt einer Schieflage, weil nur eine Seite des Problems beleuchtet und die andere komplett ausgeblendet wird. Die Dominanz der ausgeleuchteten Seite - der staatlichen Ausgaben - und die Ausblendung der anderen Seite - die Einnahmen - sind Produkt einer hervorragenden Pressearbeit seitens derer, die entweder von liebgewonnen Ansichten nicht lassen wollen oder aber davon profitieren.

Dass die Finanzmärkte nicht die effizienten, neutralen und gnadenlos objektiven Instanzen sind, als die sie 20 Jahre lang in den Himmel gelobt wurden, hat sich inzwischen selbst in den größten Betonköpfen der neoliberalen Reformära herumgesprochen. Hartnäckig hält sich jedoch die Ansicht, dass der einzig gute Staat ein Staat ist, der nach Möglichkeit wenig Handlungsspielraum durch restriktive fiskalische Schranken besitzt und seine Aufgabe hauptsächlich in einer größtmöglichen Annäherung an das Ideal des Nachtwächterstaats sieht. Betrachtet man die Reaktionen des derzeit völlig aus der Bahn schlagenden britischen Staatsapparats, würde man sich bisweilen ein bisschen mehr Zurückhaltung wünschen. Jedoch wird die Beschneidung staatlicher Ausgaben alleine keinen Erfolg mit sich bringen, schon gar nicht in einer laufenden Rezession, die derzeit an Fahrt aufnimmt.

Dieses noch immer weit verbreitete Bild ist fatal. Es tut so, als ob die derzeitige Einnahmenlage des Staates das absolut gerade noch erträgliche Maximum darstellt. Radikale wie die FDP oder die Tea Party halluzinieren sogar immer noch über Steuersenkungsspielräume bei gleichzeitiger Haushaltsausgleichung. Dabei ist das Problem der meisten Staaten nach über 20 Jahren neoliberaler Reformpolitik sicher kein aufgeblähter Wohlfahrtssektor. Die Größe, die dieser derzeit einnimmt, ist zu einem guten Teil Produkt der schlechten wirtschaftlichen Lage - und an der ist die Idee vom zurückhaltenden Staat zu einem guten Teil mit Schuld. Es ist richtig, dass die Staaten derzeit praktisch alle mehr ausgeben als einnehmen und dass sie unter einer beträchtlichen Schuldenlast ächzen. Das Ressentiment, dass dies auf eine laxe Finanzmoral zurückzuführen sei, ist aber mehr als frech.

Vor 2009 hatte Deutschland einen Schuldenstand von knapp über 60% des BIP - nichts, das irgendwie weltbewegend wäre. Seit der Bankenrettung beträgt diese Zahl über 80%, mit dem Potential für eine rasante Steigerung sollten die Bürgschaften für etwa Griechenland irgendwann fällig werden. Andere Staaten wurden durch die Finanzkrise noch viel tiefer in den Abgrund gerissen. Die Chuzpe, mit der die Akteure eben jener Finanzkrise nun die Staaten für ihre verantwortungslose Haushaltsführung schelten entspricht der eines Bankräubers, der sich über die mangelnde Sicherung der Bank beschwert, die das Geld von seinem Konto an den Räuber verloren hat. Eigentlich sollte man diesen Akteuren rechts und links eine Watsche geben; das wäre die wahrscheinlich angemessene Reaktion auf solches Geschwätz. Das ist nicht möglich. Deswegen wäre es nötig, diese Watschen endlich verbal auszuteilen und danach jene Maßnahmen zu ergreifen, die absolut notwendig sind: solche Maßnahmen, die die Einnahmesituation der Staaten verbessern.

Solche Maßnahmen können und dürfen nicht mehr Mittel- und Unterschicht betreffen. Die Steuern- und Abgabenlast für die Mittelschicht ist ohnehin grenzwertig hoch, während die Unterschicht nichts hat, von dem sie Steuern oder Abgaben zahlen könnte. Gleichzeitig sind gerade die Akteure der Finanzwirtschaft und ähnliche hohe Tiere, die von der gewaltigen Party vor dem Crash profitiert haben, immer noch hervorragend gestellt - trotz ihrer oft gewaltigen Einkommen. Warum Einkommen aus tatsächlicher Arbeit mit bis zu 45% besteuert wird, während Kapitalerträge pauschal nur 25% abgegolten werden müssen, entzieht sich aber meinem Verständnis. Warren Buffets Brandbrief in der New York Times ist keinesfalls daneben: die Reichen und besonders Superreichen zahlen lächerlich wenig Steuern und Abgaben (relativ gesehen) im Vergleich zu Menschen aus der Mittelschicht. Gleichzeitig tragen sie zum Wirtschaftswachstum wenig bei.

Es ist deswegen notwendig, dass die Staaten ihre Einnahmesituation verbessern, indem sie endlich wenigstens einen Teil des Geldes zurückholen, das die Bankenrettung gekostet hat, und zwar bei denjenigen, die gerettet wurden. Banken machen wieder Milliardengewinne; was also spricht dagegen, einen Teil dieser Gewinne mit Sondersteuern abzuschöpfen? Auch die Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer und Kapitalertragssteuer sind tendenzielle Reservoirs für zusätzliche Einkommen, die die überwältigende Mehrheit nicht zusätzlich belasten. Die Wiedereinführung der Börsenumsatzsteuer und die Einführung einer Transaktionssteuer währen ebenfalls probate Mittel.

Um diese Einnahmeverbesserungen durchführen zu können braucht es allerdings politische Überzeugungsarbeit. Das Klima ist gerade wieder deutlich anti-staatlich und knüpft damit an das Bild der Staatsgewalt der neoliberalen Reformära an. Dass einzig und alleine Staaten zwischen 2007 und 2010 den Zusammenbruch der Weltwirtschaft verhinderten, spielt inzwischen keine Rolle mehr. Glaskugelbeschwörern wie S&P, deren AAA-Ratings für Schrottanleihen überhaupt die Blase erst ermöglichten, wird größere Kompetenz eingeräumt als der staatlichen Wirtschaftspolitik. Es ist dringend notwendig, dass die Politik in die Offensive geht und die Missstände auf dem Finanzsektor, die sich grundlegend seit 2007 kaum gebessert haben, offen benennt und dagegen vorgeht. Politiker aller Parteien sollten die Frage stellen, ob wir unser Schicksal lieber in die Hände gewählter Vertreter legen oder ob wir das Parlament abschaffen und einfach einen Aufsichtsrat Deutschland bilden, der paritätisch aus Großbanken und -konzernen besetzt wird. Das wäre dann ehrlicher. Wenn die Politik nicht regieren möchte, wenn sie glaubt, andere könnten das besser, dann sollte sie abtreten. Andererseits müssen endlich die Hände aus den Taschen genommen werden. Es gibt viel zu tun, und die Staaten sind lange nicht so machtlos wie sich selbst herbeireden.

10 Kommentare:

  1. - »Ich will meine Freiheit«, sagt Erika Mann, die seit mehr als zehn Jahren für die SPD im Straßburger Parlament sitzt. »Aber ich will auch kluges Lobbying. Wenn die Unternehmen nicht zu mir kommen würden, ginge ich zu ihnen. Da liegt so viel Wissen.« -

    Was soll man dazu noch sagen? Stockholm-Syndrom?
    Quelle ist ein interessanter Artikel der Zeit: http://www.zeit.de/2005/04/Lobby

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  2. Uneingeschränkte Zustimmung.

    Allerdings ist nicht ersichtlich, welche Partei (oder Koalition) so etwas tun könnte oder wollte. Schwarz-Gelb wird sich eher die Hände abhacken, als damit nach dem Geld der Reichen und/oder Banken zu greifen - da sei die FDP und der "Leistungsgedanke" vor. Für die SPD gilt seit Schröder wohl nichts anderes; das Warten auf einen Kurswechsel ist hier wohl auf absehbare Zeit "Warten auf Godot". Die Grünen interessiert das ganze Thema nur am Rande und sie werden spätestens in der Regierung darauf kommen, dass es doch keine gute Idee ist, ihren Kindern die Karriere bei RWE oder der Deutschen Bank zu versauen ...

    Die einzige Partei, der so etwas vielleicht zuzutrauen wäre, wäre die Linkspartei, die aber durch eigene Schuld wie durch eine permanente Pressekampagne klein gehalten wird. Außerdem hat sie durch die "Keuschheitsgelübde" der SPD wohl praktisch keine Koalitionsoption.

    Der Appell, an die Einnahmenseite zu denken, hört sich so zwar theoretisch wunderbar an, hat in unserem real existierenden Politikbetrieb aber wohl keine Chance. Wenn wieder einmal Geld gebraucht wird, ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass man auf die Idee kommt, dass Hartz-IV-Empfänger eigentlich auf mit einem Stück Seife pro Jahr auskommen müßten ...

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  3. "Tatsächlich scheint das grundlegende Problem zu sein, dass nicht genügend Geld vorhanden ist, um die Schulden in dem Ausmaß zu bedienen, wie es die Schuldtitel vorsehen"

    Das mag für Griechenland gelten, aber sicher nicht für die USA.

    Die "Schuldtitel" der USA lauten nämlich in US-Dollar. Die USA haben aber die Währungshoheit über den US-Dollar, und die Währung ist weder konvertibel, noch ist ihr Umrechnungskurs irgendwie festgesetzt.

    Daher können "Schulden" der US-Bundesregierung, die in US-Dollar lauten, immer bedient werden.

    "Begrenzungen" wie etwa die regelmäßig zu erhöhende "Schuldengrenze" sind rein künstlich und haben nichts mit der zur Verfügung stehenden Gesamtmenge an Geld zu tun (die ist grundsätzlich unbegrenzt).

    In der Eurozone sieht das natürlich anders aus (wenn man die Mitgliedsstaaten für sich betrachtet) -- weswegen eine Fiskal-Union auch unabdingbar ist, wenn der Euro gerettet werden soll.

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  4. Hi Anonym,

    ist mir klar. Aber das schließt sich ja nicht aus: in den USA ist das Geld nicht vorhanden, weil es künstlich zurückgehalten wurde.

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  5. Herr Sasse, Sie glauben aber nicht wirklich das die Regierenden eine unabhängige "Organisation" sind, oder? Wenn irgendjemand von denen den Millio- oder Milliardären an die Tasche will, wird es in den Medien so viele Negativumfragen und -Berichte geben, dass sich derjenige kaum noch auf die Strasse traut. Die Medien sind, a la DDR, gleichgeschaltet und in den Händen der Profiteure. Und die lenken Volkes Denken und wer oben oder unten ist. Das ist schon mehr als offensichtlich zu sehen und entbehrt mittlerweile jeder Verschwörungstheorie! Bevor die Paläste nicht brennen, wird sich GAR NICHTS ändern!!!

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  6. Meiner Meinung nach ist es der einzig gangbare Weg... Zumindest der einzige Weg, bei dem genug Geld herauskommen kann. Trotzdem muss man auch die Ausgabenseite im Auge behalten und auf ein gesundes Maß reduzieren. In den USA z.B. ist ein Drittel der Ausgaben: Rüstung. Das ist für mein Dafürhalten nicht nötig! Und auch hier gibt es bestimmt Bereiche, die bisher unerwähnt blieben und uneingeschränkte Mittel erhalten... Forschung und Bildung sollten mehr Mittel und besser verwaltete Mittel erhalten.
    Meine Grundschule hat jetzt Whiteboards. Das Schulhaus ist völlig marode (immernoch), aber anscheinend gab es auf die Dinger Mengenrabatt (bestimmt auch durch Werbung). Sollte eine Schule derart an der Wirtschaft hängen? Ich denke nicht! Und warum Forschung? Weil China guttenbergt und sehr viel billiger produzieren kann, weshalb wir hier einen Schritt voraus bleiben müssen. Ich könnte mich hier noch weiter auslassen, aber ich wurde gerade angeschrieben.
    mfg, Szerith

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  7. Was machen wir denn jetzt, wenn die Franzosen sich nicht mehr an das vereinbarte Inflationsziel der Währungsunion halten?

    Deflation kommt durch Lohnsenkungsspiralen.

    Wie sollen die Schuldner sich in einer Deflation entschulden?

    Merkel sollte endlich ihre wirtschaftspolitischen Berater austauschen.

    Sind wir in einer Deflation sind die Staatsschulden schnell bei 200% des BIPS.

    Deutschland hält sich nicht an das vereinbarte Inflationsziel der Währungsunion.

    Deutschland schwingt den anderen Staaten einen Lohnsenkungswettbewerb auf, an dessen Ende die Währungsunion zerbrechen muß.

    Eurobonds können da auch nicht mehr helfen.

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  8. Eurobonds könnten sehr wohl helfen. Das Problem ist doch, dass die Standards, die Frankreich und Deutschland der gesamten Eurozone auferlegen, von Ländern an der Peripherie einfach nicht gehalten werden können.

    In einer Währungsunion können diese Länder aber nicht angemessen reagieren (etwa durch Abwertung der Landeswährung).

    Es muss anders ermöglicht werden, das Nord-Südgefälle in der EWU auszugleichen -- Eurobonds wären eine Lösung.

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  9. Vielleicht interessiert dieses Interview mit William Black von der University of Kansas City (englische Sprache) zu diesem und verwandten Themen: http://goo.gl/gK7KD

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  10. In dieser Welt der Nullsummenspiele gibt es keinen Gewinn des einen ohne einen Verlust des anderen. Nimmt man den Zins mit hinzu der ja im Geldsystem nicht geschaffen wird gibt es eigentlich nur Verlierer zu Gunster der Erschaffer des Geldes. Und dies sind eben zum grössten Teil die Privatbanken mit ihrem Giralgeld. Das heisst, es wird auf Dauer nur Verlierer geben. Wir brauchen für einen sozialen und gerechten Wohlstand aller Bürger ein anderes Geldsystem. Un dafür brauchen wir zu allererst ein anderes Bewusstsein der Menschen.

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