Samstag, 31. März 2012

Ende der Piraten-Naivität

Von Stefan Sasse

Christoph Lauer, Abgeordneter der Piraten im Berliner Landtag, war bei Maybritt Illner. Thema waren irgendwie mal wieder die Staatsschulden; Neues brachte die Sendung hier nicht - bis auf die völlige Dekonstruktion Lauers. Man hatte ja noch das Video im Kopf, wo die Piratenfraktion ihre Gegner im Landtag außeinander nahm, als es um die Privatisierungen ging, brillant und witzig. Gestern demonstrierte Lauer auf eindeutige und endgültige Weise die Grenzen der Naivität der Piratenpartei. Sein Auftritt bei Illner war eine totale Dekonstruktion. Bisher war das "wir haben keine Ahnung und geben deswegen erst mal keine Antwort"-Mem der Piratenpartei ja nett und neu und aufregend. Wow, keine Worthülsen, ein klares "Wir müssen uns mal schlau machen". Das hat vielen imponiert. Was Lauer bei Illner abgeliefert hat dürfte Viele einfach nur entsetzen. Denn Lauer schaffte es, von der "ich habe keine Ahnung"-Schiene direkt in die Lächerlichkeit zu springen.

Freitag, 30. März 2012

Blackout

Von Stefan Sasse

Nachdem man sich mit einem donnernden Signal in Form von 1,2% der Tyrannei der Masse widersetzt hat, geht der Wiederaufschwung der FDP in die nächste Phase. Flankierend zu den guten Nachrichten aus NRW ("Lindner gibt FDP Schub", sie erreichte erstmals 4% in Umfragen) präsentiert man sich als prinzipienfest, wenn es um das Wohl und Wehe anderer Menschen geht. Damit knüpft die FDP nahtlos an ihre Erfolgsstrategie der letzten drei Jahre an, in der das Beharren auf Steuersenkungen der Grundpfeiler der Strategie war. Während selbst Marc Beise langsam klar wurde, dass es so etwas wie makroökonomische Zusammenhänge gibt, by the way. Der aktuelle Fall: Schlecker. 

Donnerstag, 29. März 2012

Es geht nicht um Sie, Herr Regener

Von Stefan Sasse

Der Musiker und Romanautor Sven Regener ist jüngst in die Schlagzeilen gekommen, als er gegen die Scharen von Urheberrechtsverletzern im Netz, vor allem YouTube-Downloader und Filesharing-Nutzer, einen ausführlichen Rant abließ. Das war natürlich eine Steilvorlage für alle, denen bei den Forderungen besonders der Piratenpartei für ein freies Internet und eine deutliche Schwächung des Urheberrechts immer ganz mulmig wird. Regener wurde zum Kronzeugen für diese Fraktion. Schaut her, hier ärgert sich ein direkt Betroffener! Ja, sicher. Aber der Herr Regener und seine Kollegen sind doch gar nicht gemeint. Niemand will, dass Künstler künftig nicht mehr von ihrer Arbeit leben können. Ich persönlich habe auch nichts gegen das Prinzip von GEMA oder VG Wort. Problematisch werden viel mehr die Auswüchse, etwa wenn man nicht einmal mehr Ausschnitte verwenden oder editieren kann, wenn Videos gesperrt werden, weil im Hintergrund etwas entfernt einem geschützten Produkt Ähnelndes laufen könnte. Das ist das Eine, aber das ist hauptsächlich nervig. Eine gänzlich andere Perversion jedes Urheberrechtsschutzes erlebe ich gerade im Alltag hautnah. 

Mittwoch, 28. März 2012

Buchempfehlung: Albrecht Müller - Der falsche Präsident

Von Stefan Sasse

Noch kurz vor der Wahl zum Bundespräsidenten hat Albrecht Müller, Gründer und Herausgeber der NachDenkSeiten, ein Büchlein geschrieben: "Der falsche Präsident". In diesem Buch argumentiert Müller, auf welchen Politikfeldern Joachim Gauck extrem einseitige Ansichten hat, die ihn als Repräsentanten aller Deutschen gerade in diesen Zeiten ungeeignet scheinen lassen. Unter dem Untertitel "Was Pfarrer Gauck noch lernen muss, damit wir glücklich werden" argumentiert er, dass Gauck jedes tiefere Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen fehlt und er deswegen kaum in der Lage ist, die Finanzkrise angemessen zu verstehen und einzuordnen. Diese Kritik macht den stärksten Fokus von Müllers Buch aus, was durchaus verständlich ist, schließlich ist es seit 2003/04 sein Leib- und Magenthema. Wer die NachDenkSeiten und Müllers Bücher "Reformlüge", "Machtwahn" und "Meinungsmache" kennt, der wird die Argumente schnell wiedererkennen und sich heimisch fühlen; für alle anderen ist es ein par-force-Ritt durch die Agenda-Reform-Kritik von links.

Dienstag, 27. März 2012

Vom politischen Nutzen der Schuldenbremse

Von Stefan Sasse

Bis zum Beginn des französischen Wahlkampfs gab es kein Thema, das in Europa und in Deutschland ein breiteres Fundament besaß als der Fiskalpakt, vulgo: die Schuldenbremse. Nachdem wir sie in Deutschland ins Grundgesetz geschrieben haben, gab die Griechenlandkrise den Anlass, sie zu einer europaweiten Politik zu machen. Die Schaffung von Merkozy in den letzten Monaten sorgte für ein vollständiges Umschwenken Frankreichs, und Großbritanniens Tories waren ohnehin schon immer dafür. Regierende in Spanien und Italien ebenso zur Annahme zu bewegen war nicht gerade das größte Hindernis, das Merkel für ihr wahnwitziges Lieblingsprojekt nehmen musste. Der Aufschwung Francois Hollandes in den Umfragen und seine überraschend deutliche Ablehnung des Fiskalpakts sowie eine klar progressive Positionierung haben frischen Wind in die Debatte gebracht. Bisher war die Opposition gegen die konservative Vorherrschaft in ganz Europa nur schwerlich umzustoßen gewesen. In Italien und Spanien waren die progressiven Parteien ein Bild der Trauer, von inneren Streitigkeiten zermürbt und im Falle Spaniens nach der Regierungszeit und der Krise beim Wähler unten durch. In Deutschland stirbt die SPD seit 2005 einen langen, qualvollen Tod, während sie immer näher an die tödliche Umarmung durch das konservative Lager herandriftet. Dabei ist der große Erfolg des Fiskalpakts kein Geheimnis einer europaweiten Verschwörung. Er hat wesentlich banalere und zugleich tief greifendere Gründe.

Sonntag, 25. März 2012

Analyse zur Landtagswahl im Saarland

Von Stefan Sasse

Die erste der Landtagswahlen 2012, die nie hätten stattfinden (Saarland, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein) sollen ist vorüber. Die Ergebnisse sind gleichzeitig überraschend und erwartet. Erwartet war die Tendenz, überraschend ist die Deutlichkeit, mit einer Ausnahme. Sehen wir sie uns Stück für Stück an. Die CDU hat ihre Position mit nur 0,1% Verlust behauptet und bleibt stärkste Partei. Annegret Kramp-Karrenbauer bleibt damit Ministerpräsidentin, denn CDU und SPD hatten sich bereits vorher auf eine Große Koalition festgelegt. Die SPD hat 5,6% gewonnen, die LINKE 4,9% verloren - gut möglich, dass die Wählerwanderung zwischen diesen beiden Parteien stattfand. Die SPD ist damit immer noch mehr als 3% von der CDU entfernt, was reichlich viel dafür ist, dass man ihr eigentlich ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen prophezeit hat. Die LINKE hat etwas über 16%, was vermutlich auch einem gewissen Lafontaine-Effekt geschuldet sein dürfte - vielleicht zum letzten Mal, wenn der Landtag die vorgesehenen fünf Jahre hält, bedenkt man das Alter Lafontaines. Die FDP ist brutal abgestürzt, verlor über siebeneinhalb Prozent und liegt jetzt bei stark anderthalb - so deutlich dürfte sie noch aus keinem Landtag geflogen sein. Die Grünen haben gute Chancen, extrem knapp drin zu bleiben, sie liegen derzeit um 5%. Sehr deutlich in den Landtag eingezogen und damit viertstärkste Kraft sind die Piraten, die über siebeneinhalb Prozent geschafft haben. Soweit die Zahlen (alle SZ). Was aber bedeuten sie?

Samstag, 24. März 2012

Obamaville - Rick Santorum Werbespot

Von Stefan Sasse


Sehr professionell gemacht, muss man dem Jungen lassen. Ganz besonders interessant finde ich die Verknüpfung von Wall Street mit Obama. Nein, Sir, nicht die Republikaner sind die Freunde des Großen Geldes, das sind die Demokraten! Und das klappt sogar, das ist das Abgefahrenste daran. Für alles weitere zitiere ich MovieBob: 
There are moments of increasing frequency where I honest wish it were possible for Santorum to be the Republican nominee. Not only would he be more likely to lose, but what would amount to a sustained public flogging of the worthless "Christian Right" mindset that both creates and buys into nonsense like this ad would be an enormously positive - to say nothing of entertaining - development.

Donnerstag, 22. März 2012

Kurzmeldungen

Von Stefan Sasse

Es ist mir ja richtig peinlich, so lange nichts zu schreiben, aber mir fehlt gerade vollständig die Zeit. Daher nur Kurzmeldungen. 

- Der Wahlkampf in Frankreich ist mehr als interessant und zeigt ein fundamentales Problem der Progressiven in der politischen Kommunikation auf: sie haben kein kohärentes Narrativ gegen das der Austerität und der schwäbischen Hausfrau. 

- In den USA gewinnt Mitt Romney endgültig. Wahrscheinlich wird er erfolgreicher mit dem "Etch and Sketch" sein, als es die ätzenden Kommentare gerade wahrhaben wollen, wenn es an die Wahlen im Herbst geht. 

- Die SPD arbeitet weiter fleißig daran, sich selbst überflüssig zu machen. Ihre Positionen zu Fiskalpakt und Gauck stellen berechtigt die Frage, was der Unfug eigentlich noch soll. 

- Die Piraten durchleben eine Kinderkrankheit nach der anderen, aber das ist nicht ungewöhnlich und ging den Grünen seiner Zeit auch so. Irgendwelche Prognosen über ihre zukünftigen Erfolge lassen sich daraus nicht ableiten. 

- Die FDP verharrt bei allem was sie tut unter 5%. Das ist gut und bleibt hoffentlich so. 

- Merkels aktuelle Europapolitik könnte tatsächlich eine Einigung Europas unter gänzlich anderen Vorzeichen befeuern, vorausgesetzt die Progressiven bekommen etwas Ähnliches auf die Beine. Gesamteuropäische Parteien wären absolut zu begrüßen und längst überfällig.

Freitag, 16. März 2012

Erstes Obama-Wahlkampfvideo

Von Stefan Sasse



Mal ernsthaft...der Typ soll verlieren? Gegen Mitt Romney oder Rick Santorum? Seriously? Wenn das passiert, dann ist das Land in einem culture war, der seinesgleichen sucht.

Donnerstag, 15. März 2012

Der dicke Strich durch die Rechnung

Von Stefan Sasse

Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen - das kam plötzlich. Als Hannelore Kraft 2010 die erste Minderheitenregierung in einem westdeutschen Flächenstaat bildete, prophezeiten viele Beobachter eine kurze Regierungszeit. Nun hat es fast zwei Jahre gehalten; ähnlich lange wie Schwarz-Grün in Hamburg oder Jamaika im Saarland, die beide über Mehrheiten verfügten. Das typisch deutsche Vorurteil, dass nur regieren kann, wer eine "stabile" Mehrheit hat (wir Deutschen lieben Stabilität), wurde dadurch eindrucksvoll widerlegt, umso mehr, als dass die Umstände dieser Neuwahlentscheidung nachgerade albern sind. Es ging, einmal mehr, um die Entscheidung über den kommenden Haushalt. Bereits vorherige Krisen der rot-grünen Regierung hängten sich daran auf, und jedes Mal fanden sich nach ritualisiertem Widerstand einige Stimmen in der Opposition. FDP und LINKE hatten wohl auch dieses Mal die Hoffnung, ein wenig Symbolpunkte abgreifen zu können, ehe man zustimmte. Die FDP forderte Kürzungen, die LINKE höhere Schuldenaufnahme, business as usual. Dann platzte plötzlich die Nachricht von der juristischen Abteilung des Landtages herein: eine Ablehnung von Teilen des Etats wäre als eine Ablehnung des ganzen Etats zu werten, eine fest eingeplante dritte Lesung des Gesetzes, bei der man es dann annehmen könnte, findet nicht statt. Es war wohl ein klassischer Rick-Perry-Moment für FDP und LINKE: Ups. 

Mittwoch, 14. März 2012

Das Zerbröckeln der europäischen Peripherie

Von Stefan Sasse

Die europäische Krise ist noch lange nicht ausgestanden. Während immer wieder das Gefühl aufkommt, dass die Euro-Krise doch irgendwann einmal vorbeisein müsste, tun sich ganz neue Abgründe auf. Die kurzsichtige Politik der letzten zehn, fünfzehn Jahre beginnt sich zu rächen, und die Konstruktionsfehler der EU treten immer deutlicher zutage. Inwiefern der Euro von Anfang an ein Konstruktionsfehler war - ob es nur die Aufnahme von einigen Wackelkandidaten, gleich die komplette Idee oder nur die mangelnde Koordination von Fiskalpolitik war - ist umstritten. Fakt ist, dass die Krise Sollbruchstellen innerhalb der EU aufdeckt. Es gibt immer noch keine effektiven Lösungsmechanismen für Probleme, bei denen nicht alle Mitglieder einer Meinung sind. Seit den Reformversuchen von Nizza 2004 und der Osterweiterung des gleichen Jahres wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass das Konsensprinzip die 27-Mitglieder-EU vor gewaltige Probleme stellen wird. Inzwischen ist es soweit; erst gestern haben Großbritannien, die Niederlande und Schweden die Einführung einer Finanztransaktionssteuer abgelehnt und das Projekt damit abgeschossen. 

Montag, 12. März 2012

Entmenschlichtes Fernsehen

Von Stefan Sasse

Die Reality-Shows des deutschen Fernsehens sind bekanntlich nicht gerade fein. Oftmals basiert ihr Prinzip auf der Erniedrigung der Protagonisten, häufig ohne dass diese es überhaupt merken - von "Bauer sucht Frau" bis "Frauentausch". Ein Prinzip, das in der Anpreisung von "Deutschland sucht den Superstar" in dem Satz "Wer es heute nicht gesehen hat, kann morgen nicht mitlästern" einen geradezu zynisch ehrlichen Ausdruck fand. Gegen das chinesische Staatsfernsehen aus Henan aber sind die Niveauabgründe, in denen man RTL regelmäßig findet, ein Witz. In China, das Land, das mehr Menschen zum Tode verurteilt und hinrichtet als der Rest der Welt zusammen, empfand man es offenbar als grandiose Idee, eine Reality-Doku mit den Todesdelinquenten zu machen (SZ berichtet). Und weil irgendwelche normalen Interviews oder der Gefängnisalltag nicht allzu spannend sind, hat man eine geradezu abscheuliche Moderatorin hergenommen, der keine Gemeinheit zu nieder war. Das Resultat ist erschreckend. 

Freitag, 9. März 2012

Weltfrauentag: Unsere tägliche Quote gib uns heute

Von Stefan Sasse

Es gibt nur wenig Gelegenheiten, bei denen ich Schwarz-Gelb zustimme. Die Frauenquote ist eine, und hier sind CDU und FDP sogar sozial engagierter und gerechter unterwegs als selbst die LINKE. Zum Frauentag gab es wieder ein wahres Trommelfeuer der Lobbyistinnen, endlich eine Frauenquote von 40% für Vorstände börsennotierter Unternehmen einzuführen, eine Forderung, die sich hartnäckig hält und völlig bescheuert ist. Die SPD hat sich ausnahmsweise erinnert, dass sie in der Opposition ist und ein entsprechendes Gesetz eingebracht, das natürlich abgelehnt werden wird. Bemerkenswert ist das Argument, mit dem Schwarz-Gelb sie ablehnt: die Frauenquote sei ein "Elitenprojekt". Bemerkenswert von denen, die sonst nach Elitenförderung schreien, zugegeben, aber einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Das Argument, ich hatte es schon mehrfach gesagt, ist absolut richtig. Alles, was derzeit unter dem absurden Titel der Gleichberechtigung oder gar Gleichsstellung firmiert, ist in Wahrheit ein reiner Lobbyismus für eine ungeheuer schmale Schicht von Frauen. Und der Großteil der Bevölkerung macht mit, gibt es doch kaum ein Thema, das politisch so korrekt ist wie dieses. 

Donnerstag, 8. März 2012

Super Tuesday und die Demontage der GOP

Von Stefan Sasse

Der Super Tuesday, an dem zehn Bundesstaaten in den USA ihre Primaries haben, ist vorüber. Alle Erwartungen haben sich erfüllt: es gibt keinen eindeutigen Sieger, Romneys Vorsprung steht weiterhin, Newt Gingrich hat Georgia und sonst nichts gewonnen und Ron Paul eiert irgendwo auf dem dritten Platz herum. Die daraus gezogenen Konsequenzen sind dieselben wie zuvor. Der wahrscheinliche Kandidat heißt Mitt Romney. Newt Gringrichs Kampagne ist mehr oder weniger zu Ende; er kämpft letztlich nur noch um die Zeit danach. Viel interessanter als die Ergebnisse des Super Tuesday - die einen zumindest deutlich verlängerten Wahlkampf, eventuell bis zur großen Convention im Frühsommer vorausdeuten - sind die Implikationen des Wahlkampfs. Der Rechtsdrall der Konservativen durch die radikale Basis und die Kandidatur eines Fanatikers wie Rick Santorum hat mittlerweile seine Spuren hinterlassen. Nicht nur hat er Mitt Romney weit weg von dessen eigentlichen, auf dem sozialen Feld relativ moderaten Positionen gebracht und ihn mit ihm unangenehmen Positionen fixiert. Die absurden Positionen der evangelikalen Rechten - diese stellen ernsthaft das Recht der Frau auf Verhütungsmittel in Abrede - sind soweit weg vom Mainstream, dass die Zustimmungswerte aller Republikaner, ja, der ganzen Partei gerade durch die Bank fallen und Obama langsam, aber stetig Aufwind gewinnt.

Mittwoch, 7. März 2012

Viktor Orbáns Europa - eine Analyse

Von Stefan Sasse

Viktor Orbán 2010
In der FAZ ist jüngst ein längliches Interview mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán erschienen. Orbán ist der Vorsitzende der Fidesz-Partei, die bei den letzten Wahlen in Ungarn eine Zwei-Drittel-Mehrheit errang und eine neue Verfassung verabschiedet hat, die EU-weit auf harsche Kritik stieß, da sie elementare Bürgerrechte einschränkt und geradezu ethnische Säuberungen gegen Sinti und Roma durchführte. Orbán fiel auch dadurch auf, dass er aggressiv Posten mit eigenen Leuten besetzte und Gesetze auf die Bedürfnisse von Fidesz zuschnitt. Dass das Thema Ungarn hierzulande außer in einigen Nischenbereichen wie dem Verfassungsblog wenig zu Wort kam liegt auch an der Sprachbarriere: es gibt praktisch niemanden außerhalb Ungarns, der Ungarisch spricht, und Fidesz war nicht gerade eifrig dabei, die Dokumente ihrer Herrschaft in andere Sprachen zu übersetzen. Das Interview mit der FAZ ist schon alleine deswegen bemerkenswert, wirklich interessant aber wird es durch etwas Anderes. Ich bin zwar kein Kenner der ungarischen Politik und kann deswegen nicht beurteilen, wie "echt" der Orbán ist, der sich dem Interviewer hier präsentiert; eines aber ist sicher: seine Aussagen in diesem Interview sind von einer bemerkenswerten Offenheit. Sie erlauben einen tiefen Einblick in die Gedanken- und Seelenwelt des Mannes, der gerade Ungarn führt - und in den Augen der meisten EU-Staaten deutlich von der europäisch-demokratischen Idee entfernt. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, Orbáns Äußerungen in einen Zusammenhang zu stellen und sie einzuordnen.

Dienstag, 6. März 2012

Morgenluft für Sarkozy

Von Stefan Sasse

Francois Hollande
In den letzten Wochen führte Francois Hollande, der Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialdemokraten, mit komfortablem zweistelligem Vorsprung vor Präsident Nicolas Sarkozy. Mittlerweile ist dieser Umfragenvorsprung jedoch deutlich zusammengeschmolzen. Zurückgeführt wird das gerne auf die langweilige Person Hollandes, der den Charme eines durchschnittlichen Schalterbeamten versprüht, aber mindestens genauso wichtig sind institutionelle Hilfen. Sarkozy verfügt, Berlusconi darin nicht unähnlich, über ein ganzes Mediennetzwerk, das ihm sehr gewogen ist und Hollande und der sozialistischen Partei sehr feindlich gegenübersteht. Welchen Effekt die ungewöhnlich massive Parteinahme Angela Merkels auf den französischen Wahlkampf bisher hatte, ist nicht ganz klar, aber spätestens seit vergangenem Freitag kann sie nicht mehr geleugnet werden: Angela Merkel sieht einen Sieg von Francois Hollande offensichtlich als eine große Gefahr für ihre Europapolitik. Angesichts von Hollandes Äußerungen, den mühselig ausgearbeiteten Fiskalpakt für die Gewährung weiterer Kredite und Garantien für Griechenland erneut verhandeln zu wollen, ist diese Furcht durchaus verständlich. Sollte Frankreich tatsächlich nach einem Wahlsieg Hollandes die bisherige Euro-Politik zur Disposition stellen, stünde Merkel vor einem Scherbenhaufen. 

Montag, 5. März 2012

Augstein und Blome zu Wulff

Von Stefan Sasse



Ich liebe dieses Format. Ich kann es gar nicht oft genug sagen. Ich hab auch einen Heidenrespekt vor Blome. Ich stimme zwar praktisch nie mit ihm überein, aber dass er dieses Format mitmacht, dass er argumentativ Woche für Woche sich Augstein stellt und dabei auch immer wieder das Vorgehen seiner Zeitung, der BILD, erklärt und verteidigt, das ist ehrenwert. Daumen hoch.

Pathologischer Wulff-Hass

Von Stefan Sasse

Es ist nicht ganz verständlich, welchen Hass gerade konservative Kommentatoren gerade gegen Wulff entwickeln. Ein besonders herausragendes Beispiel dafür ist Michael Spreng, Autor vom Sprengsatz. Ich schätze Spreng als einen der wenigen konservativen Blogger, die man gut lesen kann, auch wenn ich mit ihm oft nicht einer Meinung bin. Aber seine letzten beiden Beiträge, die sich mit Wulff befassen, können geradezu stellvertretend für den pathologischen Wulff-Hass konservativer Kommentatoren gesehen werden. Was haben die denn plötzlich für ein Problem? Klar, Wulff hat ihnen damals ihren geliebten Gauck versaut, aber sonst? Das merkwürdigste an der ganzen überbordenden Wulff-Kritik ist das ständige Argument der Mehrheitsmeinung. Seit wann ist es denn für rechtliche Vorgänge relevant, ob die Mehrheit den Sachverhalt nachvollziehen kann oder nicht? Wenn wir plötzlich Richtsprüche danach fällen, ob das gesunde Volksempfinden mitgeht, dann gute Nacht. Da wandere ich aus. Das Argument taucht bei Spreng aber plötzlich mehrfach auf. Als er damals zu Recht Guttenberg kritisierte, war die Mehrheitsmeinung auch kein Problem. Was also ist da gerade los? Sehen wir uns einige seiner Argumente an: 

Donnerstag, 1. März 2012

Eine kurze Geschichte des Faschismus und Nationalsozialismus, Teil 2/2

Von Stefan Sasse

Teil 1 findet sich hier. 

Hoheitszeichen der NSDAP
Auch die Lebensraumideologie leitet sich aus dem völkischen Denken her und setzt voraus, dass man in Kategorien von Raum und Volk und nicht in solchen von Staat und Nation denkt. Die Landwirtschaft in Ostpreußen war wegen der Unterbevölkerung kaum funktionsfähig und auf Erntehelfer aus Polen sowie Saisonarbeiter aus Deutschland angewiesen. Auch die Wegnahme Elsass-Lothringens, eigentlich nur ein Bismarck-Raub, forderte in diesem Weltbild Kompensationen – eben Lebensraum. Der zentrale Punkt der Lebensraumideologie ist also der Versailler Vertrag. Sie kokettiert außerdem mit den Sehnsüchten des Städters im Industriezeitalter, was die Nationalsozialisten propagandistisch ausschlachteten, besonders in Bildern. Der Bauerngedanke wird somit gleichzeitig imperialistisch aufgeheizt. Der Lebensraum nimmt also den Rassegedanken auf, sofern er ihn nicht sowieso bereits in sich trägt. Diese drei Elemente sind keine des europäischen Faschismus’, sondern spezifisch deutsche Elemente. Die große Gewalttätigkeit des Nationalsozialismus findet ihr Scharnier in Hitler selbst, weniger im Programm der NSDAP. Die Verbindung der Formel von "National" und "Sozial" war nach 1918 dazu geeignet, Massen zu mobilisieren und Wähler zu gewinnen. Er ist die schlichte Antithese des internationalen Sozialismus, des Marxismus. Der nationale Sozialismus ist dabei hochgradig aggressiv, im Gegensatz zum internationalen.

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