Freitag, 30. März 2012

Blackout

Von Stefan Sasse

Nachdem man sich mit einem donnernden Signal in Form von 1,2% der Tyrannei der Masse widersetzt hat, geht der Wiederaufschwung der FDP in die nächste Phase. Flankierend zu den guten Nachrichten aus NRW ("Lindner gibt FDP Schub", sie erreichte erstmals 4% in Umfragen) präsentiert man sich als prinzipienfest, wenn es um das Wohl und Wehe anderer Menschen geht. Damit knüpft die FDP nahtlos an ihre Erfolgsstrategie der letzten drei Jahre an, in der das Beharren auf Steuersenkungen der Grundpfeiler der Strategie war. Während selbst Marc Beise langsam klar wurde, dass es so etwas wie makroökonomische Zusammenhänge gibt, by the way. Der aktuelle Fall: Schlecker. 

Ein Konzern, der zuletzt wegen der Ausbeutung seiner hilflosen, überwiegend weiblichen Angestellten in die Negativ-Schlagzeilen geriet (Check). Ein Konzern, der das von Ursula von der Leyen geführte Arbeitsministerium dazu verleitete, öffentlich über eine strengere Kontrolle nachzudenken (Check). Ein Konzern, dessen Image sogar das von Aldi Ende der 1990er Jahre in den Schatten stellt (Check). 11.000 Mitarbeiterinnen drohte bis heute die Kündigung, wenn nicht eine Auffanggesellschaft gegründet würde, die über einen Zeitraum von rund zwei Jahren den Übergang erleichtert (Check). Gebraucht hätte es die lächerliche Summe von 71 Millionen Euro (Check). Alle Beteiligten hätten sich als Rächer der Entrechteten in Szene setzen können (Check), besonders nachdem bekannt wurde, dass die Schleckerfamilie als Folge ihres monumentalen Scheiterns rund 70.000 Euro monatlich bezieht (Check). 

Das Land Baden-Württemberg, das kein Geld für den Solidarpakt hat, warf sich voll ins Zeug um die Bürgschaften für die 71 Millionen zusammenzubekommen. Bedenkt man, dass Mappus kurz vor seinem Abgang noch ein Vielfaches dieser Summe in die ENBW versenkt hat, sollte das eigentlich angesichts von deutschlandweit 11.000 Betroffenen, die andernfalls ohnehin die Sozialkassen belasten, keine ernsthafte Frage sein (wie wirtschaftlich sinnvoll eine solche Gesellschaft wäre steht hier nicht zur Debatte; interessieren sollen an dieser Stelle die politischen Zusammenhänge). In Sachsen und Sachsen-Anhalt weigerte sich die FDP mitzumachen, und Baden-Württemberg sprang ein. Fehlte nur noch Bayern, der Rest war im Boot. Bayern, wir erinnern uns, hat seit Kurzem eine CSU-FDP-Koalition, seinerzeit frenetisch als Abschied von der CSU-Dauerherrschaft gefeiert. Happy times, aus heutiger Sicht. Die FDP, die das bayrische Wirtschaftsministerium fährt, sagte laut "Njet". Kein Geld für die Auffanggesellschaft. 11.000 Beschäftigte erhielten heute ihre Kündigungen. 

Soweit, so merkwürdig. Gut, denkt man sich, die FDP, das ist ja eine prinzipienfeste Partei. Schauen wir mal, wie Rösler das präsentiert. Der tritt auch gleich vor die Presse und erklärt, dass es nicht Sache des Staates sei, die Folgen unternehmerischer Misswirtschaft aufzufangen. Da möchte man applaudieren. Na dann, Philipp, nehmen wir mal die Energiekonzerne in die Verantwortung, deren Atommüll in Castoren von Zwischenlager zu Zwischenlager schaukelt. Sollen die doch die Scheiße loswerden. Weg mit dem Geld für die Banken! Lassen wir die Bande bankrott gehen. Lassen wir Versandapotheken zu und schauen mal, wie sich die bisherigen Standort-Apotheken schlagen. 2009 hat Guido Westerwelle verkündet, dass 10.000 Arbeitsplätze in der Hotelbranche akut gefährdet seien, weswegen ihr permanent einen Milliardenbetrag pro Jahr in die Ärsche der Hotelbesitzer geblasen habt. Oh, das sind die, die eure Wahlkämpfe finanzieren, während 11.000 Niedriglöhnerinnen gerne dahin gehen können, wo der Pfeffer wächst? 

Schon brillant, diese neue FDP-Strategie. Ich verstehe sie noch nicht ganz, aber ich bin mir ja echt sicher, dass sie sich in NRW und Schleswig-Holstein auszahlen wird. Ganz bestimmt. 

8 Kommentare:

  1. Dem ist wohl nichts hinzu zu fügen, außer vielleicht: Die Rede Gregor Gysis im Bundestag http://youtu.be/iuRvp0ctvek

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  2. Die Mitarbeiter durch eine Transfergesellschaft zu retten, gern mit Verweis auf deren Geschlecht, hat sich in Windeseile zur Forderung von 98,8% der Politik erhoben, auch Medien und Netz lassen hier keinen Zweifel.

    Ordoliberalismus ist in Situationen, in denen Politik und Medien das emotionale Potential menschlicher Schicksale voll auszunutzen suchen, selten besonders hipp. Es wird implizit ein Gegensatz aufgebaut, der freilich so nicht existiert: Mit Transfergesellschaft wird alles gut, ohne hingegen ist alles verloren. Während letzteres zutreffen mag, kann auch eine Transfergesellschaft so eine Perspektive in vielen Fällen wohl kaum verhindern. Für die Beschäftigten ist die Pleite zweifelsohne bitter. Allerdings profitiert vor allem Schlecker selbst, die mit staatlicher Bürgschaft ihre Altlasten, also die Mitarbeiter, rechtssicher entsorgen können.

    Um die Schelte an der FDP einordnen zu können erinnern wir uns kurz an die sogenannte Opel-Rettung 2010. Es ging dabei nicht lediglich um 11.000 Arbeitsplätze, weit über das Land verstreut, sondern über die wirtschaftliche Existenz einer ganzen Region - der Betrieb war also in einem gewissen Sinn systemrelevant, wie auch die oben angeführten Banken, wenn man diese Logik einmal akzeptiert. Zu Guttenberg in seiner Funktion als Wirtschaftsminister und Popstar hat seinerzeit als einziges Kabinettsmitglied die Sinnhaftigkeit einer staatlichen Intervention öffentlich in Zweifel gezogen - und dafür viel Lob erfahren. Die FDP sucht nun, dieses Potential zu nutzen, was legitim ist. Der Vorwurf der Wahltaktik ist hingegen - angesichts des Verhaltens aller anderen beteiligten politischen Akteure - wohlfeil.

    Vor allem aber wären Schleckter-Hilfen eins - ungerecht.

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  3. Es geht nicht um "Hilfen" für Schlecker, niemand will das Unternehmen 'retten'. Es geht darum, eine Klagewelle der (ehemaligen) Beschäftigten abzuwenden, deren Übergang zur (hoffentlich) nächsten Stelle zu erleichtern und darüber hinaus ein politisches Signal zu setzen.

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  4. "Sollen die doch die Scheiße loswerden. Weg mit dem Geld für die Banken! Lassen wir die Bande bankrott gehen. Lassen wir Versandapotheken zu und schauen mal, wie sich die bisherigen Standort-Apotheken schlagen. 2009 hat Guido Westerwelle verkündet, dass 10.000 Arbeitsplätze in der Hotelbranche akut gefährdet seien, weswegen ihr permanent einen Milliardenbetrag pro Jahr in die Ärsche der Hotelbesitzer geblasen habt."

    Köstliche Beschreibung der zum Himmel schreienden Widersprüche im neoliberalen Denken.
    Gratuliere!

    der Herr Karl

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  5. Das sind keine Widersprüche im neoliberalen Denken - da wäre die Sache klar, keine Hilfe, für niemanden. Das sind die Widersprüche einer zutiefst korrupten Partei, die so tut, als ob sie den neoliberalen Ideen folgen würde.

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  6. Hallo Stefan,

    sehr schöner Artikel. Allerdings scrheibst du an einer Stelle
    "11.000 Mitarbeiterinnen drohte bis heute die Kündigung, wenn nicht eine Auffanggesellschaft gegründet würde, die über einen Zeitraum von rund zwei Jahren den Übergang erleichtert (Check)."
    Wie ichauch erst heute morgen gelernt habe, gibt es scheinbar einen Unterschied zwischen "Auffanggesellschaft" und "Transfergesellschaft" (wie sie im Fall Schlecker geplant war). Just Sayin.
    Mfg,
    Scuba

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