Dienstag, 13. November 2012

Deplatzierte Untergangshysterie

Von Stefan Sasse

Eine der Lieblingsbeschäftigung der Deutschen, neben dem Absprechen von Regierungskompetenz von linken Politikern, ist das An-die-Wand-malen des baldig nahenden Untergang der USA. Gerne wird darauf verwiesen, dass "der Kapitalismus" jetzt aber richtig, dieses Mal wirklich, an seinen eigenen Widersprüchen zugrunde gehen würde, dass die Kluft zwischen arm und reich nicht mehr zu überbrücken sei, dass das Land sich von seinem Supermachtstatus verabschieden müsse, weil China/die Schwellenländer/das wiedererstarkte Russland es ihm streitig machten, und so weiter und so fort. Untergangsphantasien sind schlicht faszinierend. Wir wenden sie auch gerne auf uns selbst an, Schmalspurgroßmacht, die wir sind (erinnert sich noch jemand?). Hauptsache, etwas geht unter, und wir können uns im wohligen Schauder am Kamin zurücklehnen. Schon Edward Gibbons dürfte seinen literarischen Erfolg auf dieser sentimentalen Ader aufgebaut haben, und Tacitus "Germania" gehört zu den ältesten erhaltenen Werken dieser Art. Aber was ist dran an der Idee eines baldigen "finis Americanum"?

Recht wenig. Jakob Augstein zitiert die aktuellen Schäden durch Hurrikan Sandy und das scheinbare Versagen der Regierung, schnell Abhilfe zu schaffen. Das funktioniert vor allem, weil er großzügig unterschlägt, dass schon ein plötzlicher Wintereinbruch in Deutschland ausgereicht hat, fast einer halben Million Menschen im Münsterland den Strom abzustellen. Man möchte sich kaum vorstellen was passiert, wenn ein ausgewachsener Hurrikan Deutschlands Küsten trifft und mal eben über Hamburg und Bremen hinwegtobt. Spaß hätten die Leute da gewiss nicht. Nur haben wir keine solchen extremen Wetterlagen und können damit leicht Hypothesen anstellen.

Nun lässt sich eines gewiss nicht wegdiskutieren: die gewaltige Kluft zwischen Arm und Reich, die sich in den USA mittlerweile aufgetan hat. In diesem Bereich hat Augstein ganz gewiss Recht, sie existiert. Sie ist auch ein echtes Problem, denn dass solche enormen Unterschiede und alles, was damit einhergeht - verrottende Schulen, schlechte Aufstiegschancen, mangelhafte Versorgung, lückenhaftes Sicherungssystem und so weiter und so fort - für die Volkswirtschaft insgesamt keine guten Auswirkungen haben können, haben viele Ökonomen mittlerweile erforscht. Es ist auch ein wenngleich wirkmächtiger Mythos, dass den talentierten und entschlossenen der Aufstieg offen stehe. So wirkmächtig gar, dass sich selbst das Wohlstandskind Mitt Romney im Wahlkampf nicht entblödete, seine Geschichte als Variante des zum Millionär aufgestiegenen Tellerwäschers zu erzählen. 

Auch ist es richtig, dass es um die demokratischen Strukturen nicht hervorragend bestellt ist. Das Gerrymandering war schon seit Gründung der Republik ein Problem, die aktuellen Fälle von voter supression klingen eher wie Geschichten aus der Zeit der Reconstruction Period, und der Einfluss des Großen Geldes ist aberwitzig. Man sollte aber nicht aus dem Blick verlieren, dass trotzdem Obama gewonnen hat und eben nicht der Darling der Wirtschaft und aller derjenigen, die über Geld verfügten. Die checks&balances für gescheitert zu erklären, wie Augstein das tut, ist ebenfalls Unfug - die funktionieren relativ gut, denn vor Gericht scheitern die Maßnahmen praktisch durch die Bank. Niemand hat je behauptet, dass sie schnell funktionieren würden. Aber funktionieren, das tun sie.

Am albernsten aber ist die Vorstellung, dass das amerikanische außenpolitische Gewicht in naher Zukunft durch aufstrebende Staaten wie Indien oder China ernsthaft in Zweifel gezogen werden würde. Die USA sind immer noch mit Abstand die militärisch stärkste Nation der Erde. China arbeitet gerade daran, seinen ersten Flugzeugträger in seine Marine zu integrieren, eine Marine, die derzeit dazu dient, den eigenen Hinterhof abzusichern, einen Hinterhof, der bereits in vietnamesischen und japanischen Gewässern endet. Die USA haben mehrere Trägergruppen, die problemlos zwischen Indischem Ozean, Pazifik und Mittelmeer verlegt werden können. Auf absehbare Zeit wird sich daran auch wenig ändern. Die Verschiebung des strategischen Fokus unter Obama, weg von Europa und in den Pazifik, ist Ausdruck von Realitäten. Er zeugt von einer Schwäche Europas, nicht von einer Schwäche Amerikas. 

34 Kommentare:

  1. Ich muss schon sagen, Mut hast du mit diesem Artikel. Zieh dich schon mal schön warm an...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hey, ich bewerte die Sachen ja nicht. Nur sollte man sich im Klaren drüber sein, worüber man redet und das Ganze im Verhältnis behalten. Ich hasse diese Hysterie, in der die USA ein schlimmeres Land als China oder Russland sind. Das ist einfach Quatsch.

      Löschen
    2. Lange Zeit dachte ich, an diese hysterische USA-Verteufelung glaube eh kaum jemand und es handle sich bei entsprechenden Äußerungen mehr heruntergeleierte Phrasen, um die sozialen Bande innerhalb der Herde zu festige.

      Aber ich kenne inwzsichen einige, die meinen es ganz ernst, wenn sie die USA (pauschal) als prüder als Saudi-Arabien einschätze (die USA haben Pronofilmpreisverleihungen, natürlich nicht für Minderjährige zugänglich, aber wie kann man das mit Saudi-Arabie gleichsetzen und zwar nicht polemisch überspitzt, sondern ernsthaft!?) und als gefährlicher als Russland, Al-Kaida, Iran und China zusammengenommen ansehen.

      Ich frage mich nach den Ursachen für diesen Amiknacks. So was ähnliches gibt es nur noch bezüglich Israels. Was man im letzteren Fall mit Antisemitismus erklären könnte, liefert keine Erklärung für Antiamerikanismus. Auch die Unterstützung Israels durch die USA kann dies nicht erklären, dafür wird die USA viel zu aufrichtig für sich genommen verachtet. Es gibt zwar auch Kreise die Israel- und USA-Hass verbinden, aber es gibt viele Fälle von Antiamerikanern, denen ist Israel schlicht egal. (Umgekehrt hassen die meisten "Israelkritiker", die Israel für einenen Apartheitsstaat halten, auch die USA, mindestens wegen ihrer Unterstützung für Israel und weil sie die USA für eine Marionette der Zionisten halten, etc. Auch amerikanische Antiisraelis halten oft ihre Regierung für eine Marionette Israels).

      Während beim Antiisraelimus häufig auch Antisemitismus und Hang zu Verschwörungstheorien mit rein spielt, der sich dann auch im zugehörigen USA-Hass wiederspiegelt, so scheint die originäre USA-Verachtung einen anderen Charakter zu haben.

      Löschen
    3. Du hast mich inspiriert:
      http://geschichts-blog.blogspot.de/2012/11/der-ursprung-des-anti-amerikanismus.html

      Löschen
  2. Teil II

    Das eine Beispiel mit dem Coltan sollte Ihnen eigentlich reichen - wenn's um billige Handies geht, dann wird die humantitäre Eingreif-Keule stecken gelassen und die Geldbörse zur Unterstützung nützlicher "Regime" gezückt, vielleicht auch für ein bißchen Vorzeige-"Entwicklungshilfe" hier und da auf erhitze Steine gesprenkelt, damit der Kaiser nicht gänzlich nackt erscheint, ein paar Dollars als finanziell-philanthropisches Feigenblättchen.

    Nur durch diese exponentielle Ausbeutung limitierter Ressourcen, Menschen, Tiere und Pflanzen hält sich der pervertierte Wachstum-über-Alles-"Kapitalismus" in Ost und West, Nord und Süd, Oben und Unten noch mit klammen, verknöcherten Klauen.

    China zensiert - na und, das tut die öffentlich-rechtliche zwangs-paschal-gebühren-finanzierte Tagesschau auch, insbesondere den 'West'-Konventionalisten unangenehme Kommentare und Informationen.

    Ich bin sicher, die wenigsten "USA-Euro-Kapitalismus"-Kritiker sind "China-Russland-Nordkorea-Putin-Gaddafi-Assad"-Fans, gleichsowenig wie ich - die USA-NATO-Wessis jedoch verblendet als besser betrachten zu wollen, wäre für mich unerträglicher Krampf.

    AntwortenLöschen
  3. Teil I

    Das immer wieder so hervorgehoben wird, wie militärisch stark die USA sind... - schon klar, ist ja offensichtlich.
    Allerdings können sie diese Übermacht kaum nutzen - für weitere langfristige Okkupationen fehlt ihnen das Geld und die schwachen Gegner. Also blieben ihnen nur nuklear verbrannte Erde, nützliche Idioten für Stellvertreterkriege ala divide-et-impera oder Drohnen-Sticheleien.
    Deshalb verlieren die BRICS & Co. auch langsam die Angst vor der Supermacht.

    Die USA sind zumindest ebenso schlimm wie China und Russland - wer hat mehr Menschenleben und Kriege auf dem Gewissen, wer beutet Afrika brutaler und perfider aus - ich sag's Ihnen gern: Der tolle Westen, USA-Frankreich-England- die sogenannten "Ex"-Kolonialmächte. Deutschland auch, allerdings hat es an den Plätzen an der Sonne sein Handtuch zu spät auslegen wollen, um noch ein fetteres Stück Rohstoff-Kuchen einzufahren.
    Falls Sie von dem modernen "subtileren" Wirtschafts-Ausbeutungs-Sklavenhalter-Krieg, der insbesondere von den westlichen Industrienationen besonders krass und scheinheilig-perfide geführt wird, offenbar so wenig mitbekommen haben, informieren sie sich, falls Sie möchten, über z.B. IWF & Weltbank, Terms-of-Trade-Paritäten, Rohstoffausbeutung und zugleich Absatzmärkte für industriell wertgesteigerte (überteuerte und künstlich knapp gehaltene) Produkte in der "Dritten Welt", Schutzsubventionen und Schutzzölle (direkt und indirekt-versteckt), während von den "Entwicklungsländern" vollkommen offene, deregulierte Märkte abgepresst werden sollen, Entwicklungshilfe als Alibi und versteckter Ausbeutungsmechanismus, Coltan (6 Millionen Tote im Kongo, die Präsident-"Ich-habe-afrikanisches-Blut"-Obama so gleichgültig sind, dass er Ruanda und Uganda als Quasi-Besatzer des Kongo mittels Proxymilizen ausrüstet und unterstützt, aber wegen dessen Folgen solcher destabilisierenden Völkermorde wie "Kony-LRA" öffentlichkeitswirksam Empörung heuchelt).

    Die meisten dieser Toten, zu denen täglich nicht nur etwa 20.000 Kinder kommen, die an den direkten Folgen bloßen Hungers sterben, gehen auf das fette Konto der noch-reichen Industrienationen und damit des Westens, ebenso die ungebüßten, wahnwitzigen Opiumkriege gegen China, die in anderer Form etwas versteckter mittels Afghanistans Schlafmohn gegen Russland modernisiert weiter geführt werden, Beginn der Zinseszins-"Kette" bei den Ärmsten, Ende bei den Nettozinsempfängern usw., usf..

    Das kann wohl an der Über-Macht liegen, die dem "Westen" vor die Füße gefallen ist (Jared Diamond: Guns, Germs and Steel) - andere hätten vermutlich mit solcher Macht ausgestattet auch nicht ethischer gehandelt - wer jedoch aus solcher zugefallenen Stärke heraus die vermeintlich Schwachen offen und meistens auch noch heimtückisch von hinten rum unterdrückt, betrügt, bestiehlt und ausbeutet, den wird die moralische Fäule von innen heraus zersetzen, auch ohne tönerne Füße, eher vom Herzen, selbst wenn man sich einen noch so demokratischen und humanitären, rot-weiß-blauen Anstrich über dem anilin-schwarzen Herzen zu geben versucht, während man andere, die mit weniger Perfidität vorgehen, als "Regime" und dergleichen zu bezeichnen versucht.

    AntwortenLöschen
  4. @Alex Illi:
    Genau das meine ich. Der Westen ist NICHT so schlimm. Klar haben die Leichen im Keller, und man muss wahrlich nicht tief graben um sie zu finden. Jeder hat Leichen im Keller. Die Frage ist nur, wie alt diese Leichen sind und wie viele davon rumliegen. Die USA als "schlimmer als China und Russland" zu bezeichnen ist geradezu lächerlich. In Russland werden kritische Journalisten einfach umgebracht. China zwingt seinen Einwohnern ein System in einem Ausmaß auf, das für den Westen völlig unvorstellbar sind. In beiden Staaten ist der Staat omnipräsent und missachtet Menschenrechte nach gusto, ohne sich je dafür verantworten zu müssen. Die USA dagegen beschäftigen sich wenigstens mit ihren Verbrechen.

    AntwortenLöschen
  5. Der Untergang der USA steht nicht bevor , den Status als einzige verbliebene Supermacht könnten sie schon einbüßen .

    Immer ausgehend davon , was bei uns ankommt , gibt es da schon einen gewissen , geradezu sehnsüchtigen Hang nach dem Rückmarsch in Vorstellungen , die - gelinde gesagt - nur wenig mit aufgeklärtem Denken zu tun haben .

    Gerade die Auswüchse der Bush-Phase , insbesondere der Glaube an das Recht , foltern und festlegen zu dürfen , wer zu den "Guten " und wer zu den "Bösen " zu zählen ist , ist bestens geeignet , den Status der Großmacht zu gefährden , Großmächte sind niemals nur durch militärische Stärke legitimiert.

    An diesen Punkten dürfte sich entscheiden , wohin die Reise geht , man sollte weder die Fähigkeit zur Selbst-Regeneration , noch die bewußte und gewollte Selbst-Verblödung eines erheblichen Teils der Bevölkerung unterschätzen - wobei sich allerdings die Frage stellt , ob das nicht ein Phänomen des gesamten Westens ist , und die Amerikaner nicht einmal mehr nur ein Stück extremer sind in diesem Punkt.

    AntwortenLöschen
  6. Dem Artikel kann ich voll zustimmen. Die Propheten des kurz bevorstehenden Untergangs des ganzen Kapitalismus und besonders der USA werden leider nicht weniger und tauchen mit jeder Wirtschafts- und Finanzkrise wieder aus den Bücherstapeln der Wertformanalyse und der Wertkritik auf. Diesmal könne aber kein Zweifel mehr sein, dass dem Kapitalismus die lebendige Arbeit weggebrochen wäre und damit die Grundlage allen Profits für immer entschwunden sei. Jetzt werde der Kommunismus siegen.

    Es muss so bald vierzig Jahre her sein, dass ich das Argument erstmals hörte, anlässlich der ersten angeblichen Ölkrise 1973/74. Inzwischen sind viele weggestorben, aber es wachsen immer wieder neue MEW-Experten aus der Richtung Wertkritik nach.

    Freut mich richtig, wenn denen mal widersprochen wird. Wobei es dem Kapitalismus selbstverständlich ein Bedürfnis ist, sich Untergangspropheten zu halten, die den Untergang ganz von selber kommen sehen und nicht selber durch eine Mobilisierung der Gegner des Systems herbeiführen, sondern lieber die Wertform genauer analysieren wollen.



    AntwortenLöschen
  7. „Man möchte sich kaum vorstellen was passiert, wenn ein ausgewachsener Hurrikan Deutschlands Küsten trifft und mal eben über Hamburg und Bremen hinwegtobt.“
    Um die Vorstellung eines offensichtlich „Spätgeborenen“ etwas anzureichern, ein Lehrfilm. Das angeführte Beispiel „Münsterland“ zeigt, dass ein kapitalistisches elektrisches Betriebssystem eben nicht bereit ist daraus Lehren zu ziehen. ;-)
    Das gesellschaftliche System steht sicher noch mehrere Schritte vor dem Kollaps.
    Wer sich eine Langversion mit dem für unsere Systemmedien erforderlichen Anteil antisozialistischer Propaganda ansehen will, findet diesen unter „Winter 78 / 79 in DDR & BRD“!

    AntwortenLöschen
  8. Da hört man den Amerika-Freund heraus - gut, damit sind wir mindestens schon zwei. ;-)

    Die Perspektiven der USA zu beschreiben, ist tasächlich wahnsinnig schwer. Das politische System wird zu einem zunehmenden Problem, das gilt jedoch unisono auch für Kontinentaleuropa. Während sich auf dem alten Kontinent die Demokratie als zunehmend unfähig erscheint, die großen Herausforderungen anzugehen - heute werden Generalstreiks ganz Südeuropa lahmlegen - treibt in den Vereinigten Staaten das Mehrheitswahlrecht die Pole auseinander. Dazu steht das Land vor großen ethnischen Umwälzungen, zu denen sich hier kein Vergleich findet. Die Mehrheitsgesellschaft schwindet, die Gruppe der Lationos und Asiaten mit anderen kulturellen Vorstellungen wächst rasant.

    Während meiner Aufenthalte hatte ich nicht den Eindruck, dass Big Business das Land regiert. Eher ist ein extremer Geschäftstrieb durch alle Schichten zu beobachten. Kein anderes Land kann sich so schnell immer wieder neu erfinden und gerade die Amerikaner sind am erfindungsreichsten im Kreieren innovativer Geschäftsideen. Ständig entstehen aus Start-ups große Unternehmen. Die USA haben also gute Chancen, weiterhin die führende Wirtschaftsmacht zu bleiben.

    Die Klagen über die schlechte öffentliche Infrastruktur stammen häufig von außerhalb des Landes und von linken Zeitgenossen. Tatsächlich lassen sich beim Straßennetz keine Qualitätsunterschiede zu Europa feststellen, bessere Netze gibt es halt weltweit nicht. Doch die politische Blockade und die wachsende Staatsverschuldung stellen große Risiken für die ökonomischen und geostrategischen Perspektiven des Landes dar.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich war noch nie dort, k.a. wie das Straßennetz aussieht - ich kann mich nur auf Berichte berufen.

      Löschen
    2. Tja, is' aber so. Ich konnte bei meinen zahlreichen Stipvisiten keine spürbaren Unterschiede zum Durchschnitt der Straßen in Westeuropa feststellen. Und das ist für mich der Vergleich - nicht, was wäre ideal.

      Daneben werden Baustellen weit besser gemanaged als in Deutschland. Aber das hat wieder mit öffentlicher Ökonomie zu tun. Und: in weiten Teilen Europas führen Stromkabel über Land, die Deutschen waren da schon immer besonders. Allerdings verursacht die unterirdische Verkabelung ein 3-4faches der normalen Kosten, hinzu kommen erhöhte Reparaturaufwendungen.

      Löschen
  9. Die wachsende Staatsverschuldung stellt eine große Chance für die ökonomischen Perspektiven des Landes dar. Oder wie sonst würdest du (In Dubio) die Debatte um die sogenannte "Fiscal Cliff" beurteilen? Reduzierung des Defizits führt zu Konjunktureinbrüchen. Sagen diesmal lustigerweise alle. Nicht nur Krugman.

    AntwortenLöschen
  10. @Christian

    Die USA haben inzwischen eine Staatsverschuldung von über 100% des Bruttoinlandsprodukts. In einer aufsehenserregenden Studie kam der bekannte Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff zu dem Schluss, dass ab eine Verschuldung von 90% die Wachstumsaussichten eines Landes gravierend geschädigt werden und eine Volkswirtschaft im Schnitt 24 Jahre benötigt, um sich von einer exzessiven Staatsverschuldung zu erholen. Der Maastricht-Vertrag definierte einst 60% als Höchstgrenze und auch die amerikanische Wirtschaft florierte am besten als die Staatsverschuldung gering war.

    Natürlich ist höchst selten eine Schockbremse zu empfehlen, das sehe ich durchaus so. Genau deshalb wäre es ja so wichtig, solche Obergrenzen im Auge zu behalten und einen "Sicherheitsabstand" zu wahren. Das haben die USA, das haben die Europäer versäumt. Entsprechend härter müssen anschließend die Maßnahmen sein. Dass das amerikanische Defizit reduziert werden muss, dass sagen heute die meisten Ökonomen. Nur Paul Krugman nicht. Das würde ja auch seine Lebensphilosophie konterkarieren und das kann man keinem Menschen zumuten.

    AntwortenLöschen
  11. @Christian

    Ich wusste nicht, dass wir in einer Nachkriegsära leben, dass es einen enormen Nachholbedarf an Konsumgütern gibt, dass ein Teil der erwerbsfähigen Bevölkerung weggestorben ist, dass es wenig wettbewerbsfähige Unternehmen im In- und Ausland gibt und dass die Sparvermögen so gering sind, dass der Großteil der aktiven Bevölkerung hohe Inflationsraten durch Gehaltssprünge und Zinsforderungen kompensieren kann. Und trotzdem lag damals, nach einem intensiv geführten Krieg an Menschen und Kapital, die Verschuldung nicht höher als heute. Eigentlich doch ein Armutszeugnis für die Demokratie, oder?

    Natürlich, die Kritieren des Maastrichtvertrages waren politisch festgelegt, aber auch etwas weise, wenn man die fast zwei Jahrzehnte später erschiene Rogoff-Studie berücksichtigt. Und ansonsten habe ich doch sehr deutlich gemacht, dass alle Bereiche zur Sanierung des Haushaltes werden beitragen müssen. Allerdings: ich bin kein Amerikaner.

    By the way: Der Link argumentiert nicht gegen die Expertise von Rogoff: ab einem Schuldenstand von 90% wird das langfristige Wachstumspotential einer Volkswirtschaft beschädigt. Verschuldung kann also ab einer bestimmten Höhe langfristige Schäden anrichten. Oder: eine Zigarette am Tag wird meinen Körper nicht schädigen und meine Lebenserwartung beeinträchtigen. Ich kann natürlich noch ausprobieren, wie das bei 10 oder 15 Zigaretten am Tag ausschaut. Besser wäre jedoch, einfach bei einer zu bleiben.

    AntwortenLöschen
  12. @In Dubio

    Die Staatsverschuldung ist das Geldvermögen der Privaten. Wenn der Sektor Staat seine Verschuldung nicht mehr erhöht, dann muss entweder der Sektor Privat so stark verarmen, dass er kein zusätzliches Geldvermögen mehr bilden kann, oder das Sparen muss durch Inflation so unattraktiv werden, dass die Privaten kein Geld mehr sparen wollen. Eine dritte Möglichkeit wäre noch, dass eine Immobilienblase wieder für Neuverschuldung sorgt, dann kann der Staat sein Defizit in einen Überschuss verwandeln und das Sparen von Geld ist bis zum Immocrash kein Problem für die Konjunktur.

    Aber ohne Staatsverschuldung, Immobilienblase oder Inflation muss der Private Sektor so stark verarmen, dass er nicht mehr sparen kann. Das ist bei einer sehr ungleichen Verteilung der Einkommen wie in den USA ein besonders großes Problem, denn wenn die Hälfte der Bevölkerung schon längst verhungert wäre, hätten die Reichen immer noch genug Geld zum Sparen übrig und es müsste mit der Konjunktur noch weiter abwärts gehen.

    Neoliberale erkennt man übrigens sehr einfach daran, dass sie für makroökonomische Logik völlig unerreichbar sind. Die sehen immer nur ihre eigene Brieftasche und hegen den Verdacht, dass ihr schönes Geld auf der Bank in den Staatsschulden der Regierung oder den Immokrediten überschuldeter Nachbarn steckt. Genau so ist es auch!

    AntwortenLöschen
  13. @Wolfgang Waldner

    1. Sie können die Verteilung der Schulden auf private Gläubiger nicht beeinflussen. Ein Großteil der französischen Schuldscheine liegt bei amerikanischen Fonds. Die Kredite Frankreichs haben also nicht die Bürger Frankreichs reicher, sondern ärmer gemacht, da sie an Amerikaner Zinsen zahlen müssen.

    2. Die Verschuldung des Unternehmenssektors beträgt in der EU ungefähr das Dreifache der EU-Staaten. Selbst wenn Staaten also ihre Verschuldung relativ zurückfahren und absolut konstant halten, gibt es genügend Anleihen, um in dieser Form Sparvermögen zu bilden.

    3. Das Gesamtvermögen Deutschlands liegt, wie bei vielen Industriestaaten auch, weit höher also die Gesamtverschuldung (Staat, Unternehmen, Haushalte). Die Rechnung geht nicht auf. Warum? Siehe 4.

    4. Sie haben 100 verdient, 50 konsumieren Sie, 50 behalten Sie übrig. Jetzt gründen Sie ein Unternehmen. Wie machen Sie das? Sie legen die 50 als Eigenkapital ein. Was haben Sie? Das Unternehmen verfügt über Eigenkapital (= keine Verschuldung) und Sie über eine Investition = Sparanlage. Für das Unternehmen besteht keine Verpflichtung zur Rückzahlung, weshalb es kein Fremdkapital ist. Andererseits haben Sie nun Ansprüche auf die Rendite, die zukünftig erwirtschaftet wird. Und Sie werden kaum abstreiten, dass mit diesem Akt das Volksvermögen, völlig ohne Schulden, gewachsen ist.

    AntwortenLöschen
  14. @In Dubio
    Wie sehen denn diese langfristigen Schäden aus? Was für einen Schaden richtet hohe Staatsverschuldung eines monetär souveränen Landes an, z.B. in den USA? Ich sehe momentan sehr langfristige Schäden in Form hoher Arbeitslosigkeit in Südeuropa. Dagegen steht Japan sowie die USA um einiges besser da. Stichwort: Monetäre Souveränität.

    Schließlich gilt ja immer noch Einkommen = Ausgaben. Und Geldvermögen = Geldverschuldung. Die Frage ist nur: wessen Vermögen soll beschnitten werden, wenn die Schulden reduziert werden sollen? Und das ist dann wieder, wie eigentlich alles, eine Verteilungsfrage.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das sind sehr verschiedene Komponenten.

      Eine hohe Verschuldung bindet einen Großteil der Steuermittel für Zinszahlung. Der Bund zahlt gegenwärtig jeden vierten Steuer-Euro an Zinsen, insgesamt sind 80 Prozent der Mittel durch Gesetze und Zahlungsverpflichtungen gebunden. Der politische Handlungsspielraum nimmt also mit steigenden Schulden ab. Als erstes leiden darunter die Investitionen, die für das langfristige Wachstum entscheidend sind: Ausgaben für Bildung, Infrastruktur und treiben gleichzeitig das Abgabenniveau, was die Lebenshaltungskosten ohne Gegenleistung verteuert und das Leben in dem Land unattraktiver macht. In der Folge ziehen als erstes jene weg, die für die wirtschaftliche Entwicklung elementar sind.

      Sie haben sich zur Unterlegung sehr schlechte Beispiele ausgesucht. In den langen Rezessionsphasen der USA Ende der 1970er Jahre und seit 2008 war die Verschuldung enorm gestiegen und das Wirtschaftswachstum bei hoher Arbeitslosigkeit zum Erliegen gekommen. Derzeit wachsen die USA wieder, aber die Arbeitslosigkeit bleibt hoch. Japan hangelt sich von Rezession zu Rezession, seit dem sie ihre Verschuldung ins Universum getrieben haben. Gleichzeitig fallen die führenden japanischen Unternehmen dramatisch im Wettbewerb zurück, Sony, Panasonic häufen Verluste auf Verluste, Toyotas Position als führender Automobilhersteller ist ernsthaft bedroht. Monetäre Souveränität ist eine kurzfristige Möglichkeit, den Verlust an Wachstumspotentialen zu kaschieren. Mittel- und langfristig wird das, siehe die Beispiele Italien und Frankreich vor der Euro-Einführung, nicht verhindern. Die Bürger merken es ohnehin, wenn sie sich viele Produkte nicht mehr leisten können.

      Schulden über Inflation wegzubekommen, ist eine bequeme, unauffällig, aber auch dumme Methode. Zudem ist sie in der Verteilungswirkung völlig ungerecht und richtet langfristige Schäden an. Das merken heute schon die vielen, die auf Betriebsrenten und Kapitallebensversicherungen einen wichtigen Teil ihrer Altersvorsorge aufgebaut haben. Die Halter von Staatstiteln sind meist sehr konzentriert, weshalb ein Schuldenschnitt allemal die bessere Lösung ist. Es trifft wenige Vermögende, es geht schnell und gibt die Chance für einen Neuanfang. Bei einer langfristig angelegten Inflationsstrategie dagegen stellen sich die Vermögenden und Mächtigen auf die neue Situation ein und nutzen sie zu ihrem Vorteil. Der Staat bekommt zwar höhere nominale Steuern auf Konsum und Einkommen, gleichzeitig wird die Vermögenskonzentration weiter zunehmen.

      Eigentlich kann das kein Linker wollen. Aber ich verstehe Linke schon lange nicht mehr. ;-)

      Löschen
    2. Dass "Linke" Inflation als unproblematisch ansehen, verstehe ich auch nicht. Ein Schuldenschnitt ist nich die einzige Alterntive. Eine Vermögensabgabe hat die gleiche Wirkung auf das Budget und vermeidet dessen Nachteile.

      Aber nicht vergessen: Einen "wichtigen Teil der Altersvorsorge....." haben die vielen vor allem deshalb aufgebaut, weil sie medial und durch staatliche Anreize dahin gebracht wurden. Wer davon profitiert, ist ja inzwischen allgemein bekannt. Und da kann ich die "Linken" wieder gut verstehen.

      Löschen
    3. @CitizenK

      Wir reden nicht über Peanuts-Beträge. Außerdem ist eine Vermögensabgabe unter rechtlichen Gesichtspunkten weit problematischer, wie zumindest in Deutschland das Bundesverfassungsgericht betont hat. Sie stellt eine Enteignung dar und damit in Opposition zum entsprechenden Grundgesetzartikel. Ein Schuldenschnitt dagegen basiert auf Verhandlungen mit den Gläubigern.

      Eine Vermögensabgabe muss ein Großteil der Werte ungeschoren lassen, die unter großzügige Freigrenzen fallen oder generell von der Erhebung ausgenommen bleiben sollen. Damit sinkt das potentielle Aufkommen dramatisch. Weiter entstehen durch die Bewertung von Vermögen hohe Verwaltungskosten - dies zieht sich über alle Länder aufgrund der Erfahrungen mit Vermögensteuern - und große Abgrenzungsprobleme, die langwierig juristisch zu klären wären. All dies fällt mit einem Schuldenschnitt weg.

      Es gibt keinen Königsweg, alles hat Konsequenzen. Ein Schuldner, der mit Verweis auf seine Teilinsolvenz eine Verringerung der Schuldenlast begehrt, wird auf einige Sicht generell kein Geld mehr bekommen und später genauer beäugt. So ist das im Leben, eben.

      Ja, die Altersvorsorge. Wer zerstört jetzt gezielt jede Kalkulation? Die Staaten, weil sie sich jahrelang übernommen haben. Mit Druck auf ihre Notenbanken erzeugen sie ein Zinsniveau, dass jede Kapitalanlage drastisch entwertet. Genau daran sieht man doch, wie sinnvoll eine solide Finanz-, Steuer- und Haushaltspolitik ist. Die Opfer sind immer in der gesellschaftlichen Mittelklasse zu finden.

      Löschen
  15. Selbstmord aus Angst vor dem Tod ist keine gute Lösung. (Wir müssen Investitionen in Bildung kürzen/Sozialnetze kürzen damit wir in Zukunft in Bildung investieren/Sozialnetze betreiben können.) Stell dir dochmal die Frage, warum man diese automatischen Stabilisatoren (Arbeitslosengeld z.B.) eingebaut hat?
    Nicht, damit diese im Rezessionsfall gekürzt werden, sondern damit wenigstens noch etwas Kaufkraft erhalten bleibt. Und natürlich damit die betroffenen Personen nicht sofort auf der Straße stehen. Es hat soziale und ökonomische Gründe. Diese Defizite wegzukürzen ist unsozial und ökonomisch unsinnig.

    "Eine hohe Verschuldung bindet einen Großteil der Steuermittel für Zinszahlung."
    Hier sind zwei Fehler. Erster Fehler: 14 % sind nicht ein Großteil. Zweiter Fehler: Staatsausgaben werden nicht durch Steuermittel finanziert (monetär souverän). Da das in Euroland anders ist, sollte man das in Euroland auch ändern, also EZB finanziert Staaten direkt.

    "Der Bund zahlt gegenwärtig jeden vierten Steuer-Euro an Zinsen."
    Falsch. Jeden siebten. Und das kommt vom Bund der Steuerzahler, die dramatisieren das auch gerne. Mit deinen Argumenten im übrigen ;)
    http://www.steuerzahler.de/wcsite.php/_c-43/_lkm-24/i.html

    "Der politische Handlungsspielraum nimmt also mit steigenden Schulden ab."
    Falsch. Siehe oben. Staatsausgaben werden nicht durch Steuermittel finanziert. Steuern sind dafür da, einen Bedarf für die jeweilige Währung zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft nicht überhitzt. Außerdem dienen sie der Umverteilung/gesellschaftlichen Steuerung (was beim Dosenpfand allerdings eher unerwünscht funktioniert *G*). Euroländer sind hier erwiesenermaßen ein Sonderfall. Deshalb plädiere ich auch dafür, dass die EZB die Staaten direkt finanziert.

    "Sie haben sich zur Unterlegung sehr schlechte Beispiele ausgesucht. In den langen Rezessionsphasen der USA Ende der 1970er Jahre und seit 2008 war die Verschuldung enorm gestiegen und das Wirtschaftswachstum bei hoher Arbeitslosigkeit zum Erliegen gekommen."

    Betreiben die genannten Staaten eine richtige Politik? Nein. Wenigstens betreiben sie keine richtige Austeritätspolitik. Das sieht man an den Arbeitslosenzahlen relativ deutlich. Japan (4-6%), Amerika (8-10%). Das ist noch keine Vollbeschäftigung, aber ein sehr großer Unterschied zu Südeuropa.

    Außerdem möchte ich doch darauf hinweisen, dass der Kausalzusammenhang sich nicht aus der Korrelation ergibt. Staatsschulden führen nicht zu Rezessionen. Zuwenig Ausgaben führen zu Rezessionen.

    AntwortenLöschen
  16. @Christian

    Jedes Gemeinwesen muss definieren, welche Leistungen es abdeckt und welcher Finanzbedarf sich daraus ergibt. Das beginnt bei der Familie, gilt für den Kaninchenzüchterverein bis hin zu Unternehmen. Eine dauerhafte Unterfinanzierung überlebt keine Organisation. Für Staaten möchten manche das ausgehebelt sehen, Staaten sind ja etwas Besonderes. Staaten sollen, ja müssen sich ein strukturelles Defizit erlauben, damit schaffen sie Wohlstand.

    Vielleicht ist das für manche logisch noch nachvollziehbar. Lieber behelligt man sich allerdings nicht mit empirischen Beispielen. Es hat wohl seine Gründe, warum kein Schwachwährungsland, also solche, die ihre Währung regelmäßig abwerten, zu den führenden Industrienationen gehört und dass solche Staaten enorme dauerhafte wirtschaftliche Probleme haben. Brasilien schafft erst seitdem den ökonomischen Aufstieg, seitdem sie ihre Währung stabilisiert haben. Italien und Frankreich, wo der Notenbankchef auf dem Schoß des Finanzministers saß, stiegen lange vor dem Euro ökonomisch ab.

    Wofür haben wir Währungen? Zum Gelddrucken, zur Finanzierung von Staatsausgaben? Kaum, oder? Wir haben Geld, damit Tauschprozesse einfacher sind. Vertrauen die Menschen einer Währung, ihrer Stabilität, nicht mehr, schaffen sie sich Ersatz. Steuern sind der Anteil des Staates an der Wirtschaftsleistung, die er ermöglicht. Der Staat ist kein Selbstzweck, seine vordringlichste Aufgabe ist, genau diese Bedingungen zu sichern und nur nachgelagert (deswegen sind diese Aufgaben erst später in den Katalog aufgenommen worden), jene zu unterstützen, die aus dem Wirtschaftsprozess geschleudert wurden. Die Beamten und die Sozialtransfers werden also von diesem Kuchenstück vergütet, sie partizipieren.

    Was passiert, wenn der Staat sie einfach durch gedruckte Scheine bezahlt? Keine Frage, erstmal wird das kaum jemand bemerken, die Vermögenden am Ehesten. Aber diesem Geld steht keine Leistung gegenüber, der Kuchen ist nicht größer geworden. Früher wurde Geld durch Gold fundiert, nach der Loslösung begründete man die Geldwertstabilität durch die Wirtschaftskraft eines Landes. Wenn das so ist, dann kann mit nicht einfach bunte Scheine erzeugen, ohne genau diese Stabilität zu beschädigen.

    Nachrichtlich: für die USA sind 8 Prozent Arbeitslosigkeit eine Katastrophe ohne hinreichendes soziales Netz. Eine so hohe Arbeitslosigkeit führte nun dazu, dass in Amerika das bisher unbekannte Phänomen der Langzeiterwerbslosigkeit auftaucht, etwas, was man nur aus Kontinentaleuropa kannte.

    Die Gebietskörperschaften Deutschlands zahlen heute 62-64 Mrd. EUR an Zinsen. Jährlich. Die Einnahmen aus der Einkommensteuer betragen rund 190 Mrd. EUR. Ohne Zinslast könnten die Einkommensteuersätze um ein Drittel für jedermann gesenkt werden. Oder die Zuführungen zur Rentenversicherung könnten verdoppelt (!) werden. Oder. Oder. Können sie aber nicht, denn wir müssen 62 Mrd. EUR für etwas zahlen, von dem wir nichts mehr haben.

    AntwortenLöschen
  17. @Christian

    Wenn man allerdings der Ansicht ist, die Notenpresse würde Wunder ohne Folgen bewirken, so steht es jedem Mitgliedsland der Eurozone frei, dies zu probieren. In den Nordstaaten herrscht jedenfalls nicht diese Ansicht vor, weshalb eigentlich der geschlossene EZB-Vertrag zu gelten hat.

    Es ist ja auch interessant, dass die Menschen im Süden aus eigener Erfahrung nicht daran glauben. Bei der letzten Wahl in Griechenland stimmten die Wähler mehrheitlich für den Verbleib im Euro, obwohl damit harte Auflagen verbunden sind. Die sie mehrheitlich ablehnten. In Katalonien steht wahrscheinlich demnächst ein Volksentscheid an, ob die Region aus Spanien austreten soll. Rund 60 Prozent der Wähler sind laut Umfragen dafür. Diese deutliche Mehrheit verwandelt sich jedoch in eine Minderheit, sobald dies mit dem Verlust des Euro verbunden wäre.

    Mit anderen Worten: Die Bürger all dieser Länder wollen keine Weichwährung, sie wollen aber, dass jemand anders als sie selber die Rechnung für die Party bezahlt, die sie im letzten Jahrzehnt geschmissen haben.

    AntwortenLöschen
  18. "Wofür haben wir Währungen? Zum Gelddrucken, zur Finanzierung von Staatsausgaben? Kaum, oder? Wir haben Geld, damit Tauschprozesse einfacher sind."
    Staatliche Währungen sind eine ganz geschickte Sache. Erstens ist es dadurch möglich, dass der Staat von seinen Bürgern verlangen kann, Steuern in dieser Währung zu bezahlen. Die Bürger müssen also diese Währung herbekommen, um ihre Steuern zu bezahlen, ansonsten Gefängnis. Und diese Währung kriegen sie dann vom Staat, in Gegenleistung für Arbeit. Geniale Idee, oder? Google mal z.B. nach Hut Tax.
    Zweitens kann man damit den Wert von Dienstleistungen und Waren bemessen, durchaus praktisch. Drittens kann man mit Geld diese Waren und Dienstleistungen kaufen. Viertens kann man sich mit Geld ein Polster für schlechte Zeiten schaffen. Das ist übrigens einer der Gründe, warum es sinnvoll ist langfristig ein Haushaltsdefizit zu fahren (http://nhaehnle.blogspot.de/2012/04/warum-wir-ein-langfristiges.html)

    "Was passiert, wenn der Staat sie einfach durch gedruckte Scheine bezahlt? Keine Frage, erstmal wird das kaum jemand bemerken, die Vermögenden am Ehesten. Aber diesem Geld steht keine Leistung gegenüber, der Kuchen ist nicht größer geworden."
    Ich glaube, die Leute gehen damit einkaufen. Und schaffen damit Arbeitsplätze, es wird mehr produziert. Sieht nach einem größeren Kuchen aus.
    Womit wirst du denn bezahlt? Mit Gold? Vermutlich per Überweisung aufs Konto, da brauchts nichtmal mehr gedruckte Scheine ;)

    "Früher wurde Geld durch Gold fundiert." Und immer dann, wenn man das Geld dann doch brauchte, hat man die Goldbindung gelockert/vorübergehend aufgelöst. Das liegt sicher nicht daran, dass der Goldstandard so gut funktioniert hat.

    "Nachrichtlich: für die USA sind 8 Prozent Arbeitslosigkeit eine Katastrophe ohne hinreichendes soziales Netz. Eine so hohe Arbeitslosigkeit führte nun dazu, dass in Amerika das bisher unbekannte Phänomen der Langzeiterwerbslosigkeit auftaucht, etwas, was man nur aus Kontinentaleuropa kannte."
    Und in Griechenland haben wir die soziale Katastrophe. Und wir kürzen die Unterstützung für die, die sie benötigen. Tolle Idee.

    "Die Gebietskörperschaften Deutschlands zahlen heute 62-64 Mrd. EUR an Zinsen. Jährlich. Die Einnahmen aus der Einkommensteuer betragen rund 190 Mrd. EUR. Ohne Zinslast könnten die Einkommensteuersätze um ein Drittel für jedermann gesenkt werden. Oder die Zuführungen zur Rentenversicherung könnten verdoppelt (!) werden. Oder. Oder. Können sie aber nicht, denn wir müssen 62 Mrd. EUR für etwas zahlen, von dem wir nichts mehr haben."
    Naja, irgendwer hat was davon: die Eigentümer der Schuldscheine. Wie wäre es denn dann mal mit Umverteilung? ;) Oder einer angemessenen Besteuerung von Kapitaleinkommen? Ein ordentlicher Spitzensteuersatz von 60 % ab von mir aus 250.000 € zu versteuerndem Einkommen? Einer angemessen finanzierten Steuerfahndung? Richtige Verhandlungen mit der Schweiz? Finanztransaktionssteuer? Wer will, könnte durchaus Wege schaffen. Wer nicht will, der nicht.




    AntwortenLöschen
  19. "Wenn man allerdings der Ansicht ist, die Notenpresse würde Wunder ohne Folgen bewirken, so steht es jedem Mitgliedsland der Eurozone frei, dies zu probieren."
    Ich bin nicht der Meinung, die Notenpresse würde Wunder bewirken. Ich bin der Meinung, dass die REALEN Kapazitäten unserer Volkswirtschaft (und anderer) bei weitem nicht ausgelastet sind und es daran liegt, dass Leute Angst haben, Mittel und Wege zu finden daran etwas zu ändern. Wie z.B. eine Jobgarantie. Oder Investitionen in Bildung. Oder oder oder. Und als Argument warum man diese sinnvollen Maßnahmen nicht einführen kann, kommt dann regelmäßig: wir haben kein Geld. Und ich sage: wir haben das Geld (nach einigen Gesetzesänderungen in Euroland). Wir sollten nur eine Diskussion darüber führen, was wir uns als Gesellschaft leisten wollen. Und darüber, ob wir uns dies REAL leisten können. Sprich: Haben wir die nötigen Ressourcen und wenn nicht, wie können wir uns diese beschaffen.

    So, und jetzt höre ich auf für heute: http://xkcd.com/386/ ;)

    Wir können uns darauf einigen, dass wir uns nicht einig sind und es vermutlich auch nicht werden, schließlich haben wir beide ja Recht ;)
    Ich glaube dass unser Dissens auch nicht aufgelöst wird. Trotzdem schön, dass wir uns mal darüber unterhalten haben.

    AntwortenLöschen
  20. Da ich allerdings nicht so gut im Erklären bin, kann ich dir eigentlich nur z.B. dieses Interview mit Stephanie Kelton empfehlen.

    http://harryshearer.com/transcript-stephanie-kelton-interview/

    Oder das Buch "Seven Deadly Innocent Frauds" von Warren Mosler: http://moslereconomics.com/wp-content/powerpoints/7DIF.pdf
    Enthält übrigens auch eine lustige Anekdoten, ist kurz und lesenswert. Vielleicht verstehst du mich ja danach besser ;)

    AntwortenLöschen
  21. Und nur um das klarzustellen: Geld alleine schaft keinen Wohlstand, Arbeit schafft Wohlstand.
    Das Ding ist: Leute arbeiten, wenn man Ihnen dafür Geld gibt ;)

    AntwortenLöschen
  22. @Christian

    Man kann ja auch ordentlich miteinander umgehen, ohne den gleichen Ansichten anzulaufen. Das ist übrigens ein Grundprinzip des Sports.

    Der Grundfehler von Linken ist, dass sie in Nationalökonomien denken, wie sie bis 1990 bestanden. Oskar Lafontaine vorneweg argumentiert ja so. Wenn der Staat die Nachfrage ankurbelt, konsumieren die Menschen mehr, dadurch wird mehr produziert, dadurch entstehen Arbeitsplätze. Aber das beschreibt schon einen geschlossenen Kreislauf. Was völlig übersehen wird: Das Produzierende Gewerbe macht in den Industrieländern meist nicht mal mehr 15 Prozent (in Deutschland 25%) des BIP aus. Dann gibt es noch das Baugewerbe und dann viel Handel und Dienstleistungen. Die Annahme ist nicht verwegen, dass allgemeine Konjunkturmaßnahmen des Staates das Wachstumspotential eines Landes nicht mehr stärken werden. Die USA sind so ein typisches Beispiel: nach dem Zusammenbruch der dot-Economy und 9/11 gab die Regierung Bush Steuergutscheine und verhinderte damit eine Rezession. Allerdings wirkte dies nicht der hohen Haushaltsverschuldung entgegen und beförderte weiter die bereits gewachsene Immobilienpreise. Für das Feuerwerk zahlte die Welt einen hohen Preis. Ähnliches lässt sich über den Einheitsboom in Deutschland schreiben.

    Wie sieht das in Griechenland aus? Die Produktion ist nicht nennenswert, selbst im Inland produzierte Rohstoffe wie Oliven werden zu 90 Prozent zur Weiterveredelung exportiert. Bei der Türkei ist es umgekehrt. Griechenland ist nicht in der Lage, hochwertige Güter zu erzeugen, dafür ist der Kapitalstock zu gering und die wirtschaftlichen Bedingungen nicht gegeben. Es ist sehr schwer vorstellbar, dass Steuersenkungen und direkte Incentives dies ändern würden, schließlich ist die EU diesen Weg mehr als ein Jahrzehnt gegangen.

    Kaum ein Land ist industriell heute so aufgestellt, dass es sich vollständig mit einheimischen Produkten versorgen könnte. Und gerade kleine Volkswirtschaften wie Dänemark oder Niederlande sind zur Sicherung ihres Wohlstandes auf einen hohen Export angewiesen. Konjunkturmaßnahmen, welche die Nachfrage anheizen, kämen hier größtenteils ausländischen Produzenten zugute, zielgerichtet lässt sich das nicht bewerkstelligen.

    AntwortenLöschen
  23. @Christian

    Naja, irgendwer hat was davon: die Eigentümer der Schuldscheine. Wie wäre es denn dann mal mit Umverteilung?

    Es wundert mich, dass Linke sich darüber freuen, dass Vermögende reicher werden und sichere Anlagen erhalten. Das kann kaum ein ernsthaftes Ziel staatlicher Verschuldungspolitik sein, oder? Also, der Staat verschuldet sich erst, um die Wirtschaft anzukurbeln und Sozialmaßnahmen zu finanzieren. Dazu bittet er sovente Bürger um Kapital und zahlt ihnen Zinsen. Anschließend sagt er, ihr seid durch mich so vermögend geworden, jetzt muss ich Euch das wegnehmen, umverteilen. Hm, sieht mir nicht gerade konkruent aus.

    Woher kommt es, dass die Schweizer weit steuerehrlicher als die Deutschen sind - und hiermit meine ich über alle Schichten? Sind die Helvetier einfach die besseren Menschen? Oder weil sie eine bessere Steuerfahndung haben? Ist es der Sinn von Steuererhebung, dass der Staat vor allem in die Kontrolle investieren muss (zusätzliche Kosten, die durch Steuern zu finanzieren sind!!!) oder ist es seine Aufgabe ein Steuersystem zu schaffen, dass einfach, verständlich und maßvoll ist? Wenn es richtig ist, was Soziologen behaupten, dann hat der Mensch in Maßen ein Gemeinwohlinteresse und ist bereit, dafür zu bezahlen. Soweit benötigte man kaum Kontrollen. Warum sehen manche dann in einem umfangreichen Kontrollstaat die einzige Möglichkeit, die Steuergesetze zu vollziehen?

    AntwortenLöschen
  24. Steuerfahndung != umfangreicher Kontrollstaat. Rhetorisch nicht ungeschickt, aber trotzdem falsch ;)
    Investieren in Kontrolle (Steuerfahndung) = lohnendes Investment. Würde jeder Unternehmer sofort machen. Ich investiere 80.000 € und bekomme 1.000.000 € zurück. http://www.spiegel.de/wirtschaft/steuerfahnder-sie-machen-milliarden-fuer-80-000-euro-im-jahr-a-536325.html
    Was sagt uns die Neoklassik? Solange Steuerfahnder einstellen bis Grenzkosten = Grenzertrag. Na dann man zu, sag ich nur.

    AntwortenLöschen
  25. @Christian

    Ich schätze, Sie hatten noch nie mit Betriebsprüfern (nicht Fahndern) zu tun. Im Gegensatz zu ihrem eigentlichen Auftrag, die Ordnungsmäßigkeit der Besteuerung zu prüfen, suchen sich die Leute vom Finanzamt selektiv solche Prüffelder, die besonders lukrativ sind. Bei Unternehmen mit hohen Verlustvorträgen sind das z.B. eher Aspekte des Umsatzsteuerrechts, Lohnsteuer (Teilnahme an Incentivemaßnahmen, korrekte Fahrwegbesteuerung, Firmenwagenbesteuerung), da die Prüfer sehr offensichtlich einen Erwerbszweck nachgehen - das Gegenteil ihrer eigentlichen Aufgabe.

    Leider haben Sie Ihren eigenen Link nicht genau gelesen. Bitte:
    Insgesamt entstehe dem Fiskus daher durch Steuervergehen jährlich ein Schaden von etwa 30 Milliarden Euro.

    Interessante Hypothese einer Gewerkschaft, die glaube ich das Ziel hat, möglichst viele Beschäftigte in ihrem Bereich zu haben.

    Beispiel Niedersachsen: (..) Dass zusätzliches Personal diesen Ertrag noch steigert, das glaubt man im Ministerium nicht: "Bei uns bleibt nichts liegen", sagt ein Sprecher. "Steuerfahnder können nur tätig werden, wenn sie Informationen oder Hinweise haben, denen sie nachgehen können. Diese Aufgabe wird vollständig erfüllt."

    Hm.

    Gegenbeispiel Baden-Württemberg: (..) "Sie können natürlich immer zusätzliche Kräfte einstellen", sagt ein Ministeriumssprecher. Zumindest seien in der Steuerfahndung in den vergangenen Jahren nicht im großen Stil Stellen abgebaut worden - wie in anderen Verwaltungsbereichen des Landes.

    Sind wir schlauer? Nebenbei: sind Sie eigentlich auch für mehr Sozialfahnder?

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.