Mittwoch, 6. März 2013

Debatte: Hat der Euro eine Zukunft und wenn ja welche?, Teil 2/2

Von Stefan Sasse

Die Zukunft des Euro und der Europäischen Union sind Reizthemen, nicht erst seit die neue Partei "Alternative für Deutschland" gegründet wurde. Zwischen Euro-Befürwortern und Euro-Gegnern finden heftige Wortgefechte statt. Sämtliche Parteien im Bundestag sind, zu mehr oder weniger großer Begeisterung, Befürworter des Euro, was dazu führt, dass sich Euro-Gegner parlamentarisch kaum repräsentiert fühlen. Diese Problemstellung haben der Wirtschaftsphilosoph und ich zum Anlass genommen, um eine Debatte zur Zukunft von Euro und EU zu führen. Zur besseren Lesbarkeit haben wir sie hier beim Oeffinger Freidenker in zwei Teile unterteilt. 

Teil 1 der Debatte findet sich hier.


Wirtschaftsphilosoph: Aus meiner Sicht könnte man durchaus über alle großen und wichtigen politischen Fragen Volksentscheide durchführen, doch einige sind noch wichtiger als andere, z. B. der Euro oder der ansonsten schleichende Souveränitätsverzicht, der mit einer Aushöhlung des Grundgesetzes einschließlich der Grundrechte verbunden ist.

Was ist das für ein Verständnis von Demokratie, wenn das Volk für unmündig gehalten wird, grundlegende Entscheidungen selbst zu treffen? Umgekehrt nehmen die Volksvertreter ihre Aufgaben im Parlament nicht ernst, sondern lassen sich vom Kanzleramt Gesetze diktieren, die dieses von privaten Kanzleien und kommerziellen Unternehmen schreiben ließ. Auch von einer verfassungsgebenden Versammlung ohne vorherigen großen Umbruch erwarte ich nichts anderes. 300 politikferne Menschen, seien es Leistungsträger aus anderen Bereichen oder ganz durchschnittliche Personen, würden sicher einen inhaltlich besseren Verfassungsentwurf hinbekommen als 300 Politprofis, nicht weil letztere dümmer sind, sondern weil ihre Interessenslage abweicht.

Niemand weiß, wie die Zukunft aussieht, doch man kann die Gegenwart kennen, wenn man mit offenen Augen durch die Eurozone geht. In Deutschland geht es uns wirklich (noch) gut, aber die Verhältnisse in Griechenland sind katastrophal und in Portugal oder Spanien auch sehr schlecht. Das muss nicht jeder einzelne Eurobefürworter persönlich verantworten, aber alle zusammen und politisch Verantwortliche wie die Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister durchaus. Die Vorteile des Euro wie geringere Umtauschkosten fallen dagegen nicht ins Gewicht, während das fehlende Wechselkursrisiko gerade Teil des Problems und nicht der Lösung ist.

Ich erwarte hier einfach mehr Flexibilität, nicht nur bei den Wechselkursen, sondern vor allem auch im Denken. Warum lässt man beispielsweise nicht zumindest einzelne Länder wie Griechenland ziehen, ohne mit harten Strafen bis hin zum EU-Rauswurf zu drohen? Warum wird nicht ernsthaft über Parallelwährungen oder auch einen deutschen Euroaustritt nachgedacht? Das soll natürlich nicht einseitig geschehen, sondern im Konsens aller Länder, von denen jedes auf seine Weise leidet. Man kann zwar nicht genau zum vorherigen Zustand zurückkehren und die Schäden des Euro-Abenteuers ungeschehen machen, doch eine Bewegung in die richtige Richtung ist durchaus möglich und sinnvoll.

Damit meine ich nicht einen Länderfinanzausgleich, der schon in Deutschland mehr schlecht als recht funktioniert, sondern die Wiederherstellung der Souveränität in Währungsfragen und eine allgemeine Beachtung des Subsidiaritätsprinzips. Die EU sollte Kollektivgutprobleme lösen, nicht künstlich neue schaffen.

"Das ist eine reine Partizipationssimulation"

Stefan Sasse: Dass der Gesetzgebungsprozess aktuell stark zu wünschen übrig lässt versteht sich von selbst. Der Lobbyismus hat als ein schleichendes Gift in einem Ausmaß um sich gegriffen, das trotz aller Transparenzinitiativen weiter gewachsen ist. Ich sehe aber in Volksabstimmungen nicht das Heilmittel dafür. Wir können nicht für jedes vermurkste Gesetz eine nachträgliche Volksabstimmung anschieben; bereits jetzt ist die Tendenz, erst ein Gesetz zu machen und die Details dann den Gerichten zu überlassen viel zu weit fortgeschritten.

Ich denke auch nicht, dass das Volk per se zu unmündig oder ungebildet wäre, über solche Dinge abzustimmen. Mein Problem ist, dass es mehr Kontrolle während des eigentlichen Prozesses bedarf. Wie gesagt, Volksabstimmungen kommen fast immer nach dem fait accompli (auch über den Euro hätte man erst abstimmen können, nachdem alle Verhandlungen bereits gelaufen waren).

Würde man aber stets die Abstimmung offen halten, so gäbe es ja gar keinen Anreiz mehr, gleich im ersten Anlauf solide Arbeit zu schaffen. Stattdessen würde man erst einmal einen Entwurf hinwursteln, über den abstimmen und dann die Details ausarbeiten. Aber das ist eine reine Partizipationssimulation, denn jenseits einer Grundsatzentscheidung würde man ja doch nur wieder über die Katze im Sack abstimmen. Letztlich ist die entscheidende Manifestation des Volkswillens die Wahl. Die aber fällt in letzter Zeit immer uneindeutiger aus, weil sich die Parteien stark angleichen und alle Optionen von vornherein offenhalten.

Aber kehren wir zum Euro zurück. Es ist unzweifelhaft, dass die Verhältnisse in Südeuropa katastrophal sind. Es ist möglich, dass sie sich bessern, wenn sie den Euro verlassen und damit die Wechselkurse wieder volatil werden, aber ich bin der Überzeugung, dass es keine Unmöglichkeit ist, auch innerhalb des Euro eine Verbesserung der Lage zu erzielen, da ich die Austeritätspolitik Merkels und eine vorher verfehlte Wirtschaftspolitik in diesen Ländern für ausschlaggebend halte. Und während diese unzweifelhaft durch den Euro begünstigt wurde gibt es keinen Grund, das Ruder nicht im Euro-System herumzureißen.

Wirtschaftsphilosoph: Um das Thema mit den Volksentscheiden abzuschließen, möchte ich noch einmal betonen, dass nicht jede Frage oder jedes Gesetz vom Volk abgestimmt werden sollte, doch auf jeden Fall ganz grundsätzliche Fragen wie die Souveränität des Staates und am besten auch sonstige wichtige Fragen. Dabei haben nicht die Politiker zu entscheiden, was sie für wichtig halten bzw. dem Volk zur Entscheidung vorlegen wollen, sondern die Bevölkerung selbst, z. B. durch eine Millionen Unterschriften. Das würde nicht dazu führen, dass Politiker besonders leichtfertig Gesetze erlassen, sondern sie würden sich umgekehrt in jedem Fall überlegen, ob vielleicht eine Volksentscheidung ein Gesetz zu kippen droht.

Die Politik kann sich dann nicht zu weit von einem starken Mehrheitswillen entfernen, was bei Wahlen nur alle paar Jahre über im Prinzip alle Sachfragen im Paket ohne irgendeine Garantie des Haltens von Wahlversprechen nicht der Fall ist. Ein weiterer Vorteil wäre, dass stärker inhaltlich und substanzieller über Politik diskutiert würde. Es genügt dann nicht mehr, den politischen Gegner anzugreifen oder sich diesem umgekehrt beliebig nahe anzunähern, sondern es müssten Sachpositionen nachvollziehbar erklärt werden.

Was Verbesserungen für Südeuropa angeht, so sind diese im Euro schwieriger als außerhalb, zumindest wenn die Länder für ein Verlassen des Euro nicht hart bestraft und z. B. auch aus der EU geworfen werden. Innerhalb des Euro stellt sich die Frage, wer für wen warum bezahlen soll. Warum müssen z. B. deutsche Facharbeiter höhere Steuersätze zahlen als grieichische Milliardäre? Warum sollen Slowenen für Griechen bezahlen, obwohl erstere im Durchschnitt deutlich ärmer sind? Wer bestimmt, wie viel andere wofür bezahlen müssen?

Es ist schon schwierig, innerhalb eines demokratischen Staates bei solchen Fragen zu einem Ausgleich zu kommen. Die EU ist dagegen weder ein Staat noch hinreichend demokratisch. Es ist ständiger Streit vorprogrammiert, der die Freundschaft zwischen den Völkern gefährdet statt stärkt, zumal unerfüllbare Begehrlichkeiten geschaffen werden. Es ist besser, wenn jedes Land frei, souverän, selbstverantwortlich und demokratisch bleibt. Das schließt Solidarität zwischen den Staaten nicht aus, die jedoch freiwillig in einem begrenzten Rahmen erfolgt und nicht maßlos erzwungen wird.

Stefan Sasse: Ich denke, ein Volksentscheid für die Abgabe von Souveränität ist in Ordnung. Aber: Die Abgabe von Sachfragen im Paket ist genau, was unser System tut. Wir wählen Repräsentanten, die für uns entscheiden. Wir wählen nicht jemanden, der exakt tut, was wir wollen. Letzteres ist ein gefährliches Missverständnis. Würden wir das tun, hätten wir zig Parteien, die alle untereinander keine Kompromisse schließen. Wir brauchen zwangsläufig jemanden, an den wir die Sachfragen im Bündel abgeben. Und das ist auch gut so und hat in der Vergangenheit bemerkenswert gute Resultate erbracht. Die Erosion des Repräsentationsgedankens ist ein gefährlicher Trend unserer Zeit.

Während die Arbeit innerhalb der EU mit Sicherheit nicht einfach ist, so sehe ich die Möglichkeiten außerhalb der EU nicht so rosig wie Sie. Die Freundschaft zwischen den Völkern wird nicht besser, wenn man die Druckmittel benutzt, die einem zwischen Staaten zur Verfügung stehen als die Institutionen der EU. In der Tat ist es so, dass die zahllosen Verhandlungsrunden und Konferenzen der EU einen Rahmen bieten, in dem jeder Konflikt auf eine vergleichsweise friedliche und konsens-basierte Weise ausgetragen werden kann (sicherlich im Vergleich mit bilateralen Verträgen).

Die EU bietet einen besseren und dauerhafteren Rahmen für die Lösung dieser Probleme, wenngleich aktuell ihre Instrumente die falschen und stumpf sind, da will ich gar nichts beschönigen. Tatsächlich sind Dinge wie die divergierenden Steuersätze für griechische Milliardäre ein Unding, aber gerade solche Probleme sind es, die sich durch eine stärkere politische Integration wesentlich besser angingen ließen. Die griechische Regierung kommt kaum gegen ihre Superreichen an, genausowenig wie die Deutsche gegen ihre. Die EU insgesamt aber, wo die anderen 26 Staaten nicht das geringste Interesse daran haben, auf ihre Kosten griechische Milliardäre zu schützen, bietet da doch ganz andere Möglichkeiten.

Das grundsätzliche Problem der EU, das Sie auch völlig zu Recht ansprechen, ist die mangelnde demokratische Legitimation. Hier besteht tatsächlich gewaltiger Aufholbedarf, aber es ist nicht so, dass dies eine Unmöglichkeit darstellen würde. Grundsätzlich braucht es mindestens ein EU-weit einheitliches Wahlrecht für das Parlament (der aktuelle Zustand ist unhaltbar) und echt europäische Parteien als Grundlage. Zudem müssen die Kompetenzen des Parlaments erweitert werden, mindestens zu einem ebenbürtigen Veto-Spieler, besser aber zu einem konstruktiven Gestalter.

"Ich bin ich dagegen, die Kompetenzen 
der EU immer weiter auszuweiten." 

Wirtschaftsphilosoph: Ich brauche niemanden, schon gar nicht zwangsläufig, um an ihn die Sachfragen im Bündel abzugeben. So richtig gut hat das auch in der Vergangenheit nicht funktioniert, momentan funktioniert es richtig schlecht. Die meisten realen Erfahrungen mit Volksentscheiden sind dagegen ziemlich gut, insbesondere in der Schweiz, aber auch in Deutschland, während mir gerade nur Kalifornien als Negativbeispiel einfällt, wo aber auch die repräsentative Demokratie besonders schlecht funktioniert.

Dass mit der EU ist ein Missverständnis. Ich bin nicht grundsätzlich gegen die EU, sondern gegen die Eurozone. Deshalb befürworte ich doch auch die Möglichkeit für jedes Land, den Euro zu verlassen, ohne aus der EU austreten zu müssen. Allerdings bin ich dagegen, die Kompetenzen der EU immer weiter auszuweiten. In einigen Bereichen gehen sie jetzt schon zu weit. Für eine funktionierende Währungsunion müssten sie noch viel weiter reichen. Doch dafür ist die EU in keinster Weise hinreichend demokratisch legitimiert.

Nun schlagen Sie vor, die Demokratie in der EU stark auszubauen. Eigentlich ist das eine gute Idee, nur leider fehlt die kulturelle und sprachliche Grundlage dafür. Es gibt kein europäisches Volk, keine europaweite Öffentlichkeit und auch keine hinreichende Integrationsbereitschaft. Letztere existiert am ehesten noch in Deutschland, doch fragen Sie einmal Briten, Franzosen oder Griechen, ob sie ihre nationale Souveränität aufgeben wollen.

In Europa mag es große Mehrheiten dafür geben, griechische Milliardäre oder auch die deutsche Mittelschicht stärker zu besteuern oder Sozialtransfers in den Süden zu erhöhen und dafür Hartz IV zu senken, doch von den Betroffenen gäbe es hinreichende Akzeptanz dafürund jedes Land würde sich überstimmt fühlen. Schon heute werden EU-Entscheidungen als fremd empfunden und zu großen Teilen abgelehnt. Wirklich harte Entscheidungen könnte ein EU-Staat nur mit Polizeigewalt durchsetzen. Ich bin für ein friedliches und prosperierendes Europa, nicht einen Polizeitstaat mit lähmenden Verteilungskämpfen.

Stefan Sasse: Ich stimme Ihnen darin zu, dass es keine weit verbreitete Begeisterung für eine weitere Integration gibt. Die EU ist natürlich ein Elitenprojekt und dies zu einem guten Teil auch immer geblieben. Es ist unwahrscheinlich, dass ein ähnliches Partizipationsniveau erreicht wird wie etwa bei Bundestagswahlen. Zu Teilen aber ist das Argument auch ein Zirkelschluss: Weil wir keine europäische Öffentlichkeit haben, diskutiert kaum jemand die EU.

Weil die Medien in allen Ländern vorwiegend über nationale Themen berichten, weiß kaum jemand Substanzielles über die EU. Entsprechend gering ist die Unterstützung für etwas, das man stets als sehr weit weg empfindet. Rein von der Entfernung her ist Brüssel näher als Berlin, aber trotzdem fühle ich mich Berlin und dem Bundestag näher verbunden als Brüssel und dem Europäischen Parlament. Und da geht es wohl den meisten so.

Aber: Wir können nicht erwarten, dass wir uns einfach zurücklehnen, auf den Pfad der nationalen Prosperität besinnen und dann irgendwann eine Frucht namens "europäische Identität" ernten können, die es uns erlaubt, endlich eine weitere Integration anzustreben. Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass jemand vorangehen muss, und wir werden uns dann an das Europa schon gewöhnen.

3 Kommentare:

  1. [Quote]Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass jemand vorangehen muss, und wir werden uns dann an das Europa schon gewöhnen. [/quote]

    Genau und dieses Kerneuropa können eigentlich nur eine kleine Gruppe von europäischen Staaten bilden, die zumindest was Ihre Wirtschaftskraft angeht, auf einer Augenhöhe sind.

    Problem ist nur: Schnell würde die historische Mottenkiste von der Furcht vor Deutscher Dominanz geöffnet werden.

    Ein Kerneuropa mit Deutschland, Luxemburg, Niederlande, Österreich (Belgien klammere ich wg. der schwierigen innenpolitischen Situation aus) wäre ein möglicher Pilot für ein solches Kerneuropa. Doch politisch den anderen Europäern kaum vermittelbar.

    Frankreich müsste mit eingebunden werden, dürfte aber am französischen Selbstverständnis scheitern.

    Solange sich Deutschland und Frankreich nicht auf einen gemeinsamen Weg verständigen, wird auch der politische Einigungsprozess nicht weiter voran kommen können.

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    1. Eine Erkenntnis aus der Euro-Krise war doch wohl, dass die Furcht vor der "deutschen Dominanz" mehr ein deutsches Phänomen ist. Deutschland hat die Dominanz in der EU, so oder so. Wenn es sich entscheidet, nichts zu tun, tut es es dominant nichts. Es ist das Problem der USA im Kleinen.

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  2. Ok, man hat schon so etwas wie deutsche Führung in der Krise erwartet, aber es ist etwas anderes, ob ich eine Führungsrolle in einer Gruppe von 27 oder eben eine dominierende Rolle in einer Gruppe von 5 oder 6 Ländern einnehme.

    Mehr politische Integration geht ja zu Lasten der Nationalstaaten und ich glaube, dass es hier eine besondere Sensibilität erfordert, dass Deutschland auf der einen Seite führen, aber eben nicht vereinnehmen will. Mit Frankreich als gleichwertigen Partner hat man immer ein Korrektiv auf Augenhöhe.

    In der bisherigen Krise verstieg sich ja mancher Regierungspolitiker zu Äußerungen, die an düsteren Wilhelmnismus erinnerten. Und die Angst vor Deutscher Dominanz in Europa ist immer noch latent im Bewusstsein unserer Nachbarn verankert.

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