Sonntag, 24. März 2013

Filmbesprechung: Unsere Mütter, unsere Väter, Teil 2/2

Von Stefan Sasse

Teil 1 findet sich hier.

Besonders beeindruckend ist in diesem Zusammenhang auch die in der zweiten Folge dargestellte Schlacht um Kursk, die für Friedhelm und Wilhelm zu einer Wasserscheide wird. Wilhelm, von einer Panzerfaust temporär außer Gefecht gesetzt, zerbricht innerlich unter dem Druck, seine Männer für völlig sinnlose Ziele in den Tod führen zu müssen und desertiert, während Friedhelm den letzten Rest seiner einstigen Ideale über Bord wirft und schreiend, angetrieben vom scheinbaren Tod seines Bruders, das Ziel mit der Maschinenpistole in der Hand faktisch im Alleingang erobert - um dort weinend zusammenzubrechen, als er erkennt, für welch sinnloses Ziel die Kameraden um ihn herum gefallen sind. Seine Konsequenz ist genau das Gegenteil von Wilhelm. Wo der einstige Karrieresoldat, stets seine Pflicht tun, nun von Zweifeln völlig übermannt ist und den Entschluss fasst, aus dem Krieg auszusteigen (auch um den Preis seiner eigenen Vernichtung), wandelt sich Friedhelm zum "perfekten Soldaten", der tut was man ihm sagt und nicht darüber nachdenkt, ob es nun das Erschießen von Bauernmädchen oder Hängen ihrer Mütter und Väter ist. Ohne mit der Wimper zu zucken arbeitet er mit dem SS-Mann zusammen, den er in der ersten Folge am liebsten noch umgebracht hätte, als er mit der ukrainischen Hilfspolizei Juden tötete. Seine völlige Entmenschlichung wird offenkundig, als er bei der Partisanenbekämpfung plötzlich Auge in Auge Viktor gegenübersteht und man nicht sicher sein kann, ob er schießen wird oder nicht. 

Greta und Viktor
Während die Männer dem Grauen der Front direkt ausgesetzt sind, zeigt es sich für die beiden Frauen indirekter. Greta prostituiert sich mit einem Gestapo-Mann, um Viktor falsche Papiere zu besorgen und zerstört darüber die Beziehung. Im Gegenzug wird sie der Star, der sie so lange werden wollte. Sie wird arrogant und eingebildet und verliert jeden Blick für die Realitäten, bis sie zurückgelassen im selben Feldlazarett strandet in dem ihre Freundin Charlotte ihre Illusionen längst verloren hat. Charlotte, das Nesthäkchen der Gruppe, denunziert in ersten Folge noch willig eine jüdische Hilfsärztin, ohne nachzudenken, weil es genau das ist, was die angeblich aus dem Film ausgesparte Nazi-Sozialisation mit den Menschen gemacht hat. Am Ende des Films riskiert sie ihr Leben für die Rettung einer anderen russischen Hilfsschwester, wird beinahe von russischen Soldaten vergewaltigt und arbeitet für die Rote Armee, ehe sie nach Deutschland zurückkehrt. In beiden Frauen bringt der Krieg das schlechteste hervor, und beide reifen über die Erfahrung und riskieren ihr Leben, um den Fehler nicht zu wiederholen. Greta wird es darüber verlieren, ein letztes Kriegsopfer, erschossen nur Tage vor der Kapitulation wegen Defätismus. Das Frauengefängnis, in dem sie sich befindet, ist eine wahre Hölle der Eintönigkeit und Hoffnungslosigkeit. Monate gehen ins Land ohne eine Nachricht von außen, ohne zu wissen was passieren wird, ohne Urteil und ohne Strafe. Irgendwann geht die Zellentür auf, man wird hinausgebracht und erschossen.

Einzig Viktor geht ohne psychische Narben aus seinen Taten hervor, aber auch er hat alles verloren: in einer ungeheuer sensiblen Darstellung des Holocaust muss er feststellen, dass seine alte Wohnung mittlerweile von ausgebombten Deutschen bewohnt wird; von seinen Eltern gibt es keine Spur mehr. Die neuen Bewohner dagegen, die sich noch darüber beklagen, dass die Juden nicht ordentlich geputzt haben, bevor sie "weggezogen" sind und bemerken, dass immerhin die Möbel brauchbar waren, stellen das Gesicht der hässlichen Deutschen in ihrem Alltags-Antisemitismus dar, ohne dass es dazu der Karikatur bedürfte, die solche Gestalten in anderen Filmen allzuoft werden. Als Viktor seiner Familie nachspüren will, sitzt am Behördenschreibtisch jener Gestapo-Mann, der ihn in den Zug nach Auschwitz brachte und seine Freundin hinrichten ließ, und die Amerikaner wissen es und belassen ihn doch dort, weil seine Expertise brauchen. Alles ist anders, und doch nichts, und als er in das Trümmerfeld der Bar zurückkehrt, in der 1941 mit seinen vier Freunden Abschied feierte, scheint er ein gebrochener Mann.

Ambivalenzen wie diese durchziehen den gesamten Film und regen zum Nachdenken und zur Reflexion an. Leider, und hier kommen wir zum Scheitern des Films, war den Produzenten beim ZDf, vielleicht auch dem Regisseur und Drehbuchschreiber selbst, das Konzept schon risikoreich genug, so dass das Drehbuch an vielen Stellen bewusst harmlos und auf der sicheren Schiene gestaltet wurde. Viele Nebencharaktere sind bestenfalls holzschnittartig dargestellt (hier finden sich endlich die karikaturesk bösen Nazis, die alle nur schlechten Sex haben und/oder dumm sind), und vor allem die Dialoggestaltung ist wesentlich zu explizit geraten. Es gibt ein wichtiges Prinzip beim Geschichtenerzählen: show,don't  tell. Sachverhalte müssen durch die Geschehnisse deutlich werden. Wann immer ein Schauspieler in character etwas erklären muss, wird man aus der Immersion der Geschehnisse herausgerissen, die mit so viel Aufwand angestrebt wird.

Wilhelm Winter im Schützengraben
Mindestens einmal pro Episode spricht ein Charakter das Motto des Films direkt an die Zuschauer gerichtet aus: "Der Krieg bringt nur das schlechteste im Menschen hervor". Es hätte dem Zuschauer durchaus zugetraut werden dürfen, diesen Schluss für sich selbst zu ziehen, denn die Handlung und die Bilder geben es problemlos her. Solche Situationen finden sich immer wieder. Selbst in den Gefechten verzichten Soldaten immer wieder auf Zeichensprache um eindeutige Befehle zu brüllen, damit der Zuschauer weiß als nächstes passiert (im Häuserkampf ein an Selbstmord grenzendes Verhalten), anstatt es einfach zu zeigen und darauf zu vertrauen, dass der Zuschauer es schon verstehen wird. Die auf den direkt-dabei-sein-Effekt ausgelegte Wackelkamera macht das Nachvollziehen der taktischen Situation ohnehin obsolet, und die Soldaten haben den Einblick ja selbst nicht. Warum also überhaupt versuchen, ihn dem Zuschauer zu geben? Auch die Dialoge leiden unter diesem Problem. Viel zu häufig reden die Charaktere viel zu viel über das, was sie tun, anstatt es einfach zu machen. In den gleichen Problemkomplex gehört die Druckreife, die die Dialoge öfter erreichen und sie steif und unnatürlich erscheinen lassen. Es ist ein plötzliches Aufblitzen einer geschliffen formulierten Reflexionsreife, die sonst überhaupt nicht zu finden ist und wie ein Fremdkörper wohnt, offensichtlich ans Publikum und nicht an andere Charaktere gerichtet.

Dramaturgisch aber erweist sich die scheinbare Unsterblichkeit der Hauptfiguren als größeres Problem. Dass Friedhelm an Ende der ersten Folge überleben würde war noch relativ klar; der Cliffhanger eher Routine. Als er aber den Brustschuss am Ende der zweiten Episode überlebte und Wilhelm gleichzeitig aus dem Hexenkessel von Kursk entkam, wurde die Glaubwürdigkeit bereits deutlich strapaziert. In der dritten Folge häuften sich dann die Zufälle, die die Charaktere überleben ließen. Die Ursache für diese Glaubwürdigkeitsprobleme liegen in zwei Ursachen begründet. Die erste ist die im Verhältnis immer noch geringe Dauer des Films mit dreimal 90 Minuten, die es angesichts des ambitionierten Zeitrahmens - von den Eröffnungsschlachten 1941 bis zur Niederlage 1945 - nicht erlauben, viele Nebenfiguren zu entwickeln. Deren Fehlen aber macht es nicht möglich, Charaktere sterben zu lassen, die dem Zuschauer etwas bedeuten, wodurch das Überleben der Hauptfiguren bis in die letzten Filmminuten wenig glaubhaft erscheint. Man denke im Vergleich an "Im Westen nichts Neues", wo eine ganze Reihe von Figuren am Ende auf zwei herabschmilzt, oder "Band of Brothers", wo wesentlich mehr Erzählzeit auf weniger erzählte Zeit kommt und so mehr Raum für menschliche Dramen abseits der Hauptfiguren lässt, so dass wir ein besseres Gefühl für das Ganze bekommen. Es wirkt deswegen etwas bemüht, wenn in den letzten zehn Filmminuten noch schnell Greta und Friedhelm sterben müssen, obwohl es für ihre Charakterentwicklung durchaus passend ist (dass überhaupt einer der Charaktere überlebt ist schon ein Wunder). Auch scheinen die Filmemacher vor manchem Grauen bisweilen zurückzuschrecken, wenn etwa Charlotte vor der drohenden Vergewaltigung durch eine russische Offizierin gerettet wird, die sie gut behandelt und dies vor Untergebenen damit begründet, ein "neues Deutschland" aufbauen zu wollen.

Greta und Charlotte bei einem Frontauftritt Gretas
Aus dieser Problemstellung resultiert das zweite Problem: da man beim ZDF offensichtlich nicht risikobereit genug war, die insgesamt fünf Handlungsstränge unabhängig voneinander zu entwickeln - was das Publikum stark herausfordert - ließ man die Figuren sich immer wieder begegnen, was relativ schnell ebenfalls zu Verrenkungen in der Glaubwürdigkeit führt. Es sind diese dramaturgischen Probleme in der Serie, die "Unsere Mütter, unsere Väter" das Ziel einer Vergleichbarkeit mit den amerikanischen Vorbildern verfehlen lassen, aber sicherlich nicht die grundsätzliche Struktur innerhalb der Geschichte. "Unsere Mütter, unsere Väter" könnte, seiner moralischen Keule und seiner selbst auferlegten dramaturgischen Beschränkungen entkleidet, noch wesentlich mehr sein als es aktuell ist, und es ist bereits jetzt ein halbes Wunder, wenn man die Produktionen der letzten Dekade auf diesem Feld bedenkt. Ich würde gerne mehr solche Produktionen sehen und weniger "Die Flucht", "Die Luftbrücke" und ähnliche Schmonzetten. Fernsehen kann spannend sein und zum Nachdenken anregen, und "Unsere Mütter, unsere Väter" hat gezeigt, dass auch Deutschland auf diesem Feld mitspielen kann. Wenn noch etwas mehr Risikobereitschaft bei den Produzenten zu finden wäre, die sich dank der Gebührengelder ohnehin nicht um die Quote sorgen müssen, dann wäre viel auf dem Weg zu einer echten historischen Vergangenheitsbewältigung im Fernsehen getan, ohne dass man das Projekt künstlich zur Bühne einer Generationenverständigung erklären müsste.

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