Das Remstal in Baden-Württemberg ist eine Region kleiner Städte von 20.000 bis 60.000 Einwohnern, die entlang eines lieblichen Tals voller alteingesessener und liebgewonnener Schwarzbrenner-Traditionen an Weinberghängen entlang aufschnüren. Infrastrukturechnisch läuft die gesamte Region auf die Landeshauptstadt Stuttgart zu, die abseits der Stoßzeiten in rund 20 bis 40 Minuten zu erreichen ist. Stuttgart selbst, wahrlich keine liebliche Perle, liegt in einem Talkessel und gehört wohl zu den wenig ästhetisch ansprechenden städtebaulichen Merkmalen der Bundesrepublik. Das Remstal aber ist ziemlich ruhig und ziemlich - wie soll man sagen - schwäbisch. Es regiert das Eigenheim, die Bürgermeister kommen von der CDU, die Städte sind sauber und wohlhabend und haben jeweilige regionale Konzentrationen von mittelständischen Betrieben, häufig Zulieferern der großen schwäbischen Giganten, Porsche, Daimler, Bosch, Miehle und Co. Städte wie diese sind Vorzeigeobjekte südwestkonservativer kommunaler Politik. Nur, in einem Bereich sind haben sie ein echtes Problem: beim Platz.
Denn die Attraktivität dieser Städte bedeutet zugleich, dass viele Menschen dort wohnen wollen. Stuttgart-Feuerbach mag eine gute Adresse für die Hauptwerke von Bosch sein, aber wohnen möchte da genauswenig jemand wie in der Daimler-Metropole Stuttgart-Untertürkheim. Stattdessen zieht es die Mittelschicht, die den Belegschaftskern dieser Unternehmen ausmacht, in die Vororte, und viele der attraktivsten und verkehrstechnisch bestangeschlossenen finden sich im Remstal. Entsprechend sind die Mieten und Immobilienpreise: hoch. Wer versuchen will, in meinem Heimatort ein Haus zu kaufen oder zu bauen, wird noch nach Jahren emsiger Suche erfolglos sein, wie mir leidgeplagte Nachbarn immer wieder erzählen können. Und genau hier tritt die kognitive Dissonanz ein: fährt man nämlich zwischen den verschiedenen Städten (und oft sogar ihren Teilorten) herum, sieht man kleine Äcker, sofern das Auge reicht. Selbst die EU-Agrarpolitik erklärt nur schwerlich, wie sich diese kleinen Äcker für die sie in der x-ten Generation besitzenden Familien lohnen können, besonders unter den Bedingungen eines globalen Wettbewerbs. Gleichzeitig besteht offensichtlich eine enorme Nachfrage nach Baugrund in der Region. Warum findet die Nachfrage hier also kein Angebot an Baugrund? Die Antwort liegt, verblüffend für das Stammland von CDU und FDP, in viel zu viel Regulierung.
Es ist ein Phänomen der Lokalpolitik, dass wenn man nur in den Gremien und Institutionen tief genug hinabtaucht, man bald auf eine Gemengelage gut organisierter Partikularinteressen stößt, die mit einem repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft in etwa so viel zu tun haben wie eine Villa am Tegernsee. Im Falle des Remstals sind das die alteingessenen Familien, denen die Äcker rund um die Gemeinden gehören. Sie sind in den Gemeinderäten, Bezirksräten und Landkreistagen gut vertreten. Das sind die Wahlen, bei denen die Wahlbeteiligung sehr deutlich unter 50% liegt. Und es sind diese Gremien, die darüber entscheiden, ob ein bestimmtes Gebiet zum Bauland erklärt wird - was es den Besitzern dann ermöglicht, es an Investoren zu verkaufen.
Aus dem Bauch heraus würde man vielleicht annehmen, dass diese Familien ein Interesse daran hätten, dass ihre unwirtschaftlichen Äcker zu Bauland erklärt werden, aber dem ist nicht so - sie sind diejenigen, die ein solches Ansinnen über Jahrzehnte blockieren können. Denn die stetig hohe Nachfrage treibt die Preise und ermöglicht es so, kleine Parzellen Stück für Stück über die Jahre verteilt als Bauland zu deklarieren - nie genug, um den Bedarf an Wohnraum wirklich decken zu können und stets auf das mittlere bis hohe Preissegment bedacht. So bleiben die Spitzensteuersatzzahler unter sich im beschaulichen Grünen, während in den Städten ganze Gegenden verkommen, weil einkommensarme Unterschichten sich dort zusammendrängen, die keine Repräsentation in den Gemeinderäten haben, für die saubere Spielplätze und genügend Kitas eine Priorität sind.
Und hier kommen wir zu der Dimension, wo die Frage der Bauregulierungen deutlich über bezahlbaren Wohnraum im Remstal hinausgeht und die Gefilde eines eng umrissenen sozialpolitischen Themas verlässt. Gentrifizierung und Ghettoifizierung sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Sozialwissenschaft erkennt immer mehr, wie wichtig das Nachbarschaftsumfeld für die Entwicklung eines Menschen ist. Die Chancen, in einer Hartz-IV-Nachbarschaft selbst in Hartz-IV zu landen sind wesentlich höher als am eingangs erwähnten Tegernsee, und nicht nur aus statistischen Gründen. Vorbilder aus der Peer-Group spielen in der Entwicklung von Jugendlichen eine dominante Rolle, noch weit vor dem Einfluss der Eltern. Und er wird massiv durch den Wohnort beeinflusst.
Die Deregulierung der Äcker ist daher aus mehreren Gründen notwendig. Einer dieser Gründe ist schlichte Marktwirtschaft: der Schutz der Grundbesitzer durch kommunalpolitischen Regulierungen widerspricht dem Gedanken eines freien Spiels von Angebot und Nachfrage; effektiv werden Insider-Geschäfte durchgeführt. Das führt direkt zum nächsten Problem, einer ungestillten Nachfrage nach einem der wichtigsten Grundgüter, dem nach Wohnraum. Er steht auch der Arbeitsmigration innerhalb Deutschlands und Europas entgegen und reduziert das Arbeitskräfteangebot der örtlichen Unternehmen, was deren Produktivität schmälert und in Extremfällen sogar zu Outsourcing führen kann. Und zuletzt hat es für die am wenigsten repräsentierten Schichten verheerende Auswirkungen, die mit all den Nachteilen ökonomisch abgehänger Wohnviertel leben müssen. Es gibt keinen Grund, diese Nachteile zum Schutz einer eingesessenen Interessengruppe weiter so massiv zu schützen, wie das aktuell der Fall ist. Dereguliert die Äcker!
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