Als wir die Serie begonnen haben, hätte ich nicht damit gerechnet, dass ich irgendwann einmal Zeitdruck damit verspüren würde, Jeb Bush als Kandidaten zu analysieren. Ich habe selbst ziemlich selbstsicher die Prognose gewagt, dass er - sofern nicht eine größere Katastrophe dazwischen kommt - der republikanische Kandidat wird. Mit dieser Einschätzung stand ich nicht gerade allein. Im Frühsommer hatte Bush bereits über 100 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden für seinen PAC "Right to Rise" eingesammelt und schien das republikanische Establishment in der Tasche zu haben. Nun, am Tag nach der dritten republikanischen TV-Debatte, sieht es eher so aus, als würde er bald denselben Weg gehen wie Scott Walker und seine Kandidatur noch lange vor dem offiziellen Beginn der primaries im Februar zurückziehen müssen. Gab es eine Katastrophe? Oder war Bush nur viel schwächer, als es immer den Anschein hatte?
Der Vergleich Bushs mit Walker drängt sich aus mehreren Gründen auf. Zusammen mit Rubio waren die beiden von vornherein die "ernsthaften" Kandidaten, die man sich tatsächlich - anders als die derzeit in Umfragen vorne liegenden Trump, Carson und Fiorina - im Wettstreit mit Hillary Clinton und im Weißen Haus vorstellen konnte. Und wenn es eine Formulierung gab, die in den Medien nach Scott Walkers Rückzieher in aller Munde war, dann die, dass er "auf dem Papier" stark gewesen war. Dasselbe gilt auch für Bush. Eigentlich sollte er stark sein. Er ist es nur nicht. Die Frage ist nur, warum.
Walker etwa schien die Unterstützung der konservativ-evangelikalen sicher in der Hand zu haben. Als Gouverneur hatte er immer eine konfrontative, an der reinen Lehre ausgerichtete Politik betrieben. Ebenso Bush - zu Anfang des Wahlkampfs verwies er gerne auf seine Zeit als Gouverneur von Florida, in der der großzügigen Gebrauch vom Veto machte, das Budget zusammenstrich und die Steuern kürzte. In einem normalen Wahlkampf unter Politikern würde es ihren Gegnern auch schwerfallen, sie auf dieser Seite zu flankieren. Nur kämpfen sie nicht nur gegen andere Politiker, wie etwa Ted Cruz, Chris Christie und John Kasich. Sie kämpfen gegen Außenseiter wie Trump und Carson. Und niemand, der auch nur annähernd versucht, an seine spätere Wirkung im Duell gegen Clinton zu denken, kann stärkere Aussagen machen als sie.
Denn Trump und Carson sind vor allem eins: Showdarsteller. Sie müssen sich nicht darum kümmern, ob ihre Aussagen von fact checkern gegengeprüft werden. Als Bush verkündete, dass seine Wirtschaftspolitik, wenn er Präsident werden würde, für 4% Wachstum pro Jahr sorgen würde gab es in den Medien Kritik daran, wurde ihm vorgeworfen, Fantasiezahlen zu verkünden. Bei Trump und Carson macht sich kaum jemand überhaupt die Mühe, ihre Aussagen zu überprüfen - sie sind so offensichtlich Blödsinn, dass man sie erst gar nicht ernst nimmt. Aber sie ziehen die entsprechende Aufmerksamkeit völlig auf sich und bedienen das Element des "Washington Outsider", des Nicht-Politischen. Genau das ist es, was die Wähler der Republicans gerade wollen. Einen radikalen Bruch, eine Entmachtung des Establishments. Und niemand verkörpert das Establishment so sehr wie Bush, der Darling der großen Spender und Parteieliten, der zwar zig Millionen von der Wallstreet bekommt, bei den Kleinspenden noch von Bobby Jindal überholt wird.
Dadurch hatte Bush von Anfang an deutlich weniger Wind in den Segeln. Es würde allerdings nur das Narrativ der Bush-Familie bestätigen, wenn man es bei dieser einfachen Beschreibung beließe. Ja, die Basis der Republicans ist gerade meilenweit davon entfernt, auch nur annähernd realistische Vorstellungen von ihren politischen Möglichkeiten zu haben. Aber es ist nicht so, dass diese Entwicklung wie aus heiterem Himmel über die Bushs kam. Die letzten beiden Präsidenten mit dem republikanischen Parteibuch hießen beide Bush. Es war von Anfang an offensichtlich, dass es zumindest ein wenig Widerstand von der Basis gegenüber der Idee geben würde, ausgerechnet den Bruder der beiden Präsidenten mit den niedrigsten Zustimmungswerten im letzten halben Jahrhundert zu nominieren. Nur war es vernünftig gewesen davon auszugehen, dass Bush eine Strategie für dieses Problem hätte.
Genau diese Annahme aber war offensichtlich falsch. Und ich muss zugeben dass mich das verblüfft. Wie kann jemand, der auf einen solchen kollektiven Erfahrungsschatz und so erfahrene Berater zurückblicken kann so unflexibel sein? Vor dem Eintritt Trumps in den Wahlkampf war Bushs Strategie eindeutig gewesen - und auch von ihm entsprechend formuliert: shock and awe hießt das Prinzip, in Anklang an die im Irakkrieg gewählte Strategie der US Army. Die gewaltige Überlegenheit Bushs in Wahlkampfspenden, in politischer Infrastruktur und in Insiderunterstützung sollte seine Konkurrenten noch vor der ersten Debatte in die Knie zwingen. Damals machte das Sinn: programmatisch passte und passt zwischen Rubio und Bush kaum ein Blatt Papier, und Bush hatte sämtliche Netzwerke und großen Spender und einen Haufen Erfahrung, die er gegen Rubio ausspielen konnte. Gegen Walker dagegen konnte er sich als moderate, vernünftige Alternative und bessere Wahl für die general election präsentieren. Alles sah gut aus, bis Trump, Carson und Fiorina als trio terribile die Rechnung durcheinander brachten. Plötzlich kämpften alle Kandidaten darum, in den Worten Mitt Romneys severely conservative zu sein. Das erklärt aber immer noch nicht, warum Rubio plötzlich als neuer GOP-Kronprinz im Rampenlicht steht.
An dieser Stelle kommen zwei Faktoren ins Spiel: Bushs kaum zu glaubende Schwäche bezüglich seines Familiennamens und seine Ähnlichkeit mit Hillary Clinton. Aber der Reihe nach.
Tatsächlich hatte sich Bush auf Angriffe vorbereitet, die ihn lediglich als Wurmfortsatz der Präsidentschaft seines Bruders George W. Bush betrachten. Seine Verteidigungslinie "I'm my own man" hätte sicher auch halten können. Nur ging er von falschen Voraussetzungen aus. Er dachte, der größte Nachteil der Präsidentschaft seines Bruders würde der Vorwurf von Familiendynstien und Vetternwirtschaft sein, wie ihn auch Clinton aushalten musste - die sich relativ gut von ihrem Mann absetzen konnte, was in Jeb Bushs Strategie ja auch vorgesehen war: auf Differenzen mit seinem Bruder angesprochen erklärte er immer, dass er wirklich (ganz bestimmt!) sparen werde und nicht wie Dabbelju mit neuen Sozialleistungen und teuren Kriegen das Defizit aufblasen würde. Gleichzeitig gab er die Schuld dafür dem eh unbeliebten Kongress, was ihn vom Vorwurf der Disloyalität befreite. So weit, so gut.
Nur hielten sich seine Gegner nicht ans Drehbuch. Offensichtlich hatte Jebs Wahlkampfplanung damit gerechnet, dass der Angriff von den Democrats kommen würde, aber die waren sich immer noch nicht sicher, ob sie Bush sein Versagen in Irak und Afghanistan wirklich vorwerfen konnten, vom offensichtlichen Problem des größten Terroranschlags aller Zeiten einmal ganz abgesehen. Bush spekulierte wohl darauf, dass es die Democrats wie seither nicht wagen würden, Dabbelju dieses Versagen vorzuwerfen, um sich nicht dem Vorwurf der Pietätslosigkeit auszusetzen. Eine vernünftige Rechnung, und die Democrats halten sich hier auch weiterhin zurück. Wozu sollten sie auch in eine Schlammschlacht einsteigen? Den Job hat ihnen Donald Trump abgenommen, dem man übermäßige Pietät noch nie vorwerfen konnte. Er wies darauf hin, dass Jebs Bruder nicht erst nach 9/11 Präsident wurde - Bushs Mantra "my brother kept us safe" wurde plötzlich von innen attackiert. Wäre es ein Democrat gewesen, Bush hätte nichts besseres passieren können, denn die Republicans hätten sich notgedrungen hinter ihm zur Verteidigung seines Bruders scharen müssen. Stattdessen traten sie taktvoll zur Seite, während Trump mit dem Instinkt des Bullies die Schwäche Bushs gnadenlos ausnutzte.
Und hier kommt Bushs Ähnlichkeit mit Hillary zum Tragen. Beide sind relativ alt. Beide stammen aus Politikerdynastien. Beide sind nicht gerade für übersprühenden Esprit bekannt. Beide sind Geschöpfe ihres Parteiestablishments. Nur, Hillary konnte (soweit) all diese Schwächen neutralisieren. Bush verstärkte sie alle. Seine Versuche, Trump Grenzen aufzuzeigen scheiterten jämmerlich in der Debatte, als sich Trump einfach rundheraus weigerte, sich zu entschuldigen. Jede kernige Aussage Bushs, jede persönliche Anekdote, jeder Scherz wirken peinlichst einstudiert und künstlich, noch schlimmer als bei Clinton. An dieser Stelle macht sich die Pause, die Bush seit seinem Ausscheiden aus dem Gouverneursamt 2007 machte, deutlich bemerkbar. Clinton hat wesentlich mehr Übung darin, diese Schwächen auszubügeln. Jeder öffentliche Auftritt Bushs verschärfte damit seine Probleme - und gleichzeitig gelang es Rubio zu glänzen. Er tat in Debatten und Interviews genau das, was man von Bush erwartet hätte.
Entsprechend sind Bushs Spenden nach unten gerauscht. Obwohl er im dritten Quartal 2015 immer noch rund 15 Millionen Dollar einfahren konnte, musste er sein Budget deutlich kürzen, Mitarbeiter entlassen, von Privatjets auf Linienflüge umsteigen und billigere Hotels buchen. Das muss für ihn nicht das Ende bedeuten - auch John McCain musste 2008 solche Kürzungen vornehmen und sackte in den Umfragen ab, ehe er sich erhohlte - aber Bush ist ein schwächerer Kandidat als es McCain war und hat stärkere Konkurrenz. Es ist zu früh, um ihn vollständig abzuschreiben. Aber wie es scheint ist der Kandidat selbst nicht mehr mit vollem Herzen bei der Sache, hat er sich doch in Interviews erst jüngst darüber ausgelassen, "eine Menge coole Dinge" tun zu können, und dass man ja Trump wählen könne, wenn man mit ihm nicht einverstanden sei. Wenn er nicht bald einen neuen Ansatz für seine Kampagne findet, könnte es genauso kommen.