Bücher sind der Schlüssel zur Welt, und es gibt praktisch unendlich
viele davon auf der Welt, und jedes Jahr kommen neue hinzu. Da das Leben
kurz ist, möchte man nicht unbedingt mehrere Bücher anfangen und
irgendwann feststellen, dass sie Mist sind und man bisher seine Zeit
verschwendet hat. Andererseits ist es oft schwer, an gute Ideen für neue
Bücher heranzukommen, wenn man sie nicht gerade durch Zufall findet.
Ich stelle daher hier meine Bücherliste 2013/14 vor, die zwar nicht alle
Bücher enthält, die ich in diesem Zeitraum gelesen habe, aber alle, die
ich guten Gewissens weiterempfehlen kann. Vielleicht findet ja jemand
etwas Interessantes darin. Die meisten Bücher habe ich auf Englisch
gelesen; wo vorhanden, habe ich Links auf die deutschen Versionen
beigefügt. Alle Links führen direkt zu Amazon, und wer die Bücher über
diese Links bestellt sorgt dafür, dass ein kleiner Teil des Preises von
Amazon an mich geht. Kapitalismus!
Abhit Banerjee - Poor Economics (dt: Poor Economics: Plädoyer für ein neues Verständnis von Armut)
Dieses
Buch beschäftigt sich mit einer äußerst spannenden Frage: der Ökonomie
der Armut. Wie ticken Menschen, die arm sind? Diese Frage ist nur
scheinbar simpel. Denn die Vorstellung, dass diese Leute halt einfach
jeden Cent zweimal umdrehen und sich zurücknehmen greift wesentlich zu
kurz, und sie erklärt auch nicht das permanente Versagen vieler
Entwicklungshilfeprogramme und sozialer Maßmahmen. Banerjee erklärt
eindrucksvoll, wie sich das Leben von Armen von dem von Reichen
unterscheidet. Ihm geht es dabei nicht um den Unterschied von
Hartz-IV-Empfänger und Millionär, sondern um den eines Textilarbeiters
in Bangladesch zum typischen Mittelschichtangehörigen hierzulande. Die
Schlussfolgerungen, die er aus seinen Untersuchungen zieht sind
überraschend und stellen die meisten Entwicklungshilfe-Ideen auf den
Kopf. Wer dieses Buch liest versteht leicht, warum über 50 Jahre
Armenhilfe wenig getan haben, die weltweite Armut zu reduzieren.
Adam Tooze - Wages of Destruction (dt: Ökonomie der Zerstörung)
Dieses
Buch des Historikers Adam Tooze befasst sich mit der Wirtschaft des
Nationalsozialismus, einem deutlich unterrepräsentierten Thema der
Forschung, das hier voll ausgeleuchtet wird. Für jeden an der Ära
interessierten Leser ist dieses Buch ein absolutes Muss, denn Tooze
hilft, die Bedrohung des Nationalsozialismus' auf die
ökonomisch-empirischen Füße zu stellen. So kann er das Leistungsvermögen
der Nazi-Kriegswirtschaft mit dem Großbritanniens, der USA und der
Sowjetunion vergleichen, erklären, welche Parameter den Angriffsplan auf
Frankreich entscheidend beeinflussten oder den eine weitere Ebene des
Wahnsinns hinter dem Angriff auf die Sowjetunion erklären.
Andrew Sullivan - I was wrong (nur Englisch)
Dieses
mit dem obigen Link kostenlos erhältliche eBook von Andrew Sullivan
fasst Blogposts seines berühmten "Sullidish"-Blog zusammen, die sich mit
dem Irakkrieg beschäftigen. Sullivan zeigt dabei eindrucksvoll auf, wie
er sich von einem fanatischen Befürworter des Krieges über einen
Skeptiker hin zum absoluten Gegner entwickelte. Den Gedankengang eines
öffentlichen Intellektuellen auf diese Art nachverfolgen zu können ist
äußerst faszinierend.
Christopher Clarke - Sleepwalkers (dt: Die Schlafwandler - Wie Europa in den 1. Weltkrieg zog)
Das
Buch war nicht gerade unkontrovers, und entsprechend viel ist darüber
geschrieben worden, so dass eine weitere Vorstellung hier eher sinnlos
wäre. Daher nur einige eigene Gedanken: Clarke wurde zwar von der
konservativen Presse gerne für ihre eigene Agenda vereinnahmt, das
ändert aber wenig an der Qualität des Buchs und an den vielen neuen
Perspektiven, die Clarke eröffnet. Er nimmt nämlich in dem Werk eine
wirklich europäische Perspektive ein und löst sich von der Nabelschau,
die so viele andere Werke auszeichnet (ob deutsch-zentrisch oder
britisch-zentrisch ist dabei irrelevant). Allein wegen der
Herausforderung für liebgewonnene Narrative lohnt das Buch sich.
Daron Acemoglu - Why Nations fail (dt: Warum Nationen scheitern)
Wie auch Poor Economics ist dies ein Buch, das gut dazu geeignet ist, Präkonzepte zu zerstören. Ich habe das Buch seinerzeit auf dem Geschichtsblog besprochen,
daher hier nur eine kurze Zusammenfassung: Acemoglu und seine
Mitautoren stellen ein Theoriekonstrukt auf, das dazu dienen soll, das
Scheitern vieler Nationen (von der Sowjetunion über diverse
Entwicklungsländer) und gleichzeitig den Erfolg des Westens zu
erklären, ohne dabei in irgendwelche Kulturgeschichten zu laufen ("die
Aufklärung", "das Christentum", etc). Das tun sie meiner Meinung nach
ganz überzeugend.
Eri Hotta - Japan 1941: Countdown to Infamy (nur Englisch)
Hotta
beschreibt in diesem Buch etwas, das man nur selten liest: eine genaue
Rekonstruktion der Entscheidungsfindung in Japan 1941. Warum entschied
sich Japan, Pearl Harbor anzugreifen, obwohl es selbst seine Chancen
bestenfalls (!) mit 1:2 bewertete? Welche Alternativen gab es? Welche
Fraktionen kämpften mit welchen Mitteln um die Macht in der arkanenen
imperialien Bürokratie? Hotta gelingt es hervorragend, dieses weitgehend
unbekannte Kapitel zu beleuchten und so auch die andere Seite
aufzuzeigen, die nach ganz eigenen und nur schwer verständlichen Regeln
spielte.
Frank Stauss - Höllenritt Wahlkampf
Frank
Stauss ist ein erfahrener Wahlkämpfer, der über die Agentur BUTTER vor
allem für die SPD tätig ist. In diesem Buch erzählt er anekdotenhaft von
der Realität des Wahlkampfs. Er bezieht sich dabei auf den Wahlkampf
2005, als die SPD mit Gerhard Schröder beinahe noch einmal Angela Merkel
entthront hätte. Die Geschichte ist locker erzählt, ohne dabei
allzuviel Theorie oder Empirie ins Spiel zu bringen.
Hans-Henning Kortüm - Kriege und Krieger 500-1500
In
diesem Buch erklärt der Historiker Kortüm, wie und von wem im
Mittelalter Krieg geführt worden ist. Dabei räumt er viele bekannte
Narrative und Vorturteile auf. Die für mich wohl wichtigste Erkenntnis
war, dass mitnichten feudale Trüppchen ins Feld zogen - also lauter
Feudalherren irgendwelche Landwehren aushoben und diese dann in eine
ungeordente Armee zusammenführten - sondern dass bereits im Mittelalter
überwiegend mit professionellen Soldaten gekämpft wurde. Aber auch sonst
findet sich von der Verbrannten Erde bis zur Ernährung zu den sanitären
Anlagen und Belagerungen eine Menge Interessantes für den einschlägig
Interessierten.
Hector Garcia - A Geek in Japan (dt: Xcentric Culture: A Geek in Japan)
Ein
Reiseführer der besonderen Art ist Hector Garcias "A Geek in Japan".
Garcia, ein Japanfan, nimmt den Leser auf eine Reise durch das Land und
seine Sitten. Er erklärt kulturelle Fallstricke und beleuchtet mit viel
Liebe die Besonderheiten der japanischen Kultur, ohne ständig in
irgendwelche Klischees abzurutschen. Wer sich für das Land interessiert,
dem seien seine Ausführungen sehr ans Herz gelegt. Etwas negativ
schlägt sich jedoch sein Schreibstil zu buche. Vielleicht liegt es an
der Übersetzung, aber der Satzbau und die Wortwahl waren nicht immer
ganz gelungen.
Ian Kershaw - Hitler: Hubris (dt: Hitler 1889-1936)
Die
Hitler-Biographie von Ian Kershaw ist wohl eine der besten, die je
geschrieben wurde. Mit großer Sachkenntnis geht er ans Werk und arbeitet
die Herkunft und Ideologisierung des Diktators heraus. Dabei zeigt er
sowohl die Einflüsse seiner Wiener Zeit als auch den langsamen Aufbau
der NSDAP auf, was das Buch gleichzeitig zu einer Art Geschichte des
frühen Dritten Reichs macht. Kershaw behält aber stets Hitler im Blick
und weiß dabei sich von der Versuchung freizuhalten, allzuviel
Küchentischpsychologie für ihn anzuwenden. Es gibt keine wilden
Spekulationen über Sexleben und Beziehungen, stattdessen regiert das,
was wir sicher wissen können.
Ian Kershaw - Hitler: Nemesis (dt: Hitler 1936-1945)
Im
zweiten Band seiner Biographie bleibt Kershaw den oben beschriebenen
Qualitäten treu und widmet sich der zweiten Hälfte von Hitlers
Wirkenszeit. Ja, sie ist kürzer als die erste, aber auch deutlich
konsequentieller (ist das ein Wort?) und braucht dementsprechend mehr
Gewicht.
John Quiggin - Zombie Economics (nur Englisch)
Als
Zombie-Ökonomie bezeichnet John Quiggin alle die ökonomischen Ideen,
die schon lange tot sein sollten - weil sie offensichtlich falsch sind -
aber trotzdem noch da sind und Einfluss haben. Vom Homo Oeconomicus bis
zur Lafferkurve findet sich hier alles, was die Wirtschaftsseiten von
FAZ, Süddeutscher Zeitung und Welt glücklich macht. Quiggin erklärt
dabei nicht nur die Theorien selbst, sondern auch, warum sie eigentlich
tot sein sollten und welche Faktoren dafür verantwortlich sind, dass sie
immer noch unter uns sind.
Jonathan Alter - The Center Holds (nur Englisch)
Obamas
deutlicher Sieg über Mitt Romney 2012 überraschte viele Experten
völlig. In "The Center Holds" zeigt Jonathan Alter detailliert auf, wie
Obamas Team den Wahlkampf anging, wie auf der anderen Seite Mitt Romney
agierte und warum es Obama möglich war, ihn so deutlich zu schlagen -
und auch, warum die Experten alle so daneben lagen. Das Buch wechselt
dabei Betrachtungen struktureller Faktoren mit dem anekdotenhaften auf
eine Art und Weise ab, die ein plastisches Bild des Wahlkampfs
ermöglicht und gleichzeitig als Analyse der ersten Amtszeit Obamas
taugt. Sehr empfehlenswert.
Marty Cohen - The Party Decides (nur Englisch)
Inzwischen
ist "The Party Decides" in aller Munde, aber ich kann mit einem
gewissen Stolz verkünden, ein Hipster des Buchs zu sein, denn ich hatte
es schon gelesen bevor es alle cool fanden. Cohen und seine Mitautoren
stellen hier eine Theorie über die Nominierungen amerikanischer
Präsidentschaftskandidaten auf, in der sie postulieren, dass trotz der
Umstellung auf das primary-System weiterhin das alte
Partei-Establishment entscheidenden Einfluss über den
Nominierungsprozess hat. Ich habe mit dieser Hypothese hier im Blog
schon öfter argumentiert, und 2016 dürfte ein ziemlich deutlicher test case für sie werden. Zeit genug, sich bis Iowa noch die nötige Theorie anzueigenen!
Steven Attewell - Race for the Iron Throne (nur Englisch)
Wer
sich für "Game of Thrones" interessiert, sollte unbedingt diese
brillante Analyse des ersten Bandes von Steven Attewell lesen. Kapitel
für Kapitel untersucht Attewell mit dem Mittel der
politikwissenschaftlichen Analyse das Geschehen, erklärt die
Implikationen, stellt Was-wäre-Wenn-Fragen und vergleicht das Geschehen
mit den historischen Vorbildern und der TV-Serie. Unbedingt
empfehlenswert.
William Hogeland - Founding Finance (nur Englisch)
Dieses
Buch gehört sicherlich in die Abteilung "Nischeninteressen", aber wer
sich schon immer für die persönlichen Finanzen der Gründerväter
interessiert hat, liegt hier richtig. Hogeland zeigt einige interessante
Fakten auf, vor allem die finanzielle Verquickung der Gründerväter mit
ihrer Sache. Linke überziehen die Analogien hier zwar gerne, aber es ist
trotzdem interessant zu sehen, wie Jefferson durch die Unabhängigkeit
seine Sklaven behalten konnte, die Landspekulationen jenseits der
Appalachen plötzlich Früchte trugen oder wie John Hancock weiterhin Tee
schmuggeln konnte.
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