Sonntag, 3. Dezember 2017

Bürger zweiter Klasse, Koalitionsverhandlungs-Edition

Kürzlich schrieb ich über den unerträglichen Habitus der FAZ, alles unterhalb der Schwelle zum Spitzensteuersatz als grundsätzlich illegitime Forderungen zu betrachten, während der echte, vollwertige und mündige Bürger über so blasalen Dingen wie dem Mindestlohn steht und diese als das erkennt, was sie sind: Umverteilungsmaßnahmen von den hart arbeitenden, ihr Geld echt verdienenden Bürgern zu der zweiten Klasse der "takers", deren Forderungen frivole, ungerechtfertigte, sicherlich unverdiente aber bedauerlicherweise manchmal politisch notwendige sind. Das hier zu bestaunende framing der FAZ Woche fällt, einmal abgesehen von den grausigen Gender-Klischees, genau in diese Kategorie. Wenig überraschend möchte die SPD in den Koalitionsverhandlungen etwas durchsetzen, der Preis für eine weitere ungeliebte schwarz-rote Koalition ("Große" kann man sie wahrlich nicht mehr nennen). Ätzend wird der Untertitel: "Jetzt muss Merkel um Schul werben - Wie teuer wird das für Deutschland?"



Ich kann mich nicht erinnern, die Forderungen der FDP in den Jamaika-Verhandlungen auf diese Art dargestellt gesehen zu haben. Obwohl der Preis der FDP-Politik enorm ist - langfristige Umweltschäden, eine weitere Zerrüttung der EU, die weitere Verschleppung dringend notwendiger Infrastrukturreformen und der Verfall der Substanz - war hier nie die Rede davon, dass man Lindner umwerben und einen Preis für ihn zahlen müsse; stattdessen waren das harte zu debattierende Sachfragen. Was hier einmal mehr offenkundig wird ist die Verachtung, die aus liberal-konservativer Ecke gegenüber Politik gepflegt wird, die nicht zuerst die Aktiendepots, Zweitwagen und Privatschulen der oberen 10% im Blick hat. Deren Forderungen und Anliegen sind nämlich wichtig.

Wenn die SPD dagegen für Reformen in der EU eintritt, wird nicht debattiert wie sinnvoll das ist, welche Vor- und Nachteile das hat und was die Alternative ist, nein, stattdessen bedient man das proto-nationalistische Narrativ, mit dem man schon dem ersten Aufstieg der AfD damals 2012/2013 Schützenhilfe geleistet hat: was kostet das Deutschland? Stellt euch einmal die Frage, was es uns kostet, wenn wir all diese Dinge nicht machen. Wenn die Spaltung zwischen Arm und Reich weitergeht, wenn die EU weiterhin mit disfunktionalen Systemen dahinhinkt, wenn das Klima sich weiter in Richtung von 4°C und mehr erwärmt.

Aber Hauptsache, wir haben die Vermögenssteuer abgewendet, die Erbschaftssteuer bleibt der aktuelle Witz auf Rädern, die Aussicht auf die grünen Hügel der Vorstadt bleibt von Windrädern ungetrübt und die Schmuddelkinder wohnen in den Slums, die man nicht sehen muss. Das alles sind nämlich die Anliegen echter, besorgter Bürger. Der ganze Rest kostet "uns" nur. Die blasierte Arroganz ist zum Speien, und dass es der SPD und ihren Verbündeten nicht gelingt, dem ein vernünftiges Narrativ entgegenzusetzen, ja, dass sie es nicht einmal versucht und eher den Eindruck erweckt, ihr eigenes Programm sei ihr peinlich, setzt der ganzen Schmierenveranstaltung nur die Krone auf.

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