1) Parteien machen Richterwahl unter sich aus
Politiker suchen aus, wer künftig die Richtlinien der Rechtsprechung bestimmt. Die Überlegung dahinter: Die Richterfindung durch ein politisch plural zusammengesetztes Gremium ist demokratischer, als wenn ein stiller Beamter im Bundesjustizministerium zum alleinigen Torwächter der Bundesjustiz gemacht würde. Die Landesminister haben den Überblick, wer aus der Landesjustiz das Zeug zum Bundesrichter hat, und die Abgeordneten von links bis rechts sorgen für eine gewisse Pluralität. Doch das Verfahren weist ein paar Defizite auf. Denn im Richterwahlausschuss herrschen noch echte großkoalitionäre Verhältnisse, trotz der Schwindsucht der SPD: Union und Sozialdemokraten können die Stellen weitgehend unter sich aufteilen, FDP und Grüne sind schon froh, wenn sie mal eine einzelne Richterin oder einen Richter durchbekommen. Wer etwa die Karlsruher Szene länger beobachtet hat, der kann einige Richter am Bundesgerichtshof nennen, die auf Empfehlung der CDU Karriere gemacht haben. Bei der SPD ist das nicht anders. "Wir achten natürlich schon darauf, dass unsere Kandidaten der SPD nahe stehen", räumt Eva Högl ein, die für die SPD im Bundestag sitzt und als wichtige Richtermacherin gilt. Doch so entscheidend die Partei ist - offiziell gibt es über Mitgliedschaften der Bundesrichter nicht einmal eine Statistik. Es habe da keinen Überblick, teilt das Bundesjustizministerium mit, das übrigens selbst ebenfalls Vorschläge machen darf. Ganz überwiegend sind die Kandidaten fähige Leute, Parteiticket hin oder her. Denn wer Erfahrung mit der Richterwahl hat, der weiß, dass es keinen Sinn hat, Parteisoldaten ohne fachliches Rüstzeug nach Karlsruhe, Leipzig oder München zu schicken; schlechte Juristen würden im Senat schlicht und einfach untergehen. (Wolfgang Janisch, Süddeutsche Zeitung)In obigem Zitat finden sich einige wichtige Punkte. Denn ja, das Proporzverfahren, das die Parteien (hier CDU und SPD) nutzen, um diese Stellen zu besetzen, ist nicht gerade die Krönung der Demokratie. Aber auf der anderen Seite bringt es sehr gute Ergebnisse, deutlich bessere jedenfalls als die Nominierungs- und Wahlprozesse, die etwa in den USA genutzt werden. Unser System bringt, wie der Artikel auch deutlich macht, im Schnitt wesentlich geeigneteres Personal in diese Positionen als die Alternative, und dazu noch vergleichsweise unideologisches und unparteiisches. Eine größere Offenheit der Wahl, etwa im Bundestagsplenum, würde sicherlich zu einer Polarisierung der Richterschaft führen. Da lieber den Proporz an die Gegebenheiten anpassen.
2) Rechts sein, aber sich nicht rechts nennen lassen wollen
„P.C.“ ist eine der faszinierendsten Diskursformationen der Gegenwart. Es wäre eine spannende Frage, wie in den Texten von Greiner et al. argumentiert werden würde, wenn es diesen „Pappkameraden“ (Benedikt Erenz) als Gewährsmann nicht seit fast 30 Jahren gäbe. [...] Ja, man darf die rastlose Tätigkeit der „Politischen Korrektheit“ keinesfalls unterschätzen. Sie ist, kurz gesagt, eine Erfindung von rechts, die dazu dient, missliebige Positionen lächerlich zu machen und gesellschaftlich schwer artikulierbare Auffassungen (Rassismus, Misogynie, Homophobie, usw.) ins schicke heldenhafte Gewand einer aufrührerisch-querdenkerhaft klingenden Gegenposition zu stecken („inkorrekt“). Das ist keine Verschwörung, kein Hexenwerk, sondern nur ein ziemlich cleverer rhetorischer Trick, der für rechte Diskurstrollereien symptomatisch ist. Dessen Wirksamkeit ist aber so stark, dass selbst die MBR-Broschüre schreibt, „P.C.“ sei in den sechziger Jahren durch marginalisierte Gruppen entstanden. Stimmt nicht. „P.C.“ kommt Anfang der neunziger Jahre als rechter Kampfbegriff zu uns und ist von Beginn an der Name der Abwertung. „Feminismus, Antisemitismus oder Antirassismus“ werden durch orwellhaftes Raunen bei Greiner zu einem „höherem Auftrag“ (was immer damit gemeint ist, wer immer den ausgibt), und, zack, gibt es sie nicht mehr. [...] Was aus dieser Verwurschtelung resultiert, müsste selbst aus Sicht der bürgerlichen Mitte, die so viel auf ihre Äquidistanz zu „links“ und „rechts“ hält, unfair erscheinen. Greiner et al. können ohne Klage missliebige Positionen in die Nähe von Totalitarismus behaupten, aber wenn jemand ihre Texte liest, beim Wort nimmt und sie in die Zusammenhänge stellt, in die sie gehören, dann ist Schluss mit lustig. Dabei kommt dem „P.C.“-Diskurs eine wichtige Scharnierfunktion im diskursiven Feld zu. Wenn heute konstatiert wird, dass sich die Grenzen des Sagbaren verschoben haben, dann ist das auch möglich, weil feministische oder antirassistische Kritik seit Jahren unter dem Label „Politische Korrektheit“ in ermüdender Regelmäßigkeit auf immer gleiche Art abgewertet wurden. Weil die argumentativ luftigen Ausflüge ins Fantasialand von Orwells Roman eine wirkliche Auseinandersetzung erschwert haben (Was lässt sich auf die Ansicht, es gebe eine „Gedankenpolizei“, ernsthaft erwidern?). Weil die gratis zu habende Selbstbezeichnung „inkorrekt“ die dahinterstehenden problematischen Einstellungen zur heldenhaften Pose umetikettiert. Weil diese „Inkorrektheit“ derart die Tür offen gehalten hat für Positionen wie Rassismus, die seit einiger Zeit nun wieder ungenierter artikuliert werden. (Matthias Dell, Übermedien)Sehr langer Artikel über Ulrich Greiner, sehr lesenswert, schon allein, weil er ihn in einen größeren Kontext stellt. Rechts zu sein, sich aber nicht rechts nennen zu wollen, ist ein weit verbreitetes Problem. Gerne nimmt man die Vorlagen der AfD auf, indem man sie als "Sorgen und Nöte der Bürger" verbrämt, distanziert sich dann von der kruden Form des ungefilterten Volkszorns, klebt ein paar gebildete Worte und Schachtelsätze drüber und fertig. Damit sollte man die Leute nicht so einfach davonkommen lassen. Ich bezeichne Demos des Schwarzen Blocks ja auch nicht als "Sorgen und Nöte der Bürger" und frage unschuldig, was die Politik gemacht hat, um so viel berechtigten Volkszorn zu erregen. Andere auf der Linken machen das, wofür sie dann ja auch zurecht (gerade hier im Blog) kritisiert werden. Da sollte man schon auch auf die andere Seite fair sein.
3) There’s Enough Evidence To Open A Criminal Investigation Into Ocasio-Cortez, Former FEC Commissioner Says
A former member of the Federal Election Commission (FEC) called for an investigation Sunday into alleged campaign finance violations by Democratic New York Rep. Alexandria Ocasio-Cortez and her top aide Saikat Chakrabarti. Ocasio-Cortez and Chakrabarti have since December 2017, held legal authority over Justice Democrats, the outside PAC credited with orchestrating her upset primary victory over incumbent Democratic New York Rep. Joe Crowley in June 2018, The Daily Caller News Foundation reported last week. The conservative National Legal and Policy Center (NLPC) also filed an FEC complaint last week, first reported by the Washington Examiner, alleging that Justice Democrats and another PAC controlled by Chakrabarti, Brand New Congress, funneled $1 million into two private companies under his control during the 2018 midterms. “As a former FEC commissioner who has studied the complaint against Ocasio-Cortez and Chakrabarti, I have concluded that there is unquestionably more than enough evidence to justify the FEC opening a civil investigation,” Hans von Spakovsky, now a Heritage Foundation senior legal fellow, wrote in a Fox News op-ed Sunday. Ocasio-Cortez never disclosed to the FEC that she and Chakrabarti, who served as her campaign chair, controlled Justice Democrats while it was simultaneously supporting her primary campaign. If the FEC finds that her campaign and the political action committee were operating in affiliation, it could result in her campaign receiving excessive contributions, former FEC commissioner Brad Smith told TheDCNF. (Andrew Kerr, The Daily Caller)Ich habe mehrfach davor gewarnt, den Kampf gegen Trump und Konsorten zu sehr auf der juristischen Ebene zu führen. Selbst wenn hier Erfolge erzielt werden würden (wonach es absolut nicht aussieht!), so öffnet man nur Tür und Tor, den politischen Kampf in die Gerichtshöfe zu verlegen. Das ist keine gute Idee, um es milde zu sagen, und der obige Bullshit zeigt ziemlich deutlich, warum. Ein Blick in die gerade unter amerikanischen Konservativen so häufig bemühte antike Geschichte zeigt warum. Die Eskalation der politischen Kämpfe am Ende der Republik zog sich auch in die Gerichte: Jeder Amtsinhaber musste damit rechnen, zu Ende seiner einjährigen Amtszeit von seinen Gegnern vor Gericht gezerrt und dort ruiniert zu werden. Der einzige Schutz davor waren ein mächtiges Patronagenetzwerk und ununterbrochene Amtszeiten. Beides widersprach im Geiste dem Aufbau der Republik und trieb die Einsätze immer weiter nach oben. Cäsars ganze politische und militärische Karriere fußt nur auf dem beständigen Versuch, sich Immunität vor den Gerichten und genug Geldmittel zu verschaffen. Es destabilisiert den Staat, wenn die Politiker plötzlich persönlich vor Gericht belangt werden, wo es um genuin politische Tatbestände geht. Das schafft Anreize, sich dem Justizsystem zu entziehen, und fördert eine Kaperung des Staates und der Gerichte durch die jeweilig herrschende Fraktion. Gleichzeitig muss diese den Machtverlust existenziell fürchten und wird jedes Mittel als recht betrachten, das zu verhindern. Man sollte den politischen Wettkampf auf Wahlen reduzieren, da gehört er hin.
4) Wie Deutschland es wieder einmal verhorstet hat
Deutschland hat es wieder einmal digital verhorstet. Die dringend notwendige Digitalsteuer wird nicht eingeführt. Man muss fair sein, es liegt nicht nur an der deutschen Bundesregierung, aber dann auch wieder doch. Das ist erklärungsbedürftig, und wie es sich für ein Vernetzungsthema gehört, hängt hier alles mit allem zusammen: Die Nichteinführung der Digitalsteuer hängt mit einem Algenpilz, der Urheberrechtsreform und der deutschen Autofixierung zusammen. [...] Die Digitalsteuer, die vor allem von Frankreich ausgeht, wurde von Deutschland und speziell vom zuständigen Finanzminister Olaf Scholz höchstens halbherzig unterstützt. Das liegt weniger daran, dass sie als Innovationshemmnis gilt. Hier wirkt die Urheberrechtsreform schlimmer, und da interessiert es die Bundesregierung kaum. Aber die amerikanische Regierung hat erbitterten Widerstand gegen die Digitalsteuer angekündigt. Sie wird als gegen US-Konzerne gerichtet angesehen, und das ist ja auch nicht völlig falsch. Dass gerade diese Unternehmen kaum Steuern zahlen und Europa davon einen massiven Steuerschaden davonträgt, interessiert die Regierung Trump nicht die Bohne. Deshalb haben die Amerikaner kaum verhohlen angedroht, dass sie im Falle einer Digitalsteuer den wirtschaftlichen Druck auf europäische Autokonzerne noch weiter erhöhen könnten. Wirkungstreffer. Denn das träfe das Autoland Deutschland ins Mark. So befürchtet die Bundesregierung jedenfalls. Und diese Befürchtung reicht in der aktuell ohnehin schwierigen Situation des Handelskonflikts mit den USA, um Deutschland zögerlich verhandeln zu lassen. Und das hat Folgen. Denn natürlich hat etwa Irland gegen eine Digitalsteuer gekämpft, weil sie das steuerbasierte, irische Digital-Wirtschaftswunder gedämpft hätte. Schweden mit dem Digitalkonzern Spotify ebenso. Aber wenn in der EU Frankreich und Deutschland entschlossen voranpreschen, geraten die anderen EU-Staaten unter großen Druck. So groß, dass die Digitalsteuer wahrscheinlich hätte eingeführt werden können. Hätte, hätte Autoindustrie. Jetzt wartet man auf eine "globale Lösung", also auf Godot. Danke, Deutschland. (Sascha Lobo, SpiegelOnline)Die Zusammenhänge, die Sascha Lobo hier aufzeigt, sind mehr als traurig. Die starke Durchsetzungskraft der entsprechenden Lobbies (Auto und Verleger) im Europaparlament, die im Übrigen in keinem Verhältnis zu den Klimaschützern steht, sorgt für ein völlig vermurkstes Ergebnis, das wieder einmal bestätigt, wie digitalfeindlich Deutschland im Speziellen und Europa im Allgemeinen sind. Wir brauchen uns über die meise digitale Infrastruktur und die völlige Verwundbarkeit auf diesem Feld wahrlich nicht wundern.
5) Why the College Admissions Scandal is so absurd // Kids are the victims of the Elite-College-obsession
Among the defendants are nearly three dozen parents whom federal prosecutors are charging with conspiracy and other crimes for allegedly using hefty sums of money to get their children into schools such as Yale, Georgetown, and the University of Southern California. Specifically, the newly unsealed court documents contend that these high-rolling parents—some of them public figures such as the actresses Felicity Huffman and Lori Loughlin, as well as Loughlin’s husband, the fashion designer Mossimo Giannulli—paid hundreds of thousands, and sometimes millions, of dollars per child to a fixer who would then use that money to allegedly bribe certain college officials or other conspirators to help secure the child’s admission. The country’s elite have long used their wealth to get their kids into top colleges via legal and widely recognized means—legacy and athletic admissions tend to favor the wealthy, and those who can pay for test prep and expensive sports get an additional leg up. In extreme cases, wealthy parents make hefty donations to schools, or, for example, pay for new campus buildings. The 33 parents now being charged allegedly opted instead for organized conspiracy. The alleged bribes were certainly cheaper than a building, and much simpler than paying for years of sports training. But the children of wealthy parents unwilling to risk jail time still get thumbs put on the scale for them in elite admissions offices every day. (Alia Wong, The Atlantic) At a time when one in five college students reports having had suicidal thoughts over the past year, we must hammer home to families the message that tunnel-visioning toward selective schools is not only misguided, but dangerous. Last year, a California 16-year-old committed suicide because, at his competitive public high school, which emphasized attending elite colleges, “So much pressure is placed on the students to do well that I couldn’t do it anymore,” he wrote in a suicide note. In 2018, Scott White, a New Jersey college counselor, posted an essay on a National Association for College Admission Counseling email list in which he said the college-admissions process “is the source of one of the most cruel, and truly unnecessary, abuses of our children.” A college counselor since 1981, he has “seen a remarkable increase in the number of kids who are just falling apart, checking out, harming themselves and medicating themselves. There are more suicide attempts, students cutting themselves, more hospitalizations, more cases of anorexia and bulimia, every year. And there is every sign that this will continue to rise, unabated, into the foreseeable future.” (Alexandra Robbins, The Atlantic)Drei Jahrzehntelang haben sich die Republicans in den USA am Thema "affirmative action", also den Quotenregelungen für Minderheiten für Zugänge zu den Eliteunis, abgearbeitet. Und dann zeigt sich (wenig überraschend), dass die riesige, dauerhafte affirmative action vielmehr die für die privilegierten Kids reicher weißer Eltern war, die jahrelang bestenfalls durchschnittlichen Nachwuchs durch die Eliteunis schleiften, indem sie mit massiven Geldinjektionen nachhalfen. Das ist ja wahrlich kein neues Phänomen. In Großbritannien und Frankreich haben sie das ja sogar zur Regierungsphilosophie gemacht. Da kann man echt nur froh sein, dass die Reformversuche der 2000er Jahre, in Deutschland Elite-Universitäten aufzubauen, so kläglich gescheitert sind. Es hing eben doch immer am Geld. Witzig ist auch, dass das en passant eine andere Frage neu belebt: wie viel vom Bildungserfolg hängt am Talent, und wie viel an den Umständen? Gerade bei der ewigen Diskussion um die Abiturientenquote kommt das ja immer wieder hoch. Erlaubt die Gesellschaft etwa nur für einen relativ kleinen Prozentsatz von Leuten, die gut genug sind, um die Anforderungen des höheren Bildungswegs zu meistern? Oder schaffen mit genügend Förderung effektiv alle das Abi, wenn man nur für Chancengleichheit sorgt? Das sind natürlich Extrempunkte der Debatte, aber die Tatsache, dass die soziale Herkunft ein so entscheidender Faktor ist, macht mich immer sehr skeptisch gegenüber den exklusiveren Zugängen zum Abitur. Gleichzeitig hat man natürlich nichts davon, wenn man die Leute nur "durchschleppt" und das Niveau senkt; tatsächliche Förderung wäre dafür schon nötig, und die kostet natürlich extrem und lohnt unter Umständen nicht. Schwierig. Der zweite Artikel ist in dem Zusammenhang auch deswegen interessant, weil die Kinder durch diesen enormen doppelten Druck - einerseits der "Elite"-Anspruch der Institution und andererseits die Erwartung der Eltern, dass ihr gigantisches Investment sich auszahlt - zu allem Überfluss oft genug auch noch leiden müssen. Die Zunahme an Burn-Out (oder wie man das beschriebene Phänomen auch immer bezeichnen will) ist ja real. In Deutschland haben wir dieses Problem ebenfalls weniger; wir arbeiten und eher an Studienabbrechern und Langzeitstudenten ab. Ob es wohl möglich ist, das Beste aus beiden Welten zu bekommen?
6) Justice Clarence Thomas is in the wrong line of work
What’s going on with Thomas? What makes him tick? This justice defies easy assessment. His influence is not nil; but given that he’s sat on the court for nearly three decades, he has produced very few significant opinions—majorities or dissents. His judicial philosophy is unusual, a brand of “originalism” that purports to find the “original public meaning” of constitutional provisions in an eccentric jumble of American and British sources. For example, he explained his vote in the same-sex marriage cases as flowing from the medieval Latin of the Magna Carta; in Brown v. Entertainment Merchants Association, he argued that the First Amendment allows states to ban sales of violent video games to minors by drawing on principles for Christian parents laid out in the Puritan Cotton Mather’s 1699 child-rearing manual, A Family Well-Ordered. So idiosyncratic is his approach that he often found himself at odds with the godfather of judicial originalism, the late Justice Antonin Scalia. Scalia, it’s been reported, took a slap at Thomas in his famous statement that “I am an originalist, but I am not a nut.” The conservative legal movement, while praising Thomas on ceremonial occasions, tends to both quote and follow Scalia. [...] And that’s my critique of Thomas on the bench, which I have made before. He’s in the wrong line of work. The “I know best about everything” attitude is excusable (though annoying) in a law professor, whose views cut no real-world ice with anyone, but they ill-become a judge. Good judges know what they must decide and what they need not. The late Judge John Butzner Jr. of the Fourth Circuit, for whom I clerked a quarter century ago, used to tell each new clerk, “Don’t talk to me about the law until you understand the facts.” Very often, we found, the broad questions that a case seemed to present vanished when we looked at what actually gave rise to the dispute. (Garrett Epps, The Atlantic)Ich verstehe Originalismus auf einer intellektuellen Ebene, aber ich verstehe ihn nicht. Wie kann jemand ernsthaft heutige Probleme lösen wollen, indem er aus alten Schriftstücken den Willen von einigen Männern zu ergründen versucht, die seit 200 Jahren tot sind? Ich fand das schon bei Scalia bescheuert, aber Thomas bringt das auf ein Level, da kommt die Karikatur nicht mehr hinterher. Ich nenne das immer "Founders-Ouija", nach dem Kinderspiel, bei dem man mit Gläserrücken mit Geistern aus dem Jenseits Kontakt aufzunehmen versucht. Das Gläserrücken der Originalisten ist zwar deutlich anspruchsvoller (mit dem ganzen aufrichtigen Quellenstudium), aber ich finde die ganze Fragestellung zutiefst merkwürdig. Das erlaubt mir übrigens ein schönes Bisschen Introspektive und Selbstreflexion. Denn ich glaube, dass meine Gefühle gegenüber dem Originalismus (der mir als unwissenschaftliches, selbstreferenzielles Blendwerk erscheint) sind mehr oder weniger die Gleichen, die viele Konservative gegenüber Gender Studies hegen. Auf einem intellektuellen Level versteht man das Argument, aber man hat überhaupt keinen Zugang dazu, findet die ganze Fragestellung frivol und fühlt sich instinktiv von der Idee abgestoßen, dass gesellschaftlich relevante Fragen auf dieser Basis entschieden werden sollen. Kommentatoren, was haltet ihr von dieser Analogie? Ist das zutreffend?
Speziell das Aufkommen an Plastikabfallverpackungen hat sich in Deutschland in den letzten 20 Jahren verdoppelt, unter anderem weil wir immer mehr unterwegs essen. Gleichzeitig gibt es aber auch genug Beispiele wirklich überflüssiger Verpackungen. Die Vermeidung ist also die eigentliche wichtigste Aufgabe. Gleichzeitig erfüllen Verpackungen aber auch vielfältige Funktionen - uns ist zum Beispiel überhaupt nicht geholfen, wenn wir durch Verzicht auf Verpackungen mehr Lebensmittelabfälle verursachen würden. Hier sind innovative Lösungen gefragt, die über das reine Austauschen von Plastik durch Papier oder noch schlimmer Alufolie gehen - beide Materialien sind in der Ökobilanz kein Stück besser. Wenn wir weg wollen von unserem linearen System der Verpackung, die wir häufig nur aufreißen und wegschmeißen, hin zu wirklich ressourcenschonenden Lösungen, wird das nur funktionieren, wenn wir ganz vorne anfangen: Wie lässt sich die gleiche Funktion und Qualität erreichen, ohne dass wir zum Beispiel die Hälfte der Verpackungsabfälle verbrennen müssen, weil sie häufig aus zu vielen vermischten Kunststoffen bestehen? (Petra Mertens, ZDF)Ich finde diese Erkenntnisse, dass lange gehegte Faustregeln ("Papier ist umweltfreundlicher als Plastik", "Licht lieber brennen lassen als Aus- und Anschalten") aus dem Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes einer empirischen Betrachtung nicht standhalten können. Das ist faszinierend, weil die Plastikvermeidung mindestens seit meiner Kindheit in den frühen 1990ern Jahren ein Dauermantra ist (nicht, dass das viel geholfen hätte; Plastikmüll nimmt immer mehr zu). Und natürlich IST Plastikmüll ein Riesenproblem, man muss sich nur mal die Verseuchung der Weltmeere ansehen! Aber: Nur weil man ein Problem korrekt identifiziert hat (Plastik ist irgendwie nicht so knorke) sollte man sich nicht von Umweltromantik verführen lassen. Braune Papiertüten sehen zwar instinktiv umweltfreundlicher aus als weißes Plastik, sind es aber nicht. Wie in so wahnsinnig vielen Bereichen von Regierungshandeln bräuchte es deutlich rigorosere Empirie und Kosten-Nutzen-Analysen, dass man danach vernünftige Regulierungen schreiben kann. Nur passiert das meistens nicht, und alles bleibt in dieser wirren Bauchgefühlswelt. Ob man dieses Bauchgefühl nun als Grund für Handeln oder Nicht-Handeln hernimmt ist dabei egal.
Joe Biden is so enamored of his own ability to woo Republicans that he insists upon noting that he has even worked in the past with arch-segregationists. Cory Booker cites bipartisanship as a reason not to eliminate the 60-vote requirement for legislation: “We need to understand that there’s good reason to have a Senate where we are forced to find pragmatic bipartisan solutions. Let’s be a country that operates from that sense of common purpose.” [...] The Obama presidency was an eight-year experiment in the possibility of obtaining Republican support for major initiatives. It is impossible to imagine a more conclusive result. Despite having jacked up the deficit during the entirety of the presidencies both before and after Obama’s, Republicans spent the entire time insisting on massive fiscal austerity despite facing objectively the most favorable conditions for stimulus spending since World War II. Obama’s offer to support John McCain’s cap-and-trade plan and Mitt Romney’s health-care plan drew almost zero Democratic and zero Republican votes, respectively. Republicans wouldn’t even accept a deal to trim Medicare spending in return for tax reform. McConnell publicly stated his logic at the time: putting the bipartisan imprimatur on Obama’s policies would make the policies popular. More than mere strategy was at work. By waging partisan war against any of Obama’s initiatives, Republicans helped persuade their voters that his ideas — even those with a solid moderate Republican pedigree — were dangerous socialism. And the more fearful Republican voters became, the harder it was for Republicans to negotiate anything with Obama.(Jonathan Chait, New York Magazine)
Was mir unklar ist, wenn ich Leute wie Biden, Schumer oder Pelosi davon reden höre, ist, ob die den Mist wirklich glauben. Sagen sie einfach, dass sie überparteilich arbeiten wollen, weil die Bevölkerung das gerne hört (immer noch)? Oder sind sie ernsthaft der Überzeugung, dass sie kraft ihrer unwiderstehlichen Persönlichkeit in der Lage sein werden, das Problem zu lösen? Wenn es ersteres ist, könnte ich das noch nachvollziehen. Ich halte es trotzdem für eine falsche Strategie, weil völlig unhaltbare Erwartungen geweckt und von Beginn an Optionen verschlossen werden. Aber es wäre wenigstens rational. Ist es dagegen Option 2, dann kann ich den Leuten echt nicht helfen. Es sollte mittlerweile völlig offensichtlich sein, dass die komplette Partei der Republicans exakt NULL Interesse an Kompromissen hat. Keinen. Nicht einmal, wenn für jede Forderung der Democrats drei der Republicans erfüllt werden. Wer das in den Obamajahren nicht verstanden hat, hat den Schuss nicht gehört. Seit 2016 radikalisiert sich zudem die Basis der Democrats zunehmend. Ich sehe nicht, wie das Gerade von bipartisanship bei den Wählern von Alexandra Ocasio-Cortez auf Gegenliebe stößt. Vielleicht täusche ich mich, und es gibt tatsächlich noch signifikate Anteile von Wählern, die das wollen (wo ist Nate Silver, wenn man ihn mal braucht?), aber ich bin skeptisch.
9) Conservative Think Tank Says GND Would Cost $93 Trillion
10) Der neue Kampf gegen die Gender Studies
11) Beto O’Rourke Has a Good Reason He’s Running. He Just Can’t Say It.
As it happens, nearly all of the $93 trillion cost comes from two things: universal health care and a jobs guarantee. The other items, which are the ones that actually fight climate change, clock in at $10-14 trillion, or about $1 trillion per year. Is that a fair estimate? Nobody knows. More generally, though, is it even fair to attempt an estimate in the first place? After all, the GND famously lacks any details on which to judge this stuff. Because of this, climate hawks are crying foul. [...] And after all, what did the GND folks expect? They’re the ones who stuffed their document with everything but the kitchen sink. Did they seriously think that everyone would hold back on cost estimates out of a sense of fair play or something? If they did, they’re morons. Of course opponents are going to try to put a number on it. And if you’re not willing to fight back with your own number, then you’ve left the field wide open to the opposition. This puts the GND folks in a pickle. They can’t fight back with their own number, because they know that any semi-reasonable number is going to be really high. Maybe not $93 trillion over ten years, but still pretty high. These are just fundamentally expensive programs they’ve proposed. This is the downside of proposing a big, comprehensive program. Yes, a big program is what the world needs. We are, after all, trying to stave off planetary suicide. But if you insist on a big, comprehensive program, then it’s going to have big, comprehensive costs. Can you whip up public support even when opponents throw these costs in your face? If you can’t, then your program is a dead letter. So you better figure out how to deal with this. (Kevin Drum, Mother Jones)Kevin Drum macht hier einen absolut zentralen Punkt. Egal, was man vom Green New Deal denkt, die Tatsache, dass seine Proponenten von den Reaktionen überrascht sind, spricht nicht sonderlich für sie. Wenn man auf Projekte eine Zahl klatscht, wird diese diskutiert, und wenn man keine Zahl draufklatscht, lädt man den Gegner ein, es zu tun. Und die Ausmaße beim GND sind derart gigantisch, dass auch die Zahlen gigantisch sind - und das alles füttert das Narrativ seiner Gegner, dass es sich um ein grundlegend phantastisches und unrealistisches Projekt handelt. Und das ist es auch! Der Green New Deal bedeutet, wenn man ihn ernstnimmt (was übrigens seine Erfinder und Kernvertreter auch offen sagen!), dass man die komplette Wirtschaft umstellt. Der Vergleich, den die Green-New-Deal-Leute bringen, ist die Umstellung der US-Wirtschaft von Friedens- auf Kriegsproduktion ab 1941; die Lektüre, die sie empfehlen, ist William Knudsen, also der Mann, der dieses Kunststück vollbrachte. Kein Democrat ist jedoch so verblendet zu glauben, dass damit Wahlen zu gewinnen wären. Deswegen bleiben sie wischi-waschi und nennen ihr jeweiliges kleines policy-Set den "Green New Deal". Und diese Unschärfe erlaubt es den Republicans, ihre eigene Version zu definieren. Bisher wirkt das alles reichlich amateurhaft.
10) Der neue Kampf gegen die Gender Studies
Wie die Soziologen Roman Kuhar und David Paternotte in Anti-Gender Campaigns in Europe festgestellt haben, hat die Anti-Gender-Bewegung sich längst über die Grenzen zunehmend autoritärer werdender Länder hinaus ausgebreitet. Deren zunehmend organisierte Angriffe auf die „Gender-Ideologie“ und „Gender-Theorie“ stehen stellvertretend für die Ablehnung von Ehegleichheit, reproduktiver Selbstbestimmung, sexuellem Liberalismus und der Anti-Diskriminierungspolitik. Das ist Teil einer neo-traditionalistischen Wende, und es ist daher ein globales Problem geworden, wie wir der Frage der sexuellen Rechte und der geschlechtsspezifischen „Identität“ im 21. Jahrhundert begegnen wollen. [...] Der neue Krieg gegen die Gender Studies richtet sich nicht nur gegen Universitäten und Forschungseinrichtungen in noch jungen Demokratien. Er ist viel allgemeiner und globaler. Er ist Teil eines neuen Kulturkampfs, der auf alle Bereiche zielt, in denen die kritische Forschung im Bereich Gender und Sexualität die Sichtbarkeit von verwundbaren Gruppen der Bevölkerung verbessert und zu wichtigen rechtlichen Schutzmaßnahmen und Errungenschaften geführt hat. Der neue Kulturkampf ist flexibel genug, um sowohl die Gebildeten als auch die Abgehängten und Prekarisierten anzusprechen. Er vereinigt den Populisten mit dem konservativen Rechten. Sein zur Natur verklärter Blick auf Geschlechterunterschiede beruhigt den Traditionalisten und spricht gleichzeitig diejenigen an, die einfach finden, dass einzelne Bereiche der akademischen Forschung und Expertise „zu weit gegangen“ seien. Und schließlich ist es auch ein Effekt dieses Kulturkampfes, dass die Anti-Gender-Bewegungen selbst unter Frauen und „Queeren“ Anhänger finden, welche „differentielle“ Formen des „empowerment“, das auch „natürliche“ Unterschiede respektiert, durchaus attraktiv finden. Denn im Zeitalter der Identitätspolitik hat die Vorstellung, Biologie sei Schicksal, wieder eine große Anziehungskraft. Der neue Kulturkampf ist eine neo-traditionalistische Reaktion auf den sexuellen Liberalismus in all seinen Formen. Am deutlichsten erkennt man das an der Mobilmachung gegen den Aufklärungsunterricht und gegen Unisex-Toiletten sowie an den Drohungen gegen LehrerInnen und WissenschaftlerInnen in „anderen Teilen der Welt“. Aber die Bewegung ist nicht minder schändlich und aktiv darin, auf den Mainstream bei uns zu zielen. In jüngster Zeit konnte man das an der Heuchelei beobachten, mit der Social Media-Konzerne behaupteten, dass Algorithmen nicht in der Lage seien, zwischen „sex positivity“ und Pornografie zu unterscheiden. Genau in dem Moment, als feministische, sex-positive und LGBTQI-Positionen sichtbarer wurden und ihre Vertreterinnen das digitale Feld zu einem Raum des Aktivismus, der Kunst und Konversation, des Kommerz und des Begehren gestaltet hatten, ist auch der zuverlässig egalitäre Jargon der sozialen Medien einer Angstmache und moralisierenden Panik zum Opfer gefallen. (Jennifer Evans, Geschichte der Gegenwart)Wie bereits in Fundstück 6 beschrieben ist die Ablehnung der Gender Studies häufig eine ziemlich fundamentale, die mit grundlegenden Vorstellungen von Werten, Normen und Funktionsweisen verbunden ist. Die oben verlinkte Analyse des Kampfs gegen Gender Studies ist daher empfehlenswert, ob man die Disziplin ablehnt oder nicht, weil sie schön die verschiedenen Dimensionen der Debatte herausarbeitet.
11) Beto O’Rourke Has a Good Reason He’s Running. He Just Can’t Say It.
O’Rourke has already drawn a fair amount of mockery for his closing quote, “Man, I’m just born to be in it, and want to do everything I humanly can for this country at this moment.” But he’s not claiming to be entitled to the presidency. He is saying he has natural gifts as a political communicator, and believes he should put them to use for the purpose of beating Donald Trump and otherwise making the world a better place. This is a good reason to run for the presidency! Politics is a team sport, and enacting political change requires effort from a wide array of actors: policy advisers, legislators, bureaucrats, and activists. The president of the United States is only one of those actors, albeit the most important by far, and his or her most important role is serving as a messenger for the party. Being an effective, telegenic communicator is a crucial job qualification and a vital asset. O’Rourke’s argument is that he’s sufficiently well-versed in policy to make good decisions — which, again, may or may not be true, but which he’ll have the chance to demonstrate — and that his skills as a communicator set him apart. His problem is that this is not a case that can be made explicitly. Nobody runs for the presidency by calling themselves a talented politician. It’s too meta, too gauche. O’Rourke is trying to find ways to express his rationale without putting it in so many words. He has a reason to run. It’s a good reason. It’s just not one he can say out loud. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Chaits Argument, dass die reine Fähigkeit, ein Amt auch auszüben, ein ziemlich guter Grund ist, kann ich nur unterstützen. Viel zu oft wird in der Debatte die entsprechende Kompetenz nicht nur als unbedeutend eingestuft, sondern gar als Hinderungsgrund gesehen. Dabei ist die Bilanz von Außenseitern in der Politik alles, aber nicht gut. Als Minister versagen sie fast immer, als Staatsoberhäupter ebenso.
Ob jetzt Beto O'Rourke die beste Alternative der Democrats ist, weiß ich nicht. Der Mann hat unzweifelhaft Charisma, und er strahlt einen starken Obama-vibe aus, aber sonst? Vielleicht ist er "the real deal". Vielleicht ist er auch ein Sack heiße Luft. Einer der Vorteile einer so kompetitiven Vorwahlsaison wie dieser ist, dass sich die Spreu da durchaus vom Weizen trennt. Der Start von O'Rourkes Wahlkampf jedenfalls ging schon mal ziemlich in die Hose.
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