Donnerstag, 30. Juli 2020

Linke chinesische Grüne mischen die Polizeidienststelle mit Globuli aus dem Supreme Court auf - Vermischtes 30.07.2020

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

Samstag, 18. Juli 2020

Republikanische Wähler putschen im Iran und setzen Frauenquoten in der CDU durch - Vermischtes 18.07.2020 Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. 1) How the GOP Built a Loyal Hispanic Base
In a sense, then, it’s paradoxical that the Republican Party’s abandonment of the civil rights mantle—firmly seized in the 1960s by Democrats—helped spur its aggressive courting of Hispanics. But after the Civil Rights Act was passed, the party had to search for ways to make up the support it knew it would no longer receive from African Americans. To help do so, Republican operatives turned to leaders in the Mexican American and Cuban American communities who had a deep allegiance to values like religion, free enterprise, and anti-communism. These leaders, not willing to abandon civil rights altogether, hoped that they could move the GOP toward adopting greater respect for immigrants and greater educational opportunity. They became some of the party’s earliest Hispanic boosters. [...] If Reagan’s more balanced approach provided a more solidified, loyal Hispanic base, the years under both George H. W. and George W. Bush illustrated the ways in which demonstrating familiarity and respect can help such a base grow. Both Bushes appointed multiple Latinos to their cabinets as well as other key posts, and both took policy positions that showed a better understanding of the community and its concerns, if not alignment with the majority of its people. They were visibly pro-immigrant, and both made policy overtures on issues like education and trade, which were important to Hispanic Republican leaders. Both Bushes were important counterweights to the GOP’s growing restrictionist wing. The younger Bush, for example, resisted attempts to deny nonemergency health care, public schooling, and other services to undocumented immigrants while governor of Texas, and supported bilingual education. He was rewarded with high-water marks of Hispanic support for a Republican presidential candidate: 40 percent in 2000, and 44 percent in 2004. (Cecilia Munos, Washington Monthly)
Es ist faszinierend, wie die GOP einerseits die gewaltigen Fortschritte der Bush-Ära komplett verspielt hat und wie groß andererseits der Anteil der Latinx-Menschen ist, die der Partei immer noch die Stange halten. Ich denke, dahinter steckt eine ähnliche Dynamik wie mit den Deutschtürken: eigentlich sollte die CDU für sie eine attraktive Partei sein - Stichwort traditionelle Werte - aber Rassismusprobleme treiben diese Wählerpotenziale immer weg. In den USA funktioniert diese Dynamik besser, weil der Anti-Latinx-Rassismus der GOP spezifischere Herkunftsländer anvisiert. So ist die Partei sehr freundlich gegenüber Kubanern, während sie offen rassistisch gegen die "Festlands-Latinx" operiert. Dieses Artefakt aus der Zeit der kubanischen Revolution hält sich sehr hartnäckig und hilft der GOP sehr. Aber mittlerweile dürfte die Türe für eine Öffnung gegenüber dieser Ethnie weitgehend zugeschlagen sein. 2) Penny-wise, pound-foolish: The Iranian Coup of 1953
“For the cost of a few hired mobs,” writes Brands, Operation TPAJAX established Iran’s pro-U.S. strategic alignment “for 25 years.” [...] The United States stuck with the shah, as it stuck with many military dictators in the Global South. Part of this was preference — policymakers distrusted Iran’s nationalists and believed that the shah, despite his faults, offered the best way of maintaining Iran’s pro-U.S. strategic alignment. Policy choices had limited U.S. options: By toppling Mosaddeq, subverting Iran’s Constitution, and raising the shah to the level of dictator, the United States narrowed its field of viable allies in Iran. TPAJAX eliminated the short-term threat of communism, but did little to stabilize Iran or ensure its pro-U.S. alignment should the shah’s position weaken. Brands’ prediction of a return to Cold War-era covert regime change looks like it might be coming true. In 2020, supporters of the Trump administration’s policy of “maximum pressure” against the Islamic Republic of Iran defend regime change as a feasible and “liberal” policy option. Reexamining the 1953 coup’s planning, execution, and impact is relevant to examining the current U.S. stance toward Iran. The coup of 1953 served U.S. interest, but only in a narrow sense. Policymakers considering a similar campaign against the Islamic Republic would do well to consider this history, and its implications for contemporary policy. (Gregory Brews, War on the Rocks)
Wenn man das Zitat liest, dass US-Sicherheitspolitiker es tatsächlich als einen guten Trade-Off betrachteten, einen brutalen aber US-freundlichen Diktator 25 Jahre im Amt gehalten zu haben, läuft einem der kalte Schauer über den Rücken. Nicht nur, dass das Regime des Schahs an Brutalität dem folgenden Ayatollah-Regime in wenig nachstand. Auch ist der Iran seit mittlerweile über 40 Jahren eine brutale islamistische Diktatur, ein Dauer-Unruheherd in der Region und proliferierter Stifter von Terrorismus. Niemals wäre Mossadeghs semi-sozialistische Politik, die die USA mit ihrem Putsch zu stoppen hofften, so schlimm gewesen wie Schah oder Ayatollah. Stattdessen hätte man einen blockfreien, säkularen Iran gehabt. Das wäre aus heutiger Sicht traumhaft. Die Geschichte des Kalten Krieges ist voll solcher schlechter Entscheidungen. 3) Kramp-Karrenbauer will verbindliche Frauenquote in der CDU
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer plädiert für Parität in ihrer Partei. Zudem will sie die Gruppierung Lesben und Schwule in der Union (LSU) aufwerten. Ihr Plan: Bis zum Jahr 2023 soll in der CDU eine verbindliche Frauenquote von 50 Prozent durchgesetzt werden und die LSU soll als "Sonderorganisation" offiziell anerkannt werden. [...] Mit dem Status einer "Sonderorganisation" hätte die LSU Rechte zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung der CDU und würde ein eigenes Antragsrecht auf dem Bundesparteitag bekommen. [...] Über die Frauenquote heißt es: "Frauen sollen an Parteiämtern in der CDU und an öffentlichen Mandaten gleich beteiligt sein." Über die Quote wird in der CDU schon länger kontrovers diskutiert. Die Frauen-Union hatte unter anderem beantragt, das Quorum von einem Drittel Frauen mit Ämtern und Mandaten verbindlich zu machen und für Kandidatenlisten überwiegend die hälftige Besetzung mit Frauen vorzusehen. (dpa, SpiegelOnline)
Mittlerweile hat uns Stefan Pietsch ja bereits ein flammendes Plädoyer gegen die Frauenquote gegeben, weswegen ich hier vor allem das Quotenthema als symbolisch für den innerparteilichen Wandel der CDU diskutieren will. Kramp-Karrenbauer steht ja in der Tradition der Merkel-Modernisierung, einer Akzeptanz des gesellschaftlichen Wandels seit 1998 - und damit in ziemlicher Opposition zu Friedrich Merz, der sich klar als Vertreter der traditionelleren CDU inszeniert. Das Problem für Merz und andere eher mit der Werteunion sympathisierende Leute ist, dass die Mehrheitsmeinung sich mittlerweile fundamental gedreht hat. Merz' Herumlavieren gegenüber Kramp-Karrenbauers Vorstoß - er vermied es sehr pointiert, sich dagegen auszusprechen - er erklärte im Endeffekt, er sei dagegen, aber dafür wenn man ihn wähle - dass es ein "Zurück" für die CDU nicht geben kann. Wer auch immer Merkel beerben wird sollte sich besser von der Illusion verabschieden, sie in die vermeintlich glorreichen Zeiten der geistig-moralischen Wende zurückführen zu wollen. 4) Study on Harvard finds 43 percent of white students are legacy, athletes, related to donors or staff

The study, published earlier this month in the National Bureau of Economic Research, found that 43 percent of white students admitted to Harvard University were recruited athletes, legacy students, children of faculty and staff, or on the dean’s interest list — applicants whose parents or relatives have donated to Harvard. That number drops dramatically for black, Latino and Asian American students, according to the study, with less than 16 percent each coming from those categories. The study also found that roughly 75 percent of the white students admitted from those four categories, labeled 'ALDCs' in the study, “would have been rejected if they had been treated as white non-ALDCs,” the study said. Almost 70 percent of all legacy applicants are white, compared with 40 percent of all applicants who do not fall under those categories, the authors found. “Removing preferences for athletes and legacies would significantly alter the racial distribution of admitted students, with the share of white admits falling and all other groups rising or remaining unchanged,” the study said. Harvard’s acceptance rate for its class of 2023 was just 4.5 percent. (Danielle Silva, NBC)

Wo wir gerade bei Quoten sind, was in den USA super funktioniert ist die Quote für Kinder reicher weißer Menschen, trotz ungenügender Leistungen in den Genuss von angesehenen Zertifikaten und einflussreichen Netzwerken zu kommen. Die Legacy Admissions sind nichts als gekaufte Zugänge zu den Eliteunis, und es ist wenig verwunderlich, dass fast die Hälfte aller Studenten aus denen kommt. Auch wenig verwunderlich, dass Quoten für diese Institutionen so erbittert abgelehnt werden, denn sie erzwingen eine Auswahl von StudentInnen, die tatsächlich Leistungen erbracht haben und nicht nur über Geld verfügen. Jeder Prozentpunkt der Studentenschaft, der über eine Quote nach Harvard kommt, ist ein Prozentpunkt, den die Institution nicht verkaufen kann. Das bekommt man eben bei einem auf Gewinn ausgerichteten privaten Unternehmen. 5) Biracial student charged with murder says he was standing his ground
After the two made a late-night run to Taco Bell, Johnson said, they were harassed in traffic by a group in a black Chevrolet Silverado. The attorney said that males in the pickup hung out the windows, yelling a racial slur at Wilson, calling his white girlfriend an “(n-word) lover,” and screaming, “Your lives don’t matter.” The Silverado then tried to run Wilson’s smaller Ford Focus off the road, according to Johnson. When Wilson heard something strike his car, he shot at the truck, Johnson said. [...] Twenty pages of investigative records on the case, released by the Statesboro Police Department and based mostly on accounts from passengers in the Silverado, describe two to three shots being fired, then a final bullet going through truck’s rear window and striking Hutcheson, who was in the center of the back seat, in the head. Hutcheson died later at East Georgia Regional Medical Center. Wilson turned himself in to police on June 17 and has been held in the Bulloch County jail since then. Johnson and other members of Wilson’s defense team expressed outrage Monday that police omitted the self-defense angle in their public statements about the case, accusing police of giving far more credibility to the accounts of the four white teens who were with Hutcheson in the pickup. The driver told police that he, the other two boys and two girls had all been drinking earlier. Wilson and his girlfriend told police about the racial slurs and nearly being run off the road, the defense attorney said, but the investigative notes say little about their accounts other than that his girlfriend “admitted observing Wilson shoot in the direction of the black truck” and that Wilson “admitted to shooting ‘under’ the truck.” (Johnny Edwards, AJC)
Die krasse Ungleichbehandlung von Schwarzen und Weißen in Bezug auf ihre Second-Amendment-Rechte ist mehr als deutlich, aber hier sieht man mal wieder ein Beispiel. Wo Frank Zimmermann auf offener Straße ein Kind ermorden konnte und problemlos straffrei davonkam, wird ein Schwarzer, der sich seines Lebens wehrt, sofort als Täter behandelt. Die Waffenrechte waren immer schon rassistische Instrumente und galten nur für Weiße; das haben Mitte des 20. Jahrhunderts ja die Black Panther auch schon eindrücklich bewiesen.

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) How the GOP Built a Loyal Hispanic Base
In a sense, then, it’s paradoxical that the Republican Party’s abandonment of the civil rights mantle—firmly seized in the 1960s by Democrats—helped spur its aggressive courting of Hispanics. But after the Civil Rights Act was passed, the party had to search for ways to make up the support it knew it would no longer receive from African Americans. To help do so, Republican operatives turned to leaders in the Mexican American and Cuban American communities who had a deep allegiance to values like religion, free enterprise, and anti-communism. These leaders, not willing to abandon civil rights altogether, hoped that they could move the GOP toward adopting greater respect for immigrants and greater educational opportunity. They became some of the party’s earliest Hispanic boosters. [...] If Reagan’s more balanced approach provided a more solidified, loyal Hispanic base, the years under both George H. W. and George W. Bush illustrated the ways in which demonstrating familiarity and respect can help such a base grow. Both Bushes appointed multiple Latinos to their cabinets as well as other key posts, and both took policy positions that showed a better understanding of the community and its concerns, if not alignment with the majority of its people. They were visibly pro-immigrant, and both made policy overtures on issues like education and trade, which were important to Hispanic Republican leaders. Both Bushes were important counterweights to the GOP’s growing restrictionist wing. The younger Bush, for example, resisted attempts to deny nonemergency health care, public schooling, and other services to undocumented immigrants while governor of Texas, and supported bilingual education. He was rewarded with high-water marks of Hispanic support for a Republican presidential candidate: 40 percent in 2000, and 44 percent in 2004. (Cecilia Munos, Washington Monthly)
Es ist faszinierend, wie die GOP einerseits die gewaltigen Fortschritte der Bush-Ära komplett verspielt hat und wie groß andererseits der Anteil der Latinx-Menschen ist, die der Partei immer noch die Stange halten. Ich denke, dahinter steckt eine ähnliche Dynamik wie mit den Deutschtürken: eigentlich sollte die CDU für sie eine attraktive Partei sein - Stichwort traditionelle Werte - aber Rassismusprobleme treiben diese Wählerpotenziale immer weg. In den USA funktioniert diese Dynamik besser, weil der Anti-Latinx-Rassismus der GOP spezifischere Herkunftsländer anvisiert. So ist die Partei sehr freundlich gegenüber Kubanern, während sie offen rassistisch gegen die "Festlands-Latinx" operiert. Dieses Artefakt aus der Zeit der kubanischen Revolution hält sich sehr hartnäckig und hilft der GOP sehr. Aber mittlerweile dürfte die Türe für eine Öffnung gegenüber dieser Ethnie weitgehend zugeschlagen sein.

2) Penny-wise, pound-foolish: The Iranian Coup of 1953
“For the cost of a few hired mobs,” writes Brands, Operation TPAJAX established Iran’s pro-U.S. strategic alignment “for 25 years.” [...] The United States stuck with the shah, as it stuck with many military dictators in the Global South. Part of this was preference — policymakers distrusted Iran’s nationalists and believed that the shah, despite his faults, offered the best way of maintaining Iran’s pro-U.S. strategic alignment. Policy choices had limited U.S. options: By toppling Mosaddeq, subverting Iran’s Constitution, and raising the shah to the level of dictator, the United States narrowed its field of viable allies in Iran. TPAJAX eliminated the short-term threat of communism, but did little to stabilize Iran or ensure its pro-U.S. alignment should the shah’s position weaken. Brands’ prediction of a return to Cold War-era covert regime change looks like it might be coming true. In 2020, supporters of the Trump administration’s policy of “maximum pressure” against the Islamic Republic of Iran defend regime change as a feasible and “liberal” policy option. Reexamining the 1953 coup’s planning, execution, and impact is relevant to examining the current U.S. stance toward Iran. The coup of 1953 served U.S. interest, but only in a narrow sense. Policymakers considering a similar campaign against the Islamic Republic would do well to consider this history, and its implications for contemporary policy. (Gregory Brews, War on the Rocks)
Wenn man das Zitat liest, dass US-Sicherheitspolitiker es tatsächlich als einen guten Trade-Off betrachteten, einen brutalen aber US-freundlichen Diktator 25 Jahre im Amt gehalten zu haben, läuft einem der kalte Schauer über den Rücken. Nicht nur, dass das Regime des Schahs an Brutalität dem folgenden Ayatollah-Regime in wenig nachstand. Auch ist der Iran seit mittlerweile über 40 Jahren eine brutale islamistische Diktatur, ein Dauer-Unruheherd in der Region und proliferierter Stifter von Terrorismus. Niemals wäre Mossadeghs semi-sozialistische Politik, die die USA mit ihrem Putsch zu stoppen hofften, so schlimm gewesen wie Schah oder Ayatollah. Stattdessen hätte man einen blockfreien, säkularen Iran gehabt. Das wäre aus heutiger Sicht traumhaft. Die Geschichte des Kalten Krieges ist voll solcher schlechter Entscheidungen.

3) Kramp-Karrenbauer will verbindliche Frauenquote in der CDU
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer plädiert für Parität in ihrer Partei. Zudem will sie die Gruppierung Lesben und Schwule in der Union (LSU) aufwerten. Ihr Plan: Bis zum Jahr 2023 soll in der CDU eine verbindliche Frauenquote von 50 Prozent durchgesetzt werden und die LSU soll als "Sonderorganisation" offiziell anerkannt werden. [...] Mit dem Status einer "Sonderorganisation" hätte die LSU Rechte zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung der CDU und würde ein eigenes Antragsrecht auf dem Bundesparteitag bekommen. [...] Über die Frauenquote heißt es: "Frauen sollen an Parteiämtern in der CDU und an öffentlichen Mandaten gleich beteiligt sein." Über die Quote wird in der CDU schon länger kontrovers diskutiert. Die Frauen-Union hatte unter anderem beantragt, das Quorum von einem Drittel Frauen mit Ämtern und Mandaten verbindlich zu machen und für Kandidatenlisten überwiegend die hälftige Besetzung mit Frauen vorzusehen. (dpa, SpiegelOnline)
Mittlerweile hat uns Stefan Pietsch ja bereits ein flammendes Plädoyer gegen die Frauenquote gegeben, weswegen ich hier vor allem das Quotenthema als symbolisch für den innerparteilichen Wandel der CDU diskutieren will. Kramp-Karrenbauer steht ja in der Tradition der Merkel-Modernisierung, einer Akzeptanz des gesellschaftlichen Wandels seit 1998 - und damit in ziemlicher Opposition zu Friedrich Merz, der sich klar als Vertreter der traditionelleren CDU inszeniert. Das Problem für Merz und andere eher mit der Werteunion sympathisierende Leute ist, dass die Mehrheitsmeinung sich mittlerweile fundamental gedreht hat. Merz' Herumlavieren gegenüber Kramp-Karrenbauers Vorstoß - er vermied es sehr pointiert, sich dagegen auszusprechen - er erklärte im Endeffekt, er sei dagegen, aber dafür wenn man ihn wähle - dass es ein "Zurück" für die CDU nicht geben kann. Wer auch immer Merkel beerben wird sollte sich besser von der Illusion verabschieden, sie in die vermeintlich glorreichen Zeiten der geistig-moralischen Wende zurückführen zu wollen.

4) Study on Harvard finds 43 percent of white students are legacy, athletes, related to donors or staff
The study, published earlier this month in the National Bureau of Economic Research, found that 43 percent of white students admitted to Harvard University were recruited athletes, legacy students, children of faculty and staff, or on the dean’s interest list — applicants whose parents or relatives have donated to Harvard. That number drops dramatically for black, Latino and Asian American students, according to the study, with less than 16 percent each coming from those categories. The study also found that roughly 75 percent of the white students admitted from those four categories, labeled 'ALDCs' in the study, “would have been rejected if they had been treated as white non-ALDCs,” the study said. Almost 70 percent of all legacy applicants are white, compared with 40 percent of all applicants who do not fall under those categories, the authors found. “Removing preferences for athletes and legacies would significantly alter the racial distribution of admitted students, with the share of white admits falling and all other groups rising or remaining unchanged,” the study said. Harvard’s acceptance rate for its class of 2023 was just 4.5 percent. (Danielle Silva, NBC)
Wo wir gerade bei Quoten sind, was in den USA super funktioniert ist die Quote für Kinder reicher weißer Menschen, trotz ungenügender Leistungen in den Genuss von angesehenen Zertifikaten und einflussreichen Netzwerken zu kommen. Die Legacy Admissions sind nichts als gekaufte Zugänge zu den Eliteunis, und es ist wenig verwunderlich, dass fast die Hälfte aller Studenten aus denen kommt. Auch wenig verwunderlich, dass Quoten für diese Institutionen so erbittert abgelehnt werden, denn sie erzwingen eine Auswahl von StudentInnen, die tatsächlich Leistungen erbracht haben und nicht nur über Geld verfügen. Jeder Prozentpunkt der Studentenschaft, der über eine Quote nach Harvard kommt, ist ein Prozentpunkt, den die Institution nicht verkaufen kann. Das bekommt man eben bei einem auf Gewinn ausgerichteten privaten Unternehmen.

5) Biracial student charged with murder says he was standing his ground
After the two made a late-night run to Taco Bell, Johnson said, they were harassed in traffic by a group in a black Chevrolet Silverado. The attorney said that males in the pickup hung out the windows, yelling a racial slur at Wilson, calling his white girlfriend an “(n-word) lover,” and screaming, “Your lives don’t matter.” The Silverado then tried to run Wilson’s smaller Ford Focus off the road, according to Johnson. When Wilson heard something strike his car, he shot at the truck, Johnson said. [...] Twenty pages of investigative records on the case, released by the Statesboro Police Department and based mostly on accounts from passengers in the Silverado, describe two to three shots being fired, then a final bullet going through truck’s rear window and striking Hutcheson, who was in the center of the back seat, in the head. Hutcheson died later at East Georgia Regional Medical Center. Wilson turned himself in to police on June 17 and has been held in the Bulloch County jail since then. Johnson and other members of Wilson’s defense team expressed outrage Monday that police omitted the self-defense angle in their public statements about the case, accusing police of giving far more credibility to the accounts of the four white teens who were with Hutcheson in the pickup. The driver told police that he, the other two boys and two girls had all been drinking earlier. Wilson and his girlfriend told police about the racial slurs and nearly being run off the road, the defense attorney said, but the investigative notes say little about their accounts other than that his girlfriend “admitted observing Wilson shoot in the direction of the black truck” and that Wilson “admitted to shooting ‘under’ the truck.” (Johnny Edwards, AJC)
Die krasse Ungleichbehandlung von Schwarzen und Weißen in Bezug auf ihre Second-Amendment-Rechte ist mehr als deutlich, aber hier sieht man mal wieder ein Beispiel. Wo Frank Zimmermann auf offener Straße ein Kind ermorden konnte und problemlos straffrei davonkam, wird ein Schwarzer, der sich seines Lebens wehrt, sofort als Täter behandelt. Die Waffenrechte waren immer schon rassistische Instrumente und galten nur für Weiße; das haben Mitte des 20. Jahrhunderts ja die Black Panther auch schon eindrücklich bewiesen.

Freitag, 17. Juli 2020

Joe Biden, der Leinwand-Kandidat

In seinen zunehmend verzweifelten Versuchen, eine Angriffslinie gegen Joe Biden zu finden, setzte Präsident Trump vor einigen Wochen noch auf die Karte, ihm vorzuwerfen, gar keinen Wahlkampf zu führen, sondern sich im Keller zu verstecken. Die amerikanische Linke ging sofort ihrem Hobby nach, den Untergang an die Wand zu malen und fürchtete, dass Biden tatsächlich den Wahlkampf versemmle. Heute, wo Biden seit anderthalb Monaten stabil zwischen 7% und 10% in den Umfragen vorne liegt und in einzelnen Umfragen sogar 15% (!) Vorsprung erreicht, ist dieser Vorwurf weniger zu vernehmen. Dabei tut Biden nicht mehr als vorher. Seine Aussagen sind kurz, geradezu lächerlich allgemein und unspezifisch gehalten und er ist öffentlich nicht eben sonderlich sichtbar. Was gerne übersehen wird: Genau das ist seine Wahlkampfstrategie, von Beginn an gewesen. Biden ist ein Leinwand-Kandidat.

Was ist damit gemeint? Die Strategie, die Biden von Anfang an gewählt und seither durchgezogen hat, ist vor allem als "generic Democrat" anzutreten. Dabei handelt es sich um eine Kunstkonstruktion aus der Welt der Wahlforscher; in Umfragen wird neben den tatsächlichen Kandidaten auch die Parteiaffiliation abgeprüft. WählerInnen werden gefragt, ob sie ungeachtet der Person eher jemand von den Republicans oder Democrats wählen würden; diese imaginären, nicht näher definierten Personen werden als "generic Republican" oder "generic Democrat" bezeichnet und geben Aufschluss über die Beliebtheit der Partei relativ zu den Kandidaten. Üblicherweise haben die konkreten KandidatInnen der GOP bessere Werte als ihr generisches Gegenüber, weil die Partei bei den Wählern absolut verhasst ist, während es bei den Democrats eher umgekehrt ist; die generische Variante liegt hier gerne vor den konkreten KandidatInnen.

Diese Strategie ist im Übrigen bei den Democrats häufig zu finden. Schillernde KandidatInnen wie Elizabeth Warren, Bernie Sanders oder Alexandria Ocasio-Cortez sind eher die Ausnahme; die meisten WählerInnen entscheiden sich für die Chuck Schumers, Amy McGraths und Amy Klobuchars der Partei. Auf der Präsidialebene dagegen ist sie, weil die zugehörige Entwicklung eher neu ist, bisher nicht erprobt worden. Sowohl Obama als auch Clinton stellten sich deutlich außerhalb ihrer Partei, um die Wahl zu gewinnen. Aber der Popularitätsgewinn der Partei insgesamt in den letzten Jahren macht die Strategie für Biden zu einer echten Option.

Dies gilt umso mehr, als Biden selbst kaum eine andere Wahl hat. Auf Basis seiner Persönlichkeit kann er keinen Wahlkampf machen. Sucht man nach einer Definition für das schwer übersetzbare Wort gaffe, das einen Fehltritt im Wahlkampf beschreibt - man denke etwa an Romneys "binders full of women" oder Obamas "you didn't build that" - ist die Chance gut, daneben ein Foto von Joe Biden zu finden, der einen Hang zu Abschweifungen hat, die ihm nicht eben helfen.

Biden ist außerdem schon so lange in der Politik, dass er zahllose Positionen vertreten hat, die in der heutigen politischen Umgebung, höflich gesagt, fragwürdig sind. Von seiner Opposition gegen Klimaschutz zu seiner Begeisterung für rassistische Politiken und Kollegen aus dem Süden, von seiner Zerstörung von Anita Hill zur Unterstützung des Irakkriegs findet sich genug, was den Zorn der linken Parteibasis erregen könnte. Diese Hunde schlafen zu lassen ist sicherlich weise.

Gerade die Bekanntheit Bidens - der Mann ist seit mittlerweile 40 Jahren Berufspolitiker in Washington - hilft ihm dabei. Irgendwie war "Uncle Joe" schon immer da, er ist eine berechenbare Größe. Ihn als sozialistischen Albtraum aufzubauen ist schwer, und Trump hat es erfolglos versucht. Auch der Versuch seines Teams, einen identity-politics-Kulturkampf gegen Biden zu führen - ohnehin die einzige Art Wahlkampf, auf die Trump sich versteht - ist krachend fehlgeschlagen. Gerade Biden, der in den Vorwahlen noch als Sargnagel der Progressiven galt, gewinnt gerade den Kulturkampf - ohne ihn selbst zu führen.

Das liegt daran, dass er im Endeffekt ein Leinwand-Kandidat ist. Beobachtende können auf ihn projizieren, was auch immer sie möchten. Die linke Parteibasis kann auf das Programm schauen, das sie ihm aufzuzwingen in der Lage war, und findet die progressivste Plattform, mit der je einE KandidatIn ins Rennen ging. Eher durchschnittliche Parteigänger finden in Bidens wohltemperierten Statements zu Black Lives Matter und anderen Themen dieser Tage die Bestätigung, auf der richtigen Seite zu stehen, ohne den Status Quo allzu sehr in Frage zu stellen. Schwarze Wähler sehen den Vizepräsidenten Barack Obamas und das Versprechen auf die Restauration dieser happy days. Eher konservativere Wählerschichten sehen einen alten, weißen Mann aus dem Mittleren Westen, der nie das typisch linke Kulturkampfvokabular im Mund führt. Republikanisch Wählende, die mit Trump hadern, können sich eine Rückkehr der inzwischen ohnehin zur Unkenntlichkeit verklärten Präsidentschaft Clintons vorstellen. Und so weiter und so fort.

Als Biden sich für die Strategie entschloss, effektiv als Person überhaupt nicht in Erscheinung zu treten, war sehr ungewiss, wie sich dies gegen die praktisch ausschließlich personenzentrierte Wahlkampfmaschinerie eines allen Sauerstoff im Raum aufsaugenden Trump machen würde. Es war aber auch die einzige Strategie, mit der Biden eine echte Chance hatte. Und was man auch davon halten mag, der Kandidat zieht diese Strategie durch.

Nichts ist von den gaffes zu spüren, für die er berüchtigt ist. Wo er im Wahlkampf noch einen 70jährigen Kritiker zum Armdrücken aufforderte, weil er von ihm kritisiert wurde, hat inzwischen eine staatsmännische Milde von ihm Besitz ergriffen. Kurz gesagt: Biden könnte genauso gut "Keine Experimente" auf seine Wahlplakate schreiben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist das eine gute Strategie.

Aber noch zu Beginn des Jahres und selbst in den ersten Pandemie-Monaten sah das noch anders aus, und es gibt keine Garantie, dass es so bleiben wird. Aktuell weigern sich die republikanischen Abgeordneten und Gouverneure sowie natürlich Trump beharrlich, damit aufzuhören ihre eigene Bevölkerung zu töten. Aber es ist damit natürlich nicht gesagt, dass die derzeitige Ablehnung dieser Riege sich nicht wieder legt.

Umgekehrt ist selbstverständlich vorstellbar, dass die katastrophale Pandemie-Politik der GOP den lang erwarteten Bruch der Partei bringt, mit einem Erdrutschsieg für Biden und, dank der Polarisierung und zunehmendem straight-ticket-voting, auch den der Democrats in den down-ballot-races vom Senator bis zum Hundefänger. Die Pandemie hat viele Gewissheiten über den Haufen geworfen, und die Lage ist volatil.

Joe Biden jedenfalls hat bereits vor Monaten eine Wette abgeschlossen: dass die Mehrheit des Elektorats Trump nicht will und sich nach Normalität sehnt. In diesem Fall steht er glänzend da; niemand verkörpert aktuell Normalität und Beständigkeit so wie der deutlich über siebzigjährige Joe Biden. Sollte allerdings die Bevölkerung Hunger nach Wandel und tief greifenden Änderungen haben, dürfte seine Wahlkampfstrategie nach hinten losgehen. Diese Dynamik habe ich bereits vor einiger Zeit ausführlich skizziert.

Nun kandidiert Biden als eine Leinwand, auf die jeder und jede Wünsche nach Belieben projizieren kann. Aber wie würde eine Präsidentschaft Bidens aussehen? Das ist das große Fragezeichen, und der Kandidat hat kein Interesse, die profunde Ambivalenz aufzulösen. Eher demokratisch-rechte WählerInnen sollen annehmen, dass er ein moderater Politiker ist, der die Linken in Zaum hält. Eher demokratisch-linke WählerInnen sollen annehmen, dass er sich gewandelt hat und dass die Parteibasis und der Bernie-Flügel ihm ihr Programm aufzwingen konnten.

Welchen Biden wir tatsächlich bekommen würden, hängt von den Begleiterscheinungen ab. Er selbst ist offensichtlich flexibel; es gibt nichts, was spezifisch mit seinem Namen verbunden wäre oder wogegen er sich prinzipiell gestellt hat. Entscheidend wird daher sein, welche Mehrheitsverhältnisse im Kongress herrschen, welche Bereitschaft zu prozeduralen Reformen besteht (Stichwort: court packing, filibuster) und wie viel Druck seitens der Wählerschaft auf ihn und seine zukünftige Administration ausgeübt wird.

Pointiert gesagt ist Joe Biden ein bisschen wie Angela Merkel. Das hat, wie niemand so gut weiß wie wir Deutschen, seine Vor- und Nachteile. Aber nach Trump ist die Aussicht auf eine Präsidentschaft der Eisernen Raute gar nicht mal so unattraktiv.

Dienstag, 7. Juli 2020

Horst Seehofer macht ohne Maske Abi im kohlebetriebenen Haushalt der Polizei Ostdeutschland - Vermischtes 07.07.2020

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Innenministerium sagt Studie zu Rassismus bei der Polizei ab
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat eine zuvor von der Regierung angekündigte Studie zu rassistischer Diskriminierung durch Polizeibehörden abgesagt. Auf Anfrage von ZEIT ONLINE bestätigte ein Sprecher des Innenministeriums, dass es nach Ansicht des Ressortchefs "keinen Bedarf" für eine solche Studie gebe. Zuvor hieß es, Justiz- und Innenministerium befänden sich "in der konzeptionellen Entwicklung" für eine solche Untersuchung. Das Innenministerium begründet Seehofers Entscheidung unter anderem damit, dass sich das sogenannte Racial Profiling in der polizeilichen Praxis verbiete. Daher müsse es nicht gesondert untersucht werden: "Insbesondere Personenkontrollen müssen diskriminierungsfrei erfolgen", teilte ein Sprecher des Ministeriums ZEIT ONLINE mit. "Weder die Polizeigesetze des Bundes noch die einschlägigen Vorschriften und Erlasse erlauben eine solche Ungleichbehandlung von Personen." [...] Wie das Innenministerium später mitteilte, habe es bei der Bundespolizei seit 2012 insgesamt 25 Rassismusverdachtsfälle gegeben, von denen 16 durch interne Hinweise bekannt geworden seien. (dpa, ZEIT)
Ich krieg echt die Vollkrise. Seehofer ist so ein absoluter Vollhorst. Man muss sich diese Begründung mal auf der Zunge zergehen lassen: Man muss nicht gegen ein problematisches Verhalten vorgehen, weil es verboten ist. Wenn das so ist, brauchen wir eigentlich auch keine Polizei, denn Verbrechen sind ja verboten und kommen deswegen nicht vor. Wer hätte geahnt, dass ausgerechnet die CDU eine solche Liebe zu Verboten hat. Verbotspartei CDU! Dazu noch diese Idee, die bisherigen Strukturen seien ausreichend. In der ganzen Bundespolizei 25 Verdachtsfälle von Rassismus in acht Jahren. Bei tausenden von Beamten kommt das nur dreimal pro Jahr vor? Allein die Vorstellung ist dermaßen was von albern. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Seehofer fürchte, was bei einer solchen internen Studie herauskommen könnte. Es ist echt Zeit, dass mal jemand aus einer anderen Partei das Innenministerium übernimmt...

2) Tweet
Kommentare wie diese zeigen, wie tief verwurzelt der Rassismus in Teilen der amerikanischen Bevölkerung immer noch ist. Dass solche Personen für die GOP versuchen, die Teilnahme an Wahlen durch bestimmte Teile der Bevölkerung zu verhindern und als offizielle Beamte im Dienst sind, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Das Sahnehäubchen auf dieser Krone ist dann die Verteidigung der Person: sie hätte das als Privatnachricht schicken und nicht öffentlich posten wollen, das sei "ein Fehler" gewesen. Der Fehler war nicht, einfach mal die Hälfte der Bevölkerung des Staates aufgrund seiner Hautfarbe von Wahlen auszuschließen versuchen, sondern das öffentlich zu sagen. Na dann.

3) Ändert das Abitur – und zwar radikal!
Das Abitur sollte wie bisher Voraussetzung für den Zugang zu anspruchsvollen weiteren Ausbildungswegen sowohl in Hochschulen als auch in anderen Bildungseinrichtungen sein, hierfür aber keine automatische und schon gar nicht eine rechtlich verbindliche Garantie bieten. Ob der weitere Ausbildungsweg tatsächlich eingeschlagen werden kann, das sollte vielmehr auch vom Abschneiden bei profilierten Aufnahmeprüfungen der jeweiligen Ausbildungsinstitution – bezogen auf das geplante Ausbildungs- oder Studienfach – abhängig gemacht werden. [...] Im Unterschied zu heute würde diese Reform dazu führen, dass die Schülerinnen und Schüler während der Gymnasialen Oberstufe solche Fächer in den Vordergrund stellen und für ihre Leistungskurse auswählen, die ihren persönlichen Interessen und Neigungen entsprechen und möglicherweise auch schon mit ihrer später angestrebten beruflichen Orientierung in Verbindung stehen. Damit entfällt die heute weit verbreitete rein taktische Wahl von Leistungsfächern, nur um einen guten Abschluss möglichst mit einer Eins vor dem Komma zu erhalten. [...] Im Abiturzeugnis der Zukunft sollten auch die außerhalb der Schule erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten berücksichtigt werden. Den jungen Leuten steht eine Vielzahl von Informations- und Lernangeboten zur Verfügung, insbesondere über das Internet. Die hier erworbenen Kompetenzen sollten in eine modernisierte Abiturprüfung als qualifizierte Angaben mit eingehen. Eine solche Erweiterung des Abschlusszeugnisses würde der zunehmenden Vielfalt von Ausbildungs- und Lebenswegen und den sehr unterschiedlichen Anforderungen gerecht. (Klaus Hurrelmann/Dieter Dohmen, Tagesspiegel)
Kritik am Abitur ist ja gut und schön, aber von diesem Artikel halte ich überhaupt nichts. Den Universitäten die Auswahl der Studierenden über eigene Testregime zu überlassen ist praktisch ein Rezept für stärkere soziale Selektivität. Aufwändige Vorbereitungskurse würden notwendig, die privat finanziert werden müssten; Kinder aus Familien mit akademischen Hintergründen würden noch stärker bevorzugt als ohnehin. Völlig abwegig ist die Theorie, dass SchülerInnen aktuell ihre Fächer nach der Frage wählen würden, wo der beste Schnitt rauskommt, statt ihren Interessen nachzugehen. Erstens überlappen sich beide Faktoren ohnehin in den allermeisten Fällen. Und zweitens ist es zumindest meine Erfahrung, dass SchülerInnen eben nach Interesse und nicht nach Noten entscheiden. Ich weiß gar nicht wie viele Beratungen ich bereits durchgeführt habe, in der das "Noten-Interesse" klar für ein bestimmtes Fach sprach, die SchülerInnen aber abwinkten, weil es sie nicht interessierte und sie lieber in einem Fach antraten, mit einem Thema, das sie interessierte. Das heißt nicht, dass das Abitur nicht modernisiert werden sollte. Aber eine verbindliche, verlässliche Hochschulreife für alle ist nichts, was man leichtfertig für einige halbgare Theorien aufgeben sollte. 

4) Tweet
Diese Grafik zeigt eindrücklich einen der Hauptgründe für Deutschlands wirtschaftlichen Erfolg. Die Vermeidung einer Konzentration sämtlicher wirtschaftlicher Aktivitäten auf einen aufgeblähten Hauptstadtcluster und ihre Verteilung über das ganze Land hat dafür gesorgt, dass viele Regionen wirtschaftlich aktiv und erfolgreich sind und dass die Infrastruktur und Wohnräume halbwegs ordentlich verteilt sind. Gleiches gilt für Bildungschancen und Ähnliches. Dass diese Verteilung in Ostdeutschland an ihre Grenzen stößt, ist ein nachhaltiges Problem für die neuen Bundesländer, das bis heute nicht befriedigend gelöst werden konnte und das für eine starke Disparität zwischen den Landesteilen mit verfallender Infrastruktur in den ländlichen Gegenden führt. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse kann so nicht gewahrt werden.

5) Police Punish the ‘Good Apples’
Police officers in the United States engage in all manner of bad behavior, such as excessive force, sexual misconduct, financial impropriety, and the manipulation of evidence. Holding them to account criminally, civilly, or professionally is extremely difficult, even in cases involving blatant malpractice and misconduct. Yet, even as bad cops evade punishment for wrongdoing, those who stand up to corruption, report negligence or abuse, or decline to comply with bad orders are frequently marginalized, demoted, or outright fired. [...] Yes, cities and towns need better ways to identify and purge bad cops and should restructure law enforcement to reduce violent encounters. But police departments also need better protections and incentives for those officers who prioritize their sworn duties above loyalty to their peers or their personal well-being. This is underdiscussed, but crucially important. If bad cops are spared any punishment while good cops lose their job, Americans should not be surprised when officers who know of wrongdoing by their colleagues stand aside and let it happen—allowing the bad cops to exert disproportionate influence over how the system functions. (Musa al-Gharbi, The Atlantic)
Die Beispiele aus diesem Artikel machen ungeheuer wütend. PolizistInnen berichten über Missstände in ihren jeweiligen Revieren und werden dafür entlassen, kalt gestellt und diskriminiert, während die Täter davonkommen. Es ist nicht realistisch anzunehmen, dass das in Deutschland groß anders wäre. Es ist typisch institutionelles Verhalten, bedauerlicherweise, und es braucht reformerische Kraft und aktiven, dauerhaften Aufwand aller Beteiligten, dagegen anzukommen.

6) Brief aus Münster
Mein Mann weiß, dass die Schuhe mit den Himbeeren inzwischen zu klein sind. Welche Impfungen anstehen. Wie das mit dem Toilettentraining läuft. Zu oft sind das Informationen, die hauptsächlich Frauen in ihren Köpfen mit sich herumtragen. Das ist eine VerantwortungUnd diese Verantwortung belastet. Sie hat ein Eigengewicht. Daher hilft es nicht, wenn der Mann sagt: „Ich hätte dir doch geholfen. Warum hast du denn nichts gesagt?“ Dieser Satz ist deshalb wertlos, weil das Wertvolle nicht die Hilfe an sich ist. Ich möchte nicht, dass mein Mann die Schuhe einpackt. Ich möchte, dass er weiß: Die Schuhe müssen eingepackt werden. Das ist, was viel mehr entlastet. Das Im-Kopf-behalten dieser Dinge ist Teil der angelernten Mutter-Rolle. [...] Es ist ein Problem der Frauen, aber es betrifft nicht nur sie. Wenn der Mental Load ungleich verteilt ist, führt das auf Dauer zu Problemen – zu  Beziehungsproblemen und schließlich zu Trennungen. Oft unbemerkt vom Partner. Sie hat irgendwann genug, weil sie denkt: Ich kann nicht mehr. Und er denkt: Aber wieso? Es war doch so schön. [...] Ich würde vorschlagen: Wir versuchen es mit Vertrauen. Wir Frauen müssen den Männern vertrauen. Wir dürfen nicht immer glauben, dass irgendwas schiefgeht, wenn wir sie einfach machen lassen. Diese „witzigen” Vorstellungen darüber, wie verkehrt Väter Kinder anziehen und was für ein Chaos sie in der Wohnung hinterlassen, helfen uns wirklich nicht. Männer können das genauso gut, oder sie können es lernen. Die Männer müssen sich selbst vertrauen. Sie müssen diesen Teil der Verantwortung aber auch übernehmen wollen. Es muss für sie eine selbstverständliche Aufgabe werden. (Marina Weisband, RUMS)
Marina Weisband spricht eine ungemein wichtige Thematik rund um Gleichberechtigung und Care-Arbeit an. Der mental load ist ein Konzept, das in der Debatte wesentlich größere Aufmerksamkeit verdient. Ich habe das in meiner eigenen Familie auch schmerzlich erfahren müssen; meine eigene Reise auf dem Weg dazu, ein besserer Partner zu sein (man bemerke den Komparativ) führte über die schmerzhafte Erkenntnis, wie wenig man eigentlich tatsächlich zum gemeinsamen Haushalt beiträgt. Was seither für mich zu einer Art Nebenbeschäftigung geworden ist ist der Kampf gegen den Begriff von "im Haushalt helfen". Solange die Rolle des Mannes das "Helfen" im Haushalt ist, ganz egal in welchem Umfang, ist eine fundamentale Asymmetrie vorhanden. "Helfen" impliziert, dass es die Aufgabe jemand anderes ist, und dass man selbst eben gelegentlich hilft, es aber nicht als die eigene Aufgabe begreift. Das überhaupt zu erkennen war wahnsinnig schwer, es zu ändern ist eine Daueraufgabe, in der jeder Fortschritt von Rückschritten und Stagnation begleitet ist.

7) Florida sheriff says he'll deputize gun owners if department can't handle protesters
A Florida sheriff said this week he would make “special deputies of every lawful gun owner in this county” if he feels like local law enforcement officials are being overwhelmed by protesters. “If we can’t handle you, I’ll exercise the power and authority as the sheriff, and I’ll make special deputies of every lawful gun owner in this county and I’ll deputize them for this one purpose to stand in the gap between lawlessness and civility,” Daniels said in the video. “That’s what we’re sworn to do. That’s what we’re going to do. You’ve been warned.” Daniels said the department will protect the constitutional rights of protesters “as long as you remain under the umbrellas of peaceful protest or peaceful march.” “But the second you step out from up under protection of the Constitution, we’ll be waiting on you and we’ll give you everything you want,” the sheriff added. “All the publicity, all the pain, all the glamour and glory for all that five minutes will give you.” (Morgan Gstadler, The Hill)
Die USA haben eine lange Geschichte dieser Art von Ermächtigung privater Gewalt. Die Bildung einer so genannten posse gehört zum Repertoire jedes ordentlichen klassischen Westerns, und seit dem frühen 17. Jahrhundert werden auf diese Art Ermächtigte weiße Waffenbesitzer zur Jagd auf entlaufene Sklaven und zum generellen Verbreiten von Terror unter der schwarzen Bevölkerung eingesetzt. Der Rückgriff auf die "lawful gun owners" ist eine klare dog whistle, denn damit sind Weiße gemeint. Passend dazu ist die Drohung, mit offener Gewalt gegen alle jene vorzugehen, die sich außerhalb der Grenzen bewegen, die die weiße Mehrheitsgesellschaft vorgibt. Der zweite Verfassungszusatz ist ein Instrument der gewalttätigen Aufrechterhaltung der rassistischen Ordnung in den USA, immer schon gewesen.

8) Gesicht zeigen!
Wer jetzt vom „falschen Signal“ und vorschneller Sorglosigkeit spricht, redet einem fürsorglichen Wächterstaat das Wort. Gefahrenabwehr ist konkret und keine vorsorgliche Erziehungsmaßnahme. Wo es so gut wie kein Infektionsgeschehen mehr gibt, dort fehlt die Berechtigung für Eingriffe des Staates in unseren Alltag und wird zur Schikane. Die Debatte hat auch nichts mit Einknicken vor Kommerz zu tun. Wo Corona auf dem Rückzug ist, gibt es keinen Grund, Gewerbetreibende weiter mit Strafen für den Verstoß gegen die Maskenpflicht zu belegen. Niemand wird gehindert, weiter Masken zu tragen, Abstand zu halten, die Warn-App zu benutzen. Im Gegenteil. (Ralf Schuler, BILD)
Die Rechten in Deutschland sind echt drauf und dran, das Maskentragen in Deutschland wie in den USA zu polarisieren. Ist ja nicht so, als hätte ich vor dieser Entwicklung nicht bereits gewarnt. Selbst Leute wie Markus Söder sprechen sich explizit für das Maskentragen aus, aber die BILD versucht auf Biegen und Brechen, gegen Corona-Maßnahmen Sturm zu laufen. Es ist absolut unverantwortlich. Deutschland ist so erfolgreich durch die Krise gekommen, verglichen mit anderen Staaten, weil wir solche Maßnahmen durchziehen. Es ist nicht zu viel verlangt, zum Schutz der Mitmenschen ein Stück Stoff zu tragen. Mathieu von Rohr fasst es im Spiegel gut: Unsere Freiheit beschränkt nicht die Maske, sondern das Virus.

9) Carbon pricing and the exit from fossil fuels
Since time is not on our side, we need to preserve the maximum freedom of action. We should avoid, as far as possible, getting bogged down in politically damaging debates about the totemic policies of an earlier era—above all carbon pricing. Time is too short to cling to the neoliberal dogma that creating markets and setting prices is the high road to success in all cases. Carbon prices, whether set by emissions trading or carbon taxes, are unlikely to be enough. Take petrol, which in Europe and Asia has long been the object of eye-watering taxation. As a result, Europeans and Asians drive smaller cars than Americans. But they still drive far too much and their cars are far too big. Prices are not enough. We shall need to use more direct disincentives, regulations and prohibitions, such as mandating the end of internal-combustion engines. [...] Investors are not staking their fortunes on a failure of political will. They are betting that, faced with the inadequacy of current targets, politicians will double down and raise the ambition of decarbonisation. If politicians follow through on this logic, then emission allowances will become more valuable. [...] The result is a virtuous circle. It is, in fact, the fantasy of good liberal governance, in which public and private action reinforce each other. That should be reason enough to be sceptical. But, given the urgency of the crisis, we cannot afford to look a gift horse in the mouth. If, for once, investors are betting that the political commitment to decarbonisation is genuine, there are significant and potentially long-term benefits in vindicating that belief, thus reinforcing confidence and building credibility. [...] It is an opportunity Europe cannot afford to miss. The more loudly Europeans demand it, the better. (Adam Tooze, Social Europe)
Adam Tooze ist immer wert, gelesen zu werden. Sein optimistischer Blick auf die europäische Klimapolitik ist bemerkenswert. Besonders hervorzuheben finde ich, dass tatsächlich ein gegenseitig fruchtbares Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft den Durchbruch zu bringen scheint - genau wie Progressive es seit vielen Jahren predigen. Eigentlich sollte das gerade auch für klassische Liberale Anlass zur Freude sein, aber wie Tooze richtig bemerkt sind diese - wie in Deutschland die FDP - allzu oft noch in veralteten ideologischen Bahnen gefangen und nicht in der Lage, sich solche Mischformen vorzustellen. Market or bust, gewissermaßen. In die so zurückgelassene Lücke können die Grünen stoßen, die nur noch in den Fieberträumen von bürgerlichen Altbeständen eine Partei gnadenlosen Etatismus' und einseitiger Fixierung auf staatliche Lösungen sind. Paradoxerweise ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie diesen Wandel im Verbund mit der CDU verstärken und absichern können, als mit R2G. Einerseits sind LINKE und SPD bei der Klimapolitik selbst gerne noch in veralteten Strukturen verhaftet, und andererseits wird das schlichte Gesetz demokratischer Politik dann eine vereinte Front von CDU, FDP und AfD gegen die dringend benötigten Maßnahmen schaffen. Man kann und sollte diese Mechanik bedauern, sie zu leugnen wäre aber zutiefst problematisch.

10) The Wealthy and Privileged Can Revolt, Too

Historian Peter Turchin, who believes episodes of unrest happen every half century or so, has a theory to explain what’s troubling the country. According to Turchin, the basic problem is too much competition among elites. With more inherited wealth and more people getting advanced degrees, he reasons, there are more claimants to a relatively fixed number of positions in the upper echelons of politics, business and other social hierarchies. With so many destined to lose out in the increasingly fierce competition, there is bound to be widespread anger and disappointment. By itself, this elite-centric theory seems insufficient. Many working-class people are also marching in the streets and voting for politicians with extremist views. But angry educated and rich people lend special weight to any revolution, since they are precisely the people who have the talent and resources to foment revolution and chaos. Ultimately they provide the funding and craft the messaging for organized extremism and violence. Turchin’s theory is all the more worrying because the number of elite spots has been shrinking in recent decades, as a result of technological and economic changes. Wealth and income have become increasingly concentrated at the top of the distribution. [...] How can the U.S. reverse the trend toward elite over-competition? Increasing the number of elite positions is very difficult. Instead,  adjust expectations. Taxing inheritances heavily would reduce the number of young people who feel entitled to great wealth. Reducing the number of PhDs would mean fewer disappointed scholars who fail to achieve tenure track. And wealth taxes on the greatest fortunes can lower expectations to more reasonable levels, making people with $10 million feel rich again. Turchin believes that low inequality helps explain why the unrest of the 1960s and 1970s was ultimately mild and didn’t threaten the integrity of the nation. It’s too late for the U.S. to avoid the current period of turmoil, but by leveling the playing field and changing expectations, it can get an early start on minimizing the next one. (Noah Smith, Bloomberg)
Den Amerikanern dürfte diese Argumentation durchaus bekannt vorkommen. Ihre eigene Revolution in den 1770er Jahren wurde ja nicht eben von den "poor, huddled masses" gestartet. Auch die französische Revolution war letztlich ein Aufstand der Freiberufler, die frustriert über den mangelnden Zugang zu den dem Adel vorbehaltenen Spitzenpositionen hatten. Man sollte sich nur klar machen, dass in beiden Fällen auch die unteren Volksschichten unzufrieden waren und jeweils ihre eigene Revolution starteten. Diese wurden in beiden Fällen niedergeschlagen - in Frankreich extrem blutig, in den USA verhältnismäßig schnell, aber für die Beteiligten auch blutig -, aber das muss ja nicht immer so gelten. Davon können etwa die Teilnehmer der russischen Revolution ein Liedchen singen. Was daraus folgt - ich weiß es nicht. Ereignisse aus der Vergangenheit auf die Gegenwart zu spiegeln ist immer ein problematisches Unterfangen. Smith liegt sicherlich Recht damit, dass die krasse Zunahme der Ungleichheit ein gewaltiges Problem ist, für praktisch alle Beteiligten. Beinahe, als ob es irgendwie blöd für die Demokratie wäre, wenn es Milliardäre gibt, oder auch noch viele davon. Smith spricht im Text übrigens auch die Idee an, dass man ja durch großartige Eigenleistung selbst einer werden könnte (Spoiler-Alarm: nein, das funktioniert nicht).

11) Trump’s Floor Collapsed When COVID-19 Hit His Base
Amazingly, as Yasmeen Abutaleb and Josh Dawsey report in the Washington Post, the administration seems to believe that their base of supporters will simply “get over it” and “move on” as they become inured to a steady and massive infection rate. "White House officials also hope Americans will grow numb to the escalating death toll and learn to accept tens of thousands of new cases a day, according to three people familiar with the White House’s thinking, who requested anonymity to reveal internal deliberations. Americans will “live with the virus being a threat,” in the words of one of those people, a senior administration official. They’re of the belief that people will get over it or if we stop highlighting it, the base will move on and the public will learn to accept 50,000 to 100,000 new cases a day,” said a former administration official in touch with the campaign." I’m sure that many conservatives can be convinced to wander back to Trump if they feel less threatened by the virus in the fall. But he’s already done tremendous damage to himself. Conservatives voted for Trump in the hope that he’d ruin other people’s lives, not their own. (Martin Longman, Washington Monthly) 
Als hätte ich gerade einen Artikel zum Thema geschrieben. Ich sage ja, Trump ist nicht kompliziert. Es ist wieder einmal die Herangehensweise aus der freien Wirtschaft: Man versucht einfach, die Kunden zu ignorieren, bis sie aufgeben. "Bitte bleiben Sie in der Leitung. Ein Mitarbeiter wird sich schnellstmöglich um sie kümmern." Damit kann man eine Telekommunikationsfirma betreiben, oder einen Versandhandel, aber man kann eben kein Land regieren. Longmans Schlussfolgerung klingt zwar krass, aber es ist wahr. Die Grausamkeit war immer, worum es den WählerInnen Trumps ging, aber Trump sollte grausam zu Hispaniern und Schwarzen sein, nicht zu ihnen. Jetzt müssen sie mit Entsetzen feststellen, dass der Nero-Befehl auch - und ganz besonders - sie trifft. Wir werden sehen, ob der Schock heilsam ist.

Montag, 6. Juli 2020

Der unbekannte Präsident

Im mittlerweile vierten Monat der Corona-Pandemie weigert sich der amerikanische Präsident Donald J. Trump immer noch beharrlich, eine Maske zu tragen, ob im Weißen Haus oder auf Wahlkampfveranstaltungen. Stattdessen beleidigt er über sein Lieblingsmedium Twitter seinen Herausforderer Joe Biden als unmännlich, weil der eine Maske trägt, was von seinen Anhängern begeistert aufgenommen wird.  Die Reaktion der meisten Beobachtenden ist völliges Unverständnis. Warum besteht Trump auf einem so offenkundig gefährlichen Verhalten, wo doch praktisch alle ExpertInnen die Bedeutung des Maskentragens hervorheben? Ist er zu dumm, das zu verstehen? Zu arrogant? Ist es eine brillante politische Strategie? Dieses Unverständnis gegenüber dem Präsidenten zieht sich auf im letzten Jahr seiner Amtszeit durch sämtliche Berichterstattung, mal mit Verblüffung, mal mit Belustigung, mal mit Entsetzen. Es ist Ausdruck eines tiefen Unverständnisses, auch nach mittlerweile vier Jahren intensivster Beschäftigung mit Trump. Es ist Beleg einer Oberflächlichkeit, eines Mangels an Analyse, die jeden Erkenntnisgewinn über Nummer 45 verhindert.

Es wird eng im Teflon

Sascha Lobo hat sich in seiner jüngsten Spiegel-Kolumne an diesem Phänomen abgearbeitet und nur für die Formulierung "Es wird eng für Trump" Dutzende Beispiele herausgesucht, die in Medienüberschriften zwischen dem Oktober 2016 und dem Juni 2020 veröffentlicht wurden. Wie so viele andere nutzt er diese Erkenntnis für ein sich Abarbeiten an medialen Strukturen, an dem Drang zur Aktualität ebenso wie dem Drang, immer Recht zu behalten. Das ist sicherlich nicht falsch. Aber zum Verständnis des Phänomens Trump leistet es nur wenig. Denn Lobo übersieht bei dieser Aufstellung zwei zentrale Wahrheiten:

Erstens wurde es in den meisten Fällen eng für Trump, er entkam nur dieser Falle.

Zweitens hätten die meisten dieser Skandale jeder anderen politischen Person das Genick gebrochen.

Das stellt die Frage: Warum wird es für Trump zwar oft eng, aber nie so sehr, dass er erledigt wäre? Warum gehen Beobachtende angesichts anhaltender Umfragewerte für einen Amtsinhaber, die so schlecht in der Geschichte moderner Präsidentschaften noch nicht gesehen wurden, immer noch davon aus, dass Trump der Favorit im November ist?

Ein Teil davon ist sicherlich der Nimbus der Wahl von 2016. Aber es ist auch ein Unverständnis dieses Präsidenten, ein unbekannt Bleiben der Person, und der Ersatzhandlung, ihm quasi magische Fähigkeiten zuzuschreiben. Gerne verweisen Beobachtende dann auf die brillanten Taktiken Trumps oder auf seine teflonhafte Natur. Jeder Skandal scheint an ihm abzuprallen. Nichts, was er tut, scheint seine Anhänger zu stören. Sein Beliebtheitslevel bleibt beharrlich an der 40%-Marke hängen.

Dabei ist das alles nicht sonderlich schwer zu verstehen, wenn man es denn verstehen will. Aber dieser Wille scheint weithin zu fehlen. Wir können das schon im Ursprung des ganzen Schlamassels betrachten, dem Wahlkampf von 2016.

Das Trauma von 2016

Das Ergebnis vom November 2016 kam für die überwiegende Mehrheit der Beobachter überraschend. Diese Überraschung, die in weiten Kreisen auch mit Fug und Recht als Schock bezeichnet werden kann, erforderte ihre Rationalisierung. Bis heute ist es praktisch unmöglich, es einfach nur als Verkettung von verschiedenen Zufallsfaktoren zu sehen, als unwahrscheinlichen Betriebsunfall. Wie für Bauern im Mittelalter der Wetterumschwung zwingend einen anderen Grund haben muss als "ist halt so", so müssen politische Beobachtende unbedingt größere Bedeutung in dieses Ereignis legen.

Es widerstrebt allen Menschen grundsätzlich, Zufall und Pech anzunehmen. Wir fühlen uns besser, wenn wir es uns erklären können. Die Erklärungen variieren denn auch, teilweise sind richtige Moden auszumachen. Von der Ignoranz gegenüber der amerikanischen Landbevölkerung (gerne mit dem klassischistischen Argument verkleidet, nur Wähler von Republicans seien echte Amerikaner) über die Nutzung sozialer Netzwerke, von der angeblichen bodenlosen Unfähigkeit des Clinton-Wahlkampfs zu einer generellen Unzuverlässigkeit der Umfragen und vielem mehr - an Erklärungen mangelt es nicht.

Ich habe ausführlich darüber geschrieben, was 2016 tatsächlich schief gelaufen ist und warum Hillary verlor. Wir müssen diese Argumentation nicht wiederholen. Relevant ist viel mehr, warum bis heute, vier Jahre später, eine tief verwurzelte Unwilligkeit besteht, diese Erkenntnisse zu akzeptieren. Stattdessen wird immer noch auf Erklärungen rekurriert, die eher dem Bereich des Aberglaubens entstammen. Aber sie geben, absurderweise, mehr Sicherheit als die schlichte Wahrheit. Trump gewann, wie manche Menschen im Lotto gewinnen: Weil eine lange Reihe von Variablen in einer unwahrscheinlichen, aber möglichen Häufung zu seinen Gunsten eintraten.

Eine einzige Variable hätte ausgereicht, um seine Niederlage zu besiegeln. ALLE mussten für ihn ausschlagen. Das war unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Der Unterschied zwischen diesen beiden Worten ist den meisten Beobachtenden bis heute verborgen geblieben. Deswegen versuchen sie bis heute, es zum einzig möglichen Ergebnis zu rationalisieren, Erklärungen zu finden, warum es so kommen MUSSTE. Es ist eine Falle, in die sogar studierte Historiker gerne tappen. Auch sie ist menschlich. Dem Erkenntnisgewinn steht sie aber im Wege.

Eine Frage der Intelligenz?

Es ist wohl auch das schlechte Gewissen, das die Frage der Intelligenz immer wieder verschämt auf das Tablett bringt. Nachdem es in aufgeklärten Kreisen zwischen 2000 und 2008 geradezu ein Volkssport war, die Intelligenz George W. Bushs in Zweifel zu ziehen (man denke nur daran, wie Michael Moores "Stupid White Men" zum Hit wurde), fühlt man sich inzwischen geradezu gezwungen, ihn neben Trump als Intellektuellen zu betrachten.

Dabei ist die Debatte müßig. Weder Bush noch Trump sind dumm. Jemand, der dumm ist, wird nicht Präsident. Moores bohrende Frage, ob George W. Bush Lesen und Schreiben kann, war aus der Warte von 2004 sicherlich von beißendem Spott gekennzeichnet, aber letztlich nicht mehr als das. Selbstverständlich kann er. Auch Trump kann, wenn er will, in ganzen, intelligenten Sätzen reden. Als er etwa vor Gericht wegen seiner Unternehmensentscheidungen aussagen musste, war ein völlig anderer Mensch zu sehen. Ein Mensch, der komplexe Wörter verwenden kann, in leisem Ton reden und in vollständigen Sätzen. Nur, normalerweise will er nicht.

Trumps Rede-Mechanismen sind eine bewusste Strategie. Wie jede Strategie politischer Kommunikation hat sie ihre Adressaten, ihre Vor- und Nachteile. Die richtige Frage wäre weniger, ob Trump blöd ist, sondern ob er davon ausgeht, dass seine WählerInnen es sind. Merkwürdigerweise wird diese Frage nicht gestellt.

Dabei wäre sie entscheidend. Denn zwar wird den Democrats gerne unterstellt, sie verachteten die typisch republikanischen WählerInnen. Das ist sicherlich nicht einmal falsch. Man denke nur an Obamas Kommentar seinerzeit, von wegen "cling to guns and religion", wegen dem ihm (unter anderem von Hillary Clinton, oh Ironie!) Elitismus vorgeworfen wurde. Aber niemand kann diese WählerInnen so sehr verachten wie republikanische PolitikerInnen.

Blasen

Die Antwort auf diese Frage - sind Trumps WählerInnen blöd? - ist natürlich auch nein. Zwar sind republikanische WählerInnen im Schnitt wesentlich ungebildeter als demokratische (zumindest, wenn man formale Bildungsabschlüsse als Grundlage nimmt), aber das gilt auch für die Wählerschaft der Grünen im Vergleich zur CDU, ohne dass deswegen jemand CDU-WählerInnen als dumm bezeichnen würde.

Relevant ist vielmehr die erfolgreiche Medienblase, in die die republikanische Kernwählerschaft eingefangen ist. Die doppelgleisige Etablierung eines eigenen Propaganda-Sektors durch FOX News, das im Fernsehen eine Parallelrealität schafft, und das Talk Radio, das dasselbe für das die langen Autofahrten gerade im ländlichen Bereich leistet, hat hier ganze Arbeit geleistet.

Trump ist auch deswegen scheinbar immun gegen die ganzen Skandale, weil diese Skandale in der Parallelrealität praktisch nicht vorkommen. Das ist für Democrats komplett anders. Die neutralen Quellen, die sie überwiegend konsumieren - CNN, die New York Times, etc. - und selbst die eher parteiisch gefärbten Medien - etwa MSNBC - diskutieren ihre Fehltritte ausführlich. Hillary Clinton wurde ja nicht zum Verhängnis, dass FOX News über ihre Mails berichtete, sondern dass es die angeblich ja so parteiische New York Times tat.

Diese asymmetrische Blase schirmt Trump ab, aber das ist nichts, was Trump-spezifisch wäre. Mittlerweile dürfte das auch für andere republikanische SpitzenkandidatInnen gelten. Die permanente Weigerung der Beobachtenden der Politik aber, solche strukturellen Merkmale in ihre Überlegungen mit einzubeziehen, trägt massiv dazu bei, dass Trump nicht verstanden wird.

Mephisto im Senat

Und wo wir bei strukturellen Faktoren sind: Keine Betrachtung Donald Trumps und seiner großen Beharrungskraft kann ohne die Figur Mitch McConnels auskommen. Für die ungeheure Bedeutung, die dieser Mann für die US-Politik der vergangenen Dekade hat, wird er immer noch viel zu wenig beachtet. Fragt man sich, warum es in dieser Partei nicht eine einzige Person gibt, ob in Senat oder Repräsentantenhaus, die genug moralisches Rückgrat hat, sich Trump in den Weg zu stellen, so führt kein Weg an Mitch McConnell vorbei.

Der Mehrheitsführer der republikanischen Senatsfraktion hat seine Partei eisern im Griff. Dies liegt wohl an seinem Talent zum Eintreiben von Wahlkampfspenden, quasi das Zuckerbrot, mit dem er seine ParteifreundInnen lockt. Aber er ist auch ein effizienter Mehrheitsführer und hält seinen caucus zusammen - in dieser Beziehung kann ihm wohl nur die Grande Dame des Kongresses, Nancy Pelosi, das Wasser reichen.

Mitch McConnell schützt Trump seit dessen Amtsantritt zuverlässig gegenüber jeder Kritik. Er blockiert alles, was die Integrität der amerikanischen Demokratie bewahren könnte. Dafür bekommt er von Trump, was er will. Konkret: Steuergeschenke für die Superreichen (2018 verabschiedet) und rechtsextremistische Kandidaten auf lebenslangen Richterposten (mittlerweile eine vierstellige Zahl im ganzen Land). Mitch McConnells Agenda ist es, die republikanische Minderheitenregierung auf mehrere Jahrzehnte festzuschreiben - und er ist kurz davor, das zu schaffen.

Keine Analyse von Trumps Beharrungskraft kann ohne den Faktor Mitch McConnell auskommen. Doch gerade im Rahmen des Impeachment, für dessen Scheitern er vor allen anderen verantwortlich war - und vor allem für die geeinte Front der republikanischen Senatoren - war in der Berichterstattung kaum vorhanden. Stattdessen wurden Erklärungen in der Person Trumps, seinen kommunikativen Fähigkeiten, der Schwäche der demokratischen Strategie und vielen weiteren Nebenkriegsschauplätzen gesucht. Als ob das Ergebnis jemals in Zweifel gestanden hätte! Aber es ist vielen Beobachtenden unmöglich, diese Unausweichlichkeit des Ergebnisses auf die korrekte Ursache zurückzuführen.

Blindheit für Asymmetrie

Und das liegt an der absoluten Unwilligkeit dieser Beobachtenden, die grundsätzliche Asymmetrie der Polarisierung und Radikalisierung in der amerikanischen Politik anzuerkennen. Stattdessen frönt man dem Bothsiderismus. Es ist eine der zentralen Lehren aus 2016, die nicht gelernt wurde: both sides are not doing it. Die Skandale Trumps, die Radikalisierung der GOP, die zynische Machtpolitik McConnells, sie alle haben keine Entsprechung auf der anderen Seite.

Und doch bestehen die Beobachtenden allzu oft darauf, eine solche Gleichwertigkeit festzustellen. Dieser Drang hat eine leicht erkennbare Ursache. Wirft man beide Seiten in denselben Topf, so steht man selbst umso cleverer da. Die Versuchung ist beinahe unwiderstehlich. Ohne etwas dafür leisten zu müssen, ohne irgendwelche besonders brillanten Analysen abgeben zu müssen - oder auch nur mittelmäßige - sind die Bothsideristen automatisch klüger und besser, weil sie sich ostentativ über das Spiel der Politik erheben.

Diese künstliche Distanz führt dann zu einer Normalisierung und Relativierung Trumps. Wenn der Präsident, noch im Wahlkampf 2015, ankündigt, er könne auf der Fifth Avenue in Manhattan jemanden erschießen ohne eine Stimme zu verlieren, so findet das nicht mehr Entrüstung und Aufmerksamkeit als seine Behauptung, die Anbringung eines "Black Lives Matter"-Schriftzugs auf derselben Straße sei "linker Faschismus" - beides wird ernsthaft diskutiert, gravitätisch abgewogen, mit einem Kopfschütteln über den ach so ermüdenden Parteienstreit quittiert. Als ob es irgendwie vergleichbar wäre!

Ein Charakterkopf

Obwohl Trump mittlerweile seit vier Jahren im grellen Licht der Weltöffentlichkeit steht, ist auch sein Charakter, seine Persönlichkeit, merkwürdig unverstanden. Als hätte man inzwischen nicht genügend Zeit gehabt, ihn kennenzulernen! Man muss wohl dankbar dafür sein, dass das Genre, hinter jedem halbwegs normalen Satz des Präsidenten seine Wandlung zu vermuten ("the day Trump became President" wurde unter Progressiven zu einem bitteren, aber leider wahren Meme), seit Ende 2018 endlich der Vergangenheit angehört.

Aber unter Beobachtenden besteht ein ungeheurer Widerwille, den Charakter dieses Menschen anzuerkennen. Trump ist nicht blöd, aber kompliziert ist er auch nicht. What you see is what you get. Händeringend haben mittlerweile hunderte von Beobachtenden sich gefragt, warum Trump die Dinge sagt, die er sagt. Dabei ist die Antwort einfach. Er sagt sie, weil er sie glaubt.

Das bringt uns zu dem eingangs erwähnten Maskenbeispiel zurück. Ist Trump zu blöd, die Bedeutung einer Maske in der Corona-Pandemie zu verstehen? Nein, ist er nicht. Vielmehr hat er sehr gut verstanden, wie Masken funktionieren. Er hat, im Gegensatz übrigens zu viel zu vielen anderen Menschen, verstanden, dass Masken nicht den Träger schützen, sondern die Menschen, mit denen er in Kontakt kommt. Und ein fließend in den Narzismus übergehender Egoismus ist der Kern von Trumps Wesenheit. Viel komplizierter ist es nicht.

Gleiches gilt für seinen offenkundigen Rassismus. Trump war schon immer ein Rassist. Darüber muss überhaupt nicht diskutiert werden. Von den Central Park Five, für deren Hinrichtung trotz fehlender Beweise er eine ganzseitige Annonce in der New York Times schaltete, zu seinen Hasstiraden gegen die Konkurrenz aus Japan in den 1980er Jahren (die er praktisch unverändert auf China übertragen hat), zu zahllosen verbürgten Äußerungen in den vergangenen Jahrzehnten - auch hier ist Trump nicht kompliziert. What you see is what you get. Von seiner tiefen Misogynie müssen wir gar nicht erst anfangen.

Es ist auch aberwitzig, wie die offenkundige Sympathie Trumps für White Supremacists oder gar den Ku-Klux-Klan angestrengt ignoriert wird. Dafür schreibt man dann jedes Mal, wenn er sie wieder als "very fine people" bezeichnet, entsetzte Kolumnen und kratzt sich am Kopf, was er sich dabei wohl gedacht hat. Dabei ist die Lage ziemlich offensichtlich. Trump hatte schon immer einen Draht zum KKK und ähnlichen Gruppen. Er hat ihn, genauso wie sein Vermögen, von seinem Vater Fred Trump geerbt. Im Immobiliengeschäft waren die Verbindungen zu gewaltbereiten Schlägertrupps immer praktisch.

The Art of the Deal

Und wo wir gerade bei den von dem Vater geerbten unschönen Verbindungen sind: Auch Trumps Leidenschaft dafür, in Begriffen von Schutzgelderpressung und Dominanz zu denken, kommt nicht von ungefähr. Kein Präsident seit John F. Kennedy hatte so enge Verbindungen zum organisierten Verbrechen wie Donald Trump, vor allem zur Mafia. Vater Fred Trumps Verbindungen zur Cosa Nostra sind gut dokumentiert, und auch der Sohn ist mit nebulösen Immobiliendeals in New York City nicht ohne einen guten Draht zu la familia zum Milliardär geworden.

Trump verhält sich auch gerne wie ein Mafia-Boss. Ich halte es für eine Fehleinschätzung, ihn für einen verkappten Diktator zu halten. Seine Instinkte sind die eines Paten, nicht die eines caudillo. Die Grenzen sind natürlich fließend; Mussolini war für die Cosa Nostra auch nicht unbedingt ein Fremder. Seit den 1990er Jahren sind auch noch mehr als halbseidene Verbindungen zur Welt des russischen organisierten Verbrechens hinzugekommen, das ja seinerseits eng mit der dortigen finanziellen und politischen Elite verbandelt ist. Das ist die Welt, in der sich Trump bewegt wie ein Fisch im Wasser.

Die Neigung, die Welt und ihre Probleme durch diese Brille der Dominanzbestrebungen zu sehen, findet sich zuletzt auch in Trumps Natur als "business man". Gerne wird dieses Argument vorgebracht, und es erklärt tatsächlich viel. Nur schauen sich die wenigsten Beobachtenden an, wie Trump seine Geschäfte betrieben hat.

Wenn der Präsident etwas liebt, dann seine Gegner vor Gericht zu zerren. Betrachtet man die lange Geschichte seiner vielen fehlgeschlagenen Unternehmen, so ist es ein Muster, dass er seine Geschäftspartner betrügt und dann auf seine überlegenen Ressourcen vor Gericht setzt. Wann immer The Donald auf ein größeres Problem stieß, ließ er die Unternehmung einfach fallen; seine diversen Bankrotte zeugen von dieser Politik der verbrannten Erde. Gerade auf diesem Feld gilt: what you see is what you get.

Amateur am Steuer

Wir können in Trumps Vorgehen bei politischen Fragen genau diese Dynamik finden. War die Verwunderung bei den Beobachtenden groß, wie der Präsident auf die Idee kommen könnte, die Lösung im Handelsstreit mit China vor Gericht suchen zu wollen, erklärt sich das mit obiger Kenntnis problemlos. It is what he does. Auch seine permanenten Drohungen, die Presse zu verklagen, sind weniger Ausdruck eines geheimen Wunsches, Adolf Hitler nachzueifern, als vielmehr seine gängige Geschäftspraxis. Nur hat er auch in vier Jahren im Oval Office nicht wirklich eingesehen, dass Politik nun einmal nach anderen Regeln verläuft als die Wirtschaft. In einer Demokratie kann man unliebsame Konkurrenten nicht so einfach mundtot machen; hier gelten Regeln und Standards, hier muss er sich dem offenen Wettbewerb stellen.

Es ist daher auch nicht überraschend, dass er genauso wie im Geschäftsleben den offenen Wettbewerb so weit wie möglich umgehen will. Genauso wie er in seinem Business das Gesetz bog und versuchte, gegnerische Parteien einzuschüchtern, so wirft er sein ganzes Gewicht hinter die republikanischen Versuche der Wahlunterdrückung. Die Strategie der GOP und sein Id gehen zusammen wie Magnete.

Auch das penetrante Streben nach Dominanz, nach dem letzten Wort, nach dem Schaffen seiner eigenen Wirklichkeit ist problemlos aus seinem bisherigen Geschäftsgebaren erklärbar. Trump hat immer ein Image von sich selbst aufgebaut; von "The Art of the Deal" bis zu "The Apprentice" zeigt es ihn als hypererfolgreichen Macher, dessen Kompetenz sich nicht im Erobern von Märkten zeigt, sondern in seiner Fähigkeit, seinen Willen durchzusetzen - ob er nun ein unrentables Kasino in Atlantic City kauft oder mit großer Geste Teilnehmer einer abgehalfterten Reality-TV-Show "entlässt".

Trump ist ein politischer Amateur. Er ist die logische Konsequenz der fixen Idee, dass eine Geschäftsperson am besten geeignet wäre, ein Land zu führen. Aber Politik und Wirtschaft sind unterschiedliche Sphären, die unterschiedliche Fähigkeiten erfordern. Die Neigung vieler CEOs, alleine zu entscheiden und abgeschottete Herrschaft auszuüben, sorgt in der demokratischen Politik für ein schnelles Scheitern. Die Idee, Erfolge vor Gericht erzwingen zu können, scheitert spätestens in der Außenpolitik. Und die praktisch nicht vorhandene Rechenschaftspflicht gegenüber dem Großteil der Beschäftigten, wo eine ostentative Missachtung bei den eigentlich entscheidenden Großaktionären vielleicht sogar hilft, ist in einem System des "one person, one vote" auch nur bedingt tragfähig.

Aber gerade diese massiven Hypotheken, die Trump mitbringt, machen es erforderlich, auch die strukturellen Dynamiken im Blick zu behalten, die es ihm erlaubt haben, vier Jahre lang das Land zu ruinieren und die ihm eine gute Chance geben, das noch einmal vier Jahre zu tun. Trump kann weder begriffen werden, wenn man seine grundsätzlichen Charakterzüge ignoriert, noch, wenn man die Rolle Mitch McConnells und der republikanischen Partei sowie der mit ihnen affiliierten Propagandaorgane und Wirtschaftsinteressen nicht begreift.

Ohne diese Faktoren wird man immer von seiner nächsten Grenzüberschreitung überrascht, bleibt Trump ewig ein unverstandener Präsident.

Donnerstag, 2. Juli 2020

Trump und Lindner im chinesischen Umfragetief wegen häuslicher Gewalt und KSK - Vermischtes 02.07.2020

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) US v China: is this the start of a new cold war?
The US is demanding that its allies not only admit to previous naivety but join it in an anti-China alliance. China, perhaps less overtly, is lobbying countries to to join its rival power bloc. Many countries are trying to hedge, but the scope for neutrality or non-alignment is narrowing. India, for instance, long proud of what its former national security adviser Shivshankar Menon calls its strategic autonomy, is reeling at the implications of the brutal Chinese clubbing of its soldiers in the Galwan valley, an act Menon regards as unprecedented in its scope and implications for relations between the two neighbours. Menon has long argued that India should eschew permanent alliances: “The ideal position for India, of course, is to be closer to both China and the US than they are to each other,” he says. But as the rhetoric and the threats escalate, it is becoming ever harder to navigate between China and the US in this way. It feels instead as if a new cold war is brewing, fought as much through technology and tariffs as with conventional weaponry. [...] A few years ago, many thought these might be questions for later in the decade. A superpower rivalry had been brewing slowly, after all, under Barack Obama. But it took on a new urgency with the advent of the Trump administration. In the words of one of Donald Trump’s discarded advisers, Steve Bannon, “these are two systems that are incompatible. One side is going to win. The other side is going to lose.” Coronavirus, the Great Accelerator, has brought the issue to a head earlier than expected. According to Kishore Mahbubani, a fellow at the Asia Research Institute, Trump has prepared for this battle chaotically. “The fundamental problem is that the US has decided to launch a geopolitical contest against China, the world’s oldest civilisation, without first working out a comprehensive strategy on how it is going to manage this contest. It is quite shocking. These are not abstract issues for Korea and Japan. America wants them both to decouple from China, but for them that is economic suicide.” (Patrick Wintour, The Guardian)
Wir beschäftigen uns heute in den Fundstücken noch öfter mit China, daher hier erst einmal die grundsätzliche Idee der Machtblöcke in der Region. Das große strategische Problem für die USA ist, dass zwischen ihnen und China ein Ozean liegt. Auch die Nutzung ihrer örtlichen Verbündeten Japan und Südkorea sowie in geringerem Maße Australien kann kein vollwertiger Ersatz dafür sein, dass China nun einmal die beherrschende Regionalmacht ist. Peking baut diese Stellung seit vielen Jahren aggressiv aus, man denke nur an das Aufschütten künstlicher Inseln, um das Völkerrecht auf diese Weise in ihrem Sinne zu biegen. Ich finde allerdings den Vergleich vom Kalten Krieg problematisch, denn um bei der Geographie zu bleiben: Im Kalten Krieg hatten die USA den Vorteil, dass ihre Verbündeten in Europa - vor allem Deutschland und Großbritannien - keine extensiven Handelsbeziehungen zum Ostblock hatten. Korea und Japan dagegen sind wirtschaftlich eng mit China verflochten (wie auch die EU), was die Lage der USA deutlich verkompliziert. Wir kommen später noch auf mögliche Lösungen, aber diese Schwäche der USA wirkt sich schwerwiegend auf Reaktionszeiten und -potenziale aus, vor allem in dem Maß, in dem die chinesische Marine an Stärke gewinnt.

2) Amthor vs. Steinmeier
Ich finde den Kontrast auffällig zur Reaktion auf die Weingeschenke des Rüstungslobbyisten und Waffenhändlers Ahmad El Husseini an Frank-Walter Steinmeier, die wir im vergangenen September aufdeckten. Damals meldete sich ein Politiker der Grünen zu Wort – sonst schwieg Berlin. Von unseren Recherchepartnern Stern und Frontal21 abgesehen griffen andere Medien die Geschichte nicht weiter auf. Wie ist dieser Unterschied zu erklären? Schließlich war Steinmeier zur Zeit der Weingeschenke Außenminister und genehmigte in diesem Amt Rüstungsgeschäfte, von denen der Lobbyist El Husseini wiederum profitierte. Aufgrund seines Amts steht zudem ein Verstoß gegen das Ministergesetz im Raum – Steinmeier hatte die Geschenke nicht angemeldet. Ich glaube, dass die verhaltene Reaktion auf unsere Steinmeier-Recherche drei Gründe hatte. Erstens griff die AfD die Recherche sofort auf, vermutlich dankbar für jede Ablenkung von ihrem eigenen Parteispendenskandal. Andere Parteien dürften daraufhin gezögert haben, auf den Zug aufzuspringen. Zweitens: Es fehlen Fakten. Wir dokumentierten lediglich die Bestelllisten aus dem Luxuskaufhaus KaDeWe – und haben aber Grund zur Annahme, dass die Weine im Abgeordnetenbüro von Steinmeier auch ankamen. Drittens ist Steinmeier inzwischen Bundespräsident, womit Medien durchaus eine höhere Schwelle an Kritik anlegen. Amthor hingegen ist ein aufstrebender Jungpolitiker, dem viele eine große Karriere zutrauen, der aber auch in den sozialen Medien schon vor der Affäre polarisierte und damit Aufmerksamkeit auf sich zog. Zudem liegen die Fakten über seine Nebentätigkeit durch die Recherche von Der Spiegel auf dem Tisch. (Frederik Richter, Correctiv)
Ich halte diesen Vergleich für an den Haaren herbeigezogen. Die Vorstellung, Steinmeier genehmige Rüstungsexporte, weil er ein bisschen Wein geschenkt bekommen hat, ist absurd. Rüstungsgeschäfte werden in den letzten Jahren generell sehr liberal genehmigt, das ist eine Konstante der deutschen Außenpolitik in den Merkel-Kabinetten (und keine, die man besonders positiv sehen muss). Das gilt, gleich wer die entsprechenden Schaltstellen besetzt hält. Sigmar Gabriel hält den traurigen Rekord der genehmigten Rüstungsgeschäfte mit irgendwelchen Diktaturen, aber vorherige Entscheider waren da nicht viel wählerischer. Auch das Argument, die AfD hätte den Skandal quasi "verbrannt", ist Quatsch. Die BAMF-Affäre wurde auch nicht kleiner, weil die AfD sie gepusht hat. Das ist einfach nur Propaganda. Punkt zwei ist der entscheidende: Es gibt keinerlei Beweise für irgendwas, nur das Raunen irgendwelcher Rechtspopulisten. Unfug wiederum ist die angeblich höhere Hürde, die beim Bundespräsidenten angelegt würde. Darf ich an Christian Wulff erinnern? Was für ein blödsinniger Artikel.

3) China and the Trans-Pacific Partnership: In or out?
With the United States on the CPTPP sidelines, a Chinese application to join the club would put other CPTPP countries in an awkward position. Most CPTPP countries would not want to say “no” to China given their dependence on the Chinese economy but also would not want to say “yes” given the likely US reaction. As Singapore Prime Minister Lee Hsien Loong wrote in a Foreign Affairs op-ed, Asia-Pacific countries do not want to choose between the United States and China; they want to cultivate good relations with both. Thus, a push by China to join the CPTPP would put a real squeeze on existing members. US allies would probably try to string out negotiations with China and escalate efforts to get the United States back in the CPTPP. US presidential candidate Joe Biden said that he would consider US participation in the TPP if the terms were revised. In fact, some of the issues that the Democrats objected to, and that led the Obama administration to delay bringing the deal to Congress, have been expunged from the revised CPTPP, including investor-state dispute settlement and data exclusivity for biologic drugs. CPTPP members may warmly welcome the return of the United States and likely would accept further changes, for example, on digital trade and labor and climate issues, to make the deal attractive to a Biden administration. If the United States rejoins the CPTPP in 2021 or 2022, American officials could block efforts to water down CPTPP standards and would have a veto on Chinese entry terms. From the US perspective, that is clearly the best policy. From the Chinese perspective, a decision by the next US administration to ignore the CPTPP would offer an opening for China to negotiate the terms of entry—and solidify Beijing’s position as the dominant economic player in Asia. (Zhiyao (Lucy) Lu, Peterson Institute for International Economics)
Es ist das Problem mit Trumps Außenpolitik, dass er zwar den richtigen Instinkt gegenüber China hat - ein potenziell schädlicher Einfluss - aber so unglaublich falsche Instinkte dabei, wie man hier am besten vorgeht, so irre wenig Sachkenntnis und dazu einen pathologischen Obama-Hass. Denn Obamas "pivot to Asia" hatte die Herausforderung durch China bereits klar als größte außenpolitische Aufgabe der USA erkannt, und das TPP-Handelsabkommen wies eindeutig in eine vernünftige strategische Richtung. Stattdessen entkoppelte Trump sich völlig von der Region und versuchte Schutzgeld von Korea und Japan zu erpressen. Die Folge ist, dass zu der in Fundstück 1 beschriebenen geographischen Distanz zwischen Südostasien und den USA nun auch noch eine politische kommt. Mit so unberechenbaren "Partnern" ist es sinnvoller, sich mit China gutzustellen. Genau das sehen wir gerade. Es ist ein geopolitisches Desaster.

4) What If I Told You Joe Biden Is Actually Running a Great Campaign?
For all the derision that has surrounded Biden’s generally low profile, it is the broadly correct move. Trump is and always has been deeply unpopular. He managed to overcome this handicap in 2016 because Hillary Clinton was also deeply unpopular, though somewhat less so, and turning the election into a choice allowed anti-Clinton sentiment to overpower anti-Trump sentiment. The fact that Biden has attracted less attention than Trump is not (as many Democrats have fretted) a failure. It is a strategic choice, and a broadly correct one. Second, Biden’s isn’t just hiding out. He is doing some things. He has delivered speeches, given interviews, and met with protesters. These forums have tended to display his more attractive qualities, especially his empathy. Only one of them (his Breakfast Club interview) yielded a major gaffe. And third, Biden has managed to communicate a coherent campaign theme. This is often a challenge for Democrats, who usually want to change a whole bunch of policies (health care! environment! progressive taxation!) that resist a simple unifying slogan. But Biden has been able to carry forward the message he used to start his campaign, which he built around Trump’s shocking embrace of racist supporters at Charlottesville, into a promise of healing racist divisions. Biden surely benefitted from good luck, in that he chose a theme more than a year ago that happened to anticipate the current massive social upheaval. But it wasn’t just luck to predict that Trump’s divisive racism would continue to flare up. Instead, pundits have repeatedly predicted that Trump would use Nixonian law-and-order themes to rally a silent majority against Black Lives Matter protests. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Ob Joe Biden einen großartigen Wahlkampf macht oder nicht ist die falsche Frage. Wahlkampfstrategien sind immer Wetten darauf, welche Koalitionen am Wahltag die relevanten sein werden und was ihre Wahlentscheidung motiviert. Clintons Wahlkampf 2016 setzte darauf, dass die Abneigung gegen Trump genügend republikanische Wähler in die Arme einer moderat progressiven, aber offensichtlich kompetenten Alternative treiben würde. Das stellte sich am Ende als unerfolgreich heraus. Joe Bidens Wette ist, dass Trump alle Aufmerksamkeit in negativer Weise auf sich zieht und deswegen alle Unzufriedenen ihre Wünsche auf Joe Biden projizieren können, der quasi Schrödingers Kandidat ist. Das kann klappen oder auch nicht. Aktuell ist es eine Wette, genauso wie Trumps Strategie, die Wählerschaft so stark wie möglich mit rassistischer Identitätspolitik aufzuheizen und so an die Wahlurnen zu motivieren, eine Wette ist. Einer von beiden wird am Ende falsch liegen. Wer das sein wird, ist völlig unklar, einfach weil wir Anfang Juli haben und im November gewählt wird. Da kann noch viel passieren. Jede Analyse, die das aktuell bewerten will, ist daher ein fool's errand. Biden hat eine Strategie, und die zieht er durch. Nicht mehr, nicht weniger.

However, that may be changing. America is in the grips of a world-historical crisis. It will need a stupendous amount of work to even get back to the pre-coronavirus status quo, let alone address other festering disasters like police brutality, extreme inequality, climate change, and so on. It will be all but impossible to fix this country with Republicans able to jam up the wheels of government whenever they want. Thus as Ed Kilgore writes at New York, previous stalwart defenders of the filibuster, like Sen. Chris Coons (D-Del.), are beginning to change their tune. Coons, a close Biden ally, told Politico this week: "I will not stand idly by for four years and watch the Biden administration's initiatives blocked at every turn... I am gonna try really hard to find a path forward that doesn't require removing what's left of the structural guardrails, but if there's a Biden administration, it will be inheriting a mess, at home and abroad. It requires urgent and effective action." Meanwhile, the movement for D.C. statehood has gotten fresh momentum lately. The House is expected to pass a bill granting statehood on Friday, and while it will certainly not be passed by the Senate or signed by Trump, it could be if Biden wins, Democrats take the Senate, and they abolish the filibuster. Even moderate Democratic elites are getting behind this move. The most important consequence would obviously be to provide congressional representation for the roughly 700,000 Americans who are currently treated like quasi-colonial subjects, but of course it would also add two Senate seats that would be safely Democratic and help redress that chamber's partisan skew somewhat. Adding Puerto Rico as a state as well (so long as its residents agree) would help even more. Democrats have often been queasy at the prospect of doing what is both morally right and helps them politically — as if it's somehow illegitimate to enfranchise your own voters, or provide benefits for them. (Republicans, of course, think nothing of outright cheating by disenfranchising Democratic constituencies — indeed, it has become their key strategy for holding power.) But the plain fact is that the United States simply cannot afford another presidential term of do-nothing legislative gridlock. As historian Patrick Wyman writes, Trump's smoking ruin of a presidency has compounded a generation of previous mistakes and atrocities that now have us dangerously close to a full-blown crisis of legitimacy. Other countries in similar straits have seen mass political violence, civil wars, or simply fallen to pieces. If Democrats don't want to oversee the demise of the American republic, they better choose to govern, and fix the Senate. (Ryan Cooper, The Week)
Ich hoffe, dass sich bei den Democrats wirklich langsam die Erkenntnis durchsetzt, dass sie strukturell von den Republicans an die Wand gespielt worden sind. Es ist völliger Blödsinn, es als gottgegebenes Fakt anzunehmen, dass sie 5% mehr Stimmen als die GOP gewinnen müssen, nur um gleichzuziehen. Das ist schlichtweg undemokratische Verzerrung. Gleiches gilt für die lächerliche Überrepräsentation leeren Landes im Senat gegenüber den Orten, an denen tatsächlich Menschen wohnen. Allein diese wahlrechtlichen Dynamiken müssen von der Partei angegangen werden, mit einem konzisen Plan. Gleiches gilt für die Judikative. Man hat sich die im Endeffekt stehlen lassen, und es wird Zeit, dass die Democrats endlich anerkennen, dass ihre Gegner sich nicht an Regeln halten. Ständig die andere Wange hinzuhalten in der Hoffnung, die Wähler mögen es gouttieren, funktioniert offensichtlich nicht.

Die Kolumne erschien nicht im luftleeren Raum. Der ganz konkrete Anlass war: rassistisch motivierte Polizeigewalt in Deutschland, relative Straffreiheit und rechtsextreme Strukturen innerhalb der Staatsorgane. Also wer betreibt hier eigentlich Identitätspolitik: staatliche Organe, die offen zugeben, racial profiling zu betreiben? Oder Linke, die darauf beharren, das zum Thema zu machen? [...] Die ganz besondere Pointe an diesem Text ist, dass er den Rassismus nicht nur benennt und verarbeitet, sondern auch zum Vorschein bringt. Identität spielt in der Kolumne überhaupt keine Rolle. Es waren dann viele, viele Kritiker*innen, die das in die Diskussion eingebracht haben; mit genau dem Move, den sie selbst gleichzeitig geißeln. Satirischer als die Kolumne sind all die halbgaren Solidarisierungen, die keine sein wollen, von Leuten, die einst mit Inbrunst das französische Satireblatt »Charlie Hebdo« und die dänische Tageszeitung »Jyllands-Posten« (die 2005 die sogenannten Mohammed-Karikaturen publizierte) verteidigt haben. Sowas kannste dir echt nicht ausdenken. (Frédèric Valin, Neues Deutschland)
Ich weise immer wieder darauf hin, dass diese ganze Debatte völlig schief ist. Identitätspolitik wird von jedem und immer betrieben, aber es ist eben ein sehr erfolgreicher politischer Angriff, der seitens des konservativen und rechten Spektrums benutzt wird. Das ist auch kein Problem, das gehörte schon immer zum Repertoire. Nur wird so getan, als ob es nur eine Seite mache und es irgendwie igitt sei, was an der problematischen Vorstellung liegt, man selbst sei der Standard und stehe darüber, weswegen dann auch immer aggressiv reagiert wird, wenn man darauf hingewiesen wird. Gleiches gilt für die Beschwörung von Meinungs- und Pressefreiheit. Noch der größte Müll aus Pegida- und AfD-Kriesen wurde als unbedingt notwendige Auseinandersetzung mit den Themen und Leuten beschworen. Aber vom Chefredakteur der Cicero über den Vorsitzenden der Werteunion, zum Innenminister, zu Ulf Poschardt, als ein beknackter Artikel der anderen Seite das Thema war, waren die vormaligen Verteidiger der Presse- und Meinungsfreiheit vor allem mit Häme, Vernichtungswünschen oder gar offener politischer Gewalt (im Falle Seehofers) zur Stelle.

7) Why almost no conservative criticism can harm Trump
But Trumpsters, in general, are not interested in qualified or contingent support. They don’t want to be told that there is a case for Trump as the lesser evil. They demand total loyalty, loud enthusiasm, a readiness to shift your own views whenever the president shifts his. Hence, I suspect, the disproportionate rage directed at the handful of politicians and commentators who, sticking to what was an almost universal conservative position before and during the 2016 primaries, keep their distance from the White House. These figures — Joe Scarborough, Jonah Goldberg, Bill Kristol, Jay Nordlinger, Mitt Romney, David French — are so few that they hardly represent a threat. If Bolton really is “a disgruntled boring old fool," he is hardly going to swing the November election. My hunch is that anti-Trump conservatives are the bad conscience of the wider movement, that they force others to acknowledge trade-offs that they would rather not think about. To put it another way, they are living reminders of what the Republican Party used to be until four years ago. No wonder they get so much flak. (Dan Hannan, Washington Examiner)
Ich hatte die Diskussion über diesen Artikel bereits mit Der Wächter auf Twitter, aber hier noch mal die Kurzform: Four years ago? Sorry, Leute, aber die Fäulnis in der republikanischen Partei geht wesentlich tiefer zurück als vier Jahre. Ich habe darüber ausführlich geschrieben. Das ist problematisch, weil es zu der Idee führen könnte, dass Trump die Wurzel allen Übels ist und dass man quasi nur ihn abwählen müsse, um es zu lösen. Aber das ist es nicht, und es wäre sehr gefährlich, das anzunehmen. Auf der anderen Seite, und das war Wächters Punkt, ist es natürlich wichtig, potenzielle Verbündete nicht zu vergraulen und Konvertiten gegenüber offen zu bleiben. Das ist absolut richtig, und ich bilde mir ein, hier auch fair zu sein (siehe Frum, Nichols, Wilson et al). Aber mit Bolton sucht sich Wächter den falschen Angeklagten aus. Nicht nur ist Bolton eine geradezu karikaturhafte Übersteigerung des Neocon, den uns gerade Trump vom Hals schaffen sollte (wenn man seinen idiotischen linken Verteidigern wie Jakob Augstein zuhört); er diente Trump auch als Sicherheitsberater und war SCHLIMMER als die wandelnde Katastrophe im Oval Office. Zudem war sein Verhalten während des Impeachment-Prozesses absolut indiskutabel. Bolton ist der falsche Mann, um hier ein solches Argument aufzumachen. Er gehört in den Orkus des Vergessens gestoßen, und die Aussicht, dass er jetzt als Bestsellerautor Millionen aus seiner Quisling-Karriere macht, bereitet mir Magenschmerzen.

Einen Schwerpunkt bei der Extremismusabwehr bildet dabei nach wie vor das KSK, wo wir weiterhin rund 20 Personen bearbeiten. Hier ist es uns gelungen, Schritt für Schritt durch stille Operationen mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Auch wenn wir mit unserer Arbeit noch nicht am Ende sind, wurden in zahlreichen Fällen personelle und disziplinare Maßnahmen ergriffen, die von der Versetzung aus dem KSK bis zur Entlassung aus der Bundeswehr reichen. Spektakulär war der Munitions-und Waffenfund bei einem KSK-Angehörigen vor einigen Wochen. Auch wenn jetzt die Strafverfolgungsbehörden am Zuge sind, ist unsere Operation nicht abgeschlossen. Vor allem interessiert uns natürlich die Frage, ob es Mitwisser oder gar Mittäter gab. Die neue Dimension des Rechtsextremismus begründet sich in der Bundeswehr aber auch daraus, dass wir gerade im KSK nicht nur von Einzelfällen ausgehen können. Eine Untergrundarmee haben wir bislang zwar nach wie vor nicht entdeckt, aber Beziehungsgeflechte – oder wenn sie so wollen Netzwerke bzw. Strukturen – mit unterschiedlicher Qualität finden wir sehr wohl. (Thomas Wiegold, Augen Geradeaus)
Wenn ich mich an die engagierte Widerrede Stefan Pietschs zu eben dieser Problematik in den vergangenen Jahren erinnere, bleibt eigentlich nur der Verdacht, dass der MAD irgendwie zu einer linksradikalen Spinnerorganisation geworden ist. Oder man erkennt halt endlich an, dass vielleicht - vielleicht - doch etwas dran ist an dem strukturellen Rechtsextremismusproblem. Inzwischen haben das ja selbst wirklich sehr bundeswehrnahe Personen eingesehen.

9) Stadt in Angst
Nach außen inszeniert sich die KP als Anhängerin von internationaler Zusammenarbeit und Multilateralismus, sogar als Freund Europas. Peking weiß, was seine europäischen Partner hören wollen. Doch spätestens seit Xi chinesischer Präsident ist, hat es Europa mit einem anderen Partner zu tun. Das neue China ist nach innen und außen aggressiv wie nie: die Masseninternierung von Muslimen in Westchina. Tibet. Die Gängelung anderer Länder, das aggressive Verhalten im Südchinesischen Meer, Drohungen Richtung Taiwan. Hinzu kommt die mangelnde Transparenz im Umgang mit dem Coronavirus. Europas Schwäche ist zum Teil eine Folge dieser Politik. Gezielt hat Peking die europäische Einheit mit seinen Staatsinvestitionen, bilateralen Deals und Dialogforen unterwandert. Peking spürt nun Gegenwind. Das ist der Grund, warum es Kritik an seinem Auftreten als "antichinesisch" bezeichnet oder als "Kalter-Krieg-Mentalität". Doch nicht das Ausland oder die USA sind die Treiber hinter der Entfremdung. Chinas Öffnung ist seit Jahren nicht voran gekommen. Europäische Firmen dürfen bis heute zum großen Teil nur in Bereichen investieren, in denen chinesische Firmen die Marktmacht haben oder es nichts mehr zu gewinnen gibt. Chinas digitales System ist abgeschotteter denn je. Visa werden nur noch selektiv vergeben. Peking fordert Offenheit von anderen. Selbst nimmt es sich, was es will. Verträge, internationales Recht, Regeln und Standards, das alles ist nur etwas wert, wenn es dem Regime nutzt. Der Versuch, die aufsteigende Wirtschaftsmacht einzubinden, war richtig. Er ist aber gescheitert. Es ist Zeit für eine ehrliche Bilanz. Und klare Konsequenzen. (Lea Deuber, Peking)
Und noch einmal China. Die Vorgänge in Hongkong sind beunruhigend genug, aber die Nachrichten, die aus dem abgeschirmten Westen des Landes bezüglich des Genozids an den Uiguren kommen, sind mehr als bedrückend. Die jüngste Schreckensnachricht ist, dass ganze Ladungen voll Menschenhaars aus den Konzentrationslagern an die Industrie weitergegeben werden, was aus deutscher Perspektive besonders erschütternd sein sollte. Es steht zu hoffen, dass der "Gegenwind", von dem im Artikel gesprochen wird, mehr als ein laues Lüftchen ist. Ich sehe allerdings nicht wirklich, wie China Einhalt zu gebieten wäre. Nicht nur seine aggressive, expansionistische Außenpolitik ist Anlass zu großer Sorge, auch der Umgang mit Minderheiten und der eigenen Bevölkerung wäre Anlass für Intervention. Aber die Machtstellung des Landes und seine herausragende wirtschaftliche Bedeutung für den Westen machen das mehr als unwahrscheinlich. Es ist äußerst deprimierend, und wahrlich keine schöne Aussicht, dass China in den nächsten beiden Dekaden rapide an Einfluss gewinnen wird. Wir werden uns noch sehnlichst die Tage des so harsch kritisierten "US-Imperialismus" zurückwünschen...

10) Häusliche Gewalt in Berlin um 30 Prozent gestiegen
Zum Höhepunkt der Lockerungen im Juni 2020 habe die Gewaltschutzambulanz zum Beispiel einen Anstieg von 30 Prozent der Fälle im Vergleich zum Juni 2019 verzeichnet. Die Zahl der Kindesmisshandlungen sei im ersten Halbjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um rund ein Fünftel gestiegen (23 Prozent). [...] Zunächst hatten die Behörden während des Lockdowns weniger Fälle registriert. Das habe aber daran gelegen, dass kaum jemand vor die Tür gegangen sei. Mit den Lockerungen seien die Fallzahlen sofort in die Höhe geschnellt. (dpa, Tagesspiegel)
In unseren Artikeln zu Corona im Frühjahr hatten Ariane und ich diese Entwicklung auch schon prophezeit. Solche Zeiten bringen das schlechteste im Menschen hervor, und da das Thema häusliche Gewalt und toxische Maskulinität ohnehin genauso wie der aktuell hervorbrechende strukturelle Rassismus zu den Themen gehört, die in Deutschland sehr ungern diskutiert werden, gab es auch kaum Problembewusstsein und noch weniger Hilfs- und Lösungsangebote.

11) Intellektuell blank
Möglicherweise liegen die Ursachen der liberalen Existenzkrise ganz woanders. Vielleicht wiegt die intellektuelle Leere, die sich rund um die FDP ausgebreitet hat, schwerer als alle politischen Versäumnisse und strategischen Fehler der vergangenen Jahre. Die besten Ideen nützen schließlich nichts, wenn sie sich nicht zu einer populären Erzählung zusammenfassen lassen. Nicht bunte Werbeslogan und auch nicht Schwarz-Weiß-Bilder mit Drei-Tage-Bart generieren Gestaltungsmacht. Wer politisch wirksam sein will, muss die Gesellschaft durchdringen. Die Grünen, der ewige Widerpart der FDP, sind nicht deshalb wesentlich erfolgreicher, weil Parteichef Robert Habeck der schönere Cover-Boy ist, sondern weil die grüne Erzählung anders als die liberale populär ist. Grüne Politik hat ein Ziel, die Energiewende zum Beispiel. Forschende diskutieren darüber, Thinktanks unterstützen das Projekt. Die Grüne Jugend mobilisiert den Protest gegen die fossile Energiegewinnung auf der Straße. Man muss die Ziele der Grünen nicht teilen, aber wer sich fragt, warum die eine Oppositionspartei in der aktuellen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach bei 18,5 Prozent steht und die andere bei 4,5 Prozent, warum die Grünen ihren Wähleranteil seit der Bundestagswahl 2017 mehr als verdoppelt haben und die FDP ihren im selben Zeitraum halbiert hat, findet hier eine Antwort. Die Grünen wollen das 21. Jahrhundert zum ökologischen Jahrhundert machen. Und was will die FDP? In diesen Tagen hat Christian Lindner der Rheinischen Post ein Interview gegeben. "Mein Ziel ist es, die FDP in Regierungsverantwortung zu führen und etwas für das Land zu bewirken", sagt er darin. Und dann? "Mehr Chancen durch mehr Freiheit", so ist das gerade überarbeitete Leitbild der Partei überschrieben. "Umfassende gesellschaftliche und politische Herausforderungen wie der Klimawandel, das Erstarken der politischen Ränder aber auch die Corona-Pandemie wollen wir (…) mit unseren Konzepten bewältigen", heißt es darin und weiter: "Mit weltbester Bildung, Selbstbestimmung für Jeden und Chancen auf Vorankommen durch eigene Leistung." Geht es noch etwas konkreter? "Durch die Gestaltung fairer Spielregeln für Alle: In einem Rechtsstaat mit Sozialer Marktwirtschaft, starken Bürgerrechten und einem handlungsfähigen Staat." Wie eine liberale Idee, die angesichts der Bedrohung der Demokratie durch autoritäre politische Führer und angesichts eines außer Kontrolle geratenen globalen Kapitalismus die Massen ergreifen könnte, klingt das nicht. (Christoph Seils, ZEIT)

Ich bin immer etwas skeptisch, wenn Kritik an der FDP sich auf die Freiburger Thesen beruft; das sind mittlerweile etwas olle Kamellen. Aber die grundsätzliche Beschreibung der Problemlage der FDP ist sicherlich nicht komplett falsch, auch wenn ich denke, dass sich ihre Lage diesbezüglich nicht sonderlich von der LINKEn unterscheidet. Die Unterschiede zwischen den Umfrageergebnissen dieser Parteien können nicht ausschließlich in der linken Stammwählerschaft und ihrer Loyalität zu suchen sein. Ich denke auch nicht, dass die FDP grundsätzlich ideenlos ist. Klar haben sie sich auf den Personenkult um Christian Lindner konzentriert, aber das war eine Strategie, die sie triumphal zurück in den Bundestag brachte. Ich halte es für schwierig, das grundsätzlich zu verdammen. Die Probleme fingen ja erst deutlich später an, um 2019 herum und seit Corona mit unverminderter Wucht. Aber die Wurzeln liegen eben schon vor Corona, denn sonst sollte die FDP nicht so tief fallen, wie sie das gerade tut. Meine These wäre, dass die FDP eher zu viele Ideen als zu wenig hat. Lindner hat sich 2017 als Personifizierung der Modernisierung Deutschlands wählen lassen; Digitalisierung und Bildung waren seine großen Themen, dazu noch ein wenig unappettitliches Blinken nach rechts, um vielleicht ein paar enttäuschte CDU-Wähler abzufangen. Das war erfolgreich. Aber seither ist mit Bildung und Digitalisierung nicht mehr viel, was sicherlich auch darin begründet liegt, dass die Regierungsbeteiligung ausgeschlagen wurde - im Rückblick sicherlich wenigstens ein taktischer Fehler, der die Partei schwer kostet. Aber seither ist Lindner zwar immer präsent und gegen was auch immer die Regierung gerade tut, aber sonderlich viel Konsistenz außer dem Versuch, mit maximalem Lärm die Oppositionsführerschaft zu übernehmen - angesichts der taktischen Zurückhaltung der Grünen und der praktischen Irrelevanz der LINKEn ist sie da auch nur mit der AfD in Konkurrenz, was weder Lindner und der Partei gut tut. Aber "was auch immer Merkel gerade macht, nur das Gegenteil" ist natürlich nichts, woraus sich eine sonderlich gute Erzählung entwickeln ließe. Dazu kommt eine mangelnde Machtperspektive durch die Ablehnung von Jamaika, die Linder inzwischen ja sogar wieder zurückgenommen hat - ohne eine Erklärung, warum die Koalition 2017 falsch regieren wäre, aber 2021 nicht.