Donnerstag, 15. Dezember 2022

Gabriele Krone-Schmalz holt an der europäischen Tafel Subventionen für ihr neues elektrisches Krankenhaus in China ab - Vermischtes 15.12.2022

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) Xi Broke the Social Contract That Helped China Prosper

The Covid protests are occurring at the height of China’s autocratic moment. While there are calls for free speech and elections, the rallying cry since Sunday has been against a jarring oppression: the incarceration of hundreds of millions of people in their homes and in field hospitals. Autocracies — whether in China or elsewhere — are oppressive, but has another autocratic regime ever taken away the rights of so many people to lead a normal life? [...] Mr. Xi broke that social contract. As early as 2013, his government began to channel bank credits to chronically inefficient state-owned enterprises, at the expense of the private sector. Then his government began to crack down on nongovernmental organizations such as feminist groups and on lawyers who helped rural migrant workers negotiate better wage contracts. Even environmentalists were not spared, despite the fact that one of Mr. Xi’s policy priorities was to combat China’s pollution. Censorship was tightened significantly on social media and at Chinese universities. In 2020 and 2021, his government began to target — through fines and regulatory restrictionsChina’s crown jewels of technology and entrepreneurship, Alibaba, Tencent, Baidu and many others. [...] The crackdown on big tech was counterproductive. [...] Inadvertently, Mr. Xi has lowered the bar for democracy. When students were holding up blank pieces of paper at protests, they were not thinking of defending the rights of those voicing unpopular, contrary views. They were defending their right to be human — the right to take a walk in the park, to cross the street to get lunch or to visit friends to play a game together. (Yasheng Huang, New York Times)

Ich habe hier immer wieder die These geäußert, dass China vermutlich nicht dasselbe Wohlstands- und Wirtschaftslevel wie der Westen erreichen wird, schlicht deswegen, weil bisher noch kein Land ohne liberale Institutionen dazu in der Lage war. China ist weiter gekommen als irgendeine andere Autokratie vor ihm. Aber bis zum Beweis des Gegenteils bleibe ich äußerst skeptisch, und was man gerade im Land vor sich gehen sieht, ist der beste Beleg dafür.

2) Ganz unten im System

Inzwischen arbeitet er auf einer Großbaustelle. Fundamente betonieren, Wände hochziehen. Schwere körperliche Arbeit. Zehn Stunden pro Tag, samstags nochmal mindestens fünf. Ein Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz, mehr als acht Stunden pro Tag müssten in der Regel innerhalb von sechs Monaten ausgeglichen werden. Fabiu kennt das Gesetz nicht. Alle Kollegen würden so viel arbeiten, sagt er. „Normal.“ [...] In einem türkischen Café, keine zehn Minuten von Fabius Arbeiterheim entfernt, sitzt so ein Mann, der manchmal gar nichts kriegt. Einer, dem Fabius Durchsetzungskraft fehlt. Über den sie hier sagen: „Alle werden betrogen. Aber wenn du wie er bist, betrügt man dich noch mehr.“ [...] Man kann sich das System Bau dabei wie eine Pyramide vorstellen. Ganz unten stehen die Arbeiter. Darüber kommen die sogenannten Subunternehmen. Baufirmen, meist mit Sitz in Deutschland, die häufig von Menschen mit türkischem oder serbischem Migrationshintergrund geführt werden. Sie sind es, die die Löhne schwarz oder auch gar nicht zahlen. Sie sind es, die unbequemen Arbeitern mitunter drohen, sie aus den Wohnungen zu werfen. Der Zoll spricht von einer Form der organisierten Kriminalität, mit einem Schwerpunkt im Rhein-Main-Gebiet. [...] Dann sagt er: „Die Subunternehmen haben keine andere Wahl, als ihre Arbeiter zu betrügen.“ Und spricht von mafiaartigen Strukturen, bei denen das meiste Geld ganz oben in der Pyramide sitzt. Bei den deutschen Generalunternehmen: Renommierte deutsche Firmen, oftmals Familienunternehmen. (Sascha Lübbe, taz)

Was wir hier sehen ist die gewohnheitsmäßige Kriminalität der Arbeitgeber in manchen Branchen. Ich hatte über dieses Problem schon vor Jahren geschrieben. Verstöße gegen das Arbeitsrecht durch Arbeitgeber sind grundsätzlich endemisch, aber in manchen Branchen ist das Recht nicht einmal mehr eine "grobe Richtlinie" im Sinne von Käpt'n Barbossa. Nur ist das ein System, von dem zu viele Menschen profitieren. Genauso wie das Sozialsystem ohne private Akteure (siehe Fundstück 4) nicht vorstellbar wäre, genauso wenig ist die Wirtschaft ohne die Ausbeutung des unteren Randes vorstellbar, eine Schattenwelt, in der die Uhren noch im 19. Jahrhundert ticken. Das war schon so, als Günther Wallraff in den 1980er Jahren "Ganz unten" recherchiert hat, und das hat sich bis heute kein bisschen geändert. Wie bei Steuerhinterziehung, Geschwindigkeitsübertretungen oder Falschparken ist das Brechen der Regeln gewohnheitsmäßig und kein großes Thema.

3) Europe should not protest too much on energy

The best retort, however, is that a lack of fossil energy endowments does not doom Europe to energy dependence overall. With capacity to generate, transmit and store renewable electricity, Europe’s self-sufficient supply of power can be plentiful and cheap. Near-zero electricity prices could do more for the EU’s production of (emissions-free!) cars than discriminatory US tax credits will ever do for America’s. The goal, then, is not to preserve a legacy structure of energy-intensive production but to grow an economy intensive in carbon-free energy and knowledge. Industry should electrify everything that can be electrified and develop production methods best suited to a renewable energy system. Europe’s concern should be that it subsidises too little — especially in renewables and grid capacity — not that the US subsidises too much. More EU common spending is needed, and new fiscal rules must coax more investment out of national budgets. EU leaders have made welcome remarks in this direction in recent days. Carbon tariff plans must be expanded and coupled with tougher domestic carbon pricing. On this, it should seek a US partnership. Washington is already interested in a pact keeping out “dirty” steel from China and others; Europe should embrace this interest and try to widen it to a broader carbon tariff deal. Donald Trump once said: “If you don’t have steel, you don’t have a country.” Europe should resist such old-industry protectionism. Its line should be: let all steel used in Europe be green — and make Europe the cheapest place to produce it. (Martin Sandbu, Financial Times)

Ist es nicht schön zu sehen, dass das Versäumen des Umbaus der Energieversorgung kein merkelig-deutsches Problem ist, sondern eine europaweites? Aber natürlich hat Sandbu völlig Recht. Europa müsste viel mehr machen, aber wieder einmal zeigen sich die strukturellen Defizite der Union. Der Kram liegt alles bei Nationalstaaten, die völlig disparate Strategien verfolgen (so man etwa im deutschen Fall der Energiepolitik überhaupt etwas wie eine Strategie unterstellen will), auf einem Kontinent, der eigentlich ein gemeinsames Stromnetz mit gemeinsamer Energiepolitik haben sollte.

4) "Das ist nicht unsere Aufgabe" (Interview mit Jochen Brühl)

Brühl: Was in der jetzigen Situation noch dazu kommt, ist die große Anzahl von Geflüchteten. Da ist oft eine Belastung da, dass man die Sprache nicht versteht oder dass zum Beispiel traumatisierte Geflüchtete zu den Tafeln kommen. Oder dass Behörden sagen, dass noch nicht zu 100 Prozent geklärt sei, wann die Menschen ihr Geld bekommen und dass sie so lange zu den Tafeln gehen sollen. Das sind natürlich Faktoren, die gar nicht gehen und das führt dazu, dass die Helfenden in einer unglaublichen Belastungssituation sind. Die machen das freiwillig. Die engagieren sich, obwohl sie von dieser Krise selbst betroffen sind. Das ist eine Riesenherausforderung. [...]

DOMRADIO.DE: Fühlen Sie sich so, als ob Sie einspringen müssen, wo der Staat versagt?

Brühl: Eigentlich ist die Grundidee, dass wir Zusatz sind, dass wir unterstützen, dass aber eigentlich der Staat die Bürger versorgen muss. Aber wir erleben zunehmend, dass wir auch in eine Situation geraten, wo wir auch versorgen sollen. Aber das ist überhaupt nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es zu unterstützen. Da muss sich der Staat auch selbst noch mal hinterfragen lassen, in welcher Verantwortung er ist, was er für Menschen in Not leisten muss und was die Aufgabe bürgerlichen Engagements und einer Zivilgesellschaft ist. Ich glaube, es braucht beides. Aber der Staat muss sehr deutlich auch seine Aufgaben erfüllen. (Uta Vorbrodt, Domradio)

Es gibt wenig Dinge, die mich so wütend machen wie wenn Politiker*innen die Tafeln loben. Klar machen die mit großem Engagement einen tollen Job. Aber sie und das angewiesen Sein so vieler Menschen auf diese Institution, die langen Schlangen vor ihren Türen, sind einfach nur Ausweis eines gigantischen Staatsversagens. Inzwischen ist dieses Versagen soweit institutionalisiert, dass das Sozialsystem von der Existenz ehrenamtlicher privater Akteure abhängt. Das kann doch nicht wahr sein. Und ich will wirklich das Engagement dieser Leute nicht kleinreden; es ist super, dass die das machen. Aber ein solch elementares, auch grundgesetzlich garantiertes System kann und darf nicht auf ehrenamtlichen Engagement ruhen.

5) Aufstieg und Fall einer Russlandversteherin – die ehemalige ARD-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz rechtfertigt seit Jahren Putins Politik. Zum Problem wird das erst jetzt

«Das Problem», so schrieb der Politikwissenschafter Andreas Umland kürzlich auf Twitter, «ist nicht Krone-Schmalz. Verantwortung tragen Medien, Verlage und andere Institutionen, welche dieser in der Russland-Forschung belächelten Publizistin absurde Hochachtung spenden.» Mit ihrer Schönfärberei habe Krone-Schmalz den «ostpolitischen Irrweg Berlins» vorgezeichnet. [...] Krone-Schmalz sprach aus, was viele Deutsche dachten und hören wollten. Als sie 2018 bei Sandra Maischberger auftritt, zitiert die Moderatorin eine Studie, wonach über 80 Prozent der Deutschen Angst vor Donald Trump hätten – und nur 52 Prozent vor Wladimir Putin. Im Medienbetrieb, der heute mehrheitlich für die Ukraine Partei ergreift, kamen Krone-Schmalz’ Thesen weit besser an, als man das heute vermutlich wahrhaben will. Ihr Buch «Russland verstehen» zum Beispiel gefällt nicht nur Wladimir Putin. Es wird auch in Zeitungen wie der «Süddeutschen Zeitung» und der «TAZ» gelobt. Letztere dankt der Autorin für die «Nachhilfestunde in osteuropäischer Politik». [...] Gabriele Krone-Schmalz ist bis heute überzeugt, dass sich die veröffentlichte Meinung in Deutschland nicht mit der öffentlichen Meinung deckt. Privat, so lässt sie im Gespräch mit der NZZ durchblicken, erhalte sie viel Unterstützung. Schliesslich sei sie mit ihrer Haltung zu Russland nun wirklich kein Solitär gewesen in Deutschland. In diesem Punkt müsste ihr jedes Gericht recht geben. (Lucien Scherrer, NZZ)

Ich finde den Hinweis immer wieder wichtig, dass die russlandfreundliche Politik bis vor Kurzem gewaltige Zustimmungsraten in der Bevölkerung genoss. Ich würde sogar vermuten, dass Krone-Schmalz und andere Putinfreunde richtig damit liegen, dass sie immer noch auf eine Mehrheit bauen können. Nur, das sagt wenig aus. - Auch, dass die Schuld bei den Medien liegt, die ihr eine Plattform gegeben haben und immer noch geben, ist vollkommen richtig. Das Problem ist hier dasselbe wie oft: befragt und eingeladen werden weniger Expert*innen als vielmehr Leute, die relativ auf Krawall gebürstet möglichst pointierte Thesen vertreten.

6) Tesla’s Berlin Hub Can’t Hire Enough People, or Keep Them

Local labor specialists say it is unlikely Tesla will be able to find more qualified workers to fill the gap, because it is seen as an unattractive employer in the heavily unionized German auto sector, and it competes with rival carmaker Volkswagen for skilled workers in the Berlin area. [...] According to the German metalworkers union IG Metall, Tesla is paying 20 percent less than similar businesses based on staff contracts and job descriptions. [...] But without any warning, they were given a new job description that required them to work early, night, and weekend shifts. “After two months they changed my shift to a 24/7 three-shift system. I have a young son, and for us it was hard to manage,” the former employee says, adding that they had no family support available, because they had moved away from family for the job. When they complained about this, “there was a lack of empathy” from Tesla, and the employee claims they reported inflexibility in changing shift plans, even when the factory was not producing cars due to machines not functioning, with significantly reduced tasks. Tesla’s attempt to improve recruitment and retention by increasing pay for new staff also backfired, as longer-term employees were being paid less than employees who had just arrived doing the same jobs with similar qualifications. (Wired)

Elon Musks soziopathischer Umgang mit seinen Beschäftigten ist hinreichend bekannt. Dass er damit in Deutschland nicht so weit kommt wie in den USA ist wenig überraschend. Und es ist sehr angenehm zu sehen, dass er ziemlich direkt die Quittung für seine toxischen Arbeitsbedingungen erhält. Das ist auch der Vorteil einer gesunden, boomenenden Wirtschaft: die Leute haben die Option, solchen Arbeitgebern die rote Karte zu zeigen. In Zeiten der Rezession - die leider bereits am Horizont dräuen - ist das für die meisten keine Möglichkeit, so dass sie gezwungen sind, solches Verhalten hinzunehmen. Gottlob haben wir in Deutschland starke Schutzrechte gegenüber solchen Leuten.

7) "Eine Kitapflicht ist der falsche Weg" (Interview mit Katharina Kluczniok und Stefan Faas)

Es ist bezeichnend, dass Sie als Wissenschaftler mit Ihrem Glauben argumentieren müssen, weil die nötigen empirischen Daten in den Kitas nicht erhoben werden. 

Kluczniok: Wir schwimmen da bei unseren Aussagen, das ist richtig. Uns fehlt eine aktuelle Datenbasis. Das Neueste, was wir haben, stammt aus der Nubbek-Studie, die 2013 erschien. Mit Daten von 2010. Seitdem ist im System Kita so viel passiert, es gab so viele Reformen, doch wir wissen nicht, was das mit den Kindern und ihren Kompetenzen gemacht hat.

Was wissen wir denn überhaupt?

Kluczniok: Was wir aktuell haben, sind Strukturdaten zu Größe der Einrichtungen, zur Zahl der betreuten Kinder und zum Betreuungsschlüssel, die zum Beispiel die Bertelsmann-Stiftung lobenswerterweise immer wieder erhebt. Die sind wichtig, aber sie bilden nur einen Teil dessen ab, was wir wissen müssen. Wir brauchen einen stärkeren Blick auf das pädagogische Geschehen in den Kitas, das Stichwort lautet hier "Prozessqualität": Welche Rolle spielt die Sprachförderung, wie wird sie verknüpft mit dem Alltagserleben der Kinder und ihrer familiären Lernumgebung? Darum brauchen wir eine Neuauflage von Nubbek, Nubbek 2.0 sozusagen. Da kommt es auf die Bundesländer an und auf ihre Bereitschaft, bei einer aktuellen Bestandsaufnahme mitzumachen. [...]

Faas: [...] Bei vielen Verantwortlichen erkenne ich das ehrliche Bemühen, die Situation in den Griff zu bekommen. Ich habe nur das Gefühl, dass sie immer noch viel zu sehr von der Schule her denken. Dass bei vielen nicht das Verständnis da ist für Kitas als Bildungseinrichtungen, aber eben andersartige Bildungseinrichtungen. Die Frage lautet: Wie können wir das System Kita so ertüchtigen, dass die Kinder am Ende ihrer Bildungskarriere im Kindergarten das erreicht haben, was sie brauchen, um ihren Weg weiterzugehen? Und da unterstelle ich vielen Verantwortlichen dann schon, dass sie die Antwort auf diese Frage nicht zu Ende denken, weil sie zu aufwändig und zu teuer ausfallen könnte. (Hans-Martin Wiarda)

Ich finde es immer wieder absolut faszinierend, was der Staat (und in Erweiterung seine untergeordneten Institutionen) manchmal nicht weiß. Das geht Unternehmen natürlich mit Sicherheit genauso, aber dieser Blindflug ist schon beachtlich. In dem Fall haben wir seit 2010 keine aktuellen Daten mehr aus Kitas. 2010 waren Ganztageskitas noch schwarze Schwäne, unglaublich selten und praktisch nicht zu kriegen. Zwölf Jahre später sind Ganztageseinrichtungen weitgehend Standard geworden. Allein auf der Basis - die seither verabschiedeten tiefgreifenden Reformen in Qualität und Kompetenzen der Erzieher*innen sowohl in Ausbildung als auch Beruf einmal ebenso beiseite gelassen wie den Influx von Kindern, deren Erstsprache nicht Deutsch ist - lässt sich sinnvoll überhaupt nichts mehr anfangen. Ich weiß schon, dass solche Datenerhebungen nicht ganz günstig sind, aber ich kann doch nicht einen so riesigen Sektor einfach auf Annahmen und anekdotischen Informationen steuern, die zufällig durch die Bürokratie nach oben sickern?!

8) Why the Age of American Progress Ended

But in the past few years, I’ve come to think that this approach to history is wrong. Inventions do matter greatly to progress, of course. But too often, when we isolate these famous eureka moments, we leave out the most important chapters of the story—the ones that follow the initial lightning bolt of discovery. The way individuals and institutions take an idea from one to 1 billion is the story of how the world really changes. And it doesn’t always change, even after a truly brilliant discovery. The 10,000-year story of human civilization is mostly the story of things not getting better: diseases not being cured, freedoms not being extended, truths not being transmitted, technology not delivering on its promises. Progress is our escape from the status quo of suffering, our ejection seat from history—it is the less common story of how our inventions and institutions reduce disease, poverty, pain, and violence while expanding freedom, happiness, and empowerment. It’s a story that has almost ground to a halt in the United States. [...] What went wrong? There are many answers, but one is that we have become too enthralled by the eureka myth and, more to the point, too inattentive to all the things that must follow a eureka moment. [...] “The federal government, through NIH and NSF, pours billions into basic science and defense technology,” Daniel P. Gross, an economist at Duke University, told me. “But for civilian technology, there has been a view that Washington should fund the research and then get out of the way.” As a result, many inventions languish in the so-called valley of death, where neither the government nor private ventures (risk-averse and possessed by relatively short time horizons) invest enough in the stages between discovery and commercialization. Take solar energy. (Derek Thompson, The Atlantic)

Der ganze Essay ist lang und ausführlich und mit zahlreichen Beispielen und weitergehenden Gedanken angereichert, ich empfehle ihn zur gänzlichen Lektüre. Ich möchte an der Stelle vor allem den Gedanken des "Valley of Death" betonen. Denn die Grundlagenforschung kommt ja wirklich ohne weitergehende Implementierung nicht aus, und gleichzeitig lohnt sich für Privatunternehmen diese Implementierung erst bei einer bestimmten Serienreife. Die Schritte dazwischen sind ein gewisses Problem.

Ich habe keine Ahnung, wie sich das effektiv überbrücken lässt. Der Staat kann ja schlecht mit der größten Gießkanne aller Zeiten Subventionen über Jahrzehnte für alle möglichen Technologien ausschütten, die vielleicht oder vielleicht nicht Erfolg haben, schon allein, weil das massive Fehlallokationen im privaten Sektor zur Folge hätte (diverse dieser subventionierten Technologien würden nirgendwohin führen, aber tausende Beschäftigte von Subventionen abhängig haben, die dann nicht gestrichen werden können, weil ja politische constituiencies entstanden sind).

Bleibt die Frage, wie das im mythischen "Früher" besser gelaufen ist. Massive staatliche Eingriffe gab es damals ja auch (von ARPANET über öden militärisch-industriellen Komplex zum Aufbau des ganzen Straßenverkehrsnetzes zur Elektrifizierung und und und). Müsste der Staat also mehr Infrastruktur bereitstellen, die dem Privatsektor Innovationen erlaubt? Und wenn ja, welche? Oder woran hängt das? Ich wäre auf eure Einschätzungen gespannt.

9) Critics Say Musk Has Revealed Himself as a Conservative. It’s Not So Simple.

Yet Mr. Musk, who did not respond to a request for comment, continues to defy easy political categorization. His views have been described as libertarian, though these days his politics seem more contrarian than anything else. He is more clear about what he is against than what he is for. It’s true Mr. Musk certainly sounds a lot like a Republican — and, sometimes, a lot like Mr. Trump — with his missives on Twitter against “woke” politics and Covid restrictions, his attacks on “elite” media and his efforts to draw attention to allegations that Hunter Biden profited from his father’s political clout. But where Mr. Musk has seemed most in line with the G.O.P. of Mr. Trump is in the tenor of his political commentary, which if anything seems more spiritedly anti-left than ideologically pro-right. While he has not been shy about sharing his disdain for many Democrats, his enthusiasm for Republicans has been more muted. He has stressed repeatedly that his problems are with extremists on both ends of the political spectrum. [...] Many of the views he has espoused on Twitter over the last two years have become popular in today’s Republican Party but are hardly exclusive to card-carrying Republicans. His criticism of progressives he views as overly censorious and sanctimonious is a sentiment many on the left have expressed. (Jeremy W. Peters, New York Times)

Der Artikel hat große Wellen geschlagen - nicht zu Unrecht. So hat etwa die Washington Post einen kompletten Antwortartikel veröffentlicht, auch im Atlantic bin ich über was zu dem Thema gestolpert, und ich habe auch sonst sehr viele Kritiken gelesen. Zurecht: die Vorstellung, dass unklar wäre, für was Elon Musk steht, ist absurd. Das ist doch kein großes Geheimnis. Nur weil nicht alle seine Positionen sich mit der Plattform einer der beiden Parteien decken, heißt das nicht, dass er ein Mysterium wäre. Eine solch binäre Betrachtung ist glaube ich ein Nebenprodukt der dämlichen Polarisierung in den USA und wäre ein Problem, das in Deutschland nicht auftreten würde - weil wir hier die Leute eh nicht so klar in "Lager" einsortieren können.

Zum Thema: Musk ist vor allen Dingen ein Troll. Er kennt sich mit Politik wenig aus - wie auf den meisten Feldern, auf denen er mit unendlicher Selbstsicherheit Meinungen raushaut - und hat einige Grundhaltungen, die nicht besonders schwer auszumachen sind: er ist etwa überzeugt von regenerativen Energiequellen und Elektrifizierung, aber wie viel davon einfach nur der Überlapp mit seinen Unternehmen ist, lässt sich natürlich unmöglich sagen (hätte Trump ähnlich konkrete Vorstellungen von Lizenzrechten, wenn er mit Öl reich geworden wäre...?). Er mag die progressive Linke nicht; nicht den Schutz von Arbeitnehmerrechten (er ist ein Misanthrop), nicht die Agenda von Emanzipation, Diversität und Gleichberechtigung. Umgekehrt kann er glaube ich auch wenig mit der Hillbilly-Second-Amendment-Romantik großer Teile der Rechten anfangen.

Er ist ein Libertärer (for lack of a better word), der möglichst wenig staatlichen Einfluss auf seine Unternehmen will (die gleichwohl einzig wegen staatlichen Subventionen existieren) und der auf dem Recht pocht, komplette Meinungsfreiheit in dem Sinne zu haben, dass er sagen kann, was er will, während andere das nicht haben. Da ist nichts Neues unter der Sonne. Und auch kein großes Geheimnis.

10) Kranke Häuser

Beide Veränderungen zusammen haben die Nachfrage nach Pflegepersonal gesteigert, anstatt den Mangel auf dem angespannten Arbeitsmarkt zu lindern. Grundsätzlich gäbe es diesen Mangel auch ohne Corona, die Seuche macht ihn nur sichtbarer. Der Versuch, mit Geld etwas dagegen auszurichten, ist gescheitert. Es lassen sich auch mit viel Geld keine Pflegekräfte herbeizaubern. Sie können höchstens aus dem Altenheim, wo sie schlechter bezahlt werden, in die Klinik abwandern. Damit wäre das Problem nicht gelöst, nur verschoben. [...] Dazu muss man ein bisschen genauer verstehen, woher das Geld für die Krankenhäuser kommt. Die Behandlungen werden nach den schon erwähnten Fallpauschalen von den Krankenkassen bezahlt. Für Investitionen, etwa in Software, Geräte und Neubauten, sollen laut Gesetz die Bundesländer aufkommen. Im Gegenzug dürfen sie bestimmen, wo es überhaupt Klinikstandorte gibt. Auf dieses Recht pochen die Länder gern. Vor den Investitionen drücken sie sich aber systematisch. Diese haben seit dem Jahr 2000 weder mit der Inflation noch mit der Wirtschaftsleistung Schritt gehalten, sondern sind um Hunderte von Millionen Euro im Jahr gesunken. [...] Anders formuliert: Gespart wurde in den Krankenhäusern ausgerechnet da, wo sie für die Zukunft hätten fit gemacht werden müssen. Unter den beschriebenen Umständen hat das eine besonders missliche Nebenwirkung. Wenn Krankenhäuser trotzdem investieren wollen, müssen sie das Geld dafür mit den Fallpauschalen verdienen. Das ist ein Anreiz, mehr zu operieren als nötig. Und siehe da: In keinem anderen Land werden die Menschen so oft in der Klinik behandelt wie in Deutschland. Deshalb macht den Krankenhäusern nun auch der Personalmangel so sehr zu schaffen. Deutschland kommt, verglichen mit anderen Indus­triestaaten, im Verhältnis zur Bevölkerungszahl überraschenderweise auf genug Pflegekräfte. Im Verhältnis zur Zahl der Patienten aber sieht es übel aus. [...] Dagegen helfen keine Zaubertricks. Dagegen hilft nur Effizienz. Für Verschwendung ist jetzt schlicht nicht mehr genug Personal da. (Sebastian Baltzer, FAZ)

Ich stimme Baltzers Kritik im Wesentlichen zu. Ich bin echt kein Experte für Gesundheitsökonomie - daher ist das alles völlige Amateurmeinung - aber was ich bisher gelesen habe scheint mir deutlich in die Richtung zu gehen, dass die überkommene deutsche Krankenhausstruktur (genauso übrigens wie unser Hausärztewesen) tatsächlich krass ineffizient ist und wesentlich geschickter gestaltet werden könnte. Die Reformen des letzten Jahrzehnts hin zu größeren, regionalen Krankenhaushubs ist da ja durchaus ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn man die Anreizstruktur für Notfälle ändern und vernünftige ambulante Systeme einrichten würde, wäre da auch viel geholfen. Das Ausmaß, in dem man gezwungen ist, in die Krankenhäuser zu laufen, ist völlig bescheuert, und dasselbe gilt für die (immer noch auf Papier ausgefertigten!!!) Rezepte, die man bei Hausärzten für jeden Mist in einer Sprechstunde holen muss. Klar schützt das auch vor Missbrauch, aber ich habe nicht das Gefühl, dass Kosten und Nutzen da im richtigen Verhältnis stehen.

Resterampe

a) Ich hatte das tatsächlich vergessen. Witzig.

b) Wie das Amt einen verändert, Kevin-Kühnert-Edition.

c) In Österreich wollen sie künftig Führerscheine und Autos von Raser*innen beschlagnahmen und die Autos versteigern. In Deutschland fordert die Polizeigewerkschaft (natürlich), Klimaaktivist*innen den Führerschein zu entziehen. Autoland Deutschland, mal davon abgesehen, dass die Polizei es mit dem Rechtsstaat mal wieder nicht so hat.

d) Gute Analyse der aktuellen Probleme der FDP.

e) Absolut faszinierend, was die KI nicht kann.

f) Ebenso faszinierend, dass die Hunter-Biden-Story nicht durchdringt, weil die Medien tatsächlich dazugelernt haben. Nicht viel, aber immerhin das.

g) Spannende Analyse, ob die Inflation nun der Unterschicht mehr schadet als der Mittelschicht oder nicht. In meinen Augen ist das etwas beside the point, weil die Unterschicht so oder so von der aktuellen Lage "in die Fresse" bekommt, aber interessant ist es trotzdem.

h) Interessanter Einblick in die internen Grabenkämpfe der BILD-Redaktion.

i) Passend dazu im Kontrast diese lächerliche Hagiografie auf Mathias Döpfner.

j) So sieht die reale Cancel-Culture aus, by the way. Wo ist der Yascha Mounk der Rechten, der das anprangert? Und da erzählt man mir, da bestehe Äquidistanz.

k) Diese Analyse des Werts von Free Speech in den USA klingt about right.

l) Da kriegen wir mal wieder total natürliche Ergebnisse raus, ganz ohne jedes darunterliegende soziale Konstrukt.

m) Mag jemand der sich auskennt diese Kritik an Lindners Aktienrenteidee einordnen?

n) Gute Erklärung, warum eine Reservierungspflicht der DB nicht helfen würde.

o) Das zum Thema Fleischersatz kann ich nur unterschreiben.

p) Whitepills.

q) Sehr dezidiert konservative Argumentation, aber nicht gerade gegenstandslos.

r) Aktuelle Erfahrungen in Kalifornien zeigen einmal mehr, dass das beste Mittel gegen Obdachlosigkeit das zur Verfügung stellen von Wohnraum ist. Who knew?

s) Die Rolle Obamas für den Sieg Warnocks scheint mir hier deutlich übertrieben, aber die Analyse seiner Aktionen bleibt trotzdem richtig.

t) Interessante Umfrage.

u) Interessante und ausführliche Einordnung der Bedeutung der Herkunft von Gewalttäter*innen.

v) Interview zum Thema Sebastian Kurz.

w) Stark-Watzinger begibt sich auf die Populismus-Schiene.

x) Leider auch ein sehr häufiges Vergehen, das viel zu selten aufgedeckt wird.

y) The real Twitter is neither left nor right.

z) Elon "Free Speech" Musk sperrt einen seiner Kritiker nach dem anderen, nun auch den Typen, der seine Flüge mit dem Privatjet trackt.

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