Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Habeck hat aus dem Scheitern beim Heizungsgesetz nichts gelernt
Der Artikel analysiert kritisch Robert Habecks jüngste Äußerungen zur Einbeziehung von Kapitaleinkünften in die Sozialversicherungspflicht und deren kommunikative Folgen. Der Vorschlag zielt darauf ab, die Finanzierung von Sozialversicherungen auf eine breitere Basis zu stellen und Arbeit zu entlasten. Doch Habecks spontane Bemerkung wurde nicht ausreichend vorbereitet und führte zu Missverständnissen, insbesondere bei jungen Anlegern und ETF-Sparern, die sich durch die möglichen zusätzlichen Belastungen verunsichert fühlten. Während der Grundgedanke, Kapitaleinkünfte in die Sozialversicherung einzubeziehen, ökonomisch sinnvoll erscheint, bleibt unklar, wie die Umsetzung konkret aussehen könnte. Fragen nach Freibeträgen, der Beitragsbemessungsgrenze oder der administrativen Erhebung der Beiträge wurden nicht geklärt. Zudem versäumte Habeck, die Vorteile seines Vorschlags deutlich zu kommunizieren, was der Opposition aus FDP und Union eine Gelegenheit bot, die Idee als unüberlegt und belastend darzustellen. Der Artikel hebt hervor, dass solch unausgereifte Vorstöße nicht nur politisch schaden, sondern auch potenzielle Unterstützer, etwa junge, progressiv denkende Wähler, verschrecken können. Die Grünen hätten die Gelegenheit, ihre Position zu erklären und mögliche Vorteile zu betonen, jedoch nicht genutzt. (Stefan Kaiser, Spiegel)
Was soll man dazu noch sagen? Die Grünen sind gefühlt echt ein bisschen zu doof für Wahlkämpfe. Anders kann ich mir das kaum erklären. Auf der anderen Seite ist Kaisers Kritik natürlich auch wieder wohlfeil, weil es nun wahrlich nicht eben so ist, als stünden seitens Friedrich Merz irgendwelche ausgegorenen Konzepte da. Der Mann hat nur den Ruf als Wirtschaftsexperte, deswegen fragt keiner nach. Merz darf dagegen Spaß mit Aussagen zu grüner Stahlproduktion haben, die er dann relativieren muss. Da redet er auch kompletten Unsinn, nur fällt es da auf. Während Habeck da vermutlich etwas mehr Breite genießen würde. Oder Heil, wenn es um Sozialprogramme geht. Und so weiter. Überhaupt nicht d'accord bin ich mit diesem Artikel im Spiegel, der die verwegene Behauptung aufstellt, das Problem sei, dass das alles "nicht im Detail durchdacht" sei. Denn egal wie detailliert die Pläne sind, das hilft vor diesen Effekten nicht. Die BILD titelte letzte Woche auch schon wieder im üblichen Kampagnen-Stil, dass Habeck uns an "den Geldbeutel" will. Das wird durch Details eher schlimmer. Nein, an einem bestimmten Punkt braucht man einfach dickes Fell und muss sagen "Scheiß drauf, das interessiert nur eine Blase". Und selbst die interessiert es ja eigentlich gar nicht. Auch das wissen wir aus vergangenen Wahlkämpfen. Die suchen nur Gotchas. Und wer sucht, der findet.
2) Das Scheitern der einstigen Hoffnungsträger
Der Artikel analysiert das Scheitern prominenter Hoffnungsträger einer neuen politischen Richtung, darunter Sanna Marin, Jacinda Ardern, Justin Trudeau und Emmanuel Macron. Diese jungen, charismatischen Politiker wollten einen pragmatischen, ideologieübergreifenden Politikstil etablieren, doch sie scheiterten aus ähnlichen Gründen. 1. Gesellschaftliche Erwartungen und medialer Druck: Marin und Ardern sahen sich intensiven öffentlichen und medialen Angriffen ausgesetzt, die ihre politische Autorität untergruben. Marins Tanzvideos und Arderns Zielscheibe von Online-Hasskampagnen sind Beispiele für die Schwierigkeit, persönliche Authentizität mit politischen Erwartungen zu vereinen. 2. Ideologische Fremdheit und Polarisierung: Trudeau und Macron wurden Opfer zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung. Trudeaus progressive Politik konnte die wachsende Ablehnung gegenüber Migration und Umweltmaßnahmen nicht überwinden. Macron scheiterte daran, Frankreichs ideologische Gegensätze zu überbrücken, während sein pragmatischer Ansatz oft als elitär wahrgenommen wurde. 3. Grenzen des „Lieferns“: Der „Dritte Weg“, der sich auf pragmatische Ergebnisse stützt, verliert an Rückhalt, wenn Ergebnisse ausbleiben. Während die globale Elite solche Ansätze favorisiert, fühlen sich viele Bürger von deren Idealen – Multikulturalismus, Postnationalismus – entfremdet. Der Artikel schließt mit der Feststellung, dass Krisen wie Klimawandel, geopolitische Spannungen und soziale Ungleichheit den Traum eines ideologiefreien Zentrismus vorerst begraben haben. Das Scheitern dieser Politiker gilt als Warnsignal für die Herausforderungen moderner Demokratien. (Alan Posener, Welt)
Ich bin sehr skeptisch, wie tragfähig der Vergleich zwischen diesen Leuten ist. Dafür scheinen sie mir doch zu unterschiedlich, auch in der Dauer. Justin Trudeau ist jetzt seit 2015 (!) Premierminister Kanadas; da von Scheitern zu sprechen, ist schon verwegen. Macron ist seit 2017 Präsident und bleibt es noch bis 2027. Das sind jeweils zehn Jahre. Nach solchen Amtszeiten lecken andere sich die Finger, und die Erkenntnis, dass nach zehn Jahren meist die Luft raus ist, ist jetzt nicht rasend originell. In der Politik hat nichts Bestand. Was der heiße Scheiß ist, wenn du gewählt wirst, ist in der nächsten Wahl, warum du total ungeeignet bist. Nichts ist so beständig wie die Unbeständigkeit des Elektorats. Dazu kommt, dass die Realität nie zur Idealvorstellung passt. Ich kann mich zum Beispiel noch gut daran erinnern, wie Stefan Pietsch Robert Habeck in den Himmel lobte, als Annalena Baerbock Kandidatin war. Jetzt ist der theoretische Habeck der reale Kandidat, und plötzlich fällt einem auf, dass er halt doch ein Grüner ist, und damit des Teufels. Ich hab das übrigens damals schon prognostiziert. ;)
3) Der geschmähte Liberalismus
Der Artikel analysiert die Krise des Liberalismus und die prekäre Lage der FDP, die bei der Bundestagswahl 1969 knapp den Wiedereinzug schaffte und heute erneut um ihre politische Relevanz kämpft. Der Liberalismus wird nicht nur als politische Idee hinterfragt, sondern auch von klugen Köpfen dekonstruiert und kritisiert. 1. Politische und ideologische Herausforderungen: Die FDP hat ihr Image als Partei des wirtschaftlichen Egoismus und der Eliten nicht abschütteln können. Gleichzeitig wird der Liberalismus global von autoritären, nationalistischen und protektionistischen Systemen bedrängt, wie in den USA, Russland, China oder Ungarn. Die „illiberale Demokratie“ nach Viktor Orbáns Vorbild findet zunehmend Anklang in Europa. 2. Ideengeschichtliche Kritik: Historiker und Sozialwissenschaftler werfen den Liberalen vor, ihre utopische Kraft verloren zu haben. Der „klassische Liberalismus“, der einst Fortschritt und moralische Verantwortung betonte, sei durch die Nachkriegsintellektuellen auf „negative Freiheit“ reduziert worden. Zudem wird der Liberalismus postkolonial als Werkzeug rassistischer Herrschaft kritisiert. 3. Die Zukunft der Freiheit: Der Liberalismus steht unter Druck, seine Relevanz und moralische Grundlage neu zu definieren. Die Gefahr, dass die Idee der Freiheit selbst auf der Strecke bleibt, erfordert eine entschlossene Verteidigung durch ihre Befürworter. Der Artikel fordert eine intellektuelle und politische Erneuerung des Liberalismus, um seine Werte und Prinzipien im 21. Jahrhundert zu bewahren. (Rainer Hank, FAZ)
Ich finde den Artikel deswegen bemerkenswert, weil er in die Reihe passt, dass die Liberalen sich wie die Linken verhalten. "Unsere Rezepte funktionieren nicht und die Leute wollen uns nicht wählen." Was ist die Lösung? "Es muss daran liegen, dass wir nicht genug auf den Kern unserer Ideologie konzentriert sind! Wenn wir nur stärker unser Kernklientel bedienen, wird es besser." Das funktioniert für Linke nicht, und es wird auch für die Liberalen nicht funktionieren. Aber schön zu sehen, dass alle sehr gut in der Lage sind, sich das einzureden. Und dabei zu vergessen, dass Wahlen eben in der Mitte gewonnen werden. Nicht vergessen hat das übrigens die FDP selbst. Schaut man mal auf die aktuellen Wahlplakate, haben die eine ziemlich klare Idee, was sie eigentlich sagen wollen.
4) Wie konnten wir die Jugend nur derart übersehen?
Die alternde Gesellschaft in Deutschland stellt eine besondere Herausforderung für Kinder und Jugendliche dar, die zunehmend zur Minderheit werden und dabei keinen adäquaten Schutz genießen. Der Soziologe Aladin El-Mafaalani skizziert in seinem neuen Buch eine ernüchternde Analyse: Bildungsergebnisse verschlechtern sich seit Jahren, Armut und gesundheitliche Probleme sind bei jungen Menschen besonders ausgeprägt, während gesellschaftliche und politische Debatten ihre Belange weitgehend ignorieren. Eine zentrale Ursache sieht El-Mafaalani im „Adultismus“, einer strukturellen Diskriminierung der Jüngsten. Kinder und Jugendliche leiden unter einem Mangel an politischer Repräsentation und öffentlichem Bewusstsein für ihre prekäre Lage. Die Herausforderungen, wie Bildungsdefizite, Klimakrise oder gesellschaftliche Polarisierung, treffen sie in ihren prägenden Jahren besonders hart. Um Abhilfe zu schaffen, schlägt El-Mafaalani umfassende Maßnahmen vor: Familien müssten besser unterstützt, das Bildungssystem grundlegend gestärkt und Kinderrechte explizit ins Grundgesetz aufgenommen werden. Zudem sollten sogenannte „Zukunftsräte“ aus jungen Menschen eingerichtet werden, die bei politischen Entscheidungen mitwirken und Generationengerechtigkeit sicherstellen. Die vorgeschlagenen Reformen zielen darauf ab, junge Menschen sichtbarer zu machen und ihnen eine Stimme zu geben, um eine nachhaltige und gerechtere Zukunft zu gestalten. (Aladin el-Mafalaani, Spiegel)
Es gibt viele Gründe, warum junge Menschen eine so geringe Rolle sprechen. Der genannte Adultismus spielt sicherlich eine große Rolle. Es ist aber auch eine Repräsentationsfrage: junge Menschen haben keine Lobbymacht, sie können sich nicht begreifbar machen. Die Wahlbeteiligung bei jungen Menschen ist schlecht, und zudem sind es wenige. Für Politik lohnt es sich daher, sie zu ignorieren und die Interessen anderer Gruppen zu priorisieren. Dass junge Menschen zudem zu den meisten Fragen gar keine Meinung haben, keinen Anteil (stakes), hilft auch nicht gerade. Ein weiter Grund, den ich noch betonen möchte, ist, dass die jungen Menschen gerne als Objekte betrachtet werden. Sie sind keine Individuen, noch nicht "fertig". Man redet ÜBER sie, nicht MIT ihnen, und schreibt paternalistisch vor, was für sie das beste ist. Deswegen spielen sie auch keine große Rolle.
5) Schlimm, schlimmer, Habeck?
Die Diskussion um Robert Habecks Leistung als Wirtschaftsminister ist hitzig, besonders im Hinblick auf mögliche zukünftige Koalitionen zwischen CDU/CSU und Grünen. CSU-Chef Markus Söder und FDP-Vize Wolfgang Kubicki sehen in ihm den „schlechtesten Wirtschaftsminister“, während andere, wie der frühere Siemens-Chef Joe Kaeser, differenzierter urteilen und ihm zumindest persönliche Sympathie zusprechen. Habecks Amtszeit ist geprägt von Kontroversen, insbesondere dem missglückten Heizungsgesetz. Obwohl er es nachbesserte, haftet ihm weiterhin der Ruf mangelnder Kompetenz an. Gleichzeitig rühmt er sich selbst als fleißigster Wirtschaftsminister, da er zahlreiche Gesetze und Verordnungen umgesetzt habe. Kritiker jedoch bemängeln, dass dies nicht die Kernaufgabe eines Wirtschaftsministers sei. Die Wirtschaftsdaten zeichnen ein düsteres Bild: Deutschland steckt seit zwei Jahren in einer Rezession, die Produktivität sinkt, und wichtige Industriejobs gehen verloren. Zwar trägt Habeck nicht die Schuld für die Energiekrise, wohl aber für die Abschaltung der letzten Atomkraftwerke inmitten dieser Krise. Generell wird Habecks Rolle als Wirtschaftsminister überschätzt. Viele politische und wirtschaftliche Entscheidungen werden anderswo getroffen – im Kanzleramt, im Finanz- oder Arbeitsministerium. Letztlich bleibt offen, ob Habeck wirklich der schlechteste Wirtschaftsminister war oder ob das Amt selbst in seiner Wirksamkeit limitiert ist. (Alexander Neubacher, Spiegel)
Neubacher hat auf der einen Seite Recht; das Amt hat wenig Macht, deswegen kann weder Habeck noch sonstwer irgendwas erreichen (seine Auflistung vergangener Minister*innen legt da beredtes Zeugnis ab). Aber ich glaube nicht, dass es an dem Fehlen eines Superministeriums à la Clement lag. Das Problem ist vielmehr zweigliedrig auf anderer Ebene. Einmal ist da Habeck selbst, der nicht wirklich in der Lage zu sein scheint, politische Macht auszuüben. Das ist eine Frage von Koalitionsdynamiken - er konnte sich, wenig überraschend, nie gegen Scholz und Lindner durchsetzen, wie auch - und persönlicher politischer Unfähigkeit. Das Heizungsgesetz - und da beginnt Neubacher wirr zu werden - ist ja weniger eine Schädigung der Wirtschaft, auf die es schon allein mangels Umsetzung kaum Einfluss hätte (und dann auch nicht gehabt hätte, das war ja für Privathaushalte relevant!), sondern ein deutliches Defizit an politischem Handwerk. Und da leidet er vor allem selbst drunter, und seine Partei, aber mit seiner Ministerkompetenz hat das wenig zu tun. - Es zeigt sich allgemein, wie schwierig es ist, Ministeriumsperformances zu werten. Schon allein, weil die eigenen ideologischen Prämissen da so eine große Rolle spielen.
Resterampe
a) Gari Kasparov stimmt mir zu. In der Welt! (Welt)
c) Absolut nicht crazy, sondern wie erwartet. (Twitter)
d) Wow, das ist nicht subtil. (Twitter)
e) Es gibt kein Menschenrecht auf vierbeinige Terminatoren (Welt). Korrekt.
f) Mit Demonstrationen ist die AfD sicher nicht kleinzukriegen (Welt). Mit moralisierenden, besserwisserischen Kolumnen sicher auch nicht.
g) Habecks Anspruch auf das Kanzleramt ist vermessen (Welt). Blödsinn. Mit dem Argument wären auch Merz und Scholz vermessen. Hypermoralisierung.
h) Why a ceasefire now? It’s not hard. (Kevin Drum)
i) Florida “cracked down” on illegal immigrants. Here’s a progress report. (Kevin Drum)
k) Verlor Kamala Harris wegen Gaza? (Dropsite News) Ich halte nicht viel von dieser Theorie, aber wen's interessiert...
l) Es gab schon weniger transparente Versuche, einen Skandal zu konstruieren, ja. (Twitter)
m) Let’s not forget Donald Trump’s clemency record from 2020 (Kevin Drum). Jupp. Es gelten einfach unterschiedliche Standards.
Fertiggestellt am 21.01.2025
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