Mittwoch, 5. Februar 2025

Die Weimarer SPD ist im Deutschlandmodell Elon Musks gefangen und schickt Krankengeld an die NATO - Vermischtes 05.02.2025

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Gefangen im Deutschlandmodell des vergangenen Jahrhunderts

Der Bundestagswahlkampf dreht sich fast ausschließlich um Migration, während die eigentliche Krise des Landes – der wirtschaftliche Niedergang – kaum thematisiert wird. Deutschland verliert an Wettbewerbsfähigkeit und sein einstiges Erfolgsmodell als Exportnation gerät ins Wanken. Während andere Industrieländer wachsen, schrumpft die deutsche Wirtschaft seit zwei Jahren. Statt eine neue wirtschaftliche Vision zu entwickeln, konzentrieren sich die Parteien auf Detailmaßnahmen wie Steuersenkungen oder Deregulierung. Selbst die Grünen, einst mit der ambitionierten Idee einer klimaneutralen Wirtschaft angetreten, haben keinen überzeugenden Plan mehr. Die FDP klammert sich an die Schuldenbremse, obwohl mehr staatliche Investitionen nötig wären. Auch die Union liefert nur kleinteilige Vorschläge. Nötig wäre eine Strategie, um Innovationszentren rund um Universitäten und Start-ups zu stärken. Doch der Wahlkampf bleibt in veralteten Konzepten verhaftet und klammert die zentrale Frage aus: Wie kann Deutschland wirtschaftlich wieder zukunftsfähig werden? (Christoph Kapalschinski, Welt)

Kapalschinski spricht einen Punkt an, den ich hier im Blog auch schon öfter thematisiert habe - es fehlt einfach an strategischen Konzepten. Alles wird nur kleinverwaltet, und was an Ideen da ist, ist üblicherweise a) schwammig b) Detailkram und c) veraltet. Natürlich wird niemals irgendwo eine Strategie rauskommen, hinter der alle stehen. Was Kapalschinski hier fordert - Innovations- und Start-up-Förderung - ist ja auch eher klassischer FDP-Katalog und wird eher weniger im Parteiprogramm der SPD zu finden sein. Aber gerade hier muss ich meine Kritik an der FDP wiederholen: da ist so gut wie nichts passiert. Weder bei Entbürokratisierung noch bei Digitalisierung noch bei Start-up-Förderung. Ich glaube auch weiterhin daran, dass es möglich wäre, da einen bunten Strauß zu schnüren (ich erinnere an unsere erste Bohrleute-Episode!). Aber da fehlt eben auch der Wille, diese Gestaltungsspielräume zu nutzen und die entsprechenden Kompromisse einzugehen.

2) Trump Almost Deleted Medicaid

Donald Trump versucht, zentrale demokratische Strukturen der USA zu untergraben, indem er Bundeszuschüsse und -darlehen blockieren lässt – eine Maßnahme, die gegen Artikel I der Verfassung und das Impoundment Control Act von 1974 verstößt. Besonders betroffen ist das Gesundheitsprogramm Medicaid, das 72 Millionen Amerikaner versichert. Ein kurzzeitiger Zugangsstopp zum Erstattungssystem der Bundesstaaten verdeutlicht die chaotische Umsetzung dieser Anordnung. Die Folgen einer solchen Politik wären katastrophal: Millionen Menschen verlören ihre Krankenversicherung, Krankenhäuser in ärmeren Regionen stünden vor dem Bankrott, und die Wirtschaft könnte in eine Rezession abrutschen. Trump und seine Regierung scheinen das Ausmaß ihrer Eingriffe nicht zu verstehen oder zu ignorieren. Zudem ersetzt Trump erfahrene Beamte durch loyalistische, aber inkompetente Unterstützer – ein Muster, das an autoritäre Regime erinnert. Besonders bedenklich ist eine neue Anweisung des Office of Personnel Management (OPM), wonach Bundesangestellte eine Loyalitätserklärung abgeben oder gehen sollen. Dies verstößt gegen US-Arbeitsrecht und erinnert an die Maßnahmen von Elon Musk nach seiner Twitter-Übernahme. Der Artikel warnt davor, dass Trump durch unkoordinierte und autoritäre Politik Amerikas demokratische Strukturen ernsthaft gefährden könnte. (Ryan Cooper, The American Prospect)

Es ist der gleiche Scheiß wie 2017, nur quasi auf Speed. Völlig inkompetente Leute und Ideolog*innen werden ohne Kontrolle mit riesigen Befugnissen ausgestattet und machen irgendwelchen Mist, ohne jede Ahnung von den Prozessen. Das ist die natürliche Folge der Staatsfeindlichkeit der Republicans: keine Ahnung von nichts und high on their own supply. Egal was man über CDU und FDP sagen will, die kennen den Unterschied zwischen Wahlkampfrhetorik und Regierungshandeln. Bei diesen Leuten ist das nicht so. Die glauben jeden noch so dummen Tweet, den sie im Doomscrollen auf dem Weg zur Arbeit gelesen haben. Es ist eine Regierung der ungeeignetsten, kleingeistigsten und bösartigsten Leute, die zumindest seit langer Zeit eine voll entwickelte Zivilisation übernommen haben. Und dieses Mal wissen sie, wie sie die Selbsterhaltungskräfte des Systems besser austricksen können als beim letzten Mal.

3) Die Nato ist Voraussetzung aller Sicherheit

Der Artikel skizziert die sicherheitspolitischen Erwartungen eines parteiungebundenen Deutschen an die neue Bundesregierung und betont dabei zentrale sicherheitspolitische Prinzipien und Handlungsfelder. Grundlegend ist der Schutz vor Bedrohungen von außen, insbesondere vor Russland, das durch seinen Angriffskrieg und Vertragsbrüche als nicht mehr kooperationsfähig gilt. Die NATO bleibt die unverzichtbare Grundlage der Sicherheit, insbesondere durch den nuklearen Schutzschirm der USA. Die Beherrschung des Atlantiks und eine integrierte Verteidigung gegen hybride Bedrohungen, Terrorismus und Cyberangriffe sind essenziell. Deutschland muss seine Verteidigungsfähigkeit ausbauen, weshalb das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels der NATO, der Erwerb von F-35-Kampfflugzeugen und die Stationierung von Raketen mittlerer Reichweite als positive Schritte gewertet werden. Die Bundeswehr soll in allen Dimensionen – Land, Luft, See, Weltraum und Cyberspace – verteidigungsfähig sein. Kritisiert wird das zögerliche Verhalten der Regierung, insbesondere in der Unterstützung der Ukraine. Durch russische Drohungen habe sich Deutschland zu sehr beeindrucken lassen und damit Putins Landgewinne begünstigt. Eine entschlossenere, initiativere Politik sei erforderlich, um Russland langfristig abzuschrecken. Um Deutschlands sicherheitspolitische Führungsrolle in Europa auszufüllen, sei ein globales Denken notwendig, das wirtschaftliche, soziale und sicherheitspolitische Aspekte zusammenführt. Die neue Regierung müsse eine Bestandsaufnahme vornehmen, um die Bundeswehr strategisch und finanziell langfristig zu stärken. Die Zeit drängt: Nur durch klare Entscheidungen könne Putin zum Einlenken bewegt werden, da er erkennen müsse, dass er militärisch nicht gewinnen könne. (Klaus Naumann, Welt)

Ich lese solche Artikel und denke mir: wie kann irgendjemand daran zweifeln? Die ganze Logik der NATO war ja immer, dass kein einzelner Staat seine Sicherheit alleine gegen einen Aggressor wie Russland (oder früher die Sowjetunion) garantieren kann. Kollektive Verteidigung. Das war die raison d'être von Anfang an. Wir haben da in Deutschland wirklich kollektiv einfach vergessen, was ein Militär eigentlich ist und wozu es dient. Das fängt bei den Bildungsplänen an, die zwar "Sicherheitspolitik" als Thema vorsehen, aber grundsätzliche Logiken etwa von Abschreckung überhaupt nicht vernünftig thematisieren, geht über die mediale Diskussion und natürlich auch in Politik und Gesellschaft generell, gerne mit dem moralistisch geschwungenen Zauberstab der Verhandlungen. Allerdings: welche "sicherheitspolitische Führungsrolle" Deutschlands in der EU? Das halte ich für Wunschdenken. Sicherheitspolitische Führungsrollen haben wir von Polen und Italien. Nicht von Deutschland.

4) Elon Musk’s Midnight Takeover 

Der Artikel beschreibt, wie durch Elon Musk unterstützte Veränderungen in der US-Regierung zu Chaos und Besorgnis unter Bundesangestellten führen. Viele dieser Maßnahmen, die durch das „Department of Government Efficiency“ (DOGE) umgesetzt werden, erfolgen zu ungewöhnlichen Zeiten, oft spät in der Nacht oder am Wochenende. Ein Beispiel ist eine E-Mail, die Regierungsmitarbeiter auffordert, eine „aufgeschobene Kündigung“ zu akzeptieren, bei der sie bis September bezahlt, aber nicht mehr arbeiten würden. Diese Praxis wird von Gewerkschaften kritisch gesehen. Parallel dazu haben DOGE-Mitarbeiter anscheinend Teile der General Services Administration (GSA) in Washington, D.C., übernommen, wodurch regulären Mitarbeitern der Zugang verweigert wird. Gleichzeitig müssen einige GSA-Angestellte ihre Programmierkenntnisse gegenüber anonymen Prüfern nachweisen, was an Musks Übernahme von Twitter erinnert. Berichten zufolge besteht das DOGE-Team größtenteils aus jungen, unerfahrenen Ingenieuren, die kürzlich ihre Social-Media-Präsenz eingeschränkt haben. Musk, der angeblich im DOGE-Büro übernachtet, verteidigt diese Maßnahmen als notwendig, um „Ineffizienz zu beseitigen“ und Haushaltskürzungen durchzusetzen. Kritiker werfen ihm jedoch Intransparenz und fragwürdige Methoden vor, darunter die Behauptung, dass Medien, die seine Mitarbeiter identifizieren, „ein Verbrechen begehen“. (Anna Merlan, Mother Jones)

Wie bei Fundstück 2 bereits gesagt kann das alles nicht verwundern. Diese Leute haben es von Anfang an angekündigt und machen nur genau das, was sie stets gesagt haben, dass sie tun werden. Dass sie die Macht dazu haben ist die Schuld derer, die sie in diese Machtposition gebracht haben - rückgratlose Abgeordnete und Funktionäre der Republicans, Medien, die lieber der false balance und dem horse race frönen statt den Ernst der Lage klar zu thematisieren, Konservative, denen es wichtiger ist die libs zu ownen statt die Republik zu schützen und nicht zuletzt die Wählenden, die unter all das ihr Kreuz gemacht haben, weil sie sich nicht informiert haben oder dachten, dass es sie nicht betrifft. I never thought the leopards would eat my face!

5) Scholz und seine Leute sind dabei, einen fatalen Fehler zu wiederholen

Der Artikel kritisiert die Reaktion der SPD auf das jüngste politische Drama um Friedrich Merz und die AfD. Während die SPD und Kanzler Olaf Scholz sich als Sieger über die Rechtspopulisten feiern, habe die Partei laut dem Autor in Wirklichkeit eine Niederlage erlitten. Der Kampf gegen die AfD sei rein rhetorisch geblieben, ohne sich den eigentlichen Problemen – wirtschaftlicher Unsicherheit und irregulärer Migration – zu widmen. Merz selbst wird als Verlierer dargestellt, der mit seiner riskanten Strategie gescheitert ist. Dennoch attestiert ihm der Autor zumindest den Mut, sich der Herausforderung gestellt zu haben. Die SPD hingegen habe nur durch eine mobilisierte Empörungswelle profitiert, anstatt wirkliche Lösungen anzubieten. Die „Brandmauer“-Rhetorik gleiche historisch fatalen Fehlern, insbesondere dem Umgang mit der NSDAP in den 1930er Jahren. Statt Ursachen zu bekämpfen, habe die SPD damals wie heute zu sehr auf Dämonisierung gesetzt – mit dem Risiko, den Rechtsextremismus weiter zu stärken. Der Autor warnt vor einer Wiederholung der Fehler der Weimarer Republik, als die demokratischen Parteien durch ihre eigene Handlungsunfähigkeit das Erstarken der Nationalsozialisten begünstigten. Das Fazit: Die SPD verliere sich in moralischen Abgrenzungen, statt Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme zu liefern – und könnte damit unfreiwillig der AfD weiter Auftrieb geben. (Gabor Steingart, Focus)

Es ist, sagen wir, eine innovative These, den Aufstieg der NSDAP auf ihre "Dämonisierung" zu schieben, aber es zeigt schön den intellektuellen Bankrott mancher rechtsbürgerlicher Kreise auf. Ich will hier vor allem auf den Schluss von Steingarts Artikel eingehen, in dem er das Kunststück fertigbringt, die letzte demokratische Regierung Weimars einfach nahtlos in eine Kontinuität mit Heinrich Brüning zu stellen, dem Zerstörer der Republik. Wer den Untergang Weimars im Jahr 1932 oder gar 1933 verortet, wird ihn nie verstehen können. Die Demokratie endete mit dem Präsidialregime Brünings, einer illegalen Regierung, die explizit angetreten war, einen Putsch durch die Hintertür durchzuführen und die Drohung einer Regierung der NSDAP als Knüppel benutzte, die Duldung der Demokraten zu erzwingen. Aber eigentlich ist es schon ein Fehler, Steingart so ernst zu nehmen, dass man diesen Wortsalat überhaupt auseinandernimmt.

Resterampe

a) Afghanen in Deutschland: Traumata und Unsicherheit nach der Gewalttat in Aschaffenburg (Spiegel). Gut, dass auch mal jemand nach deren Perspektive fragt.

b) Impfpflicht zeitigt Wirkung: Mehr Kinder gegen Masern geimpft (News4Teacher). No shit.

c) Diese bekloppten Talkshows kriegen ja nicht mal Söder gepackt. Aber Weidel wollen sie inhaltlich stellen? Dass ich nicht lache. (FAZ)

d) Und das passiert halt bei den ÖRR sicher nicht (Twitter).

e) Thread zum Stand der Marine (Twitter). Aber die Gorch Fock wollte die Marine doch selbst, oder? Das kam doch nicht aus der Politik?

f) Hattie vs. deutsches Schulsystem: Schüler nach Leistung getrennt voneinander zu unterrichten, hat keinen Effekt auf den Lernerfolg (News4Teachers).

g) Friedrich Merz als Faschisten zu beschimpfen ist niederträchtig (Welt). Ja, das haben Ariane und ich im Podcast ja auch gesagt. Nur ist das jetzt auch kein Massenphänomen, und vor allem nicht in den Reihen der Politik.

h) Bob Blume: Hausaufgaben haben in Zeiten von KI ihren Sinn verloren (News4Teachers). Schon lange vorher. :)

i) Collections: On the Gracchi, Part II: Gaius Gracchus (ACOUP).

j) Vergleiche bei Angriffen auf Parteieinrichtungen (Twitter).

k) Zu der Frage der von Merz behaupteten Gruppenvergewaltigungen gibt's sogar eine Studie (Twitter).


Fertiggestellt am 05.02.2025

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