Montag, 24. Februar 2025

Hinter der ukrainischen Brandmauer sterben die Vibes der Meinungsfreiheit mit den elitären Expert*innen - Vermischtes 25.02.2025

 Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Geldgeschichten: Willkommen in der Ära der Vibeonomics

Der Artikel analysiert die wachsende Diskrepanz zwischen der objektiven wirtschaftlichen Lage und der öffentlichen Wahrnehmung, ein Phänomen, das als Vibeonomics bezeichnet wird. Trotz solider makroökonomischer Kennzahlen unter der Biden-Regierung – darunter niedrige Arbeitslosigkeit, sinkende Inflation und ein verringertes Haushaltsdefizit – wurde die wirtschaftliche Lage von der US-amerikanischen Bevölkerung zunehmend negativ bewertet. Diese Wahrnehmungsverschiebung führte mitunter zu Trumps Wahlsieg 2024. Ein wesentlicher Faktor sei die politische Polarisierung: Die Beurteilung der Wirtschaft hänge heute stark von der Parteizugehörigkeit ab. Republikaner bewerten die Wirtschaftslage unter demokratischer Führung fast durchweg negativ – unabhängig von realen Verbesserungen. Gleichzeitig verstärke ein zunehmend ideologischer Kulturkampf die verzerrte Wahrnehmung wirtschaftlicher Fakten. Medien tragen durch negative Berichterstattung und False Balancing dazu bei, indem sie Verschwörungstheorien und populistische Narrative unkritisch verbreiten. Auch in Deutschland zeigt sich eine ähnliche Entwicklung: Während sich die wirtschaftliche Situation vieler Menschen kaum verschlechtert hat, steigt die pessimistische Wahrnehmung der Gesamtwirtschaft rasant. Die Diskussion um wirtschaftliche Reformen werde zunehmend von Kulturkämpfen überlagert, was rationale Debatten erschwere. Der Artikel plädiert für eine stärkere Fokussierung auf sachliche Politik und faktenbasierte Medienberichterstattung, um populistischen Verzerrungen entgegenzuwirken. (Daniel Stähr, 54books)

Es ist und bleibt ein Kuriosum, wie sehr die amerikanische Rechte von der Realität entkoppelt ist. Wenn man sich diese Umfragen visualisiert, ist das immer noch viel krasser als wenn man nur die nackten Zahlen sieht. Zwar bewerten auch Anhänger*innen der Democrats die Wirtschaftslage abhängig vom Einwohner des Weißen Hauses, aber der Unterschied ist wesentlich geringer als bei den Republicans, wo es quasi ein Wechsel um 180° ist. Generell - und spätestens hier ist das auch kein amerikanisches Phänomen mehr - ist aber die Wahrnehmung der eigenen wirtschaftlichen Situation weitgehend von der der Wahrnehmung der allgemeinen entkopppelt, was ein zentrales zentrales Problem unserer Zeit ist, weil diese Differenz zulasten eines sehr negativen (negativ verzerrten) wirtschaftlichen Bildes geht. Ich habe letzthin gelesen, aber leider den Link verloren, dass es auch empirisch nachgewiesen ist, dass die gleiche wirtschaftliche Lage seit den 1970er Jahren medial zunehmend negativer dargestellt wird, was natürlich der allgemeinen Krisenstimmung, die so sehr den Populisten zugutekommt, entgegenarbeitet.

2) The Death of Government Expertise

Der Artikel analysiert kritisch das sogenannte Department of Government Efficiency (DOGE), das unter Donald Trump und Elon Musk ins Leben gerufen wurde. Entgegen seines Namens habe es nichts mit Effizienzsteigerung zu tun, sondern sei ein Angriff auf die Institutionen des öffentlichen Dienstes und das Konzept unpolitischer Expertise. Trump nutze DOGE, um loyale Verbündete in staatliche Strukturen einzuschleusen und Karriere-Beamte durch ideologisch gefestigte, aber oft unqualifizierte Personen zu ersetzen. Diese Strategie sei Teil einer breiteren Entwicklung, in der Experten zunehmend als Feindbild aufgebaut werden. Besonders Musk und Trump, beide getrieben von Narzissmus und einem tiefsitzenden Groll gegen traditionelle Eliten, setzten auf eine populistische Rhetorik, die „Experten“ mit „Eliten“ gleichsetzt. Ihr Ziel sei es, öffentliche Institutionen von innen auszuhöhlen und durch willfährige Akteure zu ersetzen. Diese Feindseligkeit gegenüber Fachwissen gefährde kritische Bereiche der Regierung, darunter die Verwaltung der Nuklearwaffen oder die nationale Sicherheit. Der Autor verweist auf historische Parallelen und betont, dass moderne Gesellschaften ohne Fachleute nicht funktionieren können. Irgendwann werde die Realität die DOGE-Befürworter einholen – sei es durch Fehlschläge in der Regierung oder katastrophale Konsequenzen mangelnder Expertise. Trumps und Musks Vorgehen sei daher nicht auf Verbesserung, sondern auf Zerstörung ausgerichtet. (Tom Nichols, The Atlantic)

Ich werde das Thema bald in einer Podcastepisode vertiefen. An dieser Stelle sei schon einmal gesagt, dass das Vorgehen der libertären Spinnerbrigade in den USA, das von Seiten der Springerriege gerade auch noch beklatscht wird, nicht auf Effizienzgewinn ausgelegt ist. Diese Leute zerstören Kapazitäten. Es ist Sabotage. Das Ziel ist ideologisch determiniert: es geht um eine Beschränkung des Staates mit der Kettensäge, und Kettensägen sind nicht sonderlich präzise Instrumente. Die ideologische Verquickung von "Experte" mit "Elite", die Nichols hier anspricht, ist ein weiteres entscheidendes Problem. Denn wenn alle Personen mit Sachkenntnis als Feind definiert werden, kann an die Stelle nur inkompetentes Personal nachrücken. Das lässt sich gerade in den USA auch gut beobachten. Die Konsequenz all dieser Entwicklungen ist ein Verlust an Fähigkeiten auf allen Gebieten - und wo dies außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit betrifft, dürften selbst Hardcore-Liberale eigentlich Zweifel bekommen. Nur stört das die Kettensäge nicht.

3) Die (Un-)Logik der Brandmauer

Der Artikel thematisiert die zunehmend hitzige Debatte um die sogenannte Brandmauer gegen die AfD, die vor der Bundestagswahl besonders von der politischen Linken beschworen werde. Es werde argumentiert, dass diese Abgrenzung mittlerweile nicht mehr nur die AfD, sondern auch die CDU betreffe, wodurch der Glaube an den Parlamentarismus verloren gehe. Der Autor verweise auf frühere politische Tabubrüche, insbesondere auf die erste Regierungsbeteiligung der PDS 1998 in Mecklenburg-Vorpommern, die damals als Bruch mit dem gesamtdeutschen Konsens galt. Auch in späteren Jahren sei die Integration der Linkspartei umstritten geblieben, während die Grünen sich trotz mangelnder Kompetenz als unverzichtbare Regierungspartei etabliert hätten. Es wird kritisiert, dass die CDU nach der migrationspolitischen Kehrtwende von Friedrich Merz plötzlich selbst als Feindbild gelte. Die derzeitige Brandmauer-Rhetorik unterscheide sich von früheren Abgrenzungen, da sie den politischen Wettbewerb ersticke. Der Autor argumentiere, dass eine Regierungsbeteiligung der AfD diese Partei eher zwingen könnte, sich der Realität anzupassen, während die Grünen sich jeder Korrektur durch Sachzwänge verweigerten. Die Brandmauer diene letztlich nicht dem Schutz der Demokratie, sondern untergrabe parlamentarische Konventionen und begünstige eine ideologische Spaltung. (Magnus Klaue, Welt)

Ich finde diese Argumentation so unglaublich feige. Dieses ständige Herumtrippeln mit Kritik an der Brandmauer, vorgeschobenen Sorgen um das Demokratieprinzip und was der peripheren Diskussionen nicht noch mehr ist: Klaue will eine Koalition zwischen CDU und AfD. Er begrüßt die politischen Positionen der AfD. Aber er sagt das nicht offen, sondern moralisiert stattdessen. Relevanter ist der Vergleich mit der PDS/LINKEn. Denn auch hier galt eine Art der Ausgrenzung. Warum allerdings diese vollständig notwendig und korrekt war beziehungsweise ist, während die der AfD demokratietheoretisch nicht tragbar ist, bleibt das Geheimnis all derer, die entsprechend argumentieren. Da haben es die Brandmauer-Apologet*innen einfacher: es richtet sich gegen den Rechtsextremismus. Das mag man zutreffend finden oder nicht, berechtigt oder nicht, aber es ist immerhin konsistent.

4) „Wir müssen aufrüsten – für die Ukraine und für uns“

Der österreichische Politikwissenschaftler Gustav Gressel äußert sich skeptisch zu einem möglichen Treffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin in Riad. Seiner Einschätzung nach werde die Ukraine dabei nur eine Randnotiz sein, da es in den Vorgesprächen vorrangig um eine Vertiefung der amerikanisch-russischen Beziehungen, diplomatische Kooperationen und Energiethemen gehe. Der gemeldete Stufenplan – bestehend aus einem Waffenstillstand, Wahlen und anschließenden Friedensverhandlungen – sei für Russland ideal, da es eine Atempause zur Reorganisation und möglicherweise eine Aufhebung der US-Sanktionen bedeuten könnte. Gressel geht davon aus, dass Trump die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen werde, was Kiew zwingen könnte, sich stärker auf Europa zu verlassen. Er hält es jedoch für unwahrscheinlich, dass eine von Trump initiierte Waffenruhe Bestand hätte, da Russland in den vergangenen Jahren wiederholt gegen solche Abkommen verstoßen habe. Zudem wolle Putin nicht nur die Ukraine unterwerfen, sondern eine gesamteuropäische Ordnung nach russischen Vorstellungen durchsetzen. Die Annäherung zwischen Trump und Putin könnte die Gefahr eines größeren Krieges beschleunigen, insbesondere wenn Russland nach einem Sieg in der Ukraine seine Armee weiter westwärts bewegen sollte. Gressel warnt, dass Europa dringend aufrüsten müsse, da der amerikanische Schutzschirm unter Trump nicht mehr glaubwürdig sei. Besonders besorgniserregend sei, dass Trump zunehmend russische Narrative übernehme, was das atlantische Bündnis weiter destabilisiere. (Friedrich Schmidt, FAZ)

Mittlerweile ist die Erkenntnis in den demokratischen Parteien weitgehend angekommen. Allerdings scheint das immer noch eher auf einem theoretischen Level. Was es bedeutet, die Verteidigung ohne die USA zu organisieren, ist immer noch etwas, mit dem ich mich selbst auch schwer tue. Weniger aus Ablehnung, sondern einfach, weil die Referenz dafür fehlt. Wenn ich das richtig sehe, war ja schon in den 1980er Jahren - die ich nur als Kindergartenkind erlebt habe - die Bundeswehr, sagen wir, bedingt abwehrbereit. Das bedeutet vier Jahrzehnte; die letzten, die eine entsprechende Bundeswehr erlebt haben, leisteten ihren Wehrdienst spätestens Anfang der 1980er Jahre und sind jetzt in Rente. Wir müssen das als Gesellschaft erst einmal lernen.

5) The Free-Speech Phonies

Der Artikel thematisiert die zunehmenden Angriffe von Donald Trump und Elon Musk auf die Pressefreiheit in den USA. Der Autor verweist auf die Fehleinschätzung des ehemaligen CBS-CEOs Leslie Moonves, der 2016 meinte, dass Trumps Präsidentschaft gut für die Medienbranche sei. Tatsächlich würden Trump und seine Verbündeten gezielt Druck auf Medienhäuser ausüben, um unliebsame Berichterstattung zu unterbinden. Als Beispiel werde die Attacke von Musk auf 60 Minutes genannt, in der er die Sendung der Wahlmanipulation beschuldige und lange Haftstrafen für die Verantwortlichen fordere. Gleichzeitig habe Trump selbst angekündigt, CBS die Sendelizenz zu entziehen. Der Artikel beschreibt, dass CBS und dessen Mutterkonzern Paramount unter enormem Druck stünden, eine Millionen-Dollar-Klage von Trump beizulegen, um regulatorische Nachteile zu vermeiden. Auch andere Medien seien betroffen: Die Associated Press wurde aus dem Weißen Haus verbannt, ABC zahlte eine fragwürdige Einigung an Trump, und die Regierung drohe NPR und PBS mit Entzug öffentlicher Gelder. Während Trump sich als Verteidiger der Meinungsfreiheit inszeniere, nutze er staatliche Macht, um Kritik zu unterdrücken. Musk folge derselben Strategie und betreibe eine selektive „Free Speech“-Politik, die eigene Interessen schütze, aber gegnerische Stimmen unterdrücke. Die zunehmende Angst der Medien vor Repression könne zu einer schleichenden Selbstzensur führen. (David A. Graham, The Atlantic)

Es gibt wohl wenig Bereiche, in denen sich die Kulturkämpfer*innen dermaßen blamiert haben wie in ihrer Wertschätzung von Musk und Trump als Vorkämpfer der Freiheit. Es war schon immer schmerzhaft offensichtlich, dass es denen um nicht um Meinungsfreiheit geht, aber seit der Regierungsübernahme Trumps haben sich alle Befürchtungen der Progressiven nicht nur erfüllt, sondern überfüllt - und das Herabwürdigen dieser Befürchtungen als Hysterie oder Panikmache sind peinlich widerlegt. Noch immer weigert sich diese Gruppierung aber standhaft, ihren Irrtum einzusehen oder gar an die Aufarbeitung zu gehen. Stattdessen fabuliert ein Ulf Poschardt vom "Freiheitsfuror".

Resterampe

a) Diese Studie zu den PKVs ist echt erschreckend. (Spiegel)

b) Von wegen wenig leistungsbereite Generation Z: Junge Menschen arbeiten immer mehr (News4Teachers). Die Grundannahme, dass jeder Artikel über "Generationen" falsch ist, zeigt sich hier mal wieder.

c) In der Welt fordert ein Unternehmer die Reform der Schuldenbremse. (Welt)

d) Sehr bedenkenswerte Argumentation von Alan Posener, warum man Lisa Poettinger zum Referendariat zulassen sollte. (Welt)

e) Friedrich Merz gibt Forderung aus Migrationsantrag auf (Spiegel). Was für eine Clownshow.

f) Auch Cancel-Culture, die keinen interessiert. (taz)

g) Mein Thread zu den Staatsanwälten. (Twitter)

h) Diese Idee des "Brokenismus" ist ganz gut. (Tablet)

i) Britischer Blick auf den Wahlkampf (EUCR). Und einer von Foreign Affairs.

j) Folie à deux in the White House (Kevin Drum).

k) Tragetaschentheorie der Computerspiele (54books).

l) Julianne Moore 'Stunned' After Her Children's Book Is 'Banned' By Trump Administration (Comicsand). Das Schweigen der Springer-Presse, die jeden noch so kleinen amerikanischen Woke-Skandal berichtet hat, ist ohrenbetäubend.

m) Guter Punkt zu Genscher (Bluesky).

n) Studie: Auf zwei Lehrkräfte, die das Pensionsalter erreichen, kommen mittlerweile fünf, die vorzeitig den Schuldienst quittieren (News4Teachers). Absolutes Desaster angesichts des Lehrkräftemangels, aber redet keine Sau drüber.

o) Gute Kolumne zur Angst vor Rechtsradikalen. (Tagesspiegel)

p) Die AfD und ihr Spendenskandal. (Spiegel) Was für ein Netzwerk von Rechtsextremisten. Und immer irgendwelche Superreichen, die den Aufstieg derselben stützen. - Ich sehe allerdings nicht wirklich, dass die Partei die Strafe wird zahlen müssen. Aber schauen wir mal.

q) Democrats need to do a lot of nothing (Kevin Drum). Absolut.

r) Chart of the day: The terrible German economy (Kevin Drum). Wäre vielleicht ein besseres Thema für den Wahlkampf gewesen...

s) Kriegsdienstverweigerung im Kriegsfall verboten (Verfassungsblog).


Fertiggestellt am 23.02.2025

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