Dienstag, 11. Mai 2010

Kampf um die gestaltende Mehrheit

Von Stefan Sasse

In NRW entscheidet sich dieser Tage nicht, ob die schwarz-gelbe Regierung ihr Reformprogramm durchführen wird können. Franz Walter weißt zu Recht daraufhin, dass es in Deutschland eigentlich keine Totalblockaden, sondern den Vermittlungsausschuss gibt. Diese Reformpolitik war von Anfang an eine politische Totgeburt, die NRW-Wahl nur der Grund, den man vorschieben kann, um sie immer weiter zu verschieben und schließlich zu beerdigen. Nein, in NRW entscheidet sich dieser Tage etwas anderes. Es entscheidet sich, ob in Deutschland die Chance einer gestaltenden Mehrheit entsteht oder nicht. 


Was ist eine gestaltende Mehrheit? Eine gestaltende Mehrheit ist eine, die ein Programm hat, eine Vision, und in der Lage ist, dieses durchzubringen. Daraus geht hervor, dass es derzeit zwei mögliche gestaltende Mehrheiten in Deutschland gibt. 
1) Schwarz-Grün. Das wäre der endgültige Aufbruch in eine bürgerlich-progressive Politik und eine weitgehende Verabschiedung der CDU vom C und dem Konservatismus. Zum Glück für alle Beteiligten reichte es dazu in NRW nicht; das Experiment wird also weiter verschoben. 
2) Rot-(Rot-)Grün. Es ginge um die typisch linksbürgerliche Reformpolitik von Gemeinschaftsschule bis gebührenfreies Studium. Nach Lage der Dinge muss dazu die LINKE mit ins Boot geholt werden, ist aber nicht zwingend notwendig. 
Als Konsequenz ist klar, dass Schwarz-Rot ebensowenig eine gestaltende Mehrheit sein kann (die verwalten zwar vor sich hin, können aber keine großen Projekte anpacken, weil sie auf den entscheidenden Feldern unterschiedlicher Meinung sind; man hat das 2005-2009 gut gesehen). Dasselbe gilt nur unterschiedlich angemalt für Schwarz-Gelb-Grün und Rot-Gelb-Grün, solange nicht die FDP bereit ist, einen wesentlichen Themenschwenk zu machen, aber danach sieht es derzeit nicht aus. 
Zurück nach NRW. Dort gibt es gerade Gerüchte über einen potentiellen LINKE-Überläufer, der doch die rot-grüne Mehrheit sichern könnte, aber das scheint eher unwahrscheinlich zu sein. Die FDP dagegen setzt auf ein großes Störfeuer, nachdem sie sich entgegen aller beinharten vorherigen Aussagen doch eine Ampel vorstellen könnte, wenn rot-grün ein für allemal eine Beteiligung der LINKEn ausschließen. Das ist unwahrscheinlich und langfristig für die FDP wahrscheinlich sogar schädlich, die die Sackgasse erkannt hat, in die sie sich mit der Abhängigkeit zu einer schwächelnden CDU begeben hat. Die CDU dagegen buhlt um die SPD als Partner in einer schwarz-roten Koalition, was in den Medien, besonders der Zeit, derzeit ebenso aggressiv promotet wird wie vor der Wahl Schwarz-Grün. 
Kraft ist dabei keinesfalls zu beneiden. Nicht nur hat sie die Wahl effektiv verloren, was derzeit für einen Katzenjammer bei der SPD sorgen dürfte, wenn man sich erst einmal von der unangebrachten Euphorie erholt hat. Sie hat außerdem auch noch drei Koalitionsmöglichkeiten: sie kann sich mit der CDU verbinden und Rüttgers als Bauernopfer fällen, wie Matschie das mit Althaus tat. Sie kann auf die Angebote der FDP eingehen oder sie kann die Rot-Rot-Grüne Option wählen. Eine dieser Möglichkeiten muss sie ergreifen, da sie das Heft des Handelns für sich beansprucht, das die CDU nach Lage der Dinge tatsächlich nicht hat, da ihr außer der SPD kein Koalitionspartner offen steht. 
Auf das Angebot der FDP kann man aber klaren Verstands nicht eingehen, besonders da fraglich ist, ob die Grünen dazu bereit sind. Die SPD würde sich damit endgültig jeden Handlungsspielraums berauben. Die schwarz-rote Koalition ist so etwas wie ein sicherer Hafen, die Konsequenzen absehbar und relativ leicht umschreibbar: es würde keine geben. Die nächsten fünf Jahre würden ruhig verlaufen, kein heißes Eisen angepackt, und am Ende würden SPD und CDU beide verlieren, die SPD etwas mehr als die CDU. 
Rot-Rot-Grün stellt die SPD aber auch vor schwere Probleme. Im Gegensatz zu den Grünen wären sie es, die den ganzen negativen Ballast abbekämen, sollte die Koalition scheitern. Dass sie das tut, ist tatsächlich kein völlig von der Hand zu weisendes Szenario. Derzeit schlimmer ist allerdings das mediale Dauerfeuer, das nicht erst seit dem Wahlabend auf Kraft hereinprasselt. Bloß nicht mit "den Chaoten", das ist der einhellige Tenor. Denn dann würde NRW zur Vorhölle auf Erden oder doch zumindest zum Vorzimmer Westerwelles. Kraft muss, wenn sie diese Option nutzen will, aktiv werden. Die Regierungsbildung in NRW ist derzeit von einer ganz eigenen Dynamik getragen, und im politischen Deutschland liegt eine Energie in der Luft, die bisher völlig ungenutzt ist und von den schwarz-roten Koalitionen mit einer bleischweren Decke belegt wird, die sie jedoch nicht aus der Welt schafft. Die Ablehnung von rot-rot-grün ist eigentlich längst nicht so einhellig, wie dies aus den Medien scheint. Kraft müsste die Energie nutzen, in aggressive Angriffsenergie verwandeln und das Bündnis promoten, wie jede andere Koalition auch promotet wird: klar wäre es uns lieber gewesen, wir könnten mit dem Wunschpartner, geht aber nicht. Also machen wir in Verantwortung für das Land dieses und jenes. 
Eigentlich ein recht einfacher Schritt, aber er kann Kraft alles kosten. Sie könnte das Schicksal Ypsilantis erleiden und von Heckenschützen in der eigenen Partei erlegt werden. Sie wäre einer noch größeren Medienoffensive gegen sich ausgetzt als ohnehin schon. Angesichts dieser düsteren Aussicht muss die schwarz-rote Option wahrlich verlockend wirken. Aber wenn nicht bald irgendjemand aus der SPD die in der Luft hängende Energie zu einem Schritt vorwärts nutzt und alles auf eine Karte setzt, könnte das System auch irgendwann implodieren oder irgendetwas anderes unvorhergesehenes geschehen, wie das Erstarken einer echten, sechsten, am rechten Rand positionierten Partei. Es steht in NRW viel auf dem Spiel, und es erfordert eine zupackende Hand, dieses Spiel für sich zu entscheiden. Derzeit scheint niemand diese Hand zu haben. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis irgendjemand kommt, der sie hat. Und es gibt keine Garantie, dass dieser jemand in einer der fünf etablierten Parteien ist. 

1 Kommentar:

  1. Hallo Stefan,

    Eine sechste Partei am rechten Rand der SPD wäre für die Partei selbst wahrscheinlich das Beste, was ihr passieren kann, wirft diese doch nun endlich den Schröderschen Ballast von Bord. Blöderweise wird sich eine solche Splitterpartei nicht etablieren können, mit der SPD und allen anderen Parteien rechts von ihr ist das Spektrum sehr gut besetzt. Man kann sich mittlerweile sogar aussuchen, ob man in seiner Spießbürgerlichkeit eher auf Vermögendensubventionen oder doch gar auf Doesnpfand setzt, ganz nach belieben.

    Es bleibt genau das übrig, was bereits seit Jahren prognostiziert wird: Die SPD befindet sich in einer furchtbar destruktiven Phase, die sie wahrscheinlich nicht als Volkspartei überleben wird. Daran hat auch NRW nichts geändert und daran wird mMn auch eine Koalition mit den Linken langfristig nichts ändern. Nicht solange in der SPD Leute sitzen, die Pragmatismus mit konservativer Politik verwechseln.

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