Donnerstag, 20. Mai 2010

Die Krux mit der Bildung, Teil 2

Von Stefan Sasse

Im letzten Beitrag haben wir uns damit befasst, warum im Bildungsbereich nicht so schnell mit Besserung zu rechnen ist. Aber was müsste man eigentlich tun? Welche Maßnahmen könnte man ergreifen, um das System zu verbessern? Im Folgenden sollen einige Möglichkeiten aufgezeigt werden. 

Das Bildungssystem ist, wie in der Serie zum Bildungssystem bereits dargestellt, der "kranke Mann Deutschlands". Um bei dem medizinischen Bild zu bleiben: der Patient liegt bereits im Koma und ist instabil, jeder Eingriff verbietet sich eigentlich von selbst, will man nicht alles nur noch schlimmer machen. Eine erste Maßnahme wäre also eine Stabilisierung des Patienten, damit man überhaupt erst einmal ernsthafte Maßnahmen ergreifen kann. Die Infusion, die ihm dafür gelegt werden müsste, besteht ganz simpel aus Geld. Seit fast 30 Jahren ist das Bildungssystem massiv unterfinanziert. Es bräuchte viele Milliarden, die in das System gepumpt werden müssten, um es wiederzubeleben. Damit könnte überhaupt erst einmal die bestehende Infrastruktur repariert und so weit ausgebaut werden, dass man überhaupt daran denken kann, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Beispiele für infrastrukturelle Maßnahmen sind hier bereits angesprochen worden.

Diese Maßnahmen bestehen in einer Ausweitung des gemeinsamen Lernens. Die in vielen Bundesländern praktizierte Trennung der Schüler nach angeblichen Begabungen und Fähigkeiten im zarten Alter von 10 Jahren (4. Klasse) ist grotesker Unsinn. In diesem Alter sind die Potentiale der Schüler noch überhaupt nicht abschätzbar, weil die Persönlichkeiten kaum entwickelt sind. Stattdessen trimmt man sie auf einen Kurs, der sie für die nächsten 5 Jahre und oft genug für den Rest ihres Lebens festlegt. Potentiale verkümmern und werden nie erkannt. Fügt man dieser Problematik hinzu, dass bei dieser Art von Selektion nach Übereinstimmung aller Studien die soziale Herkunft einen entscheidenden Anteil hat, so erkennt man, dass hier dringend Abhilfe geschaffen werden muss. Gemeinsames Lernen bis mindestens zur sechsten Klasse ist Pflicht, besser noch bis zur zehnten Klasse. Spezielle Begabungen können ja weiter durch zusätzliche Kurse gefördert werden, schließlich soll es nicht um eine Nivellierung aller Leistungsunterschiede und -potentiale gehen. Nach der gemeinsamen Schule bis zur 10. Klasse gibt es eine optionale, freiwillige "Oberschule", die im Endeffekt der alten gymnasialen Oberstufe entspricht. An deren Ende steht denn auch das Abitur.

Die Schule wird außerdem endlich zur Ganztagsschule, mit der ganzen einhergehenden Infrastruktur wie Mensen und Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe. Dadurch erhalten besonders aus sozial schwachen, bildungsfernen Milieus stammende Schüler bessere Chancen, den Anschluss nicht zu verpassen und mehr Zeit in einer Umgebung zu verbringen, die eben bildungsnah ist. Die Schule bietet darüberhinaus nach angelsächsischem Vorbild weitere Freizeitmöglichkeiten wie Sportkurse und ähnliches, was es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nebenbei mehr stärkt als alle Elterngelder dieser Welt.

Die alten Klassenverbände werden abgeschafft, stattdessen wird ein flexibles Kurssystem eingeführt. Dies beendet die alte Problematik der ohnehin nie existenten Klassengemeinschaft und ermöglicht es den Kindern, mehr andere Kinder kennenzulernen, immer wieder neue Kontakte zu schließen und wechselt außerdem die Lehrer häufiger durch, was die Gefahr von Bevorzugung und Benachteiligung wegen der Persönlichkeit reduziert. Dieses System wird beispielsweise in der gymnasialen Oberstufe seit Jahrzehnten erfolgreich angewandt, es gibt keinen Grund, es nicht auch bereits früher einzusetzen.

Generell wird der Bildungsföderalismus endgültig abgeschafft. Es kann nicht sein, dass ein Schulabschluss je nach Bundesland unterschiedlich gewertet werden muss; der sprichwörtlich schlechte Ruf des "hessischen Abiturs" soll hier als warnendes Beispiel dienen. Die Theorie vom föderalen Standortwettbewerb ist ohnehin vollständiger Quatsch, und im Bildungsbereich gilt dies genauso. Die absurden Auswüchse, dass ein angehender Lehrer in Baden-Württemberg zwar sein Praxissemester in Neuseeland, nicht aber im benachbarten Bayern abschließen kann, weil die Bildungssysteme sich zwischen diesen beiden Ländern angeblich zu stark unterschieden, müssen beseitigt werden.

Weiterhin wird die Lehrerausbildung verändert. Die nutzneutralen Versuche, mit pädagogischen Pflichtveranstaltungen an der Universität für mehr Praxistauglichkeit zu sorgen werden eingestellt. Stattdessen kümmert sich die Universität weiter um das, was sie kann: die wissenschaftliche Ausbildung. Gleichzeitig läuft nebenher nach dem Vorbild des Praxissemesters eine praktische und bezahlte Ausbildung direkt an den Schulen, wo Praxiserfahrungen gesammelt werden können. Lehrer werden außerdem weiter verbeamtet.

Die meisten dieser Maßnahmen haben aus den im letzten Beitrag dargelegten Gründen kaum Chancen auf Umsetzung. Möglich ist vor allem die Investition dringend benötigter Gelder sowie das gemeinsame Lernen bis zur sechsten Klasse und die Abschaffung der Hauptschule. Ebenfalls im Kommen ist, wenn auch mit finanziell bedingten starken Unterkapazitäten, die Ganztagsschule oder zumindest - realistischer bezeichnet - die Möglichkeit, halbwegs betreut über den Nachmittag im Schulgebäude zu verbleiben. Mit dem Rest ist in naher Zukunft leider nicht zu rechnen. 

13 Kommentare:

  1. Orwell oder einfach credo quia absurdum?

    Wenn der Unterricht an den Hauptschulen nicht mehr funktioniert, schon weil die meisten Schüler türkisch oder suaheli besser verstehen als deutsch, dann stecken wir doch die Realschüler und Gymnasiasten mit denen zusammen, damit die auch nichts mehr lernen und nicht mehr bevorzugt werden.

    Wenn dann überall Chaos ist, schaffen wir noch die Klassen ab und machen lauter Kurse, dann kennen die Lehrer ihre Schüler nicht mehr und geben sich keine Mühe, etwas positiv auf ihre eigenen Schüler in ihrer Klasse einzuwirken.

    Damit auch daheim kein Schüler mehr gefördert werden kann, gibt es die Ganztagsschule. Dann kann Mutti auch zum Arbeiten, gibt ja zuwenig Arbeitslose. Warum soll sie sich um ihre Kinder kümmern, besser die lernen an der Gesamtschule den ganzen Tag das Randalieren und Klauen und die Schwächeren abziehen.

    Den sprichwörtlich schlechten Ruf des hessischen Abiturs verbessern wir auch gleich, indem wir in Bayern für dieselben Verhältnisse sorgen.

    Und keine Angst: Reiche werden ihre Kinder auf teure Privatschulen schicken. Das trifft also nur die Normalbürger. Wenn wir uns eh schon auf die Verhältnisse der Dritten Welt zubewegen, ist unser bewährtes dreigliedriges Bildungssystem, in dem heute allerdings nur noch die Realschulen und Gymnasien etwas taugen, völlig überzogen und muss durch die Gesamtschulen ersetzt werden, in denen die Kinder mindestens bis zur 10. Klasse gemeinsam nichts Gescheites mehr lernen.

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  2. Interessanter Einwand, W.Waldner,
    Wenn wir uns eh schon auf die Verhältnisse der Dritten Welt zubewegen, ist unser bewährtes dreigliedriges Bildungssystem, in dem heute allerdings nur noch die Realschulen und Gymnasien etwas taugen, völlig überzogen und muss durch die Gesamtschulen ersetzt werden, in denen die Kinder mindestens bis zur 10. Klasse gemeinsam nichts Gescheites mehr lernen.
    Wo bitte hat sich das dreigliedrige Schulsystem denn bewährt?

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  3. Den sprichwörtlich schlechten Ruf des hessischen Abiturs verbessern wir auch gleich, indem wir in Bayern für dieselben Verhältnisse sorgen.

    Ähm ja und den Satz versteh ich nun nicht ganz, und das mit besagtem angeblich so viel schwererem bayerischen Abitur.... :-)
    Vielleicht gehts ein bisschen genauer? Danke sagt die Nanny

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  4. Manche halten die Gesamtschule für ein fortschrittliches, gar linkes Projekt. Das ist aber ein Irrtum, weil es eigentlich eine angloamerikanische Idee für Deutschkand ist. Im Ergebnis läuft es dann auf Privatschulen hinaus für alle, die ihren Kindern noch etwas bieten können.

    Dass Union und FDP hier auf der richtigen Linie liegen, kommt daher, weil die Kinder ihrer Klientel betroffen wären, an der Gesamtschule die Integrationsarbeit zu leisten. Wenn die Reformen nur die Arbeiter schädigen, sind die wieder voll dabei.

    Und ja, in den Hauptschulen hat sich sozusagen nichts bewährt, das sind Problemschulen. Aber zumindest in Bayern funktionieren Realschule und Gymnasium ganz gut für die Kinder dort drinnen.

    Das ist sicher ungerecht, aber besser als die Hauptschule für alle.

    Das hessische Abitur leidet ja im Vergleich mit den bayrischen Abiturienten unter einem schlechten Ruf. Das wird natürlich besser, wenn in Zukunft auch in Bayern alle Schüler erst mal bis zum 10. Schuljahr gemeinsam im Schulhof Türkisch und Suaheli von den Schulkameraden lernen. Danach drei Jahre bis zum Abitur, anschließend gibt es ja eh kein Diplom mehr, sondern nur noch den Bachelor und den Master für Beziehungen.

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  5. @W.Waldner

    Das "beruehmte" Bayern-Abitur ist nur deswegen so "toll", weil Bayern fuehrend ist in der Auslese von vorgebildeten Schuelern ("gutes Elternhaus").

    Mit gutem Menschenmaterial kann man eben bei weniger Anstrengung bessere Ergebnisse erziehlen.
    Die paedagogische Umsetzung des MiniMax-Prinzips. Nichts weiter.

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  6. ob das bayerische Gymnasium tatsächlich so gut ist für die kinder da drin solltest du dir mal von den Kindern erklären lassen. Wenn diese mal Zeit haben zwischen Schule, lernen und so weiter und wenn sie die FAhrt in den prähistorischen Schulbussen überlebt haben.

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  7. Hallo zusammen,

    unter http://www.onlinetechniker.de/?q=node/23
    findet Ihr die Beschreibung eines Grundkonzepts für ein neues Bildungssystem.

    Wenn es euch gefällt, könnt Ihr natürlich auch aktiv mitwirken um es zu realisieren.

    Meldet euch einfach unter: http://www.onlinetechniker.de/?q=content/kontakt

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  8. Ja ist denn nun "'s hässische" schlechter - und ist das nicht spätestens seit der formalen Gleichstellung der Abinoten obsolet?

    MfG

    ein hessischer Abiturient (kurz vor seinen mündlichen Prüfungen)

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  9. Ich bin in den 60igern aufgewachsen.
    Wir lebten damals als grosse Familie zu Acht in einer Wohnung mit 56 m².
    Damals gab es noch die Note für häuslichen Fleiss.
    Die war bei mir immer 6.
    Was hätte mir mehr Geld im Bildungssystem genutzt?

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  10. @julian: wenn die Abinoten gleichgestellt sind sind ja eigentlich die mit dem schwierigeren weil zentral gestellten abi benachteiligt.
    ABer das Problem stellt sich ja schon viel früher, hier auf dem Land zum Beispiel sind die Übertrittquoten niedriger als in der Stadt, nicht weil die Kinder dümmer sind sondern weil die langen Anfahrtswege viele abschrecken. Manchmal scheitert es auch an den Kosten. So sagt meine Nachbarin daß sie ihrer Tochter in der 5. Klasse oft helfen muß weil die Erklärung im Unterricht nicht ausgereicht hat. WEnn nun die Eltern das aus welchem Grund auch immer nicht leisten können (zum Beispiel weil ihr eigenes Bildungsniveau das nicht hergibt) dann hilft nur Nachhilfe. Das wiederum ist aber eine Frage des Geldbeutels. Drum finde ich den Ansatz mit der Ganztagsschule und sozusagen "Nachhilfe für alle" gar nicht so schlecht.

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  11. Ist das nicht alles etwas scheiß-egal in Zeiten, in denen auch das beste Abi oder der total geile Uni-Abschluß nichts mehr wert sind ausser man kennt jemand der einen kennt usw. (geht schneller, wenn der erste jemand der papi ist :)

    Haben wir nicht genug hochqualifizierte Erwerbslose produziert? Eben weil wir Ihnen diesen Aufstieg-durch-Bildung Quatsch erfolgreich verkaufen konnten?

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  12. eigentlich ist für mcih Bildung mehr als der Weg zu einem tollen Einkommen, aber wer dem wirtschaftlichen Erfolg hinterherhechelt kann das vielleicht nicht nachvollziehen.
    Viele Bildungsangebote lassen sich nich in Geld ausdrücken, sind aber dennoch wichtig für das einzelne Individuum.

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