Von Stefan Sasse
Aktueller Stern-Titel |
In den meisten Medien findet man derzeit irgendwelche Analyse-Versuche, wie die Kultur der Japaner ihren Umgang mit der Katastrophe beeinflusst. Da wird über Einflüsse der alten Kamikaze-Flieger sinniert, die doch auf dem Boden einer Jahrzehntlangen Indoktrination einer Militärdiktatur sprossen, wogegen Japan seit dem Kriegsende ein demokratischer Staat ist. Kein Klischee ist zu dumm, um es nicht in die Debatte einzubringen und eine Aussage zu kreieren, der man eben mal zustimmen kann: die Japaner seien eben eine Kultur, die das Kollektiv immer noch über das Individuum stellt. Oder die Enge Tokios macht die Menschen so rücksichtsvoll und diszipliniert, dass das gewissermaßen als vorbildliches Leuchtfeuer bis Fukushima strahlt - oder so. Selten werden geistige Tiefen erreicht wie in nebenstehendem Sterntitel, wo der Kamikaze, ein Samurai, eine Geisha und japanische Feuerwehrleute eine Kombination eingegehen, die sich der Stern-Illustrator vermutlich auch nur im Vollrausch sinnvoll erklären konnte. Alles irgendwie japanisch, oder? Die Feuerwehrleute, die hier stolz, diszipliniert, leidensfähig und selbstlos dastehen wurden nach aktuellen Berichten gezwungen, den Reaktor auch weiteren Rauchentwicklungen weiter zu bespritzen. In Tokio gibt es Hamsterkäufe, die zeitweise fast die Lebensmittel knapp werden ließen. LKW-Fahrer weigern sich, Orte anzufahren, die auch nur grob in der Nähe von Fukushima sind und verschärfen damit die Versorgungskrise. Kurz: die Japaner reagieren nicht großartig anders als wir das auch tun würden.
Dummerweise steht das einer echt guten Geschichte im Weg. Journalismus, das ist eine leidige Erfahrung, muss personalisieren um interessant zu sein. Echte Analysen ohne unnützes Gepränge wollen leider die wenigsten Leser haben, sie werden als langweilig empfunden. Deswegen wird schnell auf solche Klischees zurückgegriffen, um eine Geschichte über ein fernes Land zu produzieren, über das man nur wenig weiß. Kaum jemand käme auf die Idee, einen französischen Reaktorunfall mit der Weinproduktion und Genießermentalität der Franzosen zu verkoppeln - aber die sind auch so nahe, dass der Bedarf an solchem Unfug nicht groß genug ist. Für Japan dagegen greift man tief in die Stereotypenkiste, so tief, dass es peinlich wird, wie FR-Journalisten im Interview mit Kenichi Mishima erfahren mussten. Diese theoretisierten munter drauflos, wie die Mentalität der Japaner doch ihren Umgang mit der Krise beeinflusste und hatten wohl auf billige Zustimmung des Philosophen gehofft. Der jedoch weist die FRler mit mildem Tadel zurecht. Als die im Verlauf des Gesprächs immer stärkere Geschütze hervorholen und postulieren, dass nur englischsprechende Japaner sich über US-Medien angemessen informieren könnten (weil die japanische Presse sich gewissermaßen selbst gleichschalte, kennt man ja, Kollektiv und so), ruft er gar erschreckt aus: "Verführen Sie mich nicht zum Nationalismus!"
Tatsächlich ist die Debatte völlig wirr und konnte überhaupt nur entstehen, weil Fukushima einerseits wirklich weit weg ist und beim besten Willen keine Auswirkungen auf deutschen Salat zu befürchten sind, über den man berichten könnte, und andererseits kaum jemand praktische Kenntnisse hat. Anstatt die Verwicklungen von Tepco mit der japanischen Regierung und den starken Atomfilz zu thematisieren, der leicht auch Vergleiche mit dem Problem hierzulande zulässt, behandelt man den GAU lieber als Teil der Naturkatastrophe wie die Erdbeben und Tsunamis und lässt die Japaner als edle Wilde darauf mit disziplinierter Geschlossenheit reagieren. Das erzeugt einen herzergreifenden, spannenden Narrativ, der sich schön liest und Karl Mays Beschreibungen von edlen Arabern und Indianern in kaum etwas nachsteht - der allerdings mit der Realität in etwa so viel zu tun hat wie Winnetou, der Häuptling der Apatschen, mit dem realen Indianerstamm.
dieses hochjubeln war schon auf DLF zu hören. es nervte mich schon dort.
AntwortenLöschensolche japaner braucht die ganze welt, damit wir, die herren der AKWs die ganze welt verstrahlen können.
Gute Analyse!
AntwortenLöschenMich nervt diese Berichterstattung auch. Ich habe vor allem das Gefühl, es stört der deutschen Einheitspresse, das sie sehr wenig heulende, jammernde Japaner zu sehen bekommen. Für eine gute spannende Katastrophen-Story braucht es doch viele Emotionen. Was erlauben sich da die Japaner, vor der Kamera so diszipliniert und gelassen zu sein? Wir Deutsche sind es gewohnt, dass bei jedem Luftschiss (GZSZ, DSDS, Dschungelcamp usw.) geflennt und geheult wird.
lol, super Cover, aber nichts toppt das Brüderle als Erhard-Cover vom Focus. Die Story im Stern zu den unglaublichen Japanern würde mich mal interessieren. Naja, in ein paar Wochen vielleicht, beim Zahnarzt...
AntwortenLöschenIch seh' kein(en) "Kamikaze" auf'm Cover. Wo hat er sich versteckt?
AntwortenLöschen-k.
Die riesige Flutwelle, die von links durch das Bild zieht. "Kamikaze" heißt "göttlicher Wind" und bezeichnete den Sturm, der im 12. Jahrhundert eine mongolische Invasionsflotte zerstörte und Japan damit rettete.
AntwortenLöschenBin mir nicht sicher, ob das stimmt.
AntwortenLöschenHier das Originalbild: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_gro%C3%9Fe_Welle_vor_Kanagawa
Konnte aber jetzt kaum etwas über die Geschichte des Bilds finden, außer dass es halt ne Welle vor dem Fujijama ist.
Andererseits: Eine Welle als Metapher wäre für dieses Titelbild irgendwie schon zuviel Intelligenz^^
Ich dachte es sei der Kamikaze. Selbst wenn es "nur" ne Welle ist macht es die Komposition nur eingeschränkt besser, mein Punkt bleibt valide :)
AntwortenLöschenHabe isch konkrete Link dazu. Japaner speien gar kein Feuer.
AntwortenLöschenFuck, der ist ja doch schon im Text. löschen Sie das, schicken Sie mir Brillen! ;-)
AntwortenLöschenGerne :)
AntwortenLöschenSo sehr ich dir zustimme, dass die deutschen Medien zu starker Übertreibung, Personalisierung (und auch Emotionalisierung) neigen (und die Fragen des FR-Interviews sind meist einfach wirklich absurd): Wenn man sich mal etwas mit Ostasien beschäftigt hat, sieht man, dass wenigstens sozusagen der Kern der (gewisse übertriebenen) Klischees schon in gewisser Weise zutrifft: Weniger (zumindest offen gezeigte) Emotionalität, mehr Sachlichkeit, mehr Gruppensolidarität.
AntwortenLöschenUnd die Reaktion der Bevölkerung ist, verglichen z.B. mit dem anderen Extrem, den USA, schon etwas anders, weniger panisch usw.
Die deutschen Medien übertreiben sicher stark, es bringt aber auch nichts, alle kulturellen Unterschiede zu leugnen.
Und wenn einmal ein wenig die "westlichen" Ausformungen von Individualismus oder Emotionalisierung hinterfragt werden, kann das ja auch vielleicht mal ganz gut sein.
Die Welle ist ein weltberühmtes Bild; dass das "Kamikaze" heißt, ist mir neu. Mit dem Wort verbinde ich anderes. Ich versuch' mal was.
AntwortenLöschenNa bitte:
Die ersten 100 Bilder bei Google zum Wort "Kamikaze" zeigen all das, was auch ich unter "Kamikaze" verstehe, ...aber nicht DIESE Welle.
- k.
Die Welle wird für den Tsunami stehen.
AntwortenLöschenMan stelle sich vor, die Katastrophe wäre in Nordkorea passiert und die Menschen ertrügen sie stolz, diszipliniert, leidensfähig und selbstlos, als typische Schlangesteher eben. Woher das für unsere Journalisten wohl kommen würde, und ob das dann auch so positive Eigenschaften wären?
AntwortenLöschenNa sicher hat sich der Stern gedacht: Die weltberühmte "Woge" passt doch wunderbar für'n Tsunami.
AntwortenLöschenDass Herr Sasse das als "Kamikaze" bezeichnet, war seltsam und falsch - und sein "mein Punkt war valide" ist leider nicht so klar, richtig und gut wie ein schlichtes "sorry, ich hab mich geirrt. Es ist nicht "Kamikaze" sondern die weltbekannte "Woge"/"Welle"."
Das man mit Kamikaze erstmal Selbstmordflieger in Verbindung bringt ist nun wirklich nicht verwunderlich.
AntwortenLöschenDie Amerikaner haben schließlich diese Flieger erlebt. Als der Begriff ursprünglich enststanden ist gab es noch garkein Amerika, daher die vielen Bilder bei Google.
Aber im Grunde hat Stefan Sasse Recht, man kann durchaus die Flutwelle als Kamikaze deuten. Die göttlichen Winde haben vor langer Zeit die Mongolen unter Kublai Khan ins Meer zurückgeworfen (Taifune haben die Schiffe der Mongolen versenkt. 2 mal. Daher der Glaube an den göttlichen Schutz.).
Keine Ahnung ob der Stern wirklich so clever war.
Edit: Ah das ist wirklich das Bild "Große Welle vor Kanagawa". Schade, ich dachte der Stern wär clever.
Eine gewaltige Portion Sehnsucht gepaart mit positiven Sterotypen, in denen man sich möglcihst erkennen sollte, bzw. danach streben sollte. Widerlich. Die Konnotaion riecht nach Übermensch und ist wohl den (O-Ton) "sehr guten historischen Beziehungen zu Japan" geschuldet. Der Russe hingegen hatte schon immer (O-Ton Kleber ZDF) "eine burschikose Einstellung zur Sicherheit". Diese Einstellung ist wohl auch der Historie geschuldet.
AntwortenLöschenAch was? Der Russe hatte schon immer eine "burschikose" Einstellung zur Sicherheit?
AntwortenLöschenMuss wohl so sein.
Tepco ist ja bekannt dafuer, dass das Management ausschliesslich aus Russen besteht. Daher auch die Verschluderten Sicherheitsueberpruefungen!
Dazu paßt freilich auch der heutige Wagner, der darlegt, warum "wir" grün wählten (BILDblog berichtete)... er schlägt in die gleiche Kerbe. Wir frönen der German Angst und in Japan demonstrieren kümmerliche tausend Menschen - der aufrechte Japaner, er demonstriert nicht, er erduldet... dass "der Japaner" derzeit andere Sorgen hat als Demons, ist dem, der vom heroischen Japanertum schreibt, natürlich egal. Zwischen Hamsterkäufen und dem Beobachten von Geigerzählern, dürfte das Demonstrieren keine wirkliche Option sein... wir bereiten Lichterketten um Atommeiler. In Fukushima wurde das noch nicht gesehen: Beweis dafür, dass der Japaner ein bedächtigerer Mensch ist?
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