Dienstag, 17. April 2012

Der Wählerentscheid und die Verantwortung

Von Stefan Sasse

@Korbinian hat auf Twitter einen mehr als interessanten Gedanken formuliert, an dem ich eine ganze Weile hängen geblieben bin: 
Er bezog sich aufs Kinderwahlrecht, wie aus dem Hashtag hervorgeht, aber darum soll es hier gar nicht gehen. Viel mehr ist die Aussage auf eine andere Art und Weise interessant, nämlich für den viel geforderten Volksentscheid zumindest in wichtigen, umstrittenen Maßnahmen. Man denke an Stuttgart21, den Fiskalpakt oder den Dauerbrenner der Legalisierung von Marihuana (/Ironie). Das Demokratiedefizit besonders bei der Holterdipolterverabschiedung von Maßnahmen wie dem Fiskalpakt und anderen Krisengesetzen wurde oftmals krisitiert, und nicht zu Unrecht. Was aber folgt aus @Korbinians Satz? 


Nehmen wir einmal an, eine neue Krisenwelle rollt heran. Irgendwelche Länder in Europa brauchen irgendwelche Sofortmaßnahmen, die BILD trommelt dagegen, die Stimmung im Volke schwärt, in den Parteien artikulieren sich Abweichler à la Bosbach und Schäffler, und es gibt keine Mehrheit für irgendeine Maßnahme. Man kommt also auf die clevere Idee, die Regierungsvorlage einfach einer Volksabstimmung zu unterwerfen. Der Souverän höchstselbst entscheidet dann in einer Sache, die unglaublich wichtig ist und die Grundrechte des Landes und damit jedes Einzelnen direkt berührt. Eine Sternstunde der Demokratie, quasi. Aber genau das wäre es nicht. Es wäre ein riesiger Betrug des Parlaments am Wähler. Denn wie @Korbinian richtig gesagt hat, die Wähler sind nicht verantwortlich. Ihre gewählten Vertreter aber sind es sehr wohl. In unserem fiktiven, aber keinesfalls unplausiblen Beispiel würde die Vorlage mit überwältigender Mehrheit durchfallen, Deutschland würde die Hände im Schoß falten und die Geschehnisse in der EU nähmen einen Gang, der weder vorhersehbar noch irgendwie durch die deutsche Politik beeinflusst wäre. Das Zurückgreifen auf einen Volksentscheid ist Feigheit des Parlaments, eine Flucht aus der Verantwortung. Es war bereits bei S21 so, als sich die Regierung nicht einigen konnte. Es ist eigentlich jedes Mal so. 

Das führt uns zu der aktuellen Debatte um die geplante Reform des Rederechts im Parlament. Frank Lübberding hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Lage so klar, wie das in den aktuellen Medienartikeln zum Thema dargestellt wird, keinesfalls ist. Man muss ihm Recht geben. Das Parlament war nie ein Ort, an dem irgendwelche rhetorischen Schlachten um die beste Lösung ausgetragen wurden. Die Bildung von Fraktionen und die Einhaltung von Fraktionsdisziplin (siehe auch hier) ist keine schlechte Sache. Die Weimarer Republik scheiterte unter anderem am Fehlen eines Fraktionszwangs; die Regierungen brauchten absurd hohe Mehrheiten, weil bei Abstimmungen regelmäßig ein Teil der Abgeordneten anders abstimmte, als die Regierung das wollte. Das ständige Auseinanderbrechen der Regierungen und die Instabilität der ersten deutschen Demokratie gehen Hand in Hand.

Abgeordnete sind dem Wähler verantwortlich. Die Wähler selbst sind niemandem verantwortlich, außer ihrem Gewissen. Ich habe hier im Blog bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass im deutschen Wahlsystem Parteien gewählt werden und keine individuellen Abgeordneten. Niemand hat Herrn Schäffler direkt in den Bundestag gewählt, weil er davon ausging, dass der Mann so grandiose Ideen hat. Er wurde über die Liste der FDP gewählt, und die FDP wurde gewählt, weil man sich von ihr eine bessere Regierung erhoffte. Die ständig bemühte Unabhängigkeit des Abgeordneten ist ein Witz. Noch nie ist in Deutschland ein unabhängiger Kandidat gewählt worden. Versuche hat es genug gegeben. Das Gewissen des Abgeordneten erlaubt ihm, anstatt dem Abstimmen über eine Maßnahme die er für falsch hält, jederzeit zurückzutreten. Es erlaubt ihm nicht, sich einfach über den demokratisch legitimierten Willen der Mehrheit hinwegzusetzen. Man erinnere sich an Ypsilantis Untergang 2008 - Niemand hatte die vier Rebellen damals dafür gewählt, sich Ypsilanti in den Weg zu stellen. Die Repräsentanten des Volkes stellen sich ihrem Souverän bei Wahlen und übernehmen hier direkt die Verantwortung für ihr Tun. Darum kommen sie nicht herum, und das kann und darf ihnen niemand abnehmen.

35 Kommentare:

  1. Na, so wie es jetzt läuft, kann es ja wohl auch nicht bleiben. Der Bürger (Wähler) muss besser (direkter) in Entscheidungsfindungen einbezogen werden! Die ständig sinkende Wahlbeteiligung (und auch der Erfolg der Piraten) spricht eine deutliche Sprache. Keine Demokratieverdrossenheit ist zu beklagen, sondern eine Politikverdrossenheit.

    Na, und die BILD-Zeitung als ewiges Argument gegen die Bürgerbeteiligung ist auch ein wenig ausgelutscht.

    Wenn man dem Volk nicht zutraut, Entscheidungen in Sachfragen zu treffen, warum traut man ihm dann zu, Regierungen zu wählen?

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  2. Weil das zwei Paar Stiefel sind. Beim einen Mal wähle ich die Leute von denen ich annehme, dass sie am Besten die Entscheidungen in meinem Namen treffen können. Beim anderen Mal treffe ich sie selbst. Bei der ersten Entscheidung brauche ich keine Fachkenntnisse, nur ein Gefühl und meine Überzeugung. Beim zweiten ist das total schädlich, da brauche ich Sachkenntnisse, fundierte. Und dafür hat man eigentlich die Repräsentanten. Dass die grade keinen exzellten Job machen ist klar, aber die Entscheidungen einfach an "den Bürger" abzugeben (wer auch immer das sein soll) scheint mir keine Lösung.

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  3. Bei der Wahl der Regierung brauche ich ebenfalls Sachkenntnisse, und zwar darüber, welche Partei meine Interessen am besten vertritt (und nicht: Ich bin Arbeiter, also wähle ich die SPD, oder: Bin christlich, ergo CDU, Bin Apotheker, also FDP). Diese Sachkenntnisse über Parteien werden ebenfalls von Medienkonzernen manipulativ verbreitet, bzw. verhindert. Vielleicht sollten wir auch die Bundestagswahl abschaffen, weil der Bürger zu blöd ist, die mediale Wahlmanipulation des Springer-Konzerns zu durchschauen?

    Diese ständige Angst und Mißtrauen vor dem eigenen Volk, soll uns nur davor bewahren, die Demokratie demokratischer zu gestalten. Uns im Gegebenen verharren zu lassen. Weiterhin als Bürger zu funktionieren.

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  4. Ganz und gar nicht. Das notwendige Wissen - gefiltert durch die Medien, völlig klar - unterscheidet sich drastisch. Im einen Fall entscheide ich eine Tendenz, eine Richtung, im anderen Fall einen ganz konkreten Sachverhalt.

    Ich bin absolut für mehr Bürgerbeteiligung. Ich bin aber gegen Volksentscheide. Die sind meiner Meinung falsch.

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  5. Und was spricht denn jetzt genau dagegen, die Wähler bei konkrete Sachentscheidungen einzubinden? Die Dummerheit der Wähler? Der Springer-Verlag?

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  6. Der Artikel und die davon abgeleitete Argumentation geht davon aus, dass Wähler keine Verantwortung haben und sich daraus keine Pflichten ergeben. Wenn man aber diese Behauptung nicht unterstützt ergibt sich eine andere Logik!

    Ich gehe sehr wohl davon aus, wer wählt trägt Verantwortung! Würde das Volk in großer Mehrheit extrem links oder rechts wählen ergebe sich aus dieser aktiven und bewußten Entscheidung doch ein ganz anderes Bild der BRD (sowohl im Inland als auch im Ausland)

    Wer würde dann die Verantwortung dafür tragen? Der Wähler!
    Und das das Vold sich von kleinen aber lauten Minderheiten nicht zwingend manipulieren lässt, hat ja S21 gezeigt.

    Mit meiner Stimme beeinflusse ich direkt. Das ist Verantwortung.
    Schon Spiderman wußte "with great power comes great responsibility" :-)

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  7. Deine Schlussfolgerungen, die Glorifizierung der repräsentativen Demokratie, ja gar des Fraktionszwangs, werden gerade aus den gleichen Gründen nicht, gar noch weniger, getragen wie die Mär des freien Mandats. Immerhin ein Teil der Abgeordneten geht über Direktkandidaten und Verhältniswahlrecht. Insoweit und insogering sind Kandidaten halbwegs unmittelbar persönlich verantwortlich. Da steckt weit mehr "demokratisch legitimierter Wille der Mehrheit" dahinter als du ihn dir in Partei- und Fraktionszwängen (sic!) einredest. Entgegen deiner Darstellung ist es in den seltensten Fällen so, dass man eine Partei X in den Bundestag wählt, weil sie zu Themen Y und Z so gute Ideen hätte. Wie sollte das denn der Fall sein? Bei der Uferlosigkeit der Kompetenzen kann nur ein Bruchteil thematisiert werden und als Wahlentscheidung dienen. Eine Wahlentscheidung, die insofern dann überhaupt nicht oder selten mit entsprechender Verantwortlichkeit korreliert - sowohl was die Konsequenz gebrochener Wahlversprechen als auch das Entstehenmüssen für verzapften Unsinn angeht. Im Gegenteil, es zeigte sich bei thematisierten umstrittenen und weitreichenden Fragen gerade, dass Parteien weit weg vom konkreten Mehrheitswillen sind ... Euro-Einführung, Euro-Rettung, Bundeswehreinsätze, ja gar Mindestlohn usw. Wo ist bei all der politischen Realität ein "demokratisch legitimierter Wille der Mehrheit"? Wie kannst du ernsthaft sagen, 'die Repräsentanten des Volkes stellten sich ihrem Souverän bei Wahlen und übernähmen hier direkt die Verantwortung für ihr Tun'?

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    1. Sasse konstruiert Verantwortlichkeiten. Er redet viel und will am Ende nur das ihr (das dumme Volk) euch den vermeintlich klugen Herrschern beugt. Sasse ist anscheinend zum Apparatschik mutiert.

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  8. Ich bin auch nicht der Meinung, der Wähler übernehme mit seiner Entscheidung keine Verantwortung. Vielleicht keine rechtliche, aber doch umso mehr eine moralische Verantwortung. Schließlich fallen die Konsequenzen der Volksrepräsentanten irgendwie und irgendwann wieder auf das Volk zurück.

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  9. Der Sinn von Volksentscheiden liegt nicht so sehr darin , in akuten Krisenmomenten schnelle Entscheidungen zu fällen.
    Dafür sind nach wie vor politische Führungen zuständig , an welcher Stelle machen sie mehr Sinn als in solchen Situationen?

    Volksentscheide sind ein längerfristiges Instrument , das eine nicht unerhebliche Vorlaufzeit hat und auch nicht als Ersatz für die Repräsentation geeignet ist , sondern als deren Ergänzung.
    Sie sind eine denkbare Variante , aber man sollte sich nicht zuviel davon erwarten und muß sich auch auf Tiefschläge aus der Bevölkerung heraus einstellen , diese ist in Teilen durchaus bescheuert .
    Aus genau diesem Grund müssen Volksentscheide auch strikt auf dem Boden der Verfassung stehen , Initiativen , die gegen die Menschlichkeit verstoßen , sind keine Option.

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  10. Worin besteht denn die Übernahme von Verantwortung? Die Abgeordneten müssten um ihre Wiederwahl fürchten heißt es. Das stimmt für einige aber nicht alle. Zumindest so lange die Parteien die Landeslisten aufstellen gilt es nicht für solche MdBs die gewohnheitsmäßig auf sichere Listenplätze kommen. Wenn auch die Wiederwahl sicher ist, worin besteht die Verantwortungsübernahme?
    Bei direkten Abstimmungen besteht sie für jeden Einzelnen darin, mit dem Ergebnis hinterher leben zu müssen. Das kann für die Mehrheit nachteilig sein oder für die Minderheit.
    Schließlich gibt es auch noch eine Menge Fragen, in denen gar nicht vollständig absehbar ist welche Entscheidung denn langfristig oder sehr langfristig die wirklich bessere ist.
    Oder wie ist das zB mit der Entscheidung in die Atomkraft einzusteigen gewesen? Da war schon bekannt, dass es strahlenden Müll geben wird, den man nur schwer los wird. Es gab trotzdem Parlamentsmehrheiten, die den Einstieg beschlossen haben. Viele dieser Leute leben bereits nicht mehr. Sie werden das Ende der Gefahr durch Atommüll in einigen Millionen Jahren alle nicht mehr erleben. Worin besteht/bestand also ihre Verantwortung.
    Zugegeben, in diesem Beispiel wäre das mit einem Volksentscheid kein Bisschen anders gewesen. Die Lehre daraus müsste eher sein, dass von gewissen Dingen von vorne herein die Finger zu lassen sind, denn die Entscheider (egal wer) werden und können niemals die Betroffenen sein und darum üben sie auch keine Verantwortung im Sinne von "zur Rechenschaft gezogen werden können" aus.

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    1. Jo, aber gerade deshalb halte ich ja die individuelle Verantwortlichkeit des einzelnen Abgeordneten für Unfug. Wir wählen Parteien, und die Parteien als Ganzes sind verantwortlich. Was kann beispielsweise ein Abgeordneter der mittleren Listenplätze gerade für das Desaster der FDP? Er leidet auf Gedeih und Verderben mit der Partei mit.

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  11. Stefan, gehe ich recht in der Annahme, dass deine Position in 2006 zur Frage Parteiendemokratie/Mehrheitswille - ausgedrückt in diesem damaligen Beitrag http://oeffingerfreidenker.blogspot.de/2006/08/grundgedanken-zur-demokratie.html - diametral zu deiner heutigen steht? Dort hast du die Diskrepanz von Regierungspolitik und Wählerwillen überdeutlich attestiert, du ließt dich gar hinreißen zur Aussage "im Endeffekt wählen wir eine Diktatur für vier Jahre". Du hast die Mechanismen des parteipolitischen Geschäfts gegeißelt und sprachst dich de facto für mehr direkte Demokratie aus, selbst wenn Volkeswille konkret einmal die vermeintlich schlechtere Alternative sei.

    Wir ändern alle unsere Meinung. 2006 war ich - so unbedarft wie man nur sein kann - der Überzeugung wie gut es doch sei, dass man den Pöbel nicht bei wichtigen Themen direkt fragt, schließlich hätten wir dann ja nicht mal den Euro bekommen. Mir ist das heute so peinlich, dass mir grad die Röte ins Gesicht steigt.

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  12. Schon krass, oder? Ja, ich habe meine Position zu ein paar Dingen ziemlich stark geändert. Besonders die direkte/parlamentarische Demokratie und die Außenpolitik sind davon betroffen. Was z.B. Wirtschaftspolitik oder gesellschaftlichen Pluralismus angeht stehe ich immer noch zu meinen alten Überzeugungen.

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  13. Die Aussage, dass im "im deutschen Wahlsystem Parteien gewählt werden und keine individuellen Abgeordneten", ist falsch. Im Bund wird nur die Hälfte der Abgeordneten über (Partei-) Landeslisten gewählt, die andere Hälfte als Direktkandidaten in den Wahlkreisen (§1 Abs. 2 BWahlG). Und die "ständig bemühte Unabhängigkeit des Abgeordneten" ist kein Witz, sondern ein verfassungsmäßiges Recht der Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 S.2 GG : "Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen." ). Und dieses sogenannte "freie Mandat" erlaubt es dem einzelnen Abgeordneten selbstverständlich auch, "sich einfach über den demokratisch legitimierten Willen der Mehrheit" seiner Fraktion oder Partei hinwegzusetzen, denn er ist laut Grundgesetz "Vertreter des ganzen Volkes", nicht ausführendes Organ einer Partei. Dementsprechend ist er nicht einmal bei einem Parteiwechsel verpflichtet, sein Mandat niederzulegen.

    Und dass das Volk niemandem "verantwortlich" ist, liegt in der Natur der Sache, denn das Volk ist nach dem Grundgesetz der höchste Souverän (Art. 20 Abs. 2 S.1 GG : "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.") Wer niemanden über sich hat, kann auch niemandem "verantwortlich" sein. Die Verantwortlichkeit des Volkes beschränkt sich darauf, mit den Folgen seiner Entscheidungen leben zu müssen ...

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  14. Mir ist das alles klar. Aber die Verfassungswirklichkeit ist eine andere als die Theorie. Das GG sagt überhaupt nichts über Landeslisten. Dieses ganze Zeug steht alles im Wahlgesetz. Das GG sagt zu Parteien praktisch nichts; die Weimarer Verfassung hatte gar nichts drüber drin. Trotzdem sind sie wahnsinnig wichtig. Das "freie Mandat" ist eine Idee aus einem anderen System, einem System das wir schlicht nicht haben. Wenn du ein System mit freiem Mandat sehen willst, schau in die USA. Da gibt es den Fraktionszwang nur sehr eingeschränkt. Eklatante Nachteile hat das aber auch - Du kriegst nie alles Positive.

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    1. "Du kriegst nie alles Positive."
      Und wir bekommen hier alles Positive?

      Das hört sich doch alles sehr nach verzerrter Wahrnehmung der Realität an. Und dies im fortgeschrittenen Stadium.
      Gute Besserung!

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  15. Was? Nein. Das freie Mandat der USA hat den eklatanten Nachteil, dass du Millionär sein musst, um gewählt zu werden. Unser System hat den Nachteil des Fraktionszwangs. Du hast nie nur gute Seiten.

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  16. Wie dem einzelnen Bürgern die grundlegenden sachlichen Kenntnisse über Politik aus Desinteresse heraus fehlen, so fehlt es den einzelnen Abgeordneten an Sachkenntnissen in Bereichen in denen sie weitreichende Entscheidungen mittragen sollen. Und über die demokratischen Strukturen innerhalb der Parteien denke ich das fürchterlichste. Also

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  17. @ Stefan Sasse

    Das freie Mandat haben wir in unserem System sehr wohl. Es bedeutet schlicht, dass die Abgeordneten "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" sind, wie Art. 38 GG es ausdrückt. Richtig ist natürlich, dass der einzelne Abgeordnete von seiner Freiheit auch in der Weise Gebrauch machen kann, dass er sich der Parteilinie unterwirft - aus Überzeugung oder aus Angst um die Polit-Karriere. Aber auch die Entscheidung, von seiner Gewissensfreiheit aus Bequemlichkeit oder Karrierismus keinen Gebrauch zu machen, ist in diesem Sinne noch eine freie. Wenn Du meinst, "freies Mandat" bedeute Freiheit von den möglichen Konsequenzen dieser Freiheit, dann ist das ein Mißverständnis. "Freiheit" bedeutet eben auch hier, Entscheidungen zu treffen und mit den Folgen - auch für sich persönlich - zu leben. Dass die meisten Abgeordeten nicth bereit sind, diese persönlichen Folgen auf sich zu nehmen, wenn sie der Parteilinie widersprechen, ändert hieran gar nichts.

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  18. Das US-System führt außerdem dazu, dass dem Wahlkreis Subventionen und Aufträge zugeschustert werden, die dem Gemeinwohl widersprechen. Das ist bei unserem gemischten System deutlich abgemildert.

    "Diktatur auf Zeit" ist übertrieben, es gibt ja das Misstrauensvotum, wenn auch in D aus historischen Gründen sehr erschwert.

    Eine Grundsatzdiskussion um das Wesen der Demokratie ist notwendig. Einiges wäre doch schon gewonnen, wenn Minderheits-Regierungen und wechselnde Mehrheiten nicht verteufelt würden. Dem steht das Grundgesetz nicht entgegen, nur der Stabilitäts-Wahn in den Köpfen von Journalisten und Politikern.

    Und dann könnte man auch über eine Adaption des Schweizer Modells nachdenken. Oder des österreichischen, wo das einzige AKW nach einer Volksabstimmung nicht in Betrieb ging. Die Österreicher sind historisch genau so belastet wie die Deutschen, und ob sie politisch reifer sind, wage ich nach Jörgl Haider und Konsorten. stark zu bezweifeln.

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  19. Der Einwand mit der innerparteilichen Demokratie ist in meinen Augen wichtig. Wenn man die Entstehung der Wahllisten von Parteien (die ja unmittelbar mit der Besetzung von Mandaten zu tun hat)kennt, wird schnell klar dass es keinen Pluralismus geben kann. Im Worst Case reicht eine Mehrheit von 51% (die dann oft die charismatischsten oder die am lautesten schreien erreichen) um die komplette Parteilinie zu bestimmen. Die Grünen haben bei der Auseinandersetzung Fundis gegen Realos eindrucksvoll gezeigt wohin das führt. Das Ergebnis ist dass sich ein "Lager" in allen Bereichen durchsetzt, das andere irgendwann komplett verschwindet.
    Es gäbe durchaus Möglichkeiten (veränderte innerparteiliche Wahlsysteme etc.) das zu ändern, nur werden diejenigen, die sich bereits durchgesetzt haben genau das nicht wollen. Dabei würde das helfen, die Basis besser abzubilden und die Programmatischen Unterschiede zwischen den Parteien wieder herzustellen.
    Gruß mone

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    1. Letztlich muss man abstimmen und die Mehrheit bestimmt die Richtung. Etwas Besseres als das Mehrheitsprinzip haben wir noch nicht gefunden.

      Oder die Partei spaltet sich. Dann beginnt das Spiel eine Ebene höher, im Parlament.

      In der Mediendemokratie ist schöne Lehrbuch-Idee von der Willensbildung von unten nach oben eine Illusion. Endlose Debatten um Programmpunkte (Spiegelstriche!) war mal. Heute liest das doch keiner mehr, die Wähler sowieso nicht.

      Sie wird auch von der Realität der Koalitionen ad absurdum geführt. Aktuell: Wer die Linke oder die Piraten wählt, wird Merkel bekommen.

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  20. Es ist ermunternd einmal ein paar Gedanken jenseits des Mainstreams zu lesen, der sich über einem ausgießt, wenn man z.B. die ör-Medien betrachtet. Gleichwohl scheint mir der Habitus des Beitrags etwas in die falsche Richtung zu gehen, denn man kann nicht auf der einen Seite Demokratie ausrufen und auf der anderen Seite Angst davor haben, dass Individuen ihre Meinung zum Besten geben. Dass Sie das in vielen Fällen uninformiert und ohne Begründung tun, ist ein generelles Problem, das schon damit beginnt, dass in Deutschland und in deutschen Medien jeder, der denkt, etwas zu wissen, zu allem, von dem er sich einbildet, etwas zu wissen, den Mund aufmachen kann. Im übrigen würde ich die "Macht" der Bildzeitung nicht so überschätzen. Als jemand, der aus der Unterschicht kommt, bin ich mir ziemlich sicher darüber, dass es den von der Bild-Zeitung verführbaren Mob, nicht gibt. Ich würde sogar behaupten, dass Wähler verantwortlicher sind als Politiker, und zwar deshalb, weil Wähler nur ihre eigenen Interessen vertreten, während Politiker zwar auch nur ihre eigenen Interessen vertreten, aber der Bevölkerung vorgaukeln, dass Sie nicht nur die eigenen Interessen vertreten.

    Wer sich etwas näher mit der Parteienfinanzierung beschäftigt hat, sieht schnell, dass Politiker und Parteien nur den eigenen Vorteil kennen.

    http://sciencefiles.org/2012/04/15/parteienfinanzierung-wenn-das-gemeinwohl-in-die-eigene-tasche-fliest/

    Die Frage, wie verantwortlich sich Wähler fühlen, ist letztlich eine Frage der politischen Kultur. Bislang müssen sich Wähler in Deutschland nicht verantwortlich fühlen. Egal, was sie wählen, am Ende kommt doch etwas anderes heraus, als sie wollten. Die Parteien unterscheiden sich vermutlich in der Kommasetzung, aber nicht in Inhalten und alle Politiker eint der Habitus, ihren Wählern mit gewichtig belehrender Stimme gegenüberzutreten. Warum also, sollte man derzeit als Wähler Verantwortung übernehmen? Das wäre, da bin ich mir ziemlich sicher, ganz anders, wenn die eigene Stimme etwas bewirken würde.

    Übrigens basiert der ganze Beitrag auf der Prämisse, dass man genau weiß, was für die Eurozone das richtige ist. Ich denke nicht, dass es richtig ist, schlechtem Geld gutes hinterherzuwerfen, wie das derzeit passiert, würde also gegen einen weiteren Rettungsfonds bzw. die Aufstockung des vorhandenen stimmen, UND ich lese keine Bild-Zeitung...

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  21. Versteh mich nicht falsch: ich würde bei so einer Abstimmung schon auch abstimmen, keine Frage. Ich finde aber, dass die Wahl dafür eher in der der Repräsentanten liegen sollte.
    Trotzdem brauchen wir dringend mehr Partizipation und Demokratie. Das ist kein Widerspruch zu meinen Aussagen. Ich finde, das mehr an Transparenz und Partizipation sollte in den Parteien und mit den Parteien stattfinden. Das ist der Ort, an dem die Richtungskämpfe ausgetragen werden und über Programme und Entscheidungen gerungen wird, nicht das Parlament. Diese völlig romantisierte Vorstellung ist schlicht Unfug.

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    1. Als ehemaliges SPD-Mitglied, das es in 10 Jahren in Gemeinderat und mittlere Funktionärebene geschafft hat, und als jemand, der eine ganze Reihe von CDU und FDP-Mitgliedern kennt, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich, glaube ich, dass es genug Erfahrungs-Grundlage gibt, um festzustellen, dass es IN Parteien weder zu Partizipation noch zu Demokratie reichen wird. Das sind alles schöne Begriffe, die mit der innerparteilichen Situation NICHTS zu tun haben. Der Macher der Nachdenk-Seiten, ich vermute, Du kennst dort alle, Albrecht Müller, wird Dir diese Einschätzung sicher bestätigen, wenn Du ihn auf die Umstände ansprichts, die zu seinem Sturz als Bundestagskandidat in der Südpfalz geführt haben, nach nur zwei Legislaturperioden.

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    2. Überhaupt kein Zweifel! Deswegen sage ich ja, dass man dort ansetzen muss.

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    3. Nun, damit sind wir ja dann doch wieder beisammen :-) Nun würde mich interessieren ob Du Dir dazu schon konkretere Gedanken gemacht hast, wie dieser Ansatz aussehen könnte?

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  22. Der Satz sagt aus, dass es Verantwortung ohne Pflicht nicht gäbe, was schlicht nicht stimmt. Es gibt jede Menge Verantwortung ohne Pflicht.

    Bei dem Bild-Zeitungsargument verdrehst du die Ursachen. Es ist doch nicht der Volksentscheid der hier - ich übertreibs mal - "das Böse" darstellt, sondern die Macht der Medien, sei es weil sie gleichgeschaltet sind, sei es weil die Bildung der Bevölkerung absichtlich oder unabsichtlich so niedrig ist, dass sie einfach nicht in der Lage sind eine Entscheidung zu treffen, bzw. sich leicht manipulieren zu lassen. Insofern ist eine Demokratie mit Idioten selbstverständlich nicht machbar, da das "Alpha-Tier" so oder so bestimmend ist.

    Der Wähler trägt eine Verantwortung für das was er wählt. Wenn ich eine Partei/Person wähle - so aus dem Gefühl, weil die so fesch daher kommt - und diese den 3. Weltkrieg (Achtung Überspitzung) auslöst, dann trage ich daran die (Mit-) Verantwortung, weil ich denjenigen überhaupt erst die Macht dazu gegeben habe.

    Und was den Trend angeht, klar..ich wähle die Partei von der ich glaube, dass sie meine Interessen zum großen Teil vertritt. Ich wähle diese Partei aber nicht für Entscheidungen, die zu dem Zeitpunkt meiner Stimmabgabe überhaupt nicht absehbar oder vorhanden waren. Da möchte ich doch gerne nochmals gefragt werden.

    Bei dem Fraktionszwang bin ich selber zwiegespalten. Ich denke, wenn es einen Koalitionsvertrag gibt, so sollten sich die Mitglieder der Koalition auch daran halten und dementsprechend auch gemeinsam abstimmen. Bei Fragen die nicht in diesem Vertrag abgehandelt werden, sollte jeder für sich selbst ntscheiden, wie er seine Stimme verteilt.

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  23. Das Problem bei dem Ansatz ist aber, dass ein Koalitionsvertrag für vier Jahre gilt. Wer will denn ernsthaft abschätzen können, was alles in den nächsten vier Jahren passiert? Bei deinem Ansatz stimmen die ja praktisch dauernd ab, ohne an irgendetwas gebunden zu sein. :)

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    1. Genau darum geht es ja. Wie will man etwas im Vorfeld bestimmen, wenn es nicht absehbar ist? Ich kann doch nicht eine Entscheidung über etwas treffen, was ich nicht kenne. Daher muss bei sowas auch immer neu abgestimmt werden. Alles andere - also aktuelle Angelegenheiten - können verbindlich im Vertrag festgelegt werden.

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  24. Von Politikern sollte man (Medien und Wähler) halt auch nicht erwarten, dass sie einmal bezogene Positionen für immer beibehalten. Sie können auch krass ihre Meinung ändern. So wie Stefan Sasse ;-)

    Wenn sie dazulernen und klüger werden, wird ihnen Opportunismus oder der Bruch von Wahlversprechen vorgeworfen. Eine Gratwanderung.

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  25. Ich teile viele Deiner Bedenken bezueglich Volksentscheide und kann auch dem Fraktionszwang Positives abgewinnen. Dennoch denke ich, dass in der Praxis ein Mittelweg der beste ist. Bei sehr umstrittenen Projekten, wie etwa S21, ist es richtig das Volk das weitere Vorgehen legitimieren zu lassen. Und nein, ich wuerde das Volk nicht ueber die Todesstrafe abstimmen lassen; so wie ich das Volk generell nicht direkt ueber Fragestellungen abstimmen lassen wuerde, die Verfassungsaenderungen noetig machen.

    Was den Fraktionszwang angeht, so sorgt er fuer klare Mehrheiten und hilft dem Buerger zu verstehen, wofuer die verschiedenen Parteien stehen. Das ist zweifellos gut. Aber bei sehr umstrittenen, bedeutungsvollen Themen, bei denen sich Konflikte durch alle buergerlichen Schichten und Parteien ziehen, wie etwa der Eurokrise oder bei Kriegsentscheidungen, sollte den Abgeordneten die Freiheit gestattet werden, ihrer Ueberzeugung nach abzustimmen. Bei Gewissensfragen sowieso. Andernfalls wuerde ich Dir die provokante Frage stellen, wozu wir ueberhaupt noch ein Parlament brauchen. Man koennte ja bei der Bundestagswahl theoretisch auch einfach nur eine Zahl "virtueller Parlamentssitze" bestimmen und ueber die gesamte folgende Legislaturperiode hinweg die jeweiligen Parteivorsitzenden mit dieser Anzahl an Stimmen en bloc abstimmen lassen, anstatt eine Fraktion aus "realen Abgeordneten" aufzustellen. Dann waere der Fraktionszwang total, weil alle Mandate einer Partei unter der alleinigen Kontrolle des Parteivorsitzenden waeren. Aus meiner Sicht kein gutes Modell. Da lebe ich lieber mit hin und wieder widerspenstigen Abgeordneten ...

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  26. Hi

    besser Hosen- als´n Brüderle als Hoffnungsträger

    mein Seppl-der-Bayer

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