Ich habe mich ja schon öfter über das geärgert, was dieser Tage als Emanzipations- oder Gleichstellungspolitik durchgeht. Durch zwei tagesaktuelle Ereignisse kriegt das Thema gerade aber wieder einen Aktualitätsbezug, den man keinesfalls unkommentiert stehen lassen möchte. Das eine ist die Frage nach der Elternzeit von Sigmar Gabriel, das andere ist das Wohl und Wehe der "Schlecker-Frauen", wie die BILD-kompatible Zuschreibung der nun arbeitslosen 11.000 Schlecker-Beschäftigten ist. Beide Themen unterliegen einer merkwürdigen Schieflage. Zur Erinnerung: Sigmar Gabriel, der diesen Sommer zum zweiten Mal Papa wird, wurde als Zielobjekt einer prinzipiell wohlmeinenden und angebrachten Kampagne erwählt. In einem offenen Brief wurde er aufgefordert, doch einige Monate Elternzeit zu nehmen und damit ein Signal zu senden und etwas für die berufliche Gleichstellung von Müttern und Vätern zu tun. Gleichzeitig landen die 11.000 ehemaligen Schlecker-Beschäftigten, die zu einem überwältigenden Teil weiblich sind auf der Straße, ohne dass eine Feministin öffentlich besonders darüber echauffiert wäre (eine Ausnahme). Es ist eine Debatte, die nicht stattfindet.
Zuerst zum Thema Sigmar Gabriel. Dass ins öffentliche Bewusstsein gerückt wird, dass auch Männer häufig in ihren Karrierepositionen keine Chance haben, sich eine Auszeit für die Kindeserziehung zu nehmen, ist ein ernsthaftes und wenig thematisiertes Problem. Leider aber schafft die Kampagne hier nicht, gerade dafür Aufmerksamkeit zu erzeugen. Stattdessen wirkt sie eher wie eine kleine Racheaktion: schau her, Sigmar, jetzt musst auch du leiden! Dabei wäre es wesentlich angebrachter, auf das gigantische Problem hinzuweisen, dass eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf gerade in der höher dotierten, karriereorientierteren Branche nicht auch nur im Ansatz gegeben ist - weder für Männlein noch für Weiblein. Häufig bleibt deswegen immer noch die Frau zuhause oder verzichtet ganz darauf, in diese Berufe einzusteigen - oder sie verzichtet auf Kinder. Beides ist absolut nicht gut. Gleichzeitig verzichten Männer in praktisch allen Fällen darauf, eine Auszeit für ihre Kinder zu nehmen. Das ist ein Problem für beide Geschlechter. Vielleicht muss man es eine große Lebenslüge des von mir so oft kritisierten "Karriere-Feminismus" à la Thea Dorn oder Barbara Bierach nennen, wahrscheinlich die Lebenslüge dieser ganzen neuen Familienpolitik: ist eine hervorgehobene Karrierestellung wie Minister, Parteivorsitzender, Aufsichtsratsvorsitzender oder Unternehmensvorstand überhaupt mit Kindern vereinbar, ob man Mann oder Frau ist? Oder könnte es vielmehr sein, dass wir hier einer Chimäre nachjagen? Teilzeit-CEOs oder 400-Euro-Basis-Parteivorsitzende wird es auch in Zukunft nicht geben, diese Jobs verlangen eine ungeheure Arbeitsbelastung. Führen wir hier vielleicht eine Schattendiskussion?
Eine Diskussion, die merkwürdigerweise überhaupt nicht geführt wird ist dagegen die um das Schicksal der so genannten "Schlecker-Frauen". Auch das ist ein Punkt, den ich schon öfter angesprochen und kritisiert habe: der moderne Feminismus interessiert sich für die Leiden der sozial niedrig stehenden Frauen überhaupt nicht und ist zu einer reinen Privilegiengenerierungsmaschine für die wenigen Frauen, die Karriere machen wollen, verkommen. Warum arbeiten bei Schlecker, einem Unternehmen, dessen katastrophale Arbeitsbedingungen wahrlich oft genug thematisiert wurden, praktisch nur Frauen? Warum ist deren Schicksal, Spielball eines gefühllosen Patriarchen zu sein, kein Thema für Schwarzer, Dorn und Co? Männer, deren soziale Stellung mit der der "Schlecker-Frauen" vergleichbar ist, schuften meist auf dem Bau, fahren irgendwelche LKW oder stehen am Band, während die Frauen häufig ausbeuterische Bedingungen im Einzelhandel ertragen müssen. Das ist ein Thema, zu dem man von den Feministinnen überhaupt nichts hört, und auch die Quotenvorkämpferin Ursula von der Leyen im von ihr geführten Arbeitsministerium ist vollständig still. Der blinde Fleck des Feminismus für die Lage dieser Frauen (und übrigens auch Männer) ist so bezeichnend wie beschämend. Der Erfolg der Emanzipation steht und fällt in der gesamten Gesellschaft. Die große Mehrheit der Menschen, ob Mann oder Frau, wurde aber offensichtlich aufgegeben. Und am Ende wundert man sich dann darüber, warum die traditionellen Rollenbilder sich so persistent halten können. Hier liegt die Antwort, meine Damen! Genau hier, in den geschlossenen Schlecker-Läden. Klaus Stuttmann hat es wunderbar zusammengefasst. Seht seine Karikatur als Schlusswort.
Zu Schlecker: Widerspruch! Nach meinem Dafürhalten liegt der wahre Sexismus darin, dass wirklich in jedem Medium bei jeder Gelegenheit auf das Geschlecht der Mitarbeiter hingewiesen wird. Wenn man da mal drauf achtet, wird es schnell absurd. In jeder Rede eines Politikers, jedem Blogbeitrag und jedem Statement in einer Talkshow kommt früher oder später die Apposition "überwiegend Frauen". Wäre es halb so wild, wenn es Männer wären? Ist es halb so wild, weil es Frauen sind? Welche Aussage die Erwähnung des Geschlechts auch haben soll, es ist offen sexistisch. Und sind wir als Gesellschaft wirklich nicht schon weiter?
AntwortenLöschenBevor ich dir zustimme, möchte ich aber doch gerne erwähnen, dass es auch ernsthafte Feministen gibt, die eher auf deiner Linie sind. Die sind halt nicht ganz so medienkompatibel wie eine Frau Dorn ;)
AntwortenLöschenIch finde es sowieso merkwürdig, dass das Kinderthema bei allen Quotendiskussionen und Vereinbarkeitsgerede so unter die Räder kommt. Ich halte das nämlich wirklich für eine Lebenslüge und für mich ist es auch ein Grund, warum es wenig Frauen in den oberen Positionen gibt. Die kommen meistens gar nicht so hoch, weil sie schon Kinder haben und viele nicht bereit sind, sich so unbedingt für die Karriere zu entscheiden, imo. Die Männer haben meist die Frau zu Hause sitzen, solange die Kinder kleiner sind und geben sich halt (vielleicht auch notgedrungen) mit einmal die Woche spielen zufrieden. Dazu muss ja auch erstmal die Bereitschaft da sein, ich denke mittlerweile sind auch viele Männer damit unzufrieden.
Nicht zu vergessen die hohe Scheidungsrate, 90% der Kinder bleiben bei ihren Müttern und wie will eine Aufsichtsrätin dann klarkommen? Das ist allein kräftemäßig doch gar nicht zu packen.
Ich glaube nicht an eine hundertprozentige Vereinbarkeit von Beruf und Familie, das Thema wird aber konsequent totgeschwiegen oder höchstens auf "Unterbringung" der Kinder reduziert, als wenn ein Kind keine Arbeit mehr macht, wenn es nur eine Gantagsschule besucht. :P
Zum zweiten Absatz: Ich weiß es ja nicht genau, aber ich könnte mir vorstellen, dass die "Schlecker-Frauen" in den Augen der Frau Dorn selbst schuld sind, was entscheiden sie sich auch für so einen schnöden Frauenberuf anstatt ordentlich Karriere zu machen. SpOn hat doch schon vorgeschlagen, dass alle 11.000 am besten Unternehmerinnen werden sollen.
Hmmm ... also ich kann ehrlich gesagt nicht erkennen, was die Entlassung der "Schlecker-Frauen" mit Feminismus zu tun hat. Letztere verlieren ihren Job schliesslich nicht aus geschlechtsspezifischen Gruenden, sondern weil Anton Schleckers Geschaeftmodell krachend gescheitert ist. Die Verhaeltnisse, die bei Schlecker geherrscht haben, sowie der gegenwaertige Bankrott, sind ein soziales Problem, ein wirtschaftliches Problem und moeglicherweise ein arbeitsrechtliches Problem. Aber kein feministisches. Mich stoert die Stille von Ursula von der Leyen zum Thema und Philip Roeslers Geschwaetz fuer eine "Anschlussverwendung" der Betroffenen viel staerker, als die Stille von Alice Schwarzer oder Frau Dorn ...
AntwortenLöschenIch denke auch , daß es sich eher um ein wirtschaftlich-soziales Problem handelt.
AntwortenLöschenEs sollte auch nicht übersehen werden , daß der Typ Mitarbeiter bei Schlecker und Ähnliche sehr haüfig von jener Sorte ist , der so gar nicht gerne nach oben hin kritisiert und sehr viel lieber nach unten hin tritt oder gegen diejenigen , die sie für unten halten , also "faule Arbeitslose" , Ausländer oder Studenten , die "auf meine Kosten studieren".
Selbstredend betrifft das nicht alle , aber der Anteil dieses Radfahr-Typus ist in diesem Bereich besonders verbreitet.
Das sind nicht die Leute , die auf die feministische Befreiung warten , ganz im Gegenteil , wer in diesen Kreisen solche Themen anspricht , kriegt zuallererst Ärger nicht mit den Chefs , sondern mit den Mitarbeiterinnen selber.
Schlecker scheint mir ein ungeeignetes Beispiel , insgeamt aber läuft der Feminismus völlig aus dem Ruder , da stimme ich zu.
Ich finde ja schon den Begriff "Schlecker-Frau" so zweideutig, abwertend, dass Rössler mit seiner "Anschlussverwendung" das nur noch geringfügig toppen kann. Dass die Krawall-FeministInnen wie Schwarzer da nichts zu sagen, ist schon sagenhaft ...
AntwortenLöschenWas Gabriel anbetrifft: Auf der einen Seite stimmt es schon, das es hier eigentlich um die generelle Vereinbarkeit von Beruf und Familie gehen sollte.
Auf der anderen Seite scheint die Forderung, Gabriel solle Elternzeit nehmen, zumindest der Welt nach eh ein Schuss in den Ofen zu sein.
Davon abgesehen, bin ich allerdings der Meinung, dass solche Personen durchaus eine gewisse Vorbildfunktion haben und mit gutem Beispiel vorangehen könnten. Das lässt sich weder erzwingen, noch fordern, aber wünschen ... Nun gut, von Gabriel wünsche ich mir nichts - in gewisser Weise gönne ich ihm diese heuchlerische Hetz-Hähme.
Arbo
Ist klar, Stefan.
AntwortenLöschenFrauen (nicht Männer) müssen sich in Alltag und Medien bei jeder Gelegenheit in persönliche Lebensentscheidungen hereinreden lassen, werden mal als 'Rabenmütter', mal als "Karriere-Feministinnen" verunglimpft. Aber wenn einige Politikerinnen sich einen ebenso medienwirksamen wie berechtigten Schalk daraus machen, dem führenden Sozialdemokraten seine eigene, progressive Vorbildfunktion ins Gedächtnis zu rufen, dann kommt ausgerechnet ein linker (?!) Beitrag, der mit pseudo-rationalem Zeigefinger fuchtelnd auf das 'eigentliche' Problem verweist und eine Versachlichung der Debatte einfordert.
Dass ich nicht lache.
Zwecks Nachhilfe, das von Dir verlinkte Weblog zum Brief an Gabriel: http://maedchenmannschaft.net/wird-sigmar-gabriel-anworten/
AntwortenLöschen"Gleichzeitig landen die 11.000 ehemaligen Schlecker-Beschäftigten, die zu einem überwältigenden Teil weiblich sind auf der Straße, ohne dass eine Feministin öffentlich besonders darüber echauffiert wäre (eine Ausnahme). Es ist eine Debatte, die nicht stattfindet."
AntwortenLöschenFalsch: http://www.emma.de/ressorts/artikel/wirtschaft/massenentlassung-bei-schlecker/