Von Stefan Sasse
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Viele Fantasie-Welten aus Buch, Comic, Film und Videospiel erschaffen neue Welten oder ändern die bestehende soweit ab, dass sie zu einer Art Parallelwelt wird. Diese Welten werden, wie das Star-Wars-Universum, oftmals als Storyvehikel geschaffen; sie sind dazu da, dass sich die Geschichte in ihnen Bahn brechen kann. Nur wenige Welten werden, wie Mittelerde, darüber hinaus stärker ausgebaut. In einer neuen Artikelserie "Konsequent zu Ende gedacht" will ich untersuchen, in wie weit solche Welten überhaupt halbwegs funktionstüchtig sind und wie das Leben in ihnen aussehen würde, wenn der große, klimatische Kampf vorbei ist. Wie wird Mittelerde aussehen, nachdem Sauron besiegt wurde? Wie lebt es sich auf Coruscant, wenn gerade keine Klonkriege oder Rebellion herrschen? Wie interagiert eine Figur wie Batman wirklich mit ihrer Umwelt? Nur selten werden in Fantasiewelten solche Fragen beantwortet (exemplarisch geschieht dies in "Watchmen"). Dabei können sie uns den Blick auf unsere eigene Welt öffnen. Im fünften Teil dieser Serie befassen wir uns mit den Avengers.
Als Marvel die großartige Idee hatte,selbst Filme zu produzieren und ihre Franchises von Machwerken wie "X-Men Origins" zu retten, da entwarfen sie eine radikale Vision: nach einem jeweils einführenden Film für jede ihre Figuren sollten diese in einen großen zusammengeworfen werden. Das Kernteam der "Avengers" (Rächer) besteht aus vier solchen Heroen: dem genetisch veränderten Supersoldaten "Captain America", dem genialen Wissenschafler und Milliardär Tony Stark, der in einem selbst konstruierten Jet-Anzug als "Iron Man" unterwegs ist, Bruce Banner, ein Wissenschaftler der sich wenn er erregt ist in den "Unglaublichen Hulk" verwandelt und "Thor", Mitglied einer außerirdischen Rasse (den Bewohnern von Asgard) und den Menschen besser als Donnergott bekannt. Vom für Superhelden zuständigen Geheimdienst S.H.I.E.L.D. gegründet bringt die "Avenger Initiative" diese vier Individuen zusammen, denn das Bündnis des Asgard-Bewohners Loki mit einer intergalaktischen Macht erfordert eine Gegenmaßnahme der besonderen Art. Unterstützt werden sie von zwei menschlichen Agenten, Black Widow und Hawkeye, hier der Vollständigkeit halber erwähnt. Am Ende des Films ist Loki besiegt und die Avengers blicken neuen Taten entgegen. Wohlweislich schweigt sich der Film darüber aus, wie es auf den Trümmern des während der Kämpfe demolierten New Yorks weitergeht. Denn das sieht nicht ganz so nett aus wie der sonnendurchflutete Park am Ende des Films.
Denn bereits im Verlauf der Handlung hat es Nick Fury von S.H.I.E.L.D. geschafft, die Behörde und die betreuten Superhelden jeglicher menschlicher Kontrolle zu entziehen. Diese war bereits vorher ein Witz - eine Gruppe von US-Offizieren irgendeiner geheimen Komission - aber jetzt haben die Avengers quasi die Lizenz zum Töten, wenn sie irgendeine Bedrohung als ihrer würdig erachten. Und wer will sie schon vom Gegenteil überzeugen? Sie haben einen unzerstörbaren Klotz in ihren Reihen und einen leibhaftigen Gott. Die Konsequenzen dieser Tatsache sind erschütternd. Die Avengers haben einen weltweit gültigen Ausnahmezustand geschaffen, den sie jederzeit ausrufen und eigenständig aufrecht erhalten oder beenden können und der jegliche sonstige Autorität übergeht. Jegliche zivile Regierung und selbst das Militär ist zu einer reinen Gut-Wetter-Einrichtung verkommen. Die Superhelden erlauben der Welt gewissermaßen weiterzufunktionieren wie bisher, wenn nicht einer der Ihren ihr Probleme macht. Sobald das passiert, gelten die Regeln nicht mehr. Wie sollten sie auch, in einem Kampf gegen irgendwelche außerirdischen Mächte?
Wo aber keine Regeln mehr herrschen, da kann es kein ordentliches Leben (im besten Sinne) mehr geben. Die Lebenswirklichkeit aller Menschen muss sich durch solche Umstände komplett auf den Kopf stellen. Da wäre erst einmal das Bewusstsein darüber, dass es andere Dimensionen gibt, in denen gottähnliche Wesen existieren, die auf die Erde kommen können und dies bereits mehrfach taten. Da wäre das Bewusstsein darüber, dass es Menschen gibt, die über besondere Fähigkeiten verfügen und deswegen kaum mehr wirklich zur menschlichen Rasse gehören. Diese Entwicklungen zu verdauen ist absolut nicht leicht; die X-Men-Reihe schöpft daraus seit Jahrzehnten Plot. Aber im Fall der Avengers finden außerdem Schlachten statt, bei denen tausende von Unbeteiligten zu Tode kommen (oder glaubt jemand ernsthaft man könnte Häuserblocks in Schutt und Asche legen ohne Tote?). Eine ganze Stadt wird halb eingeebnet ("Avengers"), Kriege werden mit Alienwaffen geführt ("Captain America"), eine mutierte Kreatur bekämpft eine andere auf offener Straße ("Hulk"), Kampfroboter greifen eine Kleinstadt an ("Thor") und Terroristen verfügen über hochgerüstete Superwaffen ("Iron Man").
Wenn man sich noch einmal vor Augen führt, wie profund ein im Vergleich dazu lächerlicher Anschlag 9/11 die Welt und unsere Perzeption darüber geändert hat, ist es dann ernsthaft vorstellbar, dass die liberale Demokratie das Eingreifen solcher Gewalten überstehen kann? Gewalten noch dazu, die sich ihrem Zugriff vollständig entziehen? Oftmals in solchen Geschichten sind die Versuche von Regierungen, irgendeine Form von Kontrolle auszuüben, als böse dargestellt, werden Regierungsvertreter zu Antagonisten, sofern sie nicht zu einer Behörde mit Freischein für Alles gehören. Dabei sind diese zum Scheitern verurteilten Versuche oftmals nur verzweifelter Ausdruck davon, etwas Normalität wiederherzustellen und den Bezugsrahmen aufrecht zu erhalten. Die Superhelden und ihre Genregefährten aber agieren außerhalb dieses Rahmens, schon allein, weil ihre Gegner es tun, und niemand kann sie sinnvoll in diesen Rahmen einpflegen. Den USA gelang dies in der Geschichte nicht einmal mit ihrem eigenen Idol, Captain America. Er nutzte die erste Gelegenheit, mit S.H.I.E.L.D. AWOL zu gehen und die vorgesetzten Offiziere, die gerne wüssten was eigentlich los ist, zu ignorieren.
Wahrscheinlich würde es kein Jahr dauern, um die Welt vollständig zu verändern und die Gesellschaften, wie wir sie kennen, auszulöschen. Ersetzt würde alles durch ein beständiges Gefühl der Furcht, tiefsitzend, eine Furcht, die der vor dem islamistischen Terrorismus nicht unähnlich, aber wesentlich substantieller wäre. Die Asgardians tauchten mitten im amerikanischen Mittleren Westen auf, Loki in Stuttgart (!), und der Hulk zerlegte eine brasilianische Limo-Fabrik. Vor den Angriffen außeridischer Mächte wäre niemand sicher, und vor denen, die sich ihnen entgegen stellen, ebenfalls nicht. Die Avengers stehen sicherlich nicht über dem Verursachen von etwas "Collateral Damage", das haben sie ausdrücklich genug gezeigt. Und das alles ist noch relativ harmlos und allein aus den Filmen gezogen. Nimmt man die Comics als Maßstab kann man das Gesagte gerne mit einer zweistelligen Zahl potenzieren. Für die normalen Menschen bliebe nichts als die niederschmetternde Erkenntnis, dass Giganten über die Erde wandeln und man selbst klein und unbedeutend ist, nichts als Spielzeug oder lästiges Ärgernis in einem viel größeren Spiel, das man vielleicht erahnt, aber sicher nicht versteht - keine besonders schöne Aussicht und ein guter Grund, darüber froh zu sein, dass Superhelden wie die Avengers nicht wirklich existieren.
Wenn man sich noch einmal vor Augen führt, wie profund ein im Vergleich dazu lächerlicher Anschlag 9/11 die Welt und unsere Perzeption darüber geändert hat, ist es dann ernsthaft vorstellbar, dass die liberale Demokratie das Eingreifen solcher Gewalten überstehen kann? Gewalten noch dazu, die sich ihrem Zugriff vollständig entziehen? Oftmals in solchen Geschichten sind die Versuche von Regierungen, irgendeine Form von Kontrolle auszuüben, als böse dargestellt, werden Regierungsvertreter zu Antagonisten, sofern sie nicht zu einer Behörde mit Freischein für Alles gehören. Dabei sind diese zum Scheitern verurteilten Versuche oftmals nur verzweifelter Ausdruck davon, etwas Normalität wiederherzustellen und den Bezugsrahmen aufrecht zu erhalten. Die Superhelden und ihre Genregefährten aber agieren außerhalb dieses Rahmens, schon allein, weil ihre Gegner es tun, und niemand kann sie sinnvoll in diesen Rahmen einpflegen. Den USA gelang dies in der Geschichte nicht einmal mit ihrem eigenen Idol, Captain America. Er nutzte die erste Gelegenheit, mit S.H.I.E.L.D. AWOL zu gehen und die vorgesetzten Offiziere, die gerne wüssten was eigentlich los ist, zu ignorieren.
Wahrscheinlich würde es kein Jahr dauern, um die Welt vollständig zu verändern und die Gesellschaften, wie wir sie kennen, auszulöschen. Ersetzt würde alles durch ein beständiges Gefühl der Furcht, tiefsitzend, eine Furcht, die der vor dem islamistischen Terrorismus nicht unähnlich, aber wesentlich substantieller wäre. Die Asgardians tauchten mitten im amerikanischen Mittleren Westen auf, Loki in Stuttgart (!), und der Hulk zerlegte eine brasilianische Limo-Fabrik. Vor den Angriffen außeridischer Mächte wäre niemand sicher, und vor denen, die sich ihnen entgegen stellen, ebenfalls nicht. Die Avengers stehen sicherlich nicht über dem Verursachen von etwas "Collateral Damage", das haben sie ausdrücklich genug gezeigt. Und das alles ist noch relativ harmlos und allein aus den Filmen gezogen. Nimmt man die Comics als Maßstab kann man das Gesagte gerne mit einer zweistelligen Zahl potenzieren. Für die normalen Menschen bliebe nichts als die niederschmetternde Erkenntnis, dass Giganten über die Erde wandeln und man selbst klein und unbedeutend ist, nichts als Spielzeug oder lästiges Ärgernis in einem viel größeren Spiel, das man vielleicht erahnt, aber sicher nicht versteht - keine besonders schöne Aussicht und ein guter Grund, darüber froh zu sein, dass Superhelden wie die Avengers nicht wirklich existieren.
Ich bin sicher, du kennst das schon, aber Alan Moores "Watchmen" geht diesem Gedanken auf eine andere Weise konsequent weiter - dort wird die Weltordnung tatsächlich durch die (so empfundene) ständige Bedrohung eines gottgleichen Superhelden (Dr. Manhattan) quasi per Dekret bestimmt.
AntwortenLöschenUnd bei Alan Moore ist das dann wirklich eine Dystopie ...
Argh, wie doof ... du hast es ja schon im ersten Abschnitt. Wer lesen kann, ist klar im Vorteil ;-)
LöschenSorry ...
Es ist ein interessantes Gedankenspiel, Marvel-Superhelden mit allen Konsequenzen in unsere Realität hineinzudenken.
AntwortenLöschenUngeachtet dessen haben diese Comics ihre Existenzberechtigung. Sie reflektieren unsere Mythen und Träume (keineswegs immer Wunschträume).
Marvel-Comics gehören zur menschlichen Natur ebenso wie z. B. Fußball und andere archetypische Elemente des Lebens.
Du siehst mich sicherlich keine Grundsatzkritik an Comics üben ^^ Ich mag nur solche Gedankenspiele.
AntwortenLöschen... was ich übrigens uneingeschränkt lobe.
LöschenMan könnte ergänzen, dass exakt wegen der hier geäußerten Gedanken vor einigen Jahren ein regelrechter "Bürgerkrieg" zwischen verschiedenen Fraktionen der Avengers und anderer Superhelden ausbrach: Bei einer Rettungsaktion von Superhelden waren durch einen tragischen Fehler etliche Schulkinder getötet worden, woraufhin Medien und Politiker forderten, sämtliche Menschen mit Superkräften einer staatlichen Kontrolle zu unterwerfen. Dieses Vorhaben wurde von vielen Superhelden unter der Führung von Iron Man unterstützt; etwa ebensoviele Superhelden unter der Führung von Captain America verweigerten sich. Obwohl die Macher bei Marvel behaupteten, es darauf angelegt zu haben, dass beide Seiten mit ihren Argumenten gleich stark erschienen, stand in der Wahrnehmung der überwältigenden Mehrheit der Leser Iron Man von da ab auf der Seite der "Bösen".
AntwortenLöschenNäheres siehe hier: http://en.wikipedia.org/wiki/Civil_War_%28comics%29