Von Stefan Sasse
Es ist Wahlkampfzeit in Deutschland. Hochsaison für Spin-Doktoren, Phrasendrescher und Plakatekleber. Es ist jedoch immer auch wieder erstaunlich, welch unterschiedliche Zielrichtungen sich bereits im Wahlkampf erkennen lassen. Denn obwohl die äußere Form nur ihrem Plakaten am Straßenrand gleich scheint, verfolgen die Parteien unterschiedliche Ziele. Heute: die SPD.
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Der SPD-Wahlkampf hatte einen schlechten Start, und von da an ging es eigentlich nur noch abwärts. Von Anfang an war offenkundig, dass das Problem der Partei bereits darin bestand, einen geeigneten Frontmann zu finden (Frauen in der ersten Reihe gibt es außer Hannelore Kraft nicht, und die macht keine Anstalten, NRW zu verlassen). Die drei potenziellen Kandidaten – Steinmeier, Steinbrück und Gabriel – erachteten es offensichtlich als erfolgversprechend, die Ankündigung der Entscheidung möglichst weit nach hinten zu verschieben. Das Kalkül war wohl, dass dies spannend sei. Als dann durch Indiskretionen Steinmeiers herauskam, dass Steinbrück bereits als Kandidat gesetzt und seine Hauptqualifikation die war, dass niemand sonst es machen wollte, war der Schaden angerichtet.
Steinbrück startete ohne Team, ohne Botschaft, ohne Plan in den Wahlkampf. Man fragt sich unwillkürlich, was im Willy-Brandt-Haus bis dahin getan worden war. Dass die praktisch nicht existierende Anwesenheit Steinbrücks im Bundestag und seine hohen Einnahmen aus Vorträgen thematisiert werden würden, war für jeden vorhersehbar, außer für die SPD-Strategen. Auch danach zeigte sich kein ernsthafter Plan.
So begann Steinbrück damit, gegen sein eigenes Image anzutreten, Kreide zu fressen und das linkeste SPD-Programm seit 1998 zu vertreten, inklusive Streicheleinheiten für die Gewerkschaften. Die Versuche Gabriels, einen kombinierten Wahlkampf mit den Grünen zu machen (deren Wahlprogramm noch progressiver war als das der SPD), waren von Anfang an durch Steinbrücks Vergangenheit mit der Partei in NRW und seine generelle Haltung zu den Politikansätzen, die er nun offiziell zu vertreten hatte und die ihm quasi von Gabriel auf den Leib geschneidert worden waren, bestimmt.
Eine Weile lang ging das sogar relativ gut. Doch die Umfragewerte der SPD bewegten sich praktisch überhaupt nicht. Zu Beginn des Wahlkampfs hatte man noch fleißig die Illusion zu nähren versucht, dass eine Rot-Grüne Koalition eine wahrscheinliche Möglichkeit darstellte, doch daran glaubt inzwischen niemand mehr. Für die SPD stellt sich damit eine taktische Bredouille: sie konnte einerseits eine deutliche Oppositionspolitik fahren und sich gegen die schwarz-gelbe Politik positionieren, um der LINKEn und den Grünen Stimmen abzugraben. Oder sie würde eine weichere Version der CDU-Themen fahren und damit effektiv auf die Juniorpartnerschaft in der Großen Koalition spielen, eine Strategie, die 2009 bereits spektakulär gescheitert war.
Gleichzeitig stellten die drei Großen eigene taktische Überlegungen an. Für Gabriel scheint das Ziel die Kanzlerkandidatur 2017 zu sein, wenn die Aussichten besser sind, was er wegen seines Alters realistisch durchaus erreichen könnte. Sein Ziel ist daher die programmatische Alleinherrschaft in der SPD. Im Weg ist dabei Steinmeier, denn Steinbrück wird nach der Wahl weg vom Tisch sein – er hat es selbst angekündigt, und es ist durchaus glaubhaft, dass er lieber wieder Vorträge hält anstatt als Minister unter Merkel zu dienen. Gabriel will nach der Wahl sowohl Fraktions- als auch Parteichef sein und die Partei dann auf 2017 bewegen. Die ihm immer zugeschriebene opportunistische Flatterhaftigkeit kommt ihm dabei dieses Mal zupass: er kann problemlos das Agenda-Erbe der Stones abschütteln.
Steinmeier steht diese Möglichkeit nicht offen. Sein Einfluss in der SPD ist untrennbar mit der Agenda-Politik verknüpft. Mit ihr steht und fällt er. Er versucht entsprechend, die SPD im „vernünftigen“, will heißen, CDU-nahen Politikbereich zu halten. Die einzige realistische Regierungsaussicht ist da die Große Koalition, aber mit der hatte Steinmeier ja auch nie Probleme. Sein Kalkül könnte sein, die Fraktion zu behalten und Außenminister unter Merkel zu werden, was er ja schon einmal war.
Steinbrück dagegen hat keinerlei Aussicht, Kanzler zu werden, wenn nicht ein Wunder geschieht. Für ihn kann es daher nur darum gehen, seine Würde zu bewahren und keine Brücken für seine Nach-Wahl-Karriere als Redner abzubrennen. Er muss sowohl die Partei als auch die Außenwelt bei Laune halten und versucht, sein kantiges Image wiederzubeleben, das Gabriel ihm zu Beginn des Wahlkampfs genommen hat, ohne die Partei so zu beschädigen, dass er Steinmeiers Ergebnis von 2009 unterbietet – ein Eiertanz, der so gar nicht seinem Typ entspricht.
Der zu erwartende Crash im September legt diese Konflikte und unterschiedlichen Ziellinien schonungslos offen. In der SPD arbeitet jeder nur noch für sich selbst. Hoffnungsvolle Aspiranten aus der zweiten Reihe halten sich einfach bedeckt (Kraft, Nahles oder Wowereit etwa) und warten darauf, dass das Drama endet. Die großen Tiere dagegen müssen mit vollem Einsatz für ihre Ziele kämpfen.
Überhaupt keine Rolle spielt dabei mehr das eigentliche Ziel eines Ablösens Merkels. Für Gabriel wäre es am besten, wenn es erneut – knapp – für Schwarz-Gelb reicht, denn dann könnte er die SPD unter seiner Führung auf einen Oppositionskurs bringen. Reicht es dafür nicht, öffnet sich der Vorhang für Steinmeier, der mit Merkel weitere vier schwarz-rote Jahre regieren kann, was ihm völlig ausreicht.
Die Dissonanzen im Wahlkampf, das ständige Widersprechen zwischen Steinbrück, Steinmeier und Gabriel, die eigenwilligen Vorstöße, die offensichtlich mit niemandem abgesprochen sind – all das dient nur dem Erreichen des jeweiligen taktischen Ziels. Es ist das Glück der Beteiligten, dass die personalisierten Stories für die Medien interessant genug sind, um einen Bericht über den taktischen Hick-Hack überflüssig zu machen. Vermutlich wäre das Ansehen der SPD sonst noch niedriger, als es ohnedem ist.
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