Dies liegt offensichtlich daran, dass die Legitimität des Staates, Steuern einzuziehen, auf sehr wackeligen Füßen steht. Nicht, weil er dieses Recht nicht hätte - das ist gesetzlich einwandfrei geregelt, genauso wie das Recht, Diebe, Mörder oder Stalker zu bestrafen - sondern weil es von vielen Menschen schlicht nicht anerkannt wird. Jan Fleischhauer bringt dies in seiner SpOn-Kolumne deutlich auf den Punkt:
Deutschland steht offenbar am Ende eines langen Kulturkampfs: Nahezu täglich werden schärfere Regeln gegen Steuerbetrüger gefordert. Denn Steuerflucht ist auch Aufstand gegen die Obrigkeit.Ein Aufstand gegen die Obrigkeit? Fleischhauer führt den Gedanken näher aus:
Hier ist jedes Bewusstsein erloschen, dass bürgerliche Freiheitsrechte auch Ungehorsam bedeuten können oder gar die Ungehörigkeit, der Obrigkeit eine Nase zu drehen.Ich warte noch auf Fleischhauers Verteidigung des Schwarzen Blocks, von ungenehmigten Demonstrationen, wilden Streiks und der Forderung des Generalstreiks durch Oskar Lafontaine. Ich gehe davon aus, dass sie ausbleiben werden. Denn für die Apologeten der Steuerhinterziehung handelt es sich bei den Steuergesetzen nicht um Gesetze wie jedes andere. Sie dürfen stattdessen nach eigenem Gusto ausgelegt werden, interpretiert, umgangen - alles Teil der Freiheitsrechte eines Bürgers. Für keinen anderen Bestand wird dies in Anspruch genommen. Dies gelingt vor allem mit einer semantischen Umdeutung, deren prekäre Lage Fleischhauer gerade erregt:
Wer sich um die Pflicht herumdrückte, war ein Steuersünder. Jetzt ist er ein Steuerbetrüger. Das ist mehr als ein semantischer Unterschied, es ist der Vorstoß in eine andere moralische Dimension.Andersherum wird ein Schuh draus. Wenn ich mit 120 in der Spielstraße geblitzt werde, bin ich kein Temposünder, der der Obrigkeit eine lange Nase dreht. Völlig zu Recht wird mir der Führerschein entzogen. Dasselbe gilt auch für das Steuerrecht. Ein Vergehen dagegen ist ein Verbrechen, und es gibt keinen Grund warum es anders geahndet werden sollte als das desjenigen, der ins Rathaus einbricht und Geld aus der Kommunalkasse entwendet. In beiden Fällen ist nachher Geld da, wo es nicht sein sollte. Der einzige Unterschied ist der, dass viele Menschen nicht bereit sind, die Legitimität von Steuern anzuerkennen. Dies hat zwei Ursachen. Zum Einen liegt es am Gefühl, das beim Steuerentrichten entsteht. Der Gehaltszettel weist eine große Bruttozahl aus, die von einer wesentlich kleineren Nettozahl begleitet wird. Das wirkt, als werde einem etwas weggenommen, auf das man eigentlich ein Anrecht hatte. Zum anderen, und das ist direkt verknüpft, ist man nie mit dem gesamten Ausgabenverhalten des Staates einverstanden. Während der Ausbau meiner täglichen Pendelstrecke auf meine Zustimmung stößt, ist der Aufbau eines neuen Flughafens in Berlin mir nicht-fliegendem Schwaben gleichgültig. Warum muss ich das finanzieren? Diese Gefühle sind vor allem das: Gefühle. Nur sind es die Gefühle der wohlhabenderen Schichten, denn in den Geringverdienerzonen ist die Höhe des Spitzensteuersatzes nur ein akademisches Problem. Der Hass auf Steuern bleibt auch dort, wo klar nachweisbar ein Netto-Profit nachweisbar ist (Geringverdiener profitieren wesentlich mehr als einzahlen), weil das Gefühl so stark und unmittelbar und der Gewinn so unglaublich abstrakt ist. Entsprechend wird es auch nicht als Verbrechen wahrgenommen, Steuern zu hinterziehen. Stattdessen "schütze ich mein Geld". Da Steuerhinterziehung praktisch ein ausschließliches Privileg der wohlhabenderen Schichten ist, wird es gleichzeitig zu einer Klassenstraftat, und die entsprechenden Verurteilungen zu Klassenjustiz. Das ist das große Problem, wenn Steuerhinterziehung als "Sünde" betrachtet wird, die man einfachen begehen kann und die bei Auffliegen durch eine kleine Beichte (Selbstanzeige) einfach beseitigt werden kann. Alice Schwarzers Verteidigungsrede entsprang klar dieser Einstellung. Das Strafrecht kennt aber keine Sünde. Es kennt gesetzeskonformes Handeln und nicht gesetzeskonformes Handeln. Steuern sind ihrer Natur nach, von der Emotion entkleidet, nur ein weiteres Gesetz, das eben befolgt werden muss. Daraus geht klar hervor, dass es auch ein politischer Gegenstand ist. Wenn die Höhe oder Ausgestaltung bestimmter Steuern das Missfallen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe trifft, so steht es ihr frei, im Rahmen ihrer grundgesetzlich garantierten Interessenausübung Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess zu nehmen und die Gesetze zu ändern. Dass dabei eine totale Schieflage zulasten Vermögender und zum Nutzen der Geringverdiener oder gar Nicht-Arbeitenden Bevölkerung enrsteht, kann getrost ausgeschlossen werden: das Bundesverfassungsgericht würde solche Gesetzgebung wegen der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kippen. Da es bereits gegen die Pendlerpauschale entschied, ist die Wahrscheinlichkeit einer Enteignung der Reichen als sehr gering anzusehen. Mitleid mit Steuerhinterziehern ist daher nicht angebracht, und noch viel weniger ihre Romantisierung als Helden im Kampf gegen die Medusa staatlicher Bürokratie. Ihre Verbrechen entstehen blankem Eigennutz und schaden der Allgemeinheit. Sie sollten entsprechend behandelt werden.
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