Sonntag, 9. Februar 2014

Die außenpolitischen Dimensionen der NSA-Affäre

Es ist schwer vorstellbar, dass die Bundesregierung eine ähnlich gedämpfte Reaktion auf die Tatsache zeigen würde, dass nicht nur Millionen Deutsche, sondern auch die Kanzlerin selbst direkt von einer ausländischen Spionageinstitution abgehört würden, wenn dies nicht die USA betreffen würde. Die Reaktion etwa auf chinesische oder russische Abhörprogramme wäre sicherlich schärfer, ebenso, wenn es sich um Italien oder Norwegen handelte. Dieser Sachverhalt wird selbst von der Bundesregierung effektiv anerkannt, wenn sie erklärt, dass Deutschland nur so Zugriff auf die modernen Technologien und Erkenntnisse der NSA hat. Es fragt sich nur, wie realistisch die vielfach erhobene Forderung ist, die engen Verbindungen zu den USA zu lockern und stattdessen eigene Wege zu verfolgen.
Zuerst einmal sollte hierzu vermerkt werden, dass die Aufdeckung der Abhörung von Merkels Handy nicht ohne Folgen blieb (im Gegensatz zu der der Deutschen): Die Verhandlungen über eine gemeinsame Freihandelszone zwischen EU und USA etwa wurden ernsthaft beeinträchtigt, und die diplomatischen Verstimmungen führten zu der persönlichen Entschuldigung Obamas und dem Interview für das ZDF. Diese offen sichtbaren Handlungen wurden sicherlich durch weitere, eher in der Sphäre des diplomatischen Verkehrs zu verortende, ergänzt. Es bleibt allerdings die Klare Ansage der USA, dass die Spionage weitergehen würde. Zwar wird Merkel künftig ausgenommen, nicht aber ihre Minister, was das kaum zu mehr als ein Placebo macht. Warum also hat Deutschland sich nicht massiver gegen die USA und die NSA gewehrt? Eine Antwort liegt direkt in der deutschen Spionageabwehr: der BND kooperiert eng mit der NSA und ist auf vielen Feldern auf deren Informationen und Technologien angewiesen. Würde Deutschland also die NSA direkt angreifen, würde diese wiederum die Kooperation mit Deutschland einstellen, was das Land weitgehend blind machen würde, bis eigene Strukturen aufgebaut sind (was Jahre und Jahrzehnte dauern und zig Millionen verschlingen würde). Auch die Spionageabwehr würde paradoxerweise deutlich schwieriger werden. Zöge sich die NSA komplett zurück, hätte sie es wegen der Aufgabe der deutschen Stützpunkte künftig etwas schwerer. Andere Nationen dagegen hätten es deutlich leichter. Deutschland hat daher kein Interesse an einer Auflösung dieser Zusammenarbeit und ist für die Aufrechterhaltung seiner eigenen äußeren Sicherheit weiterhin auf die enge Kooperation mit der NATO angewiesen, wie dies schon immer seit Gründung der BRD der Fall war. Und hier liegt auch die größere Dimension dieses Falles. Bei allem Ärger über das selbstherrliche Vorgehen der USA, das so mancher gerne mit harscheren Maßnahmen sanktioniert sehen würde, ist gleichzeitig auch klar, dass das Bündnis mit Washington alternativlos ist. Die NATO funktioniert nur wegen dem Engagement der Amerikaner, ohne deren zumindest logistische Unterstützung die Europäer nicht einmal eine begrenzte Bombenkampagne gegen Libyen aufrechterhalten könnten. Eine Abkehr von den USA würde daher nicht nur den Aufbau eines eigenen, weit größeren (wahrscheinlich europäischen) Auslandsgeheimdiensts erfordern, was, angesichts der divergierenden Interessen innerhalb der EU als eher schwierig angesehen werden dürfte, sondern auch den Aufbau eines europäischen Militärs von gänzlich anderer Qualität, als dies bisher der Fall ist. Die meisten EU-Staaten, aber besonders Deutschland, leisten sich dank der NATO-Strukturen ein vergleichsweise kleines Militär, was sich an den extrem niedrigen Verteidigungsausgaben gemessen am BIP sehr gut ablesen lässt. Dies ist nur möglich, weil sich die außenpolitischen Interessen der EU-Staaten und Deutschlands zu weiten Teilen mit denen der USA decken und man sich daher auf die Strukturen des großen Partners in Übersee verlassen kann. Eine Abkehr von den USA würde daher den Aufbau eigener Strukturen erfordern. Da mindesten Großbritannien und Polen eine solche Abkehr aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mitmachen würden und eine Zusammenarbeit mit Frankreich auf diesem Gebiet sich immer wieder als schwierig erwiesen hat, müsste Deutschland effektiv im Alleingang eine neue und stärkere Armee aufstellen oder völlig auf die Möglichkeit militärischer Interventionen verzichten - weder wirtschaftlich, noch innenpolitisch, noch außenpolitisch eine irgendwie realistische Alternative. So sehr also viele verantwortliche Politiker gerne wöllten, ein Bruch mit den USA verbietet sich für Deutschland schlicht aus pragmatischen Erwägungen. Das Netz an Infrastruktur, Informationsaustausch und Hilfestellungen, auf das die BRD zugreifen kann, hat die Sicherheitsarchitektur dieses Landes schon immer bestimmt. Die Bundeswehr etwa war nie eine Armee, die ohne die NATO-Strukturen denkbar war, der BND und der MAD stets auch auf den Austausch mit den Partnern angewiesen. Die deutsche Sonderrolle, die es dem Land erlaubt hat, über lange Jahrzehnte kaum Anteil an den schmutzigeren Teilen der Außenpolitik der NATO- und EU-Staaten zu nehmen, brachte den Nachteil mit sich, es auch nicht einfach aus eigener Kraft versuchen zu können. Es besteht daher eine Abhängigkeit Deutschlands von den USA, die sich nicht lösen lässt. Es gibt zu dieser Abhängigkeit auch keine Alternativen. Die einzigen Partner in Europa, die ansatzweise eine ähnliche Infrastruktur bereitstellen könnten, sind Großbritannien und Frankreich. Frankreichs Interessen sind aber den Deutschen oftmals stark gegenübergesetzt (ich kann mir kaum Begeisterung in Deutschland für ein stärkeres Engagement in Frankreichs früheren Kolonien vorstellen), während Großbritannien eng in das Five-Eyes-Netzwerk mit den USA eingebaut ist, was daher keine Veränderung des Grundproblems mit sich bringen würde. Die Vorstellung einer engeren Anbindung an Russland oder China, die einzigen anderen Mächte mit Weltmachtstatus und den entsprechenden Kapazitäten, verbietet sich dagegen von selbst. Dieses Dilemma bestimmt die Reaktionen der deutschen Außenpolitik auf die NSA-Krise. Denn den Amerikanern sind diese Zusammenhänge natürlich ebenfalls bekannt. Sie werden wahrscheinlich künftig etwas leiser treten, schon alleine aus wohlverstandenem Eigeninteresse (ein antagonisiertes Deutschland kann nicht in ihrem Interesse sein), aber an den Grundsätzen der Zusammenarbeit wird es wenig ändern.

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