1) What Democrats still don't get about winning back the white working class
Democrats are aware of this perception, of course, and routinely complain about the conservative “information bubble” that is created by Fox News and other media. But many continue to base their campaigns on the hope that if they can only somehow figure out how to craft exactly the right package of proposals and programs—either progressive or moderate—they will somehow break through and convince these voters to support Democrats once again. But it is now necessary to seriously consider the opposite possibility: that class resentment is so powerful and deeply entrenched that Democratic plans and proposals never get seriously considered by white working-class and small-town/red-state voters in the first place. They are, instead, dismissed at the outset because they come from a party that is perceived to represent groups and interests that are deeply alien and antagonistic. The Affordable Care Act, for example, was never seriously examined by white working-class Republican voters. Its provisions were wildly caricatured (“Death Panels”) and the measure described as quite literally a sinister socialist conspiracy simply because Obama and the Democrats had proposed it. It is, therefore, now necessary to accept that Democrats have to develop a completely different mental model of how these voters actually do make their political choices—a model that will suggest alternate strategies for how Democrats can break through the wall that now separates them from many white working-class and small-town/red-state Americans. [...] Given the reality that simply proposing programs and policies that are objectively in white workers’ interests is insufficient to win their support, Democratic candidates must instead visualize the method of appealing to these voters as a two-stage process. First, they must develop a specific communication and persuasion strategy designed to break through the conservative “bubble” and become accepted as a legitimate part of the political discussion that goes on between the different sectors of the white working-class community. Second, once this is accomplished, they can begin to debate and challenge their Republican opponents regarding specific social and economic policies and programs. (Washington Monthly)Das ist ein extrem langer Artikel, von dem hier nur ein Ausschnitt zitiert ist. Jeder ordentliche Linke fragt sich stets, warum die eigenen Positionen, die ja objektiv im Interesse der breiten Mehrheit sein müssten, eben diese Mehrheit nicht finden. Die Antwort der NachDenkSeiten und vieler anderer "klassischer" Linker ist da dann meistens "Meinungsmache", eine gewaltige konzertierte Aktion aller Medien, Prominenter etc. zur bewussten Manipulation der Bürger. Das hilft zwar dem eigenen Selbstbewusstsein als diejenigen, die das grandiose Spiel durchschauen, ist aber nicht eben eine Gewinnerbotschaft. Und ja, das Leben der Abgehängten in West Virginia wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besser, wenn Medicare ausgeweitet und der Zugang zu Obamacare erleichtert wäre; die Ablehnung, das sagt der Washington Monthly schon richtig, liegt sicherlich nicht in den Policy-Details. Es geht um kulturelle Faktoren, und es geht um die Kontrolle von Narrativen. Und bei letzteren haben die Democrats, in einer bemerkenswerten Parallele zu anderen sozialdemokratischen Parteien weltweit, ein Problem. Und dieser Punkt scheint mir ein spannender zu sein: Dass das Problem weniger die FOX-News-Medienblase oder das Missverständnis der Funktionsweise und Art der von Sozialdemokraten vertretenen Policies ist - obwohl diese natürlich eine große Rolle spielen - sondern das mangelnde Grundvertrauen. Diese Wähler hören die Botschaft wohl, allein ihnen fehlt der Glaube. Geht mir ja auch so: Wenn die FDP verkündet, dass ihre radikalen Sparprogramme ganz sicher gewaltiges Wachstum auslösen und meinen Wohlstand mehren wollen, so ist das ostentativ natürlich auch Politik "für mich", aber ich glaub denen kein Wort. Und mit den meisten ihrer Policies kenne ich mich auch nicht genug aus um das Bild der FDP als raffgieriger Partei der 1% in meinem Kopf zu ersetzen. Was die Sozialdemokraten daher schaffen müssen ist, eine neue Stammwählerschaft zu erschließen, die ihnen vertraut. Und ich bin skeptisch, dass diese Leute in nennenswerten Zahlen zurückzugewinnen sind. Jeder FDP-Stratege wäre wohl auch skeptisch, ob er meine Stimme gewinnen könnte. Es wäre sicher möglich, dass die Partei solche Positionen übernimmt und sich so gibt, dass sie für mich attraktiv wird - nur gewinnt sie dabei zwar möglicherweise meine Stimme, verliert aber auf der anderen Seite, bei ihrer bisherigen Wählerschaft. Und das ist das Dilemma, das die meisten Linken irgendwie nicht sehen wollen.
2) Trump wants to ban flipping because he's almost literally a mob boss
In an interview with Fox News, President Trump offers his view that flipping is dishonorable, and is so unfair it “almost ought to be outlawed.” However, Trump has also made clear, in tweets over the weekend, that he is not only opposed to false testimony. He opposes flipping on the boss as a matter of principle. Here he is over the weekend denouncing President Nixon’s lawyer John Dean as a “rat.” Dean famously testified about Nixon’s obstruction of justice. Nobody claims Dean lied about Nixon. The sin in Trump’s eyes is that he flipped, violating the omerta. Trump even uses Mafia lingo, “rat,” to describe Dean’s cooperation with law enforcement. To gangsters, a rat is considered the worst kind of person because they pose the greatest danger to their ability to escape prosecution. It is obviously quite rare to hear a high-ranking elected official openly embrace the terminology and moral logic of La Cosa Nostra. But Trump is not just a guy who has seen a lot of mob movies. He has worked closely with Mafia figures throughout his business career. [...] Like a mobster, Trump takes an extremely cynical view of almost every moral principle in public life, assuming that everybody in politics is corrupt and hypocritical. [...] He also follows mafia practice of surrounding himself with associates chosen on the basis of loyalty rather than traditional qualifications. [...] Trump has internalized the mob ethos so deeply that he sees this as an indictment of Sessions. He gave the guy a job only because he assumed he was loyal, and here Sessions betrays the loyalty by recusing himself from the Russia investigation (because of a blatant conflict of interest). Trump cannot imagine that admitting he picked an attorney general solely out of the expectation of personal loyalty is a confession of an intent to corrupt law enforcement. (New York Magazine)
Man ist an die Verehrung von Putin, Erdogan und Co ja schon so gewöhnt, dass positive Vergleiche mit Al Capone aus dem Kreis der Republicans eigentlich nicht mehr allzu verwunderlich sein sollten. Und Trump ist wahrlich kein Fremder in der Welt der Cosa Nostra; seine extensiven Mafia-Kontakte aus der Casino-Zeit (die dann später durch die Russland-Connections abgelöst wurden, die ihm aktuell solche Probleme bereiten) sind hinreichend bekannt. Selbstverständlich verhält sich Trump wie ein Mafia-Boss; er wäre doch so gerne einer.
Das ist auch die Quelle der Bewunderung von Al Capone und Konsorten: Die Stimmung in der republikanischen Partei ist gerade so, dass sie "Der Pate" oder "Goodfellas" anschauen und in den Mafiosi ohne jede Ironie oder Distanz ihre Rollenvorbilder erkennen. Das hängt mit der unreflektierten Verehrung von "Stärke" zusammen, wie sie auf der Rechten gang und gäbe ist. Jeder, der (Machismo-)Stärke demonstriert, ist in deren Augen bewundernswert, daher ja auch die freundschaftliche Wärme gegenüber Putin und Erdogan.
Das ist übrigens auch in der Reaktion auf die Einflüsse der Wall Street sichtbar: Sowohl Obama als auch Trump haben im Wahlkampf exzessiv die Wall Street kritisiert, nur um danach Wall-Street-Banker in Machtpositionen zu hieven. Aber die Anhänger Obamas empfanden das immer als schmutzig, als eine Art Verrat an den eigenen Idealen. Für die Anhänger Trumps ist es ein Beweis der Stärke ihres Idols: er kann die Banker kritisieren UND sie danach zu seinen Untergebenen machen. Dass sie nicht öffentlich seinen Ring küssen müssen ist alles, was in der Inszenierung noch fehlt.
Es ist einigermaßen schwierig, nicht zynisch zu werden, wenn man sich den Unterschied vor Augen führt: Deutschland diskutiert offenbar ernsthaft darüber, ob Seenotrettung sinnvoll sei - bei schwarzen Flüchtlingen. Die aufwendige Rettung einer Britin dagegen wird medial geradezu gefeiert. Es ist nicht so, dass über Flüchtlingsrettung wenig geschrieben wird - aber es wird in verstörend anderem Ton darüber berichtet. Aus meiner Sicht gibt es für diese Unwucht mehrere Gründe, zwei davon möchte ich herauspicken: Einer ist die Übermedialisierung der Welt. [...] Diese Übermedialisierung verändert nicht nur die Nachrichten, weil oft in schnellerem Takt Neues berichtet werden muss, als sinnvolle Neuigkeiten zu einer großen Nachrichtenlage überhaupt entstehen. Die Übermedialisierung verändert auch die Wahrnehmung des Weltgeschehens durch die Menschen. [...] Aber durch den Katastrophendauerhagel wird eine gewisse Abstumpfung vorangetrieben. Und zwar eine sehr spezifische: Ich unterstelle freundlich, dass sich eigentlich fast jede Person ihre Menschlichkeit bewahren möchte - aber durch die Nachrichtenflut ist es nicht möglich, auf jedes Katastrophenopfer gleich zu reagieren. Man ist gezwungen zu filtern, also: Opfer nach Relevanz zu sortieren. [...] Was direkt zu einem zweiten Grund für die nachrichtliche Unwucht zwischen der Rettung einer blonden Britin und der Rettung schwarzer Migranten führt (in Redaktionen wie beim Publikum): Rassismus. Rassismus ist nicht denen vorbehalten, die hauptberuflich Vollzeit für die Versklavung oder Ermordung von nicht weißen Menschen eintreten. Rassismus hat keinen An-Aus-Schalter, es gibt ihn in vielen, auch subtilen Formen. Eine sehr wesentliche ist der unterschwellige, sogar unbewusste Rassismus. Selbstverständlich wirkende Denkmuster, die man nur schwer entlarven kann, die aber im Kern Rassismen enthalten. Die Bewertung von Menschen nach Herkunft und Hautfarbe. (SpiegelOnline)Sascha Lobo schreibt hier seine eigene Version meines Brokkoli-Artikels (ich behaupte mit gewissem Stolz hier die bessere Metapher als er mit seiner britischen Kreuzfahrtpassagierin zu haben). Selbstverständlich handelt es sich bei der Selbstselektion um eine Art von Rassismus; wir fühlen uns immer näher mit denen, zu denen wir eine Verbindung spüren. Das Schicksal einer britischen Kreuzfahrtpassagierin geht uns deswegen automatisch näher als das syrischer Flüchtlinge. Eine von beiden könnten auch wir sein, das andere nicht. Empathie kommt da natürlich einfacher. Das muss man als Mechanismus für sich selbst erkennen und reflektieren. Derselbe Mechanismus gilt ja auch auf anderen Feldern: Warum etwa fühlen wir eine automatische Verbundenheit mit den Opfern einer Naturkatastrophe in den USA, nicht aber in Thailand? Warum ist das Terroropfer in Tel Aviv leichter zu bedauern als das in Bagdad? Gleicher Mechanismus. Auch die Fragestellung nach der Nachrichtenflut ist nicht ohne. Ich weiß aber nicht, ob das früher anders war. Noch immer schließlich sind die Menschen in der entwickelten Welt zu gewaltigen kollektiven Akten der Nächstenliebe fähig, wenn ein Katastrophenarrativ durchdringt. Man muss nicht weiter als bis zur Willkommenskultur 2015 zu schauen um das zu sehen; wer es gerne etwas historischer hat denke an die Benefizkonzerte für das hungernde Afrika. Ich denke daher, Lobo liegt hier falsch: Die Abstumpfung ist ein völlig normaler Prozess, und es braucht mit zunehmender (emotionaler und kultureller) Distanz zum Unglücksort eine besondere Kombination von Faktoren, um einen Empathieprozess auszulösen, den wir Menschen, die uns (emotional und kulturell) näher sind diese Empathie quasi kostenlos geben. Diese Mechanismen sind übrigens auch ein gutes Argument für den Vorrang staatlicher Entwicklungspolitik vor privaten Spenden, aber das ist eine andere Geschichte.
4) Cohen and Manafort down by the courtyard
Ezekiel: Yesterday was very dramatic — but what actually changed?Jon: 1) Manafort is guilty, and so he can’t hold out for a chance to walk. Has to either be hoping for a pardon, or make a deal. 2) Cohen directly implicated Trump in a federal crime.Ed: Yeah, on Cohen’s plea, Trump’s enablers kept yelling “what did it have to do with Russia?” It’s a felony we are talking about.Eric: Yeah. If Trump were not president of the United States, he would be indicted for a campaign finance violation by now. Which means that – by refusing to investigate a crime for which there is clearly probable cause (and consider impeachment if an investigation confirms the available evidence) – congressional Republicans are now, officially, helping the president put himself above the law. [...]Ezekiel: I saw a chart a few months ago that showed that the investigation hasn’t been going on that long compared to other investigations by special counsel, so we could be in for the long haul.Eric: Generally speaking, I’m pretty impressed with the way this scandal has unfolded. Didn’t think it could live up to the expectations it set in the early going. But (while there have been some lulls and dispensable tangents) they’ve found ways to keep things fresh and surprising, and I’m excited to see where it goes next.
Ich habe bereits früher einmal erwähnt, dass der ganze Dauerskandal rund um Mueller, die "Russia-Collusion" und anderen Geschichten um Trump für mich eine Art soziales Experiment darstellt: ich folge den ganzen Nachrichten zu dem Thema ja bewusst nicht. Ich habe daher keine Ahnung, was der aktuelle Stand der Ermittlungen ist oder welche neuen Erkenntnisse es gerade wieder einmal gab, die - nun aber endgültig - Trumps Ende bedeuten. Das ermöglicht einen frischen Blick auf meine bevorzugten Nachrichtenquellen.
Der obige Chat ist ein gutes Beispiel für das, was besonders im Wahlkampf 2016 als "Blase" der Medien diskutiert wurde. Ezekiels Frage "What actually changed" kann ich sehr schnell beantworten: Nichts. Möglicherweise sind die Entwicklungen für einen späteren Prozess relevant. Aber politisch ist der Kram bedeutungslos. Ich nehme ihn als eine endlose Enthüllung von Skandalen und Verbrechen von Trump wahr, die ich nicht verstehe und durchschaue, die aber alle irgendwie ominös klingen. Das ist ein Spiegel meiner eigenen parteilichen Haltung. Jeder Trump-Fan wird es als weiteren Baustein einer riesigen Deep-State-Verschwörung gegen ihr Idol wahrnehmen.
Die unangenehme Wahrheit ist schlicht die, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen nicht besonders intensiv die Nachrichtenlage verfolgt. Geschichten wie die Mueller-Ermittlungen sind Geschichten für Nachrichtenjunkies, so wie es die ständig wechselnden Wahlkampfstrategien und Umfragen 2016 auch waren (denen ich ja auch mit Begeisterung gefolgt bin). Daran ist nichts Schlimmes, aber man neigt dazu, die Bedeutung von Ereignissen zu überschätzen. Ich stolpere immer wieder über solche Artikel wie den oben, in denen atemlos die neuesten Ereignisse diskutiert werden - die zwei Wochen später immer noch keine Relevanz haben. Ganz spannend das mal von außen zu beobachten, aber es fördert leider einen gewissen Zynismus. Hilfreich ist das also auch nicht.
In theory, everyone is in favor of building more housing in big cities. Conservatives are in favor because they oppose regulatory regimes that prevent the free market from building whatever it wants. Liberals are in favor because they believe a bigger supply of housing will bring down prices and help establish more low-income housing. [...] In fact, practically no one who lives in a big city wants more housing. They may or may not be willing to admit why, but they don’t. Liberals will accuse conservatives of racism and conservatives will accuse liberals of hypocrisy, but before long they’ll all sing Kumbaya and loudly agree that the problem is too much traffic. Maybe you don’t believe them, but an atomic crowbar will fail to pry the real story out of them. [...] So who is in favor of urbanization? As near as I can tell, the answer is young, college-educated people who would like to live in a big city but can’t afford it. They have reams of white papers about why urbanization is a great thing, but really, they’re motivated by their own selfish desires, just like the folks who already live in the cities. This is why I think it would be insane for the Democratic Party to adopt urbanization as any kind of party platform. Centrist conservatives would hate it. Most liberals would hate it. People who live in cities and suburbs would mostly hate it. Rush Limbaugh would say that it proves Democrats are just a bunch of socialists who want to force everyone to live in high-rise beehives. And even with a massive effort, it would never produce enough affordable housing to make New York City 20-somethings just out of college satisfied. It would almost literally be pareto-catastrophic. No one would be happy. (Mother Jones)Ich denke Kevin Drum hat grundsätzlich Recht. Zwar stimme ich ihm nicht darin zu, dass nur einige arme Millenials in die Städte ziehen wollen - dafür ist die Urbanisierung ein wesentlich zu pervasiver Trend, der die Leute zur Konzentration zwingt - aber die Leute, die in den Städten wohnen, haben definitiv nicht das geringste Interesse an einer dichteren Bebauung. Ich denke aber auch, dass die Debatte ohnehin in bescheuerten Grundlinien verläuft. Viele Menschen wollen nämlich auch gar nicht in den Städten wohnen, sondern vielmehr im Speckgürtel drumherum. Und da sind Wohnraumknappheit und Preise ja auch Dauerprobleme. Ich habe zu dem Thema bereits meine eigene Lösung geschrieben: Dereguliert die Äcker! Das ist zwar auch keine super-beliebte Politik, aber es gibt bei weitem mehr Leute die sie gut fänden als bei der Abschaffung von Regulierungen für Neubauten und bei einer Erhöhung der Wohnraumdichte, so viel ist mal sicher.
6) Which country suffers most from sernioritis?
Tyler Cowen points today to a new study that examines the PISA test of problem-solving and cognitive skills. PISA is conducted every three years in 60+ countries around the world, and as near as I can tell, its only real purpose is to provide an excuse for op-ed columnists to wail about how stupid US students are. But not at this blog! No country whose “adults” elect Donald Trump president has any business complaining about its teenagers any longer. Anyway, it turns out that this new study tries to assess how seriously students take the test. After all, PISA doesn’t count toward their GPA or toward graduation and it doesn’t help get them into college. Given the vast number of standardized tests high school students take these days, it’s fair to wonder how much energy they put into one that doesn’t matter to them personally. (Mother Jones)Ich will gar nicht weiter groß auf Kevin Drums Unfug mit Statistiken eingehen (der Mann hat zuviel Zeit zum Bloggen) sondern kurz über meine eigene Erfahrung mit PISA berichten. Ich habe seinerzeit im Jahr 2000 bei der ersten PISA-Studie als Schüler teilgenommen, ich war damals gerade in der richtigen Demographie (neunte Klasse). Seinerzeit wurde der Test als eine zweitägige Veranstaltung angekündigt, die den Regelunterricht ersetzt (und bedeutend kürzer war), versetzt mit dem Zusatz dass wer fertig ist heimgehen darf. Man kann raten was bei Neuntklässlern dann passiert. Die Testfragen selbst erschlossen sich auch nicht; viele Inhalte waren im Unterricht nie behandelt worden (vor allem in Naturwissenschaften), was am ersten Tag abgefragt wurde und dann später zu viel Händeringen über die miesen Ergebnisse führte. Am zweiten Tag kam die Sozialstudie, die in endlosen Bögen voll gleichförmiger tödlich langweiliger Aufgaben verlief, bei denen die meisten Leute damals nach eigenem Bekunden völlig zufällig Dinge ankreuzten ohne überhaupt die Aufgaben zu lesen, um schnell fertig zu sein. Meine Begeisterung für PISA-Ergebnisse hält sich seit diesen Erlebnissen in Grenzen.
7) Putin und Merkel in Meseberg
Doch neben der Energiepolitik gibt es noch andere Gründe, warum Merkels Russlandpolitik in der Krise steckt. Da sie es während ihrer gesamten Regierungszeit versäumt hat, in Deutschlands Streitkräfte zu investieren und sie sich ab 2016 deutlich als Gegenspielerin zu Donald Trump positionierte, befindet sich Berlin sicherheitspolitisch in einer zunehmend prekären Lage. Moskaus Geostrategen verstehen genau: die Schwächung der NATO durch Trump trifft Deutschland ins Mark und doch fehlt Merkel der politische Wille (und nicht das Geld), das zu ändern. Konkreter formuliert: Deutschland ist ein Land, das seine eigene Sicherheit nicht garantieren kann. Dieses sicherheitspolitische Vakuum ist ein Erbe der Ära Merkel. Selbst in Jahren des wirtschaftlichen Booms hat sich die Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit des Landes beständig verschlechtert. Diese Versäumnisse begrenzen unser Gewicht und unsere Handlungsmöglichkeiten. Ist nicht längst eine Situation denkbar, in der Berlin sich für den Ausgleich mit Moskau entscheiden muss, da uns die amerikanische Sicherheitsgarantie fehlt? Dass diese strukturelle Aufweichung der Westbindung sich unter einer christdemokratischen Kanzlerin vollzieht, ist ebenfalls erstaunlich. Denn eins ist sicher: Putin und die russische Elite respektieren Stärke, erkennen Schwäche und nutzen sie. [...] Sie ist auch daran gescheitert, Deutschlands Rolle im Zeitalter von Trump und Putin zu definieren und das obwohl sie mit Emmanuel Macron in Paris über einen Partner verfügt. (Salonkolumnisten)
8) Am Dienstag die Männer, am Donnerstag die Frauen
Galton betrachtete die Eugenik als Naturwissenschaft, aber auch als spirituelle Bewegung: Sie sei eine Form der Nächstenliebe der heutigen Welt gegenüber den künftigen Generationen. Die Idee der Menschenzüchtung setzte schnell zum Sprung über den Ozean an und wurde in Amerika zu einer Massenbewegung. Die Vereinigten Staaten wurden damals gerade von verschiedenen Einwandererwellen überflutet: Italiener, osteuropäische Juden, Iren suchten Zuflucht in der Neuen Welt. Zugleich organisierten sich die weißen, protestantischen Amerikaner der Mittelklasse, die im Lande geboren worden waren, in verschiedenen Reformbewegungen: Sie kämpften gegen Kinderarbeit, gegen korrupte Politiker, für ein öffentliches Bildungswesen und für Frauenrechte. Die Eugenik passte hervorragend in dieses Reformprogramm. Beinahe alle fortschrittlichen Amerikaner vertraten um die Jahrhundertwende eugenisches Gedankengut: Die Feministin Margaret Sanger, die für Geburtenkontrolle kämpfte, war ebenso Eugenikerin wie der progressive Präsident Theodore Roosevelt. [...] Für uns Amerikaner ist diese Geschichte ein milder Schock. Wir sind es gewohnt, im Supreme Court – zumindest seit dem 20. Jahrhundert – eine Bastion der Bürgerrechte zu sehen. [...] Die Nazis, das zeigt dieses Buch, haben nichts erfunden. Sie haben mit dem Programm der Eugenik nur tödlichen Ernst gemacht. Die Anregung von Oliver Wendell Holmes, Kleinkinder umzubringen, die „den Test nicht bestehen“, wurde in Hadamar in die Tat umgesetzt. Und diese schmutzige, kalte Geschichte ging mit dem Zweiten Weltkrieg keineswegs zu Ende: So wurde im linksliberalen Schweden noch in den Siebzigerjahren munter zwangssterilisisiert. [...] Aber wer weiß, was die Zukunft bringt. Ich hätte nie gedacht, dass offener Rassismus im politischen Leben meines Landes jemals wieder eine Rolle spielen würde. Vielleicht kommt am Ende auch die Eugenik zurück. Und vielleicht nicht nur in Amerika. (Salonkolumnisten)Die Eugenik ist tatsächlich eines der schmutzigsten Kapitel der progressiven Bewegung. Die Warnung, die bei den Salonkolumnisten hier anklingt, sollte man daher nicht auf die leichte Schulter nehmen. In einem Land, in dem wir gerade offen die Pros und Contras der Rettung ertrinkender Menschen diskutieren sind wir vom nächsten Tabubruch nicht mehr weit entfernt. Die Sarrazins dieses Landes würden sofort Geburtenkontrollen für Einwanderer aus bestimmten Ländern einführen wollen, und sind diese erst einmal geschaffen ist die Idee, sie mit invasiven Eingriffen nachhaltig zu kontrollieren auch nicht mehr fern. Wehret den Anfängen.
9) Lasst eure Kinder frei!
Im Rückblick betrachtet, waren meine Eltern verantwortungslose Leute, jedenfalls, wenn man den heutigen Zeitgeist als Maßstab anlegt. Warum? Weil sie meine Geschwister und mich allein zur Schule und nach Hause gehen ließen. [...] Das alles durften wir, obwohl die Welt für Kinder damals viel gefährlicher war als heute. In den Siebzigern gab es noch 16 bis 18 Sexualmorde an Kindern pro Jahr, heute sind es zwei bis vier. 1980, als ich zu Fuß zur Schule und nach Hause ging, starben 1159 Kinder unter 15 im Straßenverkehr. 2016 waren es 66. [...] Nicht allein journalistische Berichterstattung ist der Grund für die gefühlten Risiken. Meine Vermutung ist, dass es zwischen fiktionalen und realen Kindsmorden und -entführungen kaum Unterschiede gibt, was die Wirkung der Verfügbarkeitsheuristik angeht. [...] Zum einen finde ich die darin vertretene Ökonomisierung von Kindheit und Jugend sehr unerfreulich. Zum anderen behaupte ich: Wenn Jugendliche nichts mit sich anzufangen wissen, dann hat das nicht zuletzt damit zu tun, dass man ihnen ihre gesamte Kindheit über verwehrt hat, sich frei zu bewegen. Sich selbst eine Beschäftigung zu suchen, allein Freunde zu besuchen und so weiter. [...] Diese Angstmachmaschine trägt offenbar dazu bei, dass Eltern heute bereit sind, ihren Kindern Freiheit und Unabhängigkeit zu nehmen, um vermeintliche Sicherheit herzustellen. Im "Economist" waren gerade ein Artikel und ein Meinungsstück mit der These zu lesen, man solle die Sommerferien kürzen, weil die Kinder in all der freien Zeit sich doch ohnehin nur langweilen und zudem noch ein Drittel dessen vergessen würden, was sie im vorangegangenen Schuljahr gelernt haben. (SpiegelOnline)Ich neige wahrlich nicht zum Kulturpessimismus, aber in dem Punkt muss ich Christian Stöcker überwiegend zustimmen. Die Überbewachung der Kinder und die ständigen Eingriffe der Eltern für die lieben Kleinen sind ein ernsthaftes Problem. Ich bekomme es für die weiterführenden Schulen im Berufsalltag selbst mit, und als Elternteil im Kindergarten: Bei jedem Elterngespräch bin ich bass erstaunt, wie übervorsichtig die Erzieher*innen um die jeweiligen Themen, die sie eigentlich mit einem besprechen wollen, herumtrippeln, mit wie vielen Relativierungen und Respektsbezeugungen sie ihre Sprache vollladen, als könnte man ihnen jederzeit, leicht provoziert, an die Gurgel wollen. Das steht dem Erziehungsauftrag dieser Institutionen mehr als im Weg. Ich muss mich auch ständig an die eigene Nase fassen, was das angeht, denn ich bin selbst zu übervorsichtig und muss meinen Kids mehr zutrauen, sie zu mehr Aktivismus bringen. Gleichzeitig ist es absolut notwendig, dass man den entsprechenden Institutionen ein gewisses Grundvertrauen entgegenbringt, das heutzutage wegen der zahllosen Schreckensnachrichten kaum mehr gegeben ist. Hier kommen die Punkte mit den ständigen Katastrophennachrichten, von denen Sascha Lobo in Fundstück 3 und der Vertrauensverlust, den der Washington Monthly in Fundstück 1 für die Sozialdemokratie konstatierte, voll zum Tragen. Denn der Vertrauensverlust ist ja ein Problem für ALLE Institutionen, ob in Staat oder Wirtschaft. Und ohne Grundvertrauen funktionieren sie nicht, was dann wieder - da schließt sich der Kreis - Wasser auf den Mühlen der Radikalen von rechts und links ist.
10) Die Aufmerksamkeitsvampire
Frank Riegers Artikel zum Thema ist ungeheur unstrukturiert. Man könnte fast meinen, er habe während dem Schreiben am Smartphone herumgespielt. Aber genug der Albernheiten, denn die oben zitierten Probleme, die er anspricht, sind durchaus real. Selbstverständlich verändern Smartphones den Alltag. Die Reaktion, die leider vielerorts (in Frankreich in gewohnt etatistischer Manier gleich als Gesetz verankert) Einzug gehalten hat, die Dinger einfach komplett zu verbannen, ist völliger Quatsch. Schule ist Lebensraum. Schüler verbringen rund die Hälfte ihrer unterwöchigen Lebenszeit, teils sogar mehr, in dieser Institution. Die Schule sollte sich nicht als einen vom restlichen Leben komplett abgeschotteten Raum begreifen. Ein Instrument wie das Smartphone einfach zu ignorieren, indem man es verbietet, ist aus mehreren Gründen Quatsch. Einerseits schließt man ein Stück schülerischer Lebensrealität aus und zementiert einmal mehr, dass "Leben" und "Schule" getrennte Sphären sind (sind sie nicht), andererseits lässt man sich zahllose Möglichkeiten entgehen, die Dinger sinnvoll in den Unterricht einzubauen, und drittens hat die Schule einen dezidierten Bildungsauftrag, der sich auch auf die digitale Bildung verstehen muss. Da haben wir solche reaktionären Hansel wie Manfred Spitzer, die ein Vermögen damit machen händeringend und in düstersten Tönen zu erklären, wie wenig die Kinder doch mit den Versuchungen der jeweiligen Hard- und Software umgehen können und deren Lösungsansatz darin besteht, sie bis zum 18. Lebensjahr zu verbieten. Wie in diversen anderen Lebensbereichen auch gut zu erkennen ist fördert ja nichts mehr den verantwortungsvollen Umgang, als etwas "bis 18" wegsperren zu wollen. Das war übrigens Ironie.Es gibt gute Hinweise darauf, dass allein die Anwesenheit von Smartphones die Fähigkeit zur Konzentration und zur Rezeption längerer Texte reduziert, weil sie eben als Aufmerksamkeitsvampire konzipiert und optimiert sind. Untersuchungen zeigen, dass das Phänomen sogar zu einer sozialen Spaltung führt. [...] Es kommt nicht primär darauf an, ob Geräte im Unterricht zugelassen sind oder verwendet werden, sondern was auf den Tablets und Telefonen passiert. Solange man die Effekte der Konkurrenz um Aufmerksamkeit ignoriert, wird man gegen Facebook & Co. verlieren. Ein zentraler Teil des schulischen Bildungsauftrags im Digitalzeitalter muss also das Erlernen von persönlicher Aufmerksamkeitsökonomie sein. Es bringt nichts, Technologie an sich zu verteufeln. Vielmehr müssen wir herausfinden, wie wir sie kontrolliert und zielgerichtet nutzen können. Leider ist das bisherige Bild der Digitalisierung an deutschen Schulen ein Trauerspiel, bei dessen Betrachtung man durchaus Verständnis für Notbrems-Reaktionen wie das generelle Smartphone-Verbot entwickeln kann. [...] Die wichtigste Lehre ist jedoch: Digitalisierungsstrategie bedeutet auch immer Aufmerksamkeits-Management-Strategie. (FAZ)
11) Die Games-Branche hat immer noch ein Problem mit Sexismus
Ninja mag nicht mit Mädchen spielen. Ninja heißt eigentlich Tyler Blevins. Er ist der erfolgreichste Streamer der Internetplattform Twitch, die zu Amazon gehört. Zehntausende schauen zu, wenn er dort live Fortnite spielt und kommentiert. Ninja hat nun öffentlich erklärt, er spiele nicht mehr mit Frauen zusammen. Kein Filmemacher, kein Theaterintendant, kein Verleger käme mit einer solchen Ansage durch. In der Computerspielszene, die sich gerade auf der weltgrößten Messe Gamescom in Köln trifft, geht das immer noch - obwohl inzwischen, wenn man Handyspiele dazuzählt, mehr als die Hälfte der Computerspieler Frauen sind. [...] Bis heute gelten diese Gamergate genannten Pöbler als der radikale, reaktionäre und sexistische Arm der Gamerszene. [...] Felix Falk, Geschäftsführer von Game, dem Verband der deutschen Games-Branche, verkündete dagegen bei der Messeeröffnung in Köln, in Computerspielen "spielen alle friedlich gemeinsam und bilden eine großartige Gemeinschaft". Das Mobbing- und Sexismusproblem an den Bildschirmen wird oft kleingeredet oder ignoriert. Es gibt keine grundsätzliche Ablehnung von Frauen, aber einen zähen strukturellen Sexismus. [...] Eines der beliebtesten Spiele auf der Gamescom ist beispielsweise Battlefield 5, ein Ballerspiel im Zweiten Weltkrieg, das anmutet wie eine spielbare Version von Ernst Jüngers "Stahlgewittern". Auf der Messe dürfen sich Dutzende Besucher in einem wunderschönen, virtuell nachgebauten Rotterdam gegenseitig erschießen. Der Zweite Weltkrieg ist in den meisten Computerspielen ein harmloser Abenteuerspielplatz, besonders beliebt bei jungen Männern. In der langen Schlange vor dem Stand kommt auf 20 Männer eine Frau.Gegen das Spiel rührte sich sofort Widerstand aus der Szene, denn im ersten Trailer stand eine Soldatin im Vordergrund. "Es gibt inzwischen mehr weibliche Figuren, auch in den großen Franchises", berichtet Nina Kiel. "Es gibt aber auch eine lautstarke Minderheit, die sich gegen solche Darstellungen grundsätzlich wehrt." (SZ)Wie wenig sich in der Branche seit dem #Gamergate-Skandal von 2014 geändert hat, ist absolut beschämend. Das ist nicht nur für das Hobby selbst problematisch, das es konstant verpasst, seinen Stand als Schmuddelkind der Unterhaltungsindustrie loszuwerden und in künsterlisch bedeutsamere Dimensionen vorzurücken (und stattdessen die x-te Auflage "historisch korrekter" Zweiter-Weltkriegs-Ballereien auflegt), sondern auch soziologisch. Die #Gamergate-Crowd ist eine der unteranalysiertesten Anhängergruppen der Rechtspopulisten. Zornige weiße Jungs und Mann-Babys sind eine der am schnellsten wachsenden Unterstützergruppen von Trump, AfD, PiS, Fidesz, FN und Co. Trotzdem wird ständig nur über die eigentlich untypischen abgehängten ehemaligen Stahlarbeiter berichtet statt über diese wesentlich virulentere und repräsentativere Gruppe, die mit ihrem aggressiven Hass und in den extremsten Ausprägungen terroristischen Attacken eine echte Gefahr darstellt. Man sollte das nicht leichtfertig als "sind ja nur Videospiele" abtun oder in den Kontext der bescheuerten Debatten um "Killerspiele" aus den späten 1990er und frühen 2000er Jahren einordnen. Es handelt sich um einen harten Kern psychisch labiler Leute, für die die Ideologien der "Alt-Right" und die Soziotope ihrer Online-Communities den perfekten Rahmen für ihre Persönlichkeitsstörungen bieten, nicht umgekehrt. Oder weniger geschwollen: Nicht die Spiele machen diese Leute zu dem was sie sind, sondern solche Leute finden in Spielen ihre bevorzugte soziale Ausdrucksform. Es ist der gleiche Mechanismus, aus dem heraus etwa Brandstifter häufig zur Feuerwehr gehen. Aber anders als die Games-Industrie fördert die Feuerwehr die Brandstifter nicht auch noch als ihre Kernkundschaft.
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