Montag, 27. August 2018

Warum ein Handyverbot in Klassenzimmer und Hörsaal falsch ist

In der FAZ plädiert der Wiener Juraprofessor Milos Vec für ein Handyverbot im Hörsaal. Er beschreibt seine redlichen Bemühungen um eine Einbindung von Smartphones und Tablets in seine Vorlesungen durch interaktive Tools und Wissensabfragen, hat aber mittlerweile aufgegeben und vertritt nun ein Komplettverbot der Geräte. Dafür fährt er mehrere Argumente auf, die dankenswerterweise alle deutlich durchdachter als der übliche kulturpessimistische Mist à la Manfred Spitzer sind. Zum einen beklagt er die "Asymmetrie" in der Wissensvermittlung; der Stoff habe keine Chance gegen die Ablenkungskraft des Handys. Zudem zerstörten sie die Lernatmosphäre, weil sie sowohl den Dozenten als auch die Umsitzenden mit ablenkten. Zentrale Erkenntnisse der Forschung liefen darauf hinaus, dass die schiere Anwesenheit selbst eines abgeschalteten Bildschirms bereits ablenkende Wirkung entfalte. Alle diese Argumente sind gut und richtig. Sie führen für mich aber trotzdem in die Irre.

Das hat mehrere Gründe.

Der erste Punkt ist die Frage nach der Ablenkung. Es ist absolut korrekt, dass dröge Faktenvermittlung nicht wirklich gegen die Konkurrenz durch die Ablenkung durchs Handy anstinken kann. Aber das liegt eben häufig auch daran, dass der Stoff nicht eben interessant ist (bei Fächern wie Jura ist das natürlich deutlich problematischer als etwa in Geschichte). Aber ich kann mich aus meiner eigenen Studienzeit noch gut daran erinnern. Ich habe in den Vorlesungen immer auf einem Laptop mitgeschrieben. In spannenden Vorlesungen war ich praktisch dauerhaft dabei und habe getippt wie verrückt. Waren die Vorlesungen weniger gut, habe ich angefangen Kram nebenher zu machen. In den Seminaren, wo ich meinen Laptop meist nicht dabei hatte, passierte genau dasselbe - nur habe ich mich da halt nicht am Rechner, sondern mit anderem Kram abgelenkt, und wenn es nur zum Fenster hinausschauen war. Das liegt nur in der Natur der Sache. Die Verfügbarkeit digitaler Geräte macht das zwar leichter - also das sich Ablenken - aber es ist nicht so, als wäre es ursächlich.

Der zweite Punkt ist damit verbunden. Nur in absoluten Ausnahmefällen können sich Leute 90 Minuten am Stück auf irgendetwas konzentrieren, besonders wenn es geistig anspruchsvoll ist. Menschen brauchen Pausen, und bekommen sie diese nicht durch die Struktur, nehmen sie sie sich schlicht selbst. Das gilt in der Schulstunde, das gilt im Hörsaal, das gilt auf der Konferenz, das gilt im Meeting. Dieser Bedarf nach Pausen ist völlig normal und dem Lerneffekt im Normalfall auch nicht abträglich. Die Smartphones schaffen hier nur eine weitere kurze Ablenkungsmöglichkeit - sofern sie kurz bleibt.

Hier entstehen natürlich zwei Probleme: einerseits sind die meisten der elektronisch bereitgestellten Ablenkungsmöglichkeiten eher längerfristiger Natur, andererseits zwingt die Aufmersamkeitsökonomie der Smartphones einen eigenen Rhythmus auf. Die Pause zum Whattsapp-Checken nehme ich mir ja nicht wenn ich sie gerade brauche, sondern weil das Handy vibriert hat. Und wenn ich "mal kurz" eine Runde Clash of Clans spiele oder was auch immer an Handyspielen gerade angesagt ist (ich nutze das Ding nicht zum Spielen) oder einen Artikel lese, bin ich natürlich länger abgelenkt als durch einen Blick durchs Fenster. Der Ablenkungsimpuls als solcher allerdings ist natürlich. Warum die obige Argumentation trotzdem nicht für ein Verbot spricht kommt gleich.

Der dritte Punkt ist, dass der aktive Einbau der Geräte in den Unterricht eine größere Operation ist. Wer irgendeine coole App hat, auf der man eine Umfrage machen kann, und die Dinger deswegen auf dem Tisch erlaubt, wird dieselben Erfahrungen machen wie Milos Vec. Wenn digitale Geräte in den Unterricht eingebaut werden, verlangt das nach einem kompletten Umbau der Didaktik. Das ist ein Teilaspekt eines wesentlich größeren Problems. Der lehrerzentrierte Unterricht hat die obigen Probleme immer, und gerade Universitätsvorlesungen sind tatsächlich eher inkomptabel mit der Verwendung von Smartphones. Aber das ist ein Problem mehr der Didaktik. Wenn ich Laufbänder statt Tische und Stühle in den Regelunterricht integriere, in der Hoffnung dass die Bewegung die Geisteskraft antreibt, ist das etwa die gleiche Idee. Ja, da besteht ein grundsätzlicher Zusammenhang, weil Bewegung die geistige Aktivität fördert. Aber auf einem Laufband Unterricht machen wird trotzem nicht funktionieren. Genauso ist es mit Smartphones und Tablets. Die Dinger haben viel Potenzial zum Einsatz im Unterricht, aber nicht wenn der lehrerzentriert ist. Da sind sie nur alternative Methoden des Mitschreibens (gegen die wirklich nichts und für die einiges spricht).

Und damit kommen wir zum vierten Punkt. Vec spricht in seinem Artikel davon, dass das ständige ostentative Bildschirmblicken einem Mangel an Manieren entspricht und die Lernatmosphäre stört. Zudem habe ich bereits auf die Aufmerksamkeitsabziehende Wirkung von Vibrationsalarmen und Ähnlichem hingewiesen. Das ist absolut korrekt. Was es tatsächlich braucht ist ein neues Set an gesellschaftlichen Konventionen, wie mit dem Handy umzugehen ist. Da hilft es nur eingeschränkt, wenn in atemlosen Ton kulturpessimistische Horrorstories von "heutigen" Dates erzählt werden, auf denen beide Partner nur auf das Smartphone schauen. Das ist ein Problem der beteiligten Personen, nicht der Smartphones.

Wir brauchen einen vernünftigen sozialen Kodex zum Umgang mit den Dingern. Aktuell scheint es nur einen binären Zustand zwischen "gar nicht" und "omnipräsent" zu geben, zumindest wenn man die Diskussion so anschaut. Das ist aber problematisch, denn gerade für die Jüngeren ist das Smartphone ein alltägliches, wichtiges Gerät. Ich besitze zum Beispiel keine Armbanduhr. Will ich wissen, wie viel Uhr es ist, checke ich das auf dem Smartphone. Das kann ein Beobachter nicht von einem Checken von Whattsapp oder anderen "Ablenkungen" unterscheiden. Gleichzeitig ist es offensichtlich unhöflich, während dem Gespräch längerfristig auf das Gerät zu blicken. Es muss sich quasi ein Zwischenbereich etablieren, in dem sich alle einig sind was ok ist und was nicht. Dann sind auch diese Störungen der Lernatmosphäre nicht mehr so kritisch.

Dass das geschehen kann (und wird) steht außer Zweifel. Wir Menschen haben bislang noch jede andere Form der Technologie in unseren Verhaltenskodex etabliert. Nur ein Beispiel: im Gespräch ist es ein Prinzip der Höflichkeit, dass man den Gesprächspartner ansieht oder wenigstens nicht ostentativ andere Dinge beobachtet. Beim Autofahren dagegen ist diese Regel aus offensichtlichen Gründen außer Kraft gesetzt (außer im Film, da schauen Fahrer ständig verantwortungslos zum Beifahrer) und der Fahrer starrt beständig geradeaus und in die Spiegel, während er oder sie mit dem Beifahrenden spricht. Ähnliche Regeln braucht es auch für Smartphones und Co: Wann ist was ok? Das gilt für beide Seiten. Wann ignoriere ich das Gerät beim Gegenüber, und wann darf ich es selbst wie benutzen? Solche Regeln können sich aber nur etablieren, wenn die Geräte nicht tabuisiert werden.

Das gleiche gilt für den schulischen Kontext. Ich zitiere mich selbst:
Schule ist Lebensraum. Schüler verbringen rund die Hälfte ihrer unterwöchigen Lebenszeit, teils sogar mehr, in dieser Institution. Die Schule sollte sich nicht als einen vom restlichen Leben komplett abgeschotteten Raum begreifen. Ein Instrument wie das Smartphone einfach zu ignorieren, indem man es verbietet, ist aus mehreren Gründen Quatsch. Einerseits schließt man ein Stück schülerischer Lebensrealität aus und zementiert einmal mehr, dass „Leben“ und „Schule“ getrennte Sphären sind (sind sie nicht), andererseits lässt man sich zahllose Möglichkeiten entgehen, die Dinger sinnvoll in den Unterricht einzubauen, und drittens hat die Schule einen dezidierten Bildungsauftrag, der sich auch auf die digitale Bildung verstehen muss.
Wo sollen solche Formen eingeübt werden, wenn nicht in Familie und Schule? Regeln wie "kein Handy zu Tisch" und "Handyverbot in der Schule" erscheinen daher eingängig, führen aber in die Irre. Stellen wir uns der Herausforderung, statt von ihr wegzulaufen.

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