Donnerstag, 20. September 2018

Die Affäre Maaßen: Ein Lehrstück in zehn Teilen

Nach einigen turbulenten Tagen, in denen es schien, als ob die Große Koalition über die Personalie Maaßen platzen könnte, hat sich die Lage nun wieder beruhigt. Zur Erinnerung: Bundesverfassungsschutzpräsident Maaßen war, wie man das höflich so ausdrückt, "in die Kritik geraten", weil er öffentlich anzweifelte, dass das Video, das eine Hetzjagd auf Mitbürger mit Migrationshintergrund in Chemnitz zeigte, echt war. Beweise oder auch nur Indizien gab es dafür keine; Maaßen ruderte später zurück, ihm sei es nur um die Begriffsdefinition "Hetzjagd" gegangen. Weitere Indiskretionen gesellten sich zu den Verfehlungen der letzten Jahre und zwangen die SPD dazu, sich der Oppposition anzuschließen und Maaßens Ablösung zu fordern. Es wurde insinuiert, dass die Koalition auf dem Spiel stünde. Horst Seehofer, Maaßens Dienstherr, nutzte die Gelegenheit und schärfte angesichts der anstehenden Bayernwahl sein Profil, indem er sich öffentlich hinter Maaßen stellte. Merkel tauchte ab und hoffte, dass sich das Problem schnell lösen möge - was es dann auch tat. Maaßen wird Staatssekretär (zwei Besoldungsstufen höher) im Innenministerium, wofür allerdings wegen der verschärften Haushaltsregeln ein anderer Staatssekretär gehen musste. Seehofer, nie um ein Nachtreten verlegen, feuerte dafür einen kompetenten SPD-Staatssekretär aus dem Bauressort. Die Affäre Maaßen ist mit Sicherheit ein Lehrstück, aber vermutlich fragen sich viele, für was eigentlich. Das soll im Folgenden aufgezeigt werden, denn tatsächlich ist die Affäre in zehnerlei Hinsicht lehrreich.

Da wäre einmal die altbekannte Problematik der Blindheit des Verfassungsschutzes, wenn es um rechte Umtriebe geht. Wo man immer schnell dabei ist, die Gefahr von links zu beschwören (und das sicherlich in den meisten beobachteten Fällen nicht zu Unrecht) zierte sich der Verfassungsschutz auffallend, die AfD und ihre Tochterorganisationen unter Beobachtung zu nehmen und versagt geradezu chronisch darin, rechtsradikale Organisationen in Deutschland zu beobachten und lahmzulegen - oft genug wegen der starken Verflechtung mit V-Leuten, ein Problem, das in der linksextremen Szene pointiert nicht existiert.

Diese Kritik ist so alt wie das Amt selbst, und von daher passte die Chemnitz-Video-Aussage Maaßens (dessen Positionierung am rechten Rand der Union nicht gerade ein Geheimnis ist) auch hervorragend ins Muster. Es darf getrost angenommen werden, dass Maaßen sich bewusst war, wie seine Aussage aufgefasst werden würde. War er es nicht, so ist er im Amt ohnehin eine Fehlbesetzung, denn wer in solch sensiblen Angelegenheiten dermaßen im Ton daneben langt wie er es selbst von sich behauptet (ohne dabei die entsprechende Einsicht aufzuweisen, die mit solchen Fehlleistungen einhergehen sollte) ist ungeeignet für die Leitung einer Behörde wie dem Verfassungsschutz. Angeblich rechnete Maaßen ohnehin mit seiner baldigen Ablösung und nutzte diese Krise effektiv als Bewerbung für neue Ämter; was da dran ist, kann ich allerdings nicht beurteilen. Die Aussage um das Chemnitz-Video jedenfalls disqualifizierte ihn als Verfassungsschutzleiter.

Das Problem des rechtslastigen Verfassungsschutzes bleibt auch nach der NSU-Affäre und der kompletten Amtszeit Maaßens ungeklärt. Anstatt sich um Aufklärung der Vorgänge zu bemühen, blockt das Amt jegliche Versuche weiterhin ab. So ist nach Jahren immer noch unbekannt, wer und warum eigentlich die Akten der NSU-Morde geshreddert hat; auch sonst sind werden Strukturreformen weiterhin vermisst. Der Verfassungsschutz ist ein extrem politischer Geheimdienst, einmal qua Amt - das ist seine Aufgabe. Aber ein anderes Mal ist er es, weil er selbst Partei ist und allzuoft bereit, zwar hart gegen links vorzugehen, aber nur sehr zögerlich und halblebig gegen rechts. Dass diese politische Schlagseite immer noch genauso virulent ist wie immer, ist die erste Lehre aus dem Fall Maaßen.

Das alles wäre jedoch wahrscheinlich in dieser Form nie passiert, stünde nicht bald eine Wahl in Bayern an, für die unser Innenminister miserable Umfragewerte verkraften muss. In der CSU werden bereits seit Monaten die Messer gewetzt, um Seehofer loszuwerden. Der Innenminister kämpft zudem einen offenen Kampf gegen Merkel, die er unbedingt mit in den Untergang reißen will, koste es was es wolle. Jede Gelegenheit zum öffentlichen Streit wird hierzu von Seehofer instrumentalisiert, weswegen er sich in Chemnitz auch hinter die Sachsen-CDU stellte und so diesen rechten Pfuhl in der schwärenden Flanke der Union nährte. Maaßen profitierte daher geschickt von Seehofers Anreizen; dieses clevere politische Taktieren straft nebenbei auch die Vorstellung Lügen, Maaßen habe unschuldig übersehen, welche politische Wirkung seine Äußerung erzielten würde. So aber drängt die Dynamik einer Landtagswahl mit Macht in die Bundespolitik und drohte, die Kanzlerin mit in den Abgrund zu reißen. Sie hätte darüber mit Schröder einen trinken gehen können, der kennt das auch. - Diese Mechanismen sind die zweite Lehre aus dem Fall Maaßen.

Doch auch diese Dynamik wäre nicht vorstellbar ohne die politische Schwäche Merkels. Zwar ist auch vorstellbar, dass die ganze Chose nur Theaterdonner ist und Merkel in Wirklichkeit inhaltlich mit Seehofer und Maaßen übereinstimmt; das halte ich aber für unwahrscheinlich. Naheliegender ist daher anzunehmen, dass Merkels Position innerhalb der Union derzeit schwach ist, so schwach, dass sie nicht in der Lage ist, Seehofers Frechheiten zu begegnen und diese überwiegend aussitzen muss, bis er (hoffentlich) nach den Bayernwahlen abserviert ist, für die Ministerpräsident Söder bereits seit Wochen die Verantwortung weit von sich schiebt. Die Richtlinienkompetenz einer Kanzlerin reicht eben auch nur so weit wie ihr politisches Kapital. Das ist die dritte Lehre aus dem Fall Maaßen.

Gelöst wurde die Krise durch einen klassischen Kompromiss. Der offizielle Auslöser kam von der SPD, die öffentlich erklärte, Maaßen nicht weiter tragen zu wollen. Die Union musste den Mann daher entweder absetzen oder den Koalitionsbruch riskieren - ein klassisches Ultimatum. Da Seehofer aber seinerseits nicht als Verlierer dastehen wollte und über genügend Macht verfügte, sich einem entsprechenden Framing aggressiv zu widersetzen, musste Maaßen offiziell befördert werden, damit beide Seiten Sieg erklären konnten. Dadurch erklärt sich die Personalrochade im Innenministerium. Das Wegloben von unbequem gewordenen Amtsträgern ist eine lange Tradition in einer Politik, in der das Ermorden von Kontrahenten allgemein als unfein gilt (die Römer hatten da in ihrer Republik weniger Skrupel). Die Bundeswehr kennt dafür mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr sogar ein eigenes Amt; böse Zungen behaupten, dass der Bundespräsident und Bundestagspräsident ähnliche Funktionen erfüllen. Die Koalition wurde so zum Preis von zwei Besoldungsstufen und einem entlassenen Staatssekretär gerettet. Demokratien lösen Krisen dieser Art so. Das ist die vierte Lehre aus dem Fall Maaßen, die offensichtlich für viele immer wieder überraschend kommt.

Dass der Kompromiss diese Form annahm, ist allerdings der Schwäche der SPD zu verdanken. Diese pokerte mit ihrem Ultimatum mindestens ebenso hoch wie Seehofer, und sie hatte keine sonderlich gute Hand. Das zeigte sich, nachdem Merkel und der Rest der Union wenig Anzeichen machten, Maaßen einfach zu entlassen. Die SPD wurde schnell merklich ruhiger. An einem Koalitionsbruch hatten sie angesichts der Umfragewerte kein Interesse, geplant war er auch nicht. Maaßen war zudem trotz aller obigen Erklärungen kein gutes Objekt, um einen Bruch mit der CDU zu inszenieren, geplant war ein solcher ohnehin nicht (und nur Narren brechen eine Koalition ohne Plan). Ohne echte Druckmittel und mit wenig guten Optionen hatte sich die SPD in eine Ecke manövriert, in der sie gezwungen war, jeden Formelkompromiss zu akzeptieren. Seehofer, dem diese Mechanik als politisches Naturtalent nicht gerade verborgen geblieben war, dreht das Messer mit Genuss in der Wunde der SPD und feuerte einen unschuldigen SPD-Staatssekretär, einfach weil er es konnte. Ohne Druckmittel Ultimaten zu stellen ist immer gefährlich, aber der SPD blieb wenig Wahl, denn schweigen konnten sie angesichts von Maaßens Verfehlungen auch nicht. Das ist die fünfte Lehre aus dem Fall Maaßen.

Überhaupt interessant ist das aufplusternde Gehabe Seehofers, dessen Kommunikation auf einem sehr urtümlichen Niveau funktioniert. Es geht, ganz im Geiste der Zeit des Rechtspopulismus, um Machismo und auftrumpfendes Balzgehabe. Wer hat den (metaphorischen) Längsten? Es ist ein Spiel, das Angela Merkel aus Prinzip nicht spielt und das die SPD nur verlieren kann. Es ist eine Perfomance von Männlichkeit, wenn Seehofer breitschultrig neben und hinter Maaßen steht und diesen begleitet. Diese Art der politischen Kommunikation beherrschte auch Gerhard Schröder aus dem Effeff, und sie spricht etwas tief in der Wählerschaft an. Eine Mehrheit der Wähler liebt diese leere Auftrumpferei. Das ist die sechste Lehre aus dem Fall Maaßen.

Und der arme Herr Adler, dessen Job im Rahmen des politischen Kuhhandels verloren ging? Der ist natürlich das eigentliche Opfer des politischen Lavierens. Er hatte mit der Sache nichts zu tun, musste aber zum Beweis der männlichen Überlegenheit Seehofers seinen Hut nehmen. Das ist natürlich für Herrn Adler, der sicherlich ein fähiger Experte für das Bauwesen war und nun durch eine Nullnummer im Anzug und schlechter Brillenwahl ersetzt wird, ein schwerer Schlag. Aber Staatssekretäre werden unter anderem dessen auf Besoldungsstufe B11 bezahlt und mit großzügigen Pensionen abgesichert, weil sie politische Positionen innehaben, die für Formelkompromisse dieser Art geopfert werden können. Sie haben das mit Spitzenpositionen in der Wirtschaft gemeinsam. Jedem Staatssekretär muss das bewusst sein. Daher sollte Adler hier nicht zum Märtyrer stilisiert werden. Seehofers Handlung war egozentrisch und eklig, aber wahrlich nicht ungewöhnlich. Das ist die siebte Lehre aus dem Fall Maaßen.

Wir müssen an dieser Stelle noch einmal zum Verfassungsschutz selbst zurückkehren. Denn was die Krise ebenfalls gezeigt hat ist, dass die Verwaltung - ob das die Beamtenschaft im Innenministerium oder im Bundesamt für Verfassungsschutz ist - eine eigene Agenda hat. Auch das ist nichts Neues, das ist in jeder Institution so, ob Behörde oder größere Firma. Der Selbsterhalt der eigenen Strukturen und die Bewahrung der eigenen Kompetenzen stehen immer an erster Stelle, und jede Institution reagiert sensibel auf Einmischungen von außen. Dazu will jede Institution die Art, wie sie ihren Job macht, nicht ändern. Im Fall von Polizei und Verfassungsschutz ist das eine wesentlich zu breite Komfortzone nach rechts und eine Null-Toleranz-Politik nach links. Jeder Versuch, das zu ändern, wird einen backlash provozieren. Wer mit dem nicht rechnet, verschafft innerparteilichen Gegnern wie Seehofer und Maaßen Verbündete. Das ist die achte Lehre aus dem Fall Maaßen.

Man sollte auch nie unterschätzen, wie Mediennarrative in einer solchen Krise wirken können. Das hat besonders die SPD leidvoll erfahren müssen. Obwohl eigentlich Merkel die eigentlich zentrale Figur der Krise ist - sie ist Kanzlerin und hat weder Innenminister noch Geheimdienstchef auch nur ansatzweise im Griff, vom größeren Problemkomplex der Flüchtlingsintegration ganz zu schweigen - hat es die SPD geschafft, in der Berichterstattung die Hauptrolle des Verlierers einzunehmen. Ihre ohnehin schlechte Verhandlungsposition wurde durch Mediennarrative, die die Frage des Koalitionsbruchs zum Tages-Event aufputschten, noch verstärkt, während diese mediale Aufmerksamkeit gleichzeitig Merkel entlastete. Für Maaßen hatte die Konzentration auf die machtpolitische Frage ("Schafft es die SPD?") den netten Nebeneffekt, dass seine Äußerung, die ja ursächlich gewesen war, völlig in Vergessenheit geriet und er sich als braver Beamter, der in die Mühlen der Parteipolitik gerät, präsentieren und dadurch Verbündete in anderen Teilen der Verwaltung, besonders der Polizei, gewinnen konnte. Die mangelnde Kontrolle über die Mediennarrative konstituiert daher die neunte Lehre im Fall Maaßen.

Unsere letzte Lehre ist damit eng verknüpft. Bereits früh in der Affäre roch die BILD Blut. Für das Blatt, dessen erste Aufgabe immer das Generieren hoher Auflage und dessen zweite Aufgabe das Verschieben des Overton-Fensters nach rechts ist, fielen hier zwei Dinge zusammen. Von Anfang an pushte die BILD die Botschaft, dass Maaßen ein Klartexter im Geiste Sarrazins war, ein Mann für, wie es immer heißt, "unbequeme Wahrheiten" und jemand, der von all den Gutmenschen aus politischen Motiven verfolgt wird. Andere konservative Medien und Journalisten sprangen schnell auf den Zug auf (Jan Fleischhauer etwa entblödete sich nicht, in einer Kolumne Maaßen emphatisch Recht darin zu geben, einen so aufgeladenen Begriff wie "Hetzjagd" nicht zu benutzen und eine Woche später an derselben Stelle von einer "Treibjagd" auf Maaßen zu schreiben). Auch in einer Zeit ständig sinkender Auflagen für das Schmierblatt ist dessen Kampagnenwirkung weiterhin nicht zu unterschätzen. Das unvermeidbare Buch von Maaßen jedenfalls ist der Status als Bestseller bereits sicher. Das ist die zehnte Lehre aus dem Fall Maaßen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.