Sonntag, 24. Februar 2019

Arbeiter von Amazon wählen Bernie Sanders und verlegen Stockholm nach China, wo Deutsch gesprochen wird - Vermischtes 24.02.2019

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Ein ganzes Land mit Stockholmsyndrom
Ah, richtig! Da ist diese in Deutschland offenbar nahezu quer durch die Parteienlandschaft als systemrelevant eingestufte Branche, deren Vertreter bis heute beklagen, es gebe keine ausreichenden "Innovationsanreize" für weniger umweltschädliche Antriebstechniken. Die aber extrem innovativ war, was die Entwicklung, den Einbau und die jahrelange Verschleierung von Betrugssystemen angeht. Weil sie nicht innovativ genug war, sich dem aktuellen Regulierungsumfeld anzupassen, hat sie ihr Versagen zu vertuschen versucht. Diese Branche hat ihren Käufern jahrelang in vollem Bewusstsein illegale Ware angedreht. Sie weigert sich bis heute, diesen Sachmangel vollständig auf ihre Kosten zu beseitigen. Ja, sie erlaubt sich sogar, ihre Kunden davor zu warnen, den Fehler von anderen reparieren zu lassen - das wäre nämlich ganz schlecht für die Garantie. Es ist, sorry, atemberaubend. Wie kann es sein, dass dieser gigantische Kriminalfall mit Millionen direkt und Abermillionen indirekt Geschädigten nicht das zentrale Thema ist? Wieso streiten Ärzte mit Forschern, Umweltorganisationen mit Politikern? Wieso gehen all die erbosten Dieselkäufer nicht in Wolfsburg oder Ingolstadt auf die Straße und beschimpfen die Täter? Ich kann mir das nur mit einer Kombination aus Stockholm-Syndrom und einem verwandten Konzept, der "post-purchase rationalisation" erklären. Letztere ist schnell erklärt - Details bietet das eingangs zitierte Buch: Wer etwas Unnötiges, zu Teures oder Fehlerhaftes gekauft hat, legt sich hinterher womöglich Begründungen zurecht, warum der Kauf trotzdem sinnvoll war. Um kognitive Dissonanz zu reduzieren, denn die ist unangenehm. Niemand gesteht sich gern einen Fehler ein. Im konkreten Fall: Es ist leichter, auf die Deutsche Umwelthilfe, Richter und die WHO sauer zu sein als auf den Automobilhersteller, dem man 30.000 oder 40.000 Euro für ein betrügerisches Produkt ausgehändigt hat. (Christian Stöcker, SpiegelOnline)
Man muss es den Autokonzernen lassen: sie haben es hervorragend verstanden, die Schuld an dem ganzen Debakel auf die Politik abzuwälzen. Und die hat in panischer Schockstarre alle Schuld auf sich genommen, weil das als das kleinere Übel schien, die Konsequenzen ziehen zu müssen. Es ist ein Lehrstück darüber, wie wirtschaftlicher Einfluss auf die Politik tatsächlich funktioniert, jenseits der in manchen Kreisen gepflegten Idee von direkten Schmiergeldzahlungen oder Quid-pro-quo-Absprachen. Die Sache ist eigentlich viel banaler. Die Autobranche ist in Deutschland eine der stärksten überhaupt; hunderttausende Arbeitsplätze und Milliarden in Steuereinnahmen hängen daran. Jede Entscheidung, die diese beiden Faktoren betrifft, hat riesige Welleneffekte. Kein Wunder tritt die Politik hier lieber leichten Fußes auf und versetzt sich gerne in die Interessen der Branche; ähnlich läuft es etwa in Großbritannien mit der Finanzindustrie. Der Lobbyismus hat es hier leicht, weil eine Art "Selbstzensur" der Politik vorherrscht, aus völlig nachvollziehbaren und nicht einmal zwingend falschen Motiven. Den Aufschrei möchte man schließlich hören, wenn zweihunderttausend (gut bezahlte) Arbeitsplätze verloren gehen, weil abstrakte NO2-Grenzwerte nicht eingehalten werden. Aber, und das ist die Kehrseite dieser Medaille, deswegen muss man den Anfängen wehren. Das gilt einerseits für das Vermeiden der riesigen Abhängigkeiten, die man sich geschaffen hat, indem man seine gesamte Volkswirtschaft von der Autoindustrie abhängig macht (ich habe die Auswirkungen hier schon einmal beschrieben), und andererseits dafür, dass eine so offensichtlich mächtige Industrie, die sich nicht um die Regeln kümmern zu müssen glaubt, VORHER härter an die Kandare genommen werden muss. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, ist es zu spät. Die Aufsicht über die Tätigkeiten dieser Konzerne muss früher ansetzen, und dafür braucht es vernünftig ausgestattete und befähigte Behörden.

2) The myth of Bernie Sanders' working-class support
Their evidence is the persistent support Sanders amassed during his struggle against Clinton. But there is something eerily familiar about the pattern of Sanders’s support in 2016. Nate Silver, diving into the numbers, finds that about a quarter of Sanders voters were what he calls “Never Hillary” voters. They leaned conservative, and many of them voted for Donald Trump in the general election. Dan Hopkins found something similar in 2016. The Sanders vote closely matched other protest votes against the Democratic Party’s standard-bearer. Sanders cleaned up among the same voters in 2016 that Clinton herself won with eight years before. Both votes represented protests against the Democratic Party by voters who had either left the party or had never been in it in the first place. Sanders 2016, like Clinton 2008, ran up the score in the garbage time of the primary by winning voters who had no real attraction to them. How big a factor was the Never Hillary vote for Sanders? Pretty big. They made the difference in eight of the states he won, finds Silver. Without that protest vote, the entire narrative of Sanders as the rising voice of the party’s authentic base would never have taken hold. And that basic misreading of the data created the foundation for a flourishing socialist dream that the American white working class is poised to turn against neoliberalism if only presented with a pure and sharp enough critique. Ironically, Sanders supporters have made the same analytic error the Clinton fans made after 2008. They looked at their growing strength among the white working class and saw a future base they could pry away from the GOP, never realizing that the only reason those voters had ever supported them was that they had already lost. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Es ist noch wesentlich zu früh, um irgendwelche verlässlichen Prognosen über die Chancen einzelner Kandidaten 2020 zu machen. Es ist möglich, dass Bernie Sanders dieses Jahr deutlich schlechter abschneidet als 2016, es ist möglich dass er ähnlich gut ist (was ihm in diesem Feld einen deutlichen Vorsprung verschaffte) oder sogar dass er Favorit wird. Es ist aber gewinnbringend zu sehen, wo der eigentliche support liegt und welche Wurzeln er hat. Was Chait und Silver hier als "Never Hillary voters" beschrieben, ist ein ernstzunehmendes Phänomen. Die Republicans hatten so etwas ja auch. Wie viel Stimmen bekam Ted Cruz im Frühjahr 2016 nur dadurch, dass er halt nicht Trump war? Schwer zu sagen.
In diesem Zusammenhang wichtig ist auch, dass die Vorstellung, Sanders sei gewissermaßen ein Held der weißen blue-collar-Arbeiter, eher in den Bereich der Mythen einzuordnen ist. Das ist nicht grundsätzlich problematisch - ich halte die Fixierung auf diese Schicht ohnehin für eine fixe Idee und für den Wahlerfolg der Democrats sekundär -, aber es könnte zu einer Art Verrennen führen, die ironischerweise Hillarys Fehler von 2016 spiegelt: wo sie mit aller Macht versuchte, die weißen (vormals republikanischen) Vororte zu gewinnen (und weniger Erfolg als gewünscht zulasten der Mobilisierung der eigenen Basis hatte) könnte Sanders sich auf etwas einlassen, was bestenfalls ein Nullsummenspiel wird, und wo jedem weißen Arbeiter in Iowa, der für ihn stimmt, eine schwarze Frau in Virginia entgegensteht, die nicht zur Wahl geht.
Erneut: ich rede gerade nur in Hypothesen. Nichts davon muss eintreten. Es sind nur mögliche Gefahrenquellen, die man in die Betrachtung mit einbeziehen muss - und die von allzu simplen Narrativen à la "Bernie Sanders, working class candidate" überdeckt werden.

Some analysts have argued that Europe and, more specifically, the European Union should strive for some form of geopolitical equidistance in the context of a competitive international environment allegedly dominated by the United States and China, and should also strive for equidistance between those two and another great power that affects Europe directly: Russia. But is this even possible, let alone desirable? For starters, Russia may well constitute a more immediate and explicit threat to U.S. allies and interests in Europe. But it is not in a position to compete in the same global league as the United States or China. It is the Sino-American competition that is likely to provide most states and actors in the international system with the main compass when deciding how to align themselves, and Russia is not exempt from that dilemma. In fact, Russia is perhaps the one European power best positioned to operationalize a strategy of geopolitical equidistance between the United States and China, even if it now appears to be much closer to China. This is because of its equivocal relationship with the West — driven by ideological aversion and security considerations related to its immediate eastern European neighborhood — and its reservations about Chinese power, which poses a direct threat to Russian influence across Eurasia. It is hard to imagine how the European Union could strive for some form of geopolitical equidistance between the United States and China, not least because European integration is largely a by-product of U.S. power in Europe. American power and strategy played a key role in the genesis of the European Community through the Marshall Plan, support for the re-industrialization and re-militarization of West Germany, and the NATO security guarantee. And this is not just ancient history. The United States has also played a critical role in the configuration of today’s European Union, notably through its support of German reunification and eastern enlargement. Today, Central and Eastern European states form an integral part of the European Union, and most of them see their bilateral relationship with the United States as the foundation of their security and political autonomy. (Luis Simon, War on the Rocks)
Dieser lange Artikel ist in Gänze zur Lektüre anempfohlen, aber mir scheint besonders wichtig darauf hinzuweisen, dass die Idee, Europa könne sich irgendwie unabhängig von den USA positionieren, zum gegenwärtigen Zeitpunkt jeglicher Grundlage entbehrt. Weder gibt es ein sicherheitspolitisches Konzept, das ohne die NATO auskommt, noch hat die EU irgendwie die Institutionen und das politische Gewicht, um eine eigenständige Außenpolitik zu betreiben. Von der wüsste auch niemand, wie sie überhaupt aussehen soll. Bislang definiert sich die außenpolitische Haltung der EU, so überhaupt eine existiert und diese nicht von den einzelnen Mitgliedstaaten verhackstückelt wird, stets komplementär zu der der USA, ob in Zustimmung oder moderierender Ablehnung.

4) Tweet von Steuermythen
Die Situation mit großen Konzernen wie Amazon ist nur noch albern. Während normale mittelständische Unternehmen das Rückgrat der Wirtschaft sind, ob in ihrer volkswirtschaftlichen Funktion oder als Steuerbasis, entziehen sich die Großkonzerne dank Heerscharen von Buchhaltern und Anwälten in ein weltweites, undurchsichtiges Netz aus Briefkastenregistrierungen, Steuersubventionen und Ähnlichem zurück. Das verzerrt den Wettbewerb zugunsten der Monopolisten, und in Amazons Fall auch noch zu einem wahren Netzwerk verschiedenster, integrierter Zweige. Man redet gerne von den Gefahren, die Google und Facebook mit sich bringen, aber der konsistenteste Risikofaktor ist viel mehr die Krake Amazon.

5) Governments of limited vice
The successful countries have regimes that also start from the premise of true human nature which is not virtuous (or at least is not virtuous all the time). They allow vice to flourish but limit its score, both physically (areas where it can be exercised) and “ideally” (activities where it can be done). They allow corruption but call it lobbying and ask that you register. They allow gambling but ask that casinos be located in big, imposing buildings, and that everybody be impeccably dressed and sober. They allow prostitution but ask that prostitutes issue bills and pay taxes. They allow stealing so long as it is done discreetly. But as soon as any one of these vices spills out of its confined area, governments of limited vice crack down on it with all their might. Vices thus never threaten to overwhelm the body public and to spread beyond acceptable limits. People continue functioning on a daily basis as upstanding members of community. Ostensible virtue is projected far and wide. But their actions at work, in family, or at night remain limited to those “acceptable” areas of vice and are never mentioned. They are thus not allowed to “contaminate” the rest. (Milan Brankovich, Global Inequality)
Die Idee eines "sweet spot" zwischen offener Korruption à la Russland und einem hehren, nie erfüllten Anspruch, ist grundsätzlich nicht doof. Die Schwierigkeit besteht natürlich darin, diesen "sweet spot" zu finden und zu halten. Denn wann genau der "limited vice" zu einem sehr grenzenlosen, schädlichen umschlägt, ist nicht sehr leicht zu sehen. Ironischerweise bietet gerade die katholische Kirche für Beides genug Anschauungsmaterial. Sie war schon immer sehr gut darin, die nach außen als absolut ausgegebenen moralischen Leitlinien für ihre Priester und Gläubigen in der täglichen Praxis mit genug Schlupflöchern zu versehen, vom Ave-Maria-Beten für kleine Sünden bis hin zur Stiftung zur Finanzierung von Unterhaltszahlungen von Priestern. Nur führt dieses System, das die Illusion intakt und das System am Laufen hält, halt auch aus einem falsch verstandenen Toleranzverhältnis zur Deckung sexuellen Missbrauchs. In der Schweiz etwa, die Brankovich hier als Beispiel nimmt, hat die Deckung von Steuerhinterziehung auch immer wieder ungesunde Züge angenommen, und spätestens beim Verstecken von Nazi-Gold und Verklappen jüdischen Eigentums muss man das "limited" vor dem "vice" schon streichen. Diese Balance zu wahren ist nicht gerade einfach, und dadurch, dass sie per definition nicht offen diskutiert werden darf, ist es noch schlimmer.

6) "Die moderne Firma ist eine Diktatur" (Interview mit Elizabeth Anderson)
ZEIT ONLINE: Warum ist davon so wenig geblieben?
Anderson: Die industrielle Revolution hat die Idee untergraben. Für Adam Smith als Vater des Wirtschaftsliberalismus war es noch unvorstellbar, dass es effizient sein könnte, bestimmte Waren im großen Stil und mit einer riesigen Armee abhängiger Arbeiter zu produzieren. Die Nadelfabrik, die er im Wohlstand der Nationen beschreibt, hat gerade einmal zehn Beschäftigte. Mit der Industrialisierung konzentrierte sich die Produktion in Großunternehmen, die wirtschaftliche Selbstständigkeit wurde damit für viele unerreichbar. Das hat sich allerdings nicht ausreichend in unseren politischen Diskursen abgebildet. Wir reden heute von freien Märkten wie zu Smiths Zeiten und übersehen dabei, was wirklich vor sich geht. Die politische Rhetorik kennt immer nur zwei Alternativen: den freien Markt und die staatliche Kontrolle. Die Firma kommt kaum vor. Dieses Bild verdeckt, dass die meisten Menschen einen Großteil ihrer wachen Stunden unter der Aufsicht dieser kleinen privaten Regierungen verbringen. [...]
ZEIT ONLINE: Ökonomisch geantwortet: Je mehr er mir bezahlt, desto mehr Macht darf mein Chef im Gegenzug über mich ausüben.
Anderson: Und warum beobachten wir dann das Gegenteil? Je mehr Macht Unternehmen über einen Mitarbeiter ausüben kann, desto schlechter ist im Prinzip auch die Bezahlung. Die Machtposition des Arbeitgebers drückt beides: den Lohn und die Freiheit der Angestellten. In der Praxis gibt es kein Entweder-oder.
ZEIT ONLINE: Wie würden Sie die Tyrannei am Arbeitsplatz eindämmen wollen?
Anderson: Für Amerika wäre es an der Zeit, etwas von Ihnen in Deutschland zu lernen. Eine Form gemeinsamen Managements von Arbeitgebern und Arbeitnehmern wie im deutschen Modell der Mitbestimmung halte ich für sehr sinnvoll. (Zeit)
Die Demokratisierung der Wirtschaft, die Anderson hier anspricht, ist leider eine Idee, die das letzte Mal in den 1970er Jahren ernsthaft verfolgt wurde. Dabei ist sie aus mehreren Gründen ein hoch aktuelles Thema, dem man wieder etwas Aufmerksamkeit schenken sollte. Einerseits der von Anderson hier im Interview beschriebene Aspekt, dass viele Firmen wie Diktaturen geführt werden, in denen die Arbeitgeber als Tyrannen auftreten, die teils völlig arbiträre Drangsalierungen ausüben können. Das ist aus offensichtlichen Gründen problematisch. Andererseits, weil eine demokratische Gesellschaft, die täglich für 8 Stunden in eine Diktatur überwechselt, ein grundsätzliches Problem hat. Wir reden über die Demokratisierung von Schule und Universität, aber nie über die der Betriebe. Mehr Demokratie wagen! Und zuletzt hat das Ganze auch eine für die Unternehmen selbst wertvolle Kontrollfunktion. Betriebsräte etwa können mehr als wertvolle Korrekturen sein, die einerseits auf die Einhaltung der Regeln pochen, andererseits aber (über den Aufsichtsrat) auch unternehmerische Entscheidungen hinterfragen können. Die Arbeitnehmer sind schließlich genauso stakeholder in die Zukunft des Unternehmens wie die Aktionäre.

7) A long war of attrition
Even before Donald Trump entered the Oval Office, the U.S. military and other branches of government were already gearing up for a long-term quasi-war, involving both growing economic and diplomatic pressure on China and a buildup of military forces along that country’s periphery. Since his arrival, such initiatives have escalated into Cold War-style combat by another name, with his administration committed to defeating China in a struggle for global economic, technological, and military supremacy. This includes the president’s much-publicized “trade war” with China, aimed at hobbling that country’s future growth; a techno-war designed to prevent it from overtaking the U.S. in key breakthrough areas of technology; a diplomatic war intended to isolate Beijing and frustrate its grandiose plans for global outreach; a cyber war (largely hidden from public scrutiny); and a range of military measures as well. This may not be war in the traditional sense of the term, but for leaders on both sides, it has the feel of one. [...] In other words, there can never be parity between the two countries. The only acceptable status for China is as a distinctly lesser power. To ensure such an outcome, administration officials insist, the U.S. must take action on a daily basis to contain or impede its rise. In previous epochs, as Allison makes clear in his book, this equation — a prevailing power seeking to retain its dominant status and a rising power seeking to overcome its subordinate one — has almost always resulted in conventional conflict. In today’s world, however, where great-power armed combat could possibly end in a nuclear exchange and mutual annihilation, direct military conflict is a distinctly unappealing option for all parties. Instead, governing elites have developed other means of warfare — economic, technological, and covert — to achieve such strategic objectives. Viewed this way, the United States is already in close to full combat mode with respect to China. (Michael T. Clare, Le Monde Diplomatique)
Was wir gegenwärtig erleben ist das Ende der liberalen Weltordnung, daran besteht für mich immer weniger Zweifel. In den 2000er Jahren war permanent die Rede davon, wie die Globalisierung und der damit einhergehende Standortwettbewerb gut für die Wirtschaft ist, weil er Innovationsdruck schafft und nur die Besten überleben, und wie - Ricardo reloaded - die internationale Arbeitsteilung den Wohlstand steigert. Und das war nicht einmal zwingend falsch. Nur zeigt sich, dass die Bevölkerungen nicht endlos bereit sind, die negativen Folgen auf sich zu nehmen - eine Hauptquelle für das Ressentiment, an dem sich etwa die Populisten von rechts wie links bedienen, wobei die von rechts es effektiver tun - und dass die Nationalstaaten nicht bereit sind, die Konsequenz zu akzeptieren, dass andere Länder Marktführer in Branchen werden, in denen man es selbst gerne wäre oder in denen man sich nicht von anderen abhängig machen möchte. Und da sind wir wieder bei Fundstück 3): Wo besteht etwa Europas Rolle in dieser Problematik? Ich sehe den einzig vernünftigen Ausweg aus diesem Dilemma in einer Rückkehr zum Prä-1990-Modell der Wirtschaftsblöcke, in dem Fall mit Nordamerika und teilweise den Pazifikstaaten. Aber mit dem Untergang von TTIP und TPP haben wir uns diese Türen selbst vor der Nase zugeschlagen. Immerhin ist die EU nicht in einer ganz so bescheuerten Situation wie Großbritannien; die haben nach dem Brexit einen Platz in der ersten Reihe, um die Auswirkungen dieser Dynamiken als hilfloses Opfer beobachten zu können.

8) Zweierlei Maß
Es gibt immer einmal wieder den schlechten Eindruck, dass die Polizei bei Vorwürfen gegen ihre eigenen Kollegen nur halbherzig ermittelt oder dass sie mauert. Jetzt ist dies kein schlechter Eindruck mehr, im Fall der Bundespolizei ist es von nun an eine Tatsache. Das Mauern kommt sozusagen mit Ansage; diese Ansage hat die Form einer druckfrischen Dienstvereinbarung aus dem Bundesinnenministerium. Dort steht: Mehr als 20 000 Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei werden mit Bodycams ausgerüstet, kleinen Kameras also, die in Dauerschleife alle Menschen filmen, mit denen diese Beamten zu tun haben. Zur Beweissicherung. Aber: Erhebt umgekehrt einmal ein Bürger einen Vorwurf gegen die Beamten - wegen eines Übergriffs etwa oder eines rassistischen Spruchs -, dann dürfen diese Aufnahmen nicht verwendet werden. Die Aufnahmen sind dem Bereich der internen Ermittlungen "entzogen", so heißt es in der Dienstvereinbarung. So verhalten sich Beamte, die den Rechtsstaat als ihr persönliches Gut betrachten. So verhalten sich Beamte, die meinen, an sich selbst andere Maßstäbe anlegen zu dürfen. Das lässt tief blicken. Wer eine Überprüfung durch den Rechtsstaat derart scheut, der ist nicht geeignet, für Vertrauen in diesen Rechtsstaat zu werben. (Ronen Steinke, SZ)
Die deutsche Polizei ist notorisch schlecht, wenn es um ihre eigene Verantwortlichkeit geht. Was es hier bräuchte wäre eine wesentlich stärkere Aufsicht, die stets beliebte "innere Abteilung", und ein stärkeres Verantwortungs- und Dienstgefühl gegenüber den Bürgern. Die Polizei definiert für sich nur allzugerne einen Zuständigkeitsbereich, innerhalb dessen sie allein entscheidet, was angemessen und richtig ist. Das geht nie gut, egal in welchem Bereich. Aufsicht tut not.

9) Das ist alles Lebenszeit
Es beginnt mit einem Geständnis: Ich habe den neuen Roman von Michel Houellebecq nicht gelesen, und ich werde es auch nicht tun. Schon seine letzten Bücher waren nichtssagende Thesenromane, stilistisch allenfalls mittelmäßig. Die Strategie, Versatzstücke unappetitlicher Ideologien anzudeuten, um sich dann hinter fiktiven Figuren zu verstecken, aus deren toten Augen der reale Autor ständig ironisch zu blinzeln scheint, besaß, wenn überhaupt, um die Jahrtausendwende noch ein mildes Irritationspotenzial. Die Figur des Provokateurs, dessen Spiel mit dem Hässlichen und Verbotenen einen wohligen Grusel erzeugt, ist schlecht gealtert, sie diente vielleicht schon damals vor allem dazu, sich gefahrlos am Habitus intellektueller Verdorbenheit zu beteiligen. Dazu gehört auch die öde Drastik trauriger Sexualität. Spätestens nach der dritten Wiederholung wirkt sie verstaubt und beflissen. Trotzdem wird der neue Houellebecq mit deprimierender Verlässlichkeit verkauft, gelesen, besprochen – kontrovers zwar, aber immer auch mit dem unterschwelligen Enthusiasmus über einen Autor, der Kontroversen zu erzeugen vermag. Es handelt sich um einen Fall, in dem die Tyrannei des Konzepts Skandalautor besonders augenfällig wird. Man liest den neuen Roman dieses Autors eben nicht nur in der Hoffnung auf ein gutes Buch, sondern vor allem, weil die Lektüre eine Eintrittskarte zu dem Gespräch ist, das mit Sicherheit über dieses Buch geführt werden wird. Man liest, um mitreden zu können, und ist dann verärgert über den Energieverlust, der damit einhergeht. [...] Eine Möglichkeit, sich diesen Mechanismen zu entziehen, wäre die ostentative Nichtlektüre, ein offenes Eingeständnis, dass man ein Buch nicht lesen wird. Der Provokation, die unsere Lesezeit beansprucht, wird die Provokation des Nichtlesens als Verweigerung dieser Zeit entgegengestellt. Eine solche strategische Indifferenz wäre eine Möglichkeit, die Herrschaft darüber zurückzugewinnen, welche Bücher man lesen und welchen man Aufmerksamkeit schenken möchte. [...] Der Habitus der Allbelesenheit wird dann ersetzt durch einen Habitus des informierten Nichtlesens. Es handelt sich um eine Kulturtechnik, die etwa im Rahmen der politischen Revision des Kanons bereits – wenn auch oft unausgesprochen – praktiziert wird. (Johannes Franzen, Zeit)
In diesem Artikel sind einige sehr gute Punkte aufgelistet. Mein eigenes größtes Problem beim Lesen ist die fixe Idee, man müsse jedes Buch zu Ende gelesen haben. Die Bücher in meiner alljährlichen Leseliste sind ja nicht immer solche, die ich unbedingt mit dem größten Genuss gelesen habe und bedingungslos weiterempfehlen kann. Trotzdem habe ich mich häufig durchgequält. Das ist eigentlich ja nicht nötig. Genauso kann ich informiert über ein Buch sprechen, das ich gar nicht gelesen habe, zumindest insofern, als dass ich begründen kann, warum ich es nicht lesen will. Diese Thematik ist am Auffälligsten etwa bei solchen Machwerken wie Sarrazins Schmierereien; Sarrazin nutzte "Sie haben mein Buch ja gar nicht gelesen!" immer als Argumentationsknüppel, der auch viel zu häufig akzeptiert wurde. Als ob ich Sarrazin lesen müsste, um ihn zu kritisieren! Meine Ablehnung seiner Thesen kann ich aus einem seiner Interviews begründen, ich brauche keine 300 Seiten krude Vulgär-Genetik zu überstehen. Genauso habe ich etwa 2012 Manfred Spitzers Machwerk gelesen, in der irrigen Annahme, dies tun zu müssen um ihn fundiert kritisieren zu können. Verschwendete Lebenszeit, in der ich lieber ein gutes Buch gelesen hätte.

10) Der Frauenhass ist gar nicht eingewandert
Wissen Sie noch, damals, als Deutschland ein feministisches Paradies war, wo Frauen und Männer einander ausnahmslos verstanden, liebten und ehrten, wo sie gleich viel verdienten und nie eine Frau ermordet wurde, weil sie einen Mann abgewiesen hatte? Damals, bevor die vielen jungen muslimischen Männer kamen? Nein, weiß ich auch nicht mehr. [...] Jede linke Feministin kennt diesen Vorwurf, sie würde sich nicht hinreichend um die Probleme kümmern, die durch geflüchtete Männer verursacht werden. Wann immer einer dieser Männer gewalttätig gegen Frauen wird, schreiben mir Leute, die fragen, warum ich über diesen bestimmten Fall nicht längst geschrieben habe und ob ich ihn unter den Teppich kehren will. Im Eifer des Gefechts vergessen sie, dass in Deutschland jeden zweiten bis dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wird. Es gibt ein massives Problem mit Gewalt gegen Frauen in Deutschland, aber die meisten dieser Fälle werden nur dann öffentlich diskutiert, wenn der Täter einen Migrationshintergrund hatte und damit gutes Propagandamaterial für Rassisten und Rassistinnen darstellt. [...] Wenn Sie bisher nicht mitbekommen haben, wie viele Frauen in Österreich seit Jahresbeginn ermordet wurden, dann könnte es daran liegen, dass es immer noch als "Familiendrama" oder "Beziehungsdrama" gilt, wenn ein weißer Mann seine (Ex-)Partnerin oder Schwester tötet. Es wäre die Traumvorstellung vieler weißer deutscher Männer, wenn linke Feministinnen sich hauptsächlich um "eingewanderte frauenfeindliche Wertesysteme" kümmern würden, und nicht um die hier seit Ewigkeiten ansässigen Frauenfeinde. Wie praktisch es wäre, wenn wir dabei helfen würden, so zu tun, als sei aller Sexismus (und Antisemitismus) erst 2015 nach Deutschland gekommen. (Margarete Stokowski, SpiegelOnline)
Dieser Vorwurf ist tatsächlich sehr beliebt, und Stokowski identifiziert auch problemlos den Grund, warum er das ist. Er speist sich aus derselben Quelle, aus der Leute, die absolut nicht ausländerfeindlich sind, plötzlich ihre Liebe zu den Obdachlosen entdecken, die man ja alle finanzieren könnte, wenn nur die Flüchtlinge (gegen die man natürlich persönlich nichts hat) nicht wären. Es ist vorgeschoben, eine Möglichkeit, sich der eigenen Verantwortung zu entziehen. Und das ist hier dasselbe: da entdecken plötzlich Leute eine tiefe Sorge vor häuslicher Gewalt, die ansonsten in aggressivsten Tönen verleugnen würden, dass es ein Problem in Deutschland gibt.

11) Ich will nicht mehr, dass Menschen verstummen
Meine Mutter hatte beschlossen, mich in ihrer Muttersprache zu erziehen: Türkisch. Das war keine Entscheidung aus Bequemlichkeit –meine Eltern sprechen beide Deutsch, wenn auch nicht so gut wie Türkisch – sondern zu meinem Wohle: „Ich dachte, dass es wichtig ist, dass ein Kind erst mal eine Sprache gut beherrscht“, sagt sie. Heute bestätigen Kognitions- und Sprachwissenschaftler*innen das, was meine Mutter damals instinktiv ahnte: Sie raten Migrant*innen, mit ihren Kinder nicht unbedingt Deutsch, sondern ihre Familiensprache zu sprechen. Gila Hoppenstedt vom German Institute for Immersive Learning (GIFIL) begründet das damit, dass die Muttersprache der Schlüssel für die zweite Sprache sei. Die erste Sprache forme kognitive Voraussetzungen, um Inhalte zu verstehen und zu verarbeiten. Darauf können wir immer wieder zurückgreifen, auch wenn wir eine neue Sprache lernen. Das Gegenteil könne im schlimmsten Falle dazu führen, dass sich die muttersprachlichen Kenntnisse der Kinder verschlechtern, während sich ihre Deutschkenntnisse auch nicht verbessern, meint Natalia Gagarina vom Berliner Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft. [...] Dabei ist Bilingualität weltweit keine Seltenheit. Mehr als die Hälfte der Menschen sprechen zwei Sprachen, Schätzungen schwanken zwischen 60 und 75 Prozent. Und wie auch in Deutschland ist Muttersprache an vielen Orten der Welt politisch. Dass ich mit einer Sprache aufwachsen durfte, die meine nächsten Bezugspersonen so gut beherrschten, dass der Austausch sie nicht aus Anstrengung zerrieb, sie ihren Kindern die Welt begrifflich erfahrbar machen konnten, um sie gemeinsam zu begreifen, ist nicht selbstverständlich. Die Familiensprache meines Vaters war einst Kurdisch, bis sie durch staatliche Repression von der türkischen Dominanzkultur verdrängt wurde. Noch heute gibt es viele, vor allem ältere Menschen in kurdischen Städten Südostanatoliens, die kein Türkisch sprechen können. Doch in den öffentlichen Behörden, Krankenhäusern und Schulen wird Türkisch gesprochen, das Kurdische wird als Bedrohung wahrgenommen. Diese Menschen verstummen in einem Raum, der ihnen zuvor Schutz bot. Mit Sprache beziehen wir uns zur Welt und erlangen zugleich die Fähigkeit, von uns selbst Abstand zu nehmen, uns selbst zum Gegenstand unserer Worte zu machen, ein Ich zu werden. Was bleibt, wenn uns das genommen wird? (Seyda Kurt, ze.tt)
Zwei Punkte hierzu. Einerseits bleibt es für mich faszinierend, wie wenig eine Diskussion ("in Deutschland soll Deutsch gesprochen werden", "Deutsch ins Grundgesetz"), die ein solcher Dauerbrenner ist, auf Fakten beruht. In der Öffentlichkeit gibt es eine instinktive Abneigung dagegen, wenn als niederrangig wahrgenommene Sprachen (alles aus Süd- oder Osteuropa) gesprochen wird (eine solche Ablehnung erfahren Englisch oder Französisch nicht). Politiker entblöden sich nicht zu fordern, dass "zuhause Deutsch gesprochen werden soll", ohne dass man einmal einen Sprachwissenschaftler fagt, ob das überhaupt sinnvoll ist. Wie so oft in der Integrationsdebatte ersetzt das gesunde Volksempfinden Verstand und Empirie. Auf der anderen Seite ist ebenso auffällig, wie viele Staaten die offizielle Sprache als Waffe verwenden. Es ist deswegen auch gefährlich, offizielle Sprachen auf diese Art festzuschreiben, ob Deutsch ins Grundgesetz oder Englisch in die US-Verfassung (beides wird von Konservativen regelmäßig gefordert). Diktaturen wie die Sowjetunion oder heutige autoritäre Staaten wie Russland oder die Türkei nutzen die "offiziellen" Sprachen schon lange und erfolgreich als Waffe im Kampf gegen ethnische Minderheiten. Als Integrationsmittel hat das noch nie fungiert; die Ausgrenzung ist ja gerade das Ziel. Wir sehen das ja auch in Deutschland: die Sprachkenntnisse mögen eine notwendige Bedingung für Integration sein, eine hinreichende sind sie keinesfalls. Und wer sich integrieren will, der lernt die Sprache eh - auch ohne staatliche Gängelung.

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